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Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1361–1363

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Speelman, Herman A.

Titel/Untertitel:

Melanchthon and Calvin on Confessionand Communion. Early Modern Protestant Penitential and Eucharistic Piety. Preface by A. van de Beek and P. J. J. van Geest.

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2016. 362 S. = Refo500 Academic Studies, 14. Geb. EUR 100,00. ISBN 978-3-525-55041-0.

Rezensent:

Nicole Kuropka

Herman A. Speelman ist Senior Postdoctoral Research Fellow an der TU Kampen (NL) und hat sich in den letzten Jahren vor allem auf Veröffentlichungen zu Calvins Kirchen- und Abendmahlsverständnis konzentriert. Der vorliegende Band über Beichte und Abendmahl vereint zurückliegende Vortragstätigkeiten mit seinen jüngsten Forschungsergebnissen zu Melanchthon und Calvin und bietet in elf Kapiteln jeweils voneinander unabhängige Beiträge, die in vier Sektionen (Mittelalterliche Wurzeln, Melanchthons Beitrag, Calvins Beitrag und Weiterentwicklungen im reformierten Kontext) unterteilt sind. Hinter dieser Gliederung steht zum einen die vom Vf. im einleitenden Kapitel vorgestellte Periodisierung der Reformationszeit, die er an den von ihm festgestellten Wendepunkten von Martin Luther (1517), Philipp Melanchthon (1527) und Johannes Calvin (um 1540) sowie den Veränderungen ab 1559 festmacht, und zum anderen sein Anspruch, die reformatorischen Entwicklungen als Kontinuitäten und Veränderungen zur spätmittelalterlichen Theologie zu verstehen.
Entsprechend beleuchten die ersten drei Kapitel spätmittelalterliche Beicht- und Bußvorstel-lungen, die Bedeutung der persönlichen Frömmigkeit sowie das Abendmahlsverständnis, wobei der Vf. im Verlauf des Buches im­mer wieder auf diese Ergebnisse zu­rückgreift. Jeweils drei weitere Kapitel schwenken zu Philipp Me­lanchthon (Kapitel 4–6) bzw. Johannes Calvin (Kapitel 7–9) und ihren Beiträgen zum Buß- und Beichtverständnis sowie zur Abendmahlstheologie (nur Calvin), während die letzten beiden Kapitel einen Ausblick auf die weiteren Entwicklungen (Frankreich, Niederlande) geben wollen. An den Hauptteil schließt ein vierglied-riger Anhang an, der exkursartig einzelne Aspekte (z. B. die Wirkungsgeschichte von Luthers Vorwort zu den Visitationsartikeln) umreißt. Eine Bibliographie, ein Namen- und Ortsregister be­schließen das Buch.
Wie im Vorwort von A. van de Beek angekündigt, verfolgt der Vf. weder einen strikt historisch-chronologischen noch einen systematisch-theologisch geleiteten Ansatz, sondern beleuchtet vielmehr aus wechselnden Perspektiven kaleidoskopisch das um­rissene Thema (11). Dabei kreisen die Beiträge zu Melanchthon brennpunktartig um die Visitationsartikel, die als sein zentrales theologisches und reformatorisches Dokument verstanden werden. Die Konzentration auf diese Quelle liegt im Forschungsinteresse des Vf.s begründet, den vor allem die praktischen Konsequenzen reformatorischer Theologie für den Frömmigkeitsalltag der Gläubigen interessieren, wobei er allerdings keinen sozialgeschichtlichen, sondern einen ideengeschichtlichen Blickwinkel verfolgt. Diese Perspektive wird auch in den Kapiteln zu Calvin beibehalten, wobei dem Vf. hier besonders an dem komplexen, seines Erachtens bisher zu wenig wahrgenommenen Diskurs Calvins mit den mittelalterlichen