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Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1315–1317

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Bilde, Per

Titel/Untertitel:

Collected Studies on Philo and Josephus. Ed. by E.-M. Becker, M. H. Jensen and J. Mortensen.

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2016. 316 S. = Studia Aarhusiana Neotestamentica, 7. Geb. EUR 75,00. ISBN 978-3-525-54046-6.

Rezensent:

Jutta Leonhardt-Balzer

Diese Aufsatzsammlung bringt eine Reihe von Artikeln von Per Bilde (1939–2014) aus den Jahren 1978–2011 zusammen, da er mit seiner Arbeit die Forschung zum hellenistischen Judentum über die Jahrzehnte geprägt hat. In der Einleitung heben die Herausgeber hervor, dass viele seiner Beiträge ursprünglich auf Dänisch verfasst worden seien und er noch vor seinem Tod angefangen habe, einige für die Übersetzung ins Englische auszuwählen, um sie einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen. Tatsächlich finden sich jedoch nur ein ursprünglich dänischer und zwei deutsche Artikel in dem Buch. Alle anderen sind von Anfang an auf Englisch verfasst, so dass der Hauptwert der Sammlung darin besteht, dass sie eine Reihe von Beiträgen mit großem Einfluss auf die Forschung verfügbar macht. Nach B.s Tod haben seine Kollegen in Aarhus die von ihm ausgewählten elf Beiträge in chronologischer Reihenfolge zusammengestellt, die Literaturangaben sind am Ende in einer einheitlichen Bibliographie zusammengeführt. Anschließend sind je ein Beitrag von zwei akademischen Wegbegleitern B.s, Mogens Müller aus Kopenhagen und Steve Mason aus Groningen, hinzugefügt, die bei einem Symposium in Aarhus in Gedenken an B. gehalten wurden, und in denen die Autoren den Einfluss B.s auf die Josephus- und die Jesusforschung würdigen. Das Buch endet mit einer Liste der Erstveröffentlichungen der Beiträge.
Nach dem Prolog der Herausgeber über die Zusammenstellung des Bandes beginnt der Hauptteil mit B.s Artikel zu Gaius’ Versuch, seine Statue im Jerusalemer Tempel aufzustellen (1978), in dem er die apologetische Darstellung der Reaktion der Juden als friedlichen Widerstand infragestellt. Dann folgen die Untersuchung der vielschichtigen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und religiösen Gründe des jüdischen Krieges nach Josephus (1979) und der ur­sprünglich dänische Beitrag zum Testimonium Flavianum, das B. als christliche Umdeutung eines unbelegten, ursprünglich negativen Zeugnisses über Jesus sieht (1981), mit einer kurzen Stellungnahme des Autors zur Reaktion auf diesen Artikel. Weiterhin finden sich detaillierte Erörterungen der geographischen Exkurse bei Josephus (1994), zur Sicht des Josephus auf sein Werk als das eines Propheten im Kontext des jüdischen Kanons (1996) sowie zu den Essenern bei Philo und Josephus, deren Vergleich ihn zu dem Schluss führt, dass beide traditionelles Material benutzen und nicht nur hellenisierte Versionen dieses Materials bieten (1998). Behandelt wird zudem das Verhältnis des Josephus zur jüdischen Apokalyptik, mit der Josephus offensichtlich vertraut ist, obwohl er kein apokalyptischer Autor ist, sondern sich als Prophet sieht (1998). Der Band fährt fort mit dem ursprünglich deutschen Beitrag zu Josephus und der Synagoge (1999), zu den Juden in Alexandrien und den Konflikten mit der Stadtbevölkerung dort 38–41 n. Chr., die B. aus den engen Beziehungen zwischen Juden und Römern herleitet (2006), und mit einer Erörterung der Rolle Philos als Apologet für die Juden anhand eines Vergleichs von Philos Flaccus und der Legatio (2009). Die Sammlung schließt mit demselben Thema, mit dem sie begonnen hat, mit einer weiteren, ausführlicheren und methodisch klareren, diesmal aus dem Deutschen übersetzten Untersuchung zum Konflikt zwischen Gaius und den Juden über die Errichtung seiner Statue im Jerusalemer Tempel (2011).
Die Methode, die B. in all seinen Artikeln anwendet, ist die der »Tendenzkritik« (231), in der er anhand von Vergleichen verschiedener Quellen die Intention des Autors herausarbeitet und den historisch wahrscheinlichsten, doch nicht unbedingt in den Quellen belegten, geschichtlichen Ablauf herleitet. Auch wenn B. gezeigt hat, dass man den Quellen nicht unkritisch Informationen entnehmen kann, besteht an seinem Vorgehen die Gefahr – was sich auch an B.s eigenen Schlussfolgerungen zeigt – eines Zirkelschlusses, wenn Quellen als nicht relevant ausgeschlossen werden, die die von B. verworfene Lesart der Texte unterstützen (vgl. 245–260).
Der Beitrag von Steve Mason würdigt B.s Anteil daran, dass die Forschung Josephus als ernstzunehmenden Autor wahrnimmt, und bietet eine Kritik der Beiträge B.s zur Josephusforschung, insbesondere seiner Deutung des Josephus als Prophet. Der Überblick zeigt, dass viele methodische Aspekte Schule gemacht haben, doch B. nicht von allen, die ihn rezipieren, voll verstanden wurde.
Mogens Müller beschreibt den Teil von B.s Werk, der sich mit dem historischen Jesus beschäftigt, und der sich hauptsächlich in Veröffentlichungen auf Dänisch, insbesondere in drei ausführlichen Büchern niedergeschlagen hat, in denen er die Untersuchung des historischen Jesus mit der Josephusforschung verbindet, insbesondere mit dessen Schilderung besonderer prophetischer Persönlichkeiten, um Jesus als politischen Akteur in seiner Rolle als eschatologischer Prophet wahrzunehmen. Dabei stellt Müller fest, dass B. in seinem Versuch, die Quellen zusammenzusehen, die neutes­tamentlichen Texte insofern missinterpretiert, als er dabei ihre Einzigartigkeit aus dem Blick verliert, insbesondere die Konversion des Pharisäers Paulus nach Jesu Kreuzigung, die nicht einfach aus Jesu Verkündigung des Reiches Gottes hergeleitet werden kann.
Insgesamt ist dieser Band eine ehrenvolle Darstellung des Werkes eines Autors, der zeit seines Lebens der historischen Deutung der Quellen verpflichtet war und durch sein Werk eindeutigen Einfluss auf die Forschung genommen hat. Gerade darin, dass die Rezensenten nicht vor Kritik zurückschrecken, wird B.s Werk ernstgenommen und gewürdigt. Einem Leser erschließt sich hier ein Überblick über eine wichtige Ära insbesondere der Josephusforschung.