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Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1359–1361

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Peters, Christian

Titel/Untertitel:

Vom Humanismus zum Täuferreich. Der Weg des Bernhard Rothmann.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017. 201 S. m. 4 Abb. = Refo500 Academic Studies, 38. Geb. EUR 90,00. ISBN 978-3-525-55253-7.

Rezensent:

Christian Elmo Wolff

Der Leiter des Instituts für Westfälische Kirchengeschichte an der Universität Münster, Christian Peters, legt mit diesem Werk eine interessante Studie zur Verwurzelung des Münsteraner Reformators und theologischen Kopfes der Münsteraner Täuferbewegung, Bernhard Rothmann, in humanistischen Strömungen vor.
Das vielgestaltige Phänomen des »Deutschen Humanismus« sowie dessen Ausprägungen beschreibt P. in seiner Einleitung in gebotener Kürze, um ausgehend von diesen Spannungen auf einen inner-humanistischen Konflikt in Münster zwischen Timann Ke­mener, seit 1500 Rektor der Münsterischen Domschule, und dessen etwa zehn Jahre jüngeren Konrektor Johannes Murmellius einzugehen, beide Männer waren Lehrer Rothmanns. P. zeigt hier, wie im weiteren Verlauf dieser Studie, seine umfassende Quellenkenntnis zum Schriftverkehr zahlreicher deutscher Humanisten.
P. gelingt es, verschiedene Quellen von wissenschaftlichem In­teresse wieder zugänglich zu machen. Zunächst fasst er im 1. Kapitel eine Vorrede Bugenhagens des Jahres 1532, mit dem dieser eine Schrift der Münsteraner Bürger an ihre »Olderlude«, also die zwei Sprecher der Gilden, in Lübeck zum Druck beförderte, treffend zusammen. Diese Vorrede präsentiert P. im Editionsanhang, ein nicht zu unterschätzender Beitrag, denn bisher war diese nur im British Museum in London einsehbar.
Da in diesem Vorwort die »Sacramentschenderie« in Braunschweig thematisiert wurde, beschreibt P. im 2. Kapitel die zugehörigen Hintergründe; das auch nach 1528 (Bugenhagensche Kirchenordnung) noch instabile evangelische Kirchenwesen. Er schlägt einen Bogen zu Johannes Campanus und zeichnet anschaulich dessen Wirken nach. Diesen – spätestens seit 1532 – bekennenden Ditheisten grenzt P. von Johann Wulf von Kampen (Campensis), einem Weggefährten Melchior Hoffmans, ab. P. liefert Verweise auf zahlreiche Schriftwechsel zwischen den und über die beschriebenen Protagonisten sowie deren Veröffentlichungen und öffnet den vertieft Interessierten hierdurch eine Fundgrube voller spannender Details, Sympathien und Verwerfungen.
Im Abschnitt »Rothmann und die Wittenberger« werden zu­nächst die Schulbildung und frühen Jahre Rothmanns (z. B. Lehrtätigkeit, Magister artium in Mainz) dargestellt, hierbei wird der frühe Kontakt zu einem pädagogisch orientierten, auf Erneuerung drängenden Humanismus angenommen. Es folgt eine kurze Zu­sam­menfassung einer von Rothmann redigierten Schrift des Rektors der Schule des Kollegiatstifts von St. Martini, Henricus Pri-maeus, die bisher wenig Beachtung gefunden hatte. Diese »ersten literarischen Sporen« (30) beinhalten die chronologisch aufgelisteten Bischöfe von Rom sowie deren liturgische Impulse. Beim Ab­druck dieser Schrift im Editionsanhang zeigen sich P.s umfassende Editions- und Kommentierungserfahrungen, der inhaltliche Einfluss Rothmanns auf die Schrift wird allerdings eher gering gewesen sein.
Die von April bis Juli 1531 dauernde theologische Orientierungsreise hat sicherlich als Zielpunkte Wittenberg, Speyer und Straßburg gehabt. P. plädiert außerdem für einen Aufenthalt Rothmanns in Marburg. Gegen diese Annahme könnte ein Brief an Er­hard Schnepf vom 16. Juli 1532 angeführt werden, da in diesem weder ein vorausgehender Besuch thematisiert wird noch Grüße an namentlich bekannte Marburger übermittelt werden. P. stellt viele mögliche Berührungspunkte zwischen Rothmann und verschiedenen Humanisten und reformatorisch Gesinnten, z. B. Hermann von dem Busche, Jakob Montanus und Melanchthon, dar, an manchen Stellen ist ein Zusammenhang zwischen den ausführlichen Darstellungen über deren Wirken und einem hiermit verbundenen Einfluss auf Rothmann nicht klar erkennbar.
