Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1330–1332

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bonfiglio, Ryan P.

Titel/Untertitel:

Reading Images, Seeing Texts. Towards a Visual Hermeneutics for Biblical Studies.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016. XIV, 370 S. = Orbis Biblicus et Orientalis, 280. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-3-7278-1799-1 (Academic Press Fribourg); 978-3-525-54406-8 (Vandenhoeck & Ruprecht).

Rezensent:

Izaak J. de Hulster

Diese Monographie ist Ryan Bonfiglios Dissertation, betreut von Brent A. Strawn an der Emory Universität (Atlanta, USA). Die Gutachten schrieben Joel M. LeMon (Emory), Zainab Bahrani (Edith Porada, Professorin für altorientalische Kunstgeschichte und Ar­chäologie an der Columbia Universität, New York) und Christoph Uehlinger (Universität Zürich). Der Letztgenannte gehört als Schüler und Kollege Othmar Keels zur Freiburger Schule (der ikonographischen Exegese). B. stellt sich selbst in diese Tradition und prägt neben der Gruppe um Keel (in Freiburg i. Ü.) eine »second wave« und nennt als Beispiele ikonographischer Exegeten Strawn, LeMon und Izaak J. de Hulster. Wenn B. sich bei diesen drei Gelehrten vor allem auf ihre alttestamentlichen ikonographisch-exegetischen Arbeiten bezieht und ihre Beiträge zur Methode betont, intendiert er mit diesem theoretisch ausgerichteten Buch ein hermeneutisches Manifest für »visual culture exegesis«, um den sich vollziehenden »visual turn« in den Bibelwissenschaften weiter anzuregen. So greift er verschiedene größere Themen der Freiburger Schule sowie die Religionsgeschichte Israels und die Rolle des Bildmaterials in den altorientalischen und altisraelitischen Gesellschaften auf.
B. schreibt in den Vereinigten Staaten, und seine Bibliographie enthält vor allem englische Titel (auch verschiedene Übersetzungen; etwa sieben Prozent deutsche und französische Veröffentlichungen). Er ist sich dessen bewusst, dass er nur eine Auswahl der Literatur berücksichtigt. Dies gilt zwar auch für die englischsprachige Forschung, wiegt aber im Hinblick auf die deutschsprachige Forschung weitaus schwerer, da die in dieser Forschungslandschaft entwickelten Ansätze der Bildwissenschaft und ihre Rezeption altorientalischer Kunst (so u. a. die Arbeiten von Hans Belting und Dominik Bonatz) vernachlässigt werden. Es gibt ein Register mit Autorennamen, aber kein Bibelstellenregister, was zeigt, dass die Theorie statt der biblischen Beispiele betont werden soll. In Kapi-tel 2 erklärt B. einführend, dass die Alphabetisierungsrate ( textual literacy) im Alten Israel niedrig war; die Fähigkeit lesen zu können, sei ein minority phenomenon. Uehlingers Beobachtung, dass Mi-niaturkunst viel wichtiger war in überwiegend analphabetischen Gesellschaften, nimmt er als Grund, um visual literacy als majority phenomenon im Alten Israel zu bezeichnen. Dieser Gedankensprung scheint zu optimistisch – umso mehr als B.s Beispiele ikonographische Siegel betreffen. Vorsichtiger formuliert er: »Put simply, visual literacy mattered more, and to more people, than textual literacy as a means of transmitting and negotiating religious belief and other forms of cultural knowledge.« (58) Hier stellt sich die Frage, wie verbreitet Bilder und visual literacy waren. Bilder (in Miniaturkunst) werden hier als Massenkommunikationsmittel und Informationsträger genutzt, sogar als altisraelitische lingua franca.
Im dritten Kapitel entfaltet B. die These »Bild ist Sprache«. Er schlägt ein dreistufiges Modell vor, um Bild und Text zu vergleichen: Was ist inhaltlich ähnlich (congruence)? Wie, in welcher Hinsicht gibt es inhaltliche Zusammenhänge (correlation)? Warum gibt es historische Beziehungen (contiguity)? Übrigens nennt er William Browns Seeing the Psalms (2002) als Beispiel, wie man auch ohne historische Bezüge ertragreich vergleichen könne. Mit W. J. T. Mitchells Bild-Text-Dialektik und metapicture erstrebt er eine Gleichberechtigung von Sprache und Bild. Am Beispiel des Behis­tun-Monuments zeigt er, wie man Bilder liest und Texte sieht – da viele sie nicht lesen konnten und Texte immerhin als Sinnvolles wahrgenommen haben. Er betont hier schon die Beobachterperspektive in der Bildanalyse.
