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Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1284–1293

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Peter Walter

Titel/Untertitel:

Mehr Luther?

Anmerkungen eines römisch-katholischen Lesers zur Lutherbibel 2017*


Die Bedeutung der Bibelübersetzung Martin Luthers und seiner Mitarbeiter sowohl für die Entwicklung der deutschen Sprache als auch ganz besonders für die Herausbildung einer Identität der nach ihm benannten Kirche steht außer Frage. Ersteres gilt, auch wenn Luther keineswegs als Erster die Bibel ins Deutsche übersetzt hat, wie man gerade im Jahr des Reformationsjubiläums in schlecht recherchierten Medienbeiträgen immer wieder hören oder lesen muss. Die identitätsstiftende Bedeutung der Lutherübersetzung bis heute wird deutlich, wenn Lutheraner unterschiedlicher Generationen einzelne Bibelverse oder ganze Stücke, wie etwa Psalmen, zitieren, die sie zu ganz verschiedenen Zeiten im Konfirmationsunterricht auswendig gelernt haben. Aber es handelt sich dabei nicht unbedingt um die Fassung, die Luther 1545 als Ausgabe letzter Hand hinterlassen hat.1 Denn seit Ende des 19. Jh.s brach sich die Einsicht Bahn, dass auch die Bibelübersetzung Luthers wie jede Übersetzung zeitbedingt ist, zum einen, weil die Sprache, in die übersetzt wird, Wandlungen unterworfen ist, zum andern, weil die Grundlage der Übersetzung aufgrund intensiver bibelphilologischer und exegetischer Forschungen in zahlreichen Fällen nicht mehr mit derjenigen Luthers identisch ist. 1892 er­schien erstmals eine revidierte Fassung der Lutherbibel, die letzte vor der nun vorliegenden im Jahr 1984.

In der Tat ist einem nicht speziell vorgebildeten Gemeindeglied, geschweige denn einem durchschnittlichen deutschsprachigen Menschen oder gar jemandem mit Migrationshintergrund das Deutsch Luthers nicht mehr ohne Weiteres verständlich. Dies gilt selbst für Fachleute, weshalb in steigendem Maß nicht nur Übersetzungen von lateinischen, sondern auch von ursprünglich deutsch verfassten Schriften des Reformators in heutiges Deutsch erscheinen.2 Da lässt es aufhorchen, wenn der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, im Vorwort zur »Lutherbibel 2017« schreibt, dass bei früheren Revisionen »teilweise auch unnötige Veränderungen vorgenommen« worden seien und dass die jetzige Revision »wieder ›mehr Luther‹« enthalte.3 Im Falle zahlreicher biblischer Eigennamen bedeutet dies eine Abkehr von der in den sogenannten Loccumer Richtlinien von 1971 bzw. 19814 ökumenisch vereinbarten Schreibung,5 während die Neuausgabe der rö­misch-katholischen Einheitsübersetzung sich nach wie vor daran hält.6 Hinsichtlich der Namen und Abkürzungen mancher biblischer Bücher weicht die Lutherübersetzung 2017 stillschweigend von den Loccumer Richtlinien ab.

Um es gleich vorweg zu sagen: Es erscheint dem Rezensenten anmaßend, über ein Werk urteilen zu wollen, an dem eine große Anzahl hervorragender Fachleute über viele Jahre hinweg gearbeitet hat, kann sich sein Urteil angesichts des Umfangs doch nur auf mehr oder weniger willkürlich ausgewählte Stichproben beziehen. Das Auswahlkriterium dafür bildete zum einen die Leseordnung der römisch-katholischen Liturgie für die Sonntagslesungen der letzten Monate, über die der Rezensent kontinuierlich gepredigt hat, zum andern waren es Bibelstellen, bei denen die Lösung Lu­thers beziehungsweise der Lutherbibel 2017 interessierte. Dass die Übersetzung hauptsächlich für die Predigtvorbereitung verwendet wurde, bei der sich der Bibeltext noch einmal anders erschließt, als wenn man ihn nur wissenschaftlich bearbeitet, dürfte dem Prediger Luther entsprechen.