Traditionen und Frömmigkeitsverständnissen liegt. Dabei gewinnt für den Vf. die Frage nach der persönlichen Seite des Abendmahls (»subjective side«, 169 oder »subjective ex-perience«, 174), also der individuellen Vorbereitung und Teilnahme am Sakrament, an Bedeutung neben der Frage nach der objektiven Seite, also dem »Wie« der Präsenz Christi im Abendmahl. Aus dieser Perspektive könne dann auch Calvins Entwicklung des Kirchenzuchtverständnisses neu erklärt werden. Alle bis hierhin vollzogenen Überlegungen kulminieren im 8. Kapitel, in dem der Vf. die mittelalterlichen Kontinuitäten im Beichtverständnis herausarbeitet, die Entwicklungen von Calvins Abendmahlsverständnis in fünf Phasen nachzeichnet und somit aufzeigt, dass bei Calvin Buße, Beichte und Kirchenzucht nur im Kontext des Abendmahlsverständnisses zu verstehen seien (besonders 228).
Die Stärke des Buches liegt in zweierlei begründet: Zum einen verfolgt der Vf. konsequent die Frage nach der Bedeutung von theologischen Themen für den individuellen Glauben und die persönliche Frömmigkeit des Einzelnen. Und zum Zweiten nimmt diese Studie mutig große Entwicklungslinien in den Blick, die zum Teil auf nur wenigen Seiten zusammengefasst werden: So zeichnet das erste Kapitel z. B. das Buß- und Beichtverständnis von der Alten Kirche bis zu Martin Luther (29–43) nach. Gleichzeitig werden diese theologiegeschichtlichen Überblicke mit ausgewählten Fokussierungen auf einzelne Fragestellungen aufgebrochen und bisweilen Quellen unterschiedlicher Autoren anhand eines Kristallisationspunktes miteinander verschränkt, wobei der Vf. eine große Freizügigkeit besitzt, die geschichtliche Entwicklung von Jahren oder gar Jahrzehnten zu überspringen (so z. B. Kapitel 5).
So sehr der Vf. dadurch ein größeres Gesamtbild vor allem für Calvin in den Blick nehmen kann, muss er bei einem derartigen Ansatz im Detail Präzisionsverluste in Kauf nehmen. Dabei wäre eine tiefere Beleuchtung der Auswahlkriterien der vorgestellten Quellen sowie der daraus gezogenen Konsequenzen an einigen Stellen wünschenswert gewesen: Z. B. bleibt die Feststellung, dass Melanchthons »turning point« in den Visitationserfahrungen liegt, allein auf den Visitationsartikeln und den Briefen (die na-hezu konsequent nicht in der modernen kritischen Edition des Heidelberger Melanchthonbriefwechsels zitiert werden, z. B. 114, Anm. 54 ff. u. ö.) begründet. Eine breitere Quellenbasis, Diskussion der jüngeren Forschungsgeschichte (ausgiebig wird nur Beate Koblers Beitrag diskutiert) und eine differenziertere Darstellung der biographischen Entwicklung und des komplexen theologischen und kirchenpolitischen Diskurses, in den Melanchthon eingebunden war, wären hier durchaus hilfreich und erhellend gewesen.
Die vorliegende Arbeit verortet die theologischen Entwicklungen von Buße, Beichte und Abendmahl bei Calvin (und Melanchthon) auf eine kaleidoskopische Art und Weise in dem größeren theologiegeschichtlichen Kontext von (Spät-)Mittelalter und Wittenberger Reformation bis hin zur Konfessionalisierung, wobei der Blick des Vf.s immer auch dem Gemeindealltag und der Relevanz für den einzelnen Glaubenden gilt. Damit zeigen seine elf Aufsätze exemplarisch auf, wie wertvoll die Zusammenschau von Kontinuitäten, Transformationen, Zuspitzungen und Umbrüchen für beide Reformatoren ist, aber auch, wie viel historische Forschungsarbeit noch zu leisten wäre.