Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1307–1309

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fornet-Ponse, Thomas [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Überall und immer« – »nur hier und jetzt«. Theologische Perspektiven auf das Spannungsverhältnis von Partikularität und Universalität.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2016. 216 S. = Jerusalemer Theologisches Forum, 29. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-402-11031-7.

Rezensent:

Reinhold Bernhardt

Das 41. Theologische Studienjahr (2014/15) an der Dormitio in Jerusalem stand unter dem Thema, das diesem Band den Titel gibt: die Spannung von Partikularität und Universalität. Wie kann einem partikularen Strang der Geschichte (der Bundesgeschichte Gottes mit Israel) oder gar einem partikularen Geschichtsereignis und einer konkreten Person (Jesus von Nazareth) universale (Heils-) Bedeutung zugeschrieben werden? Diese Zuschreibung ist wiederum an die partikulare Glaubensperspektive der christlichen Religion gebunden, innerhalb derer sie in vielfältigen kontextuellen Erscheinungsformen vergewissert wird. Der Band dokumentiert die Erörterung dieser Grundfrage an einem Ort, der wie kaum ein anderer dazu provoziert: in Jerusalem.
Er endet mit Reflexionen von Studierenden, die am Studienjahr an der Dormitio teilgenommen haben. In vier thematischen Perspektiven zeigen sie die Relevanz der Spannung von Partikularität und Universalität im Rückblick auf ihre Erfahrungen in Jerusalem auf: exegetisch (im Blick auf die »Frage nach der Wahrheit einer universalen religiösen Überzeugung, die im Kleinen und Partikularen [der Geschichte Israels] ihren Anfang genommen hat«, 205), religionstheologisch (als Frage, wie die universalen Ansprüche der in Jerusalem aufeinandertreffenden partikularen Glaubensüberzeugungen theologisch zu vermitteln sind), ökumenisch (als Frage, wie sich die christlichen Glaubenstraditionen, die sich in Jerusalem und in der Gemeinschaft der Studierenden begegnen, zur universalen Kirche Jesu Christi und damit auch zueinander verhalten) und historisch (im Blick auf die im Nahostkonflikt aufeinandertreffenden unterschiedlichen Geschichtsnarrative, die vor die Frage stellen, ob es überhaupt eine universale Geschichtsschreibung geben kann).
Nicht alle der in diesem Band versammelten Beiträge, die von den Gastdozierenden des 41. Theologischen Studienjahres stammen, auch wenn sie zum Teil für andere Anlässe verfasst wurden, sind so eng auf dessen Gesamtthema bezogen wie diese studentischen Reflexionen.
Am Beginn des Bandes stehen drei biblisch-theologische Beiträge. Georg Braulik fragt nach dem partikularen Entstehungskontext und der zeitübergreifenden Bedeutung zweier Rechtssätze – dem Verbot, einem Tagelöhner den Lohn zu verweigern, und dem Verbot der Sippenhaftung – und gibt von hier ausgehend einen Einblick in das Verständnis von Schuld und Strafe im altisraelischen Rechtswesen. – Martin Leuenberger untersucht die Übertragung des Messiastitels auf den persischen Weltherrscher Kyros in Deuterojesaja und die damit verbundene Transformation dieses Titels. In der Indienstnahme des Herrschers zeigt sich, wie Gottes universale Herrschaft einem partikularen Zweck dient: Es geschieht »um meines Knechtes Jakob willen und Israels, meines Erwählten« (Jes 45,4). – Der neutestamentliche Beitrag von Florian Wilk geht dem paulinischen Gebrauch des Christustitels nach und sieht darin einen Ansatzpunkt für eine Biblische Theologie, die das Recht der Juden auf ihre eigene Auslegung ihrer heiligen Schriften wahrt.
In einer zweiten Gruppe sind ein ekklesiologisch-ökumenischer, ein offenbarungs- und religionstheologischer, ein ge­schichtstheologischer und ein religionsphilosophisch-sozialethischer Beitrag zusammengestellt. Zunächst vergleicht Theodor Dietrich »Lumen gentium« und »Die Kirche Jesu Christi« (GEKE) auf die darin vorgenommene Beziehungsbestimmung zwischen der sichtbaren und der geglaubten Kirche. Der für den Band zentralen Frage, ob ge­schichtliche Einzelereignisse heilsbedeutend sein können, geht Felix Körner im Blick auf die geschichtstheologischen Ansätze von Alfred Delp, Ignacio Ellacuría, Wolfhart Pannenberg und Alberto Parra nach. – Der Herausgeber des Bandes, der von 2013 bis 2016 als Studiendekan dieses Theologischen Studienjahres fungierte, fragt nach den religionstheologischen Konsequenzen des Offenbarungsverständnisses. Ein eher kognitiv-doktrinales Verständnis von Offenbarung, das diese als Übermittlung übernatürlichen Wissens versteht, kann nach Fornet-Ponse im Prinzip sowohl einer exklusivistischen als auch einer pluralistischen Religionstheologie korrelieren, während das Kommunikationsmodell von Offenbarung, das diese als gemeinstiftende Selbstmitteilung Gottes versteht, eher zu einer inklusivistischen Position tendiert, wie sie für das Zweite Vatikanische Konzil cha­rakteristisch war. – Hans-Joachim Sander fragt nach der Beziehung zwischen Menschenrechten und Gottesglauben und schlägt vor, diese Beziehung nicht über Be­gründungsversuche, sondern über metonymische Redeweisen herzustellen.
Den Reigen der Beiträge beschließen Susanne Talabardon mit einer Betrachtung der Religionsgeschichte Israels unter dem As­pekt der Spannung von Partikularität und Universalität, und Ulrich Rudolph mit einer Darstellung des Systems der Wissenschaften von Abu Nasr al-Farabi, das der Philosophie ihren Platz darin zuwies und der damit als Begründer der islamischen Philosophie gelten kann.
Die einzelnen Beiträge enthalten wertvolle Einsichten in die jeweils erörterte Fragestellung und verweisen auf exemplarische Stellen, an denen die Spannung von Partikularität und Universalität zutage tritt. Sie leisten aber nicht in jedem Fall einen Beitrag zur Klärung dieser so wichtigen Frage.