Bildanalyse ist das Thema im 4. Kapitel. B. bespricht Panofsky und die Semiotik und hält fest an Bild als Sprache. Mit Nelson Goodman sprengt er aber endlich diesen Rahmen und entdeckt Bilder als dense or replete notational system. Diese Formulierung bietet – auch wenn der Sprache noch nah – zusammen mit Mitchells metapicture Raum, Bilder zu sehen (vgl. Keel, Das Recht der Bilder gesehen zu werden, 1992) und Details in Stil, Aufbau und Darstellung in Bezug zu nehmen als non-linguistic sign (obwohl Typographie des Alphabets auch Bedeutung ergänzen kann). Ein Beispiel bietet eine Studie von Bahrani mit Siegeln, worin eine Göttin, abgebildet in mixed profile, durch ihren Blick eine Beziehung mit dem Benutzer herstellt. Inzwischen wirft B. der Exegese vor, philologisch zu arbeiten, und obwohl er alternative bibelwissenschaftlichen Annäherungen nennt (wie Weissenrieders), bespricht er diese nicht. Letztendlich ergänzt er Panofskys Methoden-Schema mit non-linguistic subject matter.
Außerdem kritisiert B. in Kapitel 5 de Hulsters Bilddefinition »mediated representation« – wobei auch Texte verbale Bilder enthalten, um einen Vergleich zu ermöglichen! –, aber er bietet keine Alternative. Er betont die Beobachterperspektive und zeigt in Auseinandersetzung mit David Freedberg und Alfred Gell am Beispiel des mesopotamischen șalmu und unter Berufung auf die Ontologie, dass representation auch manifestation beinhaltet. So weit ist der Ertrag karg: »Indeed, the next advancement in iconographic exegesis would be to particularize the findings of this and other topics in the present study for specific periods within the history of ancient Israel/the early church of for specific categories of visual representation found in Syria-Palestine.« (219) Jetzt folgt aber die Frage nach der Wahrnehmung von Bildern in der Hebräischen Bibel, u. a. in der Götterpolemik.
Im sechsten Kapitel baut B. – unter Berücksichtigung von David Morgans Ideen zu Visualität und Religion – die Beobachterperspektive weiter aus, wobei er betont, dass Wahrnehmung gelernt ist und Interpretationsmöglichkeiten jenseits von dem, was bei Herstellung beabsichtigt war, erlaubt. B. krönt seine Theorie hier mit einer Neubetrachtung des altisraelitischen Anikonismus, wo­bei er zeigt, dass ein Bilderverbot erstens – semiotisch – »nicht-ikonische« (also natürlich darstellende) Bilder untersagt und Raum lässt für Gottespräsenz in anderen Bildern, sowie aufgerichteten Steinen, ohne oder mit Symbolen. Auch ohne ikonische Darstellungen kann man Gott in Bildern erfahren (und je mehr noch in materieller Kultur – wobei u. a. Architektur und Ritual vernachlässigt werden). B. beschließt mit der Suche nach JHWH-Vorstellung en und meint, dass die anthropomorphe Bildersprache in der Bibel in Bezug auf schon bestehenden Statuen ermöglichte, dass »Israelite viewers may have come to see Yahweh in these two [mo-numental, Ugaritic] images |(or others like them)« (299–300). Aber seine zwei Beispiele waren nicht zugänglich, und wo hätte es sol-che Monumentalkunst gegeben? Eine ähnliche Annäherung der Miniaturkunst ist plausibler, obwohl hier die Frage auch ist, ob unterschiedliche Gesellschaftsschichten unterschiedliche Bildzugänge hatten.
Im Schlusskapitel folgen neun hermeneutische Grundsätze (talking points) für ikonographische Exegese, zusammengefasst als: Bilder sind wichtig, um die Bibel historisch zu verstehen (und sollten deswegen bildungsinhaltlich betont werden); Bilder können sprachlich angenähert werden, aber vermitteln darüber hinaus; Bilder manifestieren Realitäten und funktionieren im sozialen Zusammenspiel mit Menschen. Möge B.s Buch zur Bildbetrachtung in den Bibelwissenschaften, bewusst theoriereich und leider manchmal etwas salopp geschrieben, zu new ways of thinking anregen (334).