Im 4. Kapitel wird das »Nachwirken Straßburgs« thematisiert, zunächst wird gezeigt, dass im Februar 1532 Capito eine maßgebliche Stimme für Rothmann darstellte. Folgend wird auf Rothmanns Lehrbekenntnis (Confessionis Doctrinae Epitome) vom Januar 1532 eingegangen, wobei nicht dessen Inhalt, sondern dessen unterschiedliche theologische Traditionen im Vordergrund stehen. An Martin Brecht anschließend nennt P. als Quellen Zwinglis Fidei ratio und Melanchthons Loci communes. Sein Versuch, auch einen spiritualistischen Text von dem Busches (De singulari autoritate veteris et novi testamenti) als Vorlage für das Lehrbekenntnis zu belegen, überzeugt nicht, stattdessen hätten Schriften aus den Federn der Wittenberger genannt werden können, wie Melanchthons Confessio Augustana sowie verschiedene Passagen aus Veröffentlichungen Luthers, z. B. aus seiner Thesenreihe zu den Gelübden von 1521 (Iudicium Martini Lutheri de votis).
Fundiert begründet P. seine neuartige Überlegung, dass durch das Lehrbekenntnis beabsichtigt wurde, nach Ulmer Vorbild eine Klerikersynode einzuberufen. Eine Disputation um Pfingsten 1532 könnte diesem Zweck gedient haben, ihren durch Robert Stupperich angenommenen Zusammenhang mit einem Streit zwischen Rothmann und dem Franziskaner Patroclus Peltzer stellt P. begründet infrage und liefert zahlreiche aufschlussreiche Details zu den Teilnehmenden. Als weiterer Beleg für einen Einfluss oberdeutscher Vorbilder werden die Ulmer Kirchenordnung und Basler Reformationsordnung, nach deren Vorbild die Sittenzuchtordnung Münsters konzipiert wurde, genannt.
Die allmähliche Trennung von Wittenberg zeichnet P. im folgenden Kapitel nach. Er belegt diese treffend durch verschiedene briefliche Korrespondenzen, die er wiederholt durch eigene hilfreiche Übersetzungen präsentiert. Es zeigt sich hierdurch deutlich, wie sich aus einer theologischen und persönlichen Nähe eine Distanz entwickelt, die besonders durch Rothmanns verändertes Abendmahlsverständnis sowie durch die entstehende Ablehnung der Kindertaufe begründet ist. P. liefert spannende Details zur Soester Reformation sowie zu verschiedenen Vertrauten Rothmanns, die sich dann allmählich von ihm distanzieren, wie Johannes Glandorp, Brictius thom Norde und Gerhard Cotius. Anhand Schriften von Capito und Bucer wird die Distanzierung der Straßburger im Dezember 1533 und März 1534 belegt.
Rothmanns sechs umfangreiche Veröffentlichungen, die zwischen Oktober 1533 und Juni 1535 entstanden, werden im Kapitel »Humanist im Täuferreich« nicht zusammengefasst und erläutert, stattdessen werden – gemäß der Schwerpunktsetzung dieser Veröffentlichung – einige wichtige Aspekte seiner Theologie herausgegriffen und mit dem humanistischen Hintergrund Rothmanns in Verbindung gesetzt. P. erläutert die humanistischen Wurzeln seines Sakramentsverständnisses und weist das Durchschlagen seiner hu­manistischen Prägung durch das wiederholte Zitieren der Kirchenväter und Bezugnehmen auf zahlreiche Humanisten nach, deren rhetorische Traditionen werden hingegen zunehmend abgelehnt. Die Rothmann leitende Idee einer endzeitlichen »Restitution aller Dinge« führt P. auf den »dogmenkritischen Humanismus« zurück. Er belegt die sich ändernde trinitarische Konzeption Rothmanns; zu­nächst tritt die Bedeutung des Geistes zurück, schließlich wird eine schroffe Absage an die klassische Trinitätslehre formuliert. Mit sei ner »Lehre vom himmlischen Fleisch Christi« bewegt sich Rothmann im Kontext der monophysitischen Christologie Melchior Hoffmans, P. verweist außerdem auf eng verwandte Vorstellungen im »Deutschen Humanismus«. Kenntnisreich werden dann Entgegnungen auf die Münsteraner Schriften angeführt, zitiert und bewertet, hierbei sind u. a. Stellungnahmen Bucers, Melanchthons, von Amsdorfs, Luthers und schwerpunktmäßig Urbanus Rhegius’ zu nennen. Seit Ende 1533 findet eine breite innerhumanistische Ablehnung statt, Rothmann vertritt nun einen radikalen Biblizismus, der ihn jedoch in die Nähe einer »exegetischen Willkür« (130) und eines »regellosen Spiritualismus« (131) bringt.
Dem präzisen »Rückblick und Ausblick« folgen Editionen von fünf überwiegend kurzen, das Umfeld Rothmanns thematisierenden Schriften und Schriftauszügen, die erneut P.’ umfassende Quellenkunde und Recherchearbeiten belegen und diese empfehlenswerte Veröffentlichung gelungen abrunden.