I Kriterien für die Beurteilung


Um die Qualität einer Übersetzung zu beurteilen, braucht es Kriterien. Je nachdem, ob die Ausgangssprache, aus der, oder die Zielsprache, in die übersetzt wird, im Vordergrund steht, wird eine Übersetzung unterschiedlich ausfallen. Da der Bibeltext als von Gott inspirierter heiliger Text gilt, haben die historischen Übersetzungen, allen voran die seit der Spätantike gebrauchte lateinische, die wegen ihrer Verbreitung als »vulgata (allgemein verbreitete)« bezeichnet wurde, den Urtext möglichst getreu wiederzugeben versucht. Das bedeutete eine weitgehende Nachahmung des Satzbaus und eine konkordante Wiedergabe des Wortgebrauchs der Urtexte, was auf Kosten der im zielsprachigen Latein möglichen eleganten Syntax und der Vielfalt im Wortgebrauch ging. Da kaum noch ein Mensch Hebräisch oder Griechisch beherrschte, wollte man den Urtext so getreu wie möglich abbilden. Übrigens wurde auch die Vulgata immer wieder revidiert, das vorletzte Mal nach dem Trienter Konzil (1545–1563) in der nach den beteiligten Päpsten Sixtus V. und Clemens VIII. so genannten Editio Sixto-Clementina (1592), das letzte Mal im Rahmen der vom 2. Vaticanum (1962–1965) angestoßenen Liturgiereform in der Nova Vulgata Bibliorum Sacrorum Editio von 1979. Diese Revisionen sind in etwa denen der Lutherbibel vergleichbar, insofern auch deren Grundlage die Orientierung am Urtext bildete, wobei zugleich der gewohnte Sprachduktus der Vulgata beibehalten werden sollte. Eine philologisch getreuere und in der Zielsprache leichter verständliche Neuübersetzung wie die von den Jesuiten des Päpstlichen Bibelinstituts in Rom unter der Leitung des späteren Kardinals Augustin Bea auf der Basis des hebräischen Urtextes geschaffene Übersetzung des Psalters, die sich stärker am klassischen Latein orientierte, konnte sich nicht durchsetzen, obwohl Papst Pius XII. (1939–1958) sie 1947 für das Brevier vorgeschrieben hat. Aufgrund der Wiederzulassung des vorkonziliaren lateinischen Ritus als »außerordentlicher Ritus« d urch Papst Benedikt XVI. im Jahre 2007 können in der römisch-katholischen Liturgie jetzt zwei Fassungen der Vulgata, die ur­sprüngliche Vulgata im vorkonziliaren und die Nova Vulgata im nachkonziliaren Ritus, nebeneinander Verwendung finden. Dies wird allerdings kaum jemand merken, da der Letztere in der Regel nicht auf Latein gefeiert wird, und wenn, die Lesungen meist in der Muttersprache vorgetragen werden.

Wenn man Luthers Bibelübersetzung liest, gewinnt man gleichfalls den Eindruck, dass er den Urtext bis in den Satzbau hinein möglichst getreu wiedergeben wollte. Dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied, den er in seinem berühmten »Sendbrief vom Dolmetschen« (1530)7 benennt. Darin berichtet er nicht nur von der Mühe des Übersetzens, die er und seine Mitarbeiter auf sich genommen haben, sondern setzt sich auch gegen die Kritik seiner altgläubigen Gegner zur Wehr, die ihm vorwarfen, in seiner Übersetzung den Bibeltext eigenwillig übersetzt oder gar verfälscht zu haben. An einigen Beispielen zeigt er, warum er nicht sklavisch wie die Vulgata den Urtext wiedergegeben, sondern um der besseren Verständlichkeit im Deutschen willen sich größere Freiheit herausgenommen hat. Luther möchte deutsch reden wie die Mutter i m Hause, die Kinder auf der Gasse, der gemeine Mann auf dem Markt, mit dem berühmten Wort »den selbigen auff das maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetzschen«8. Er bedauert, dass er nicht immer die richtige Übersetzung getroffen habe, da die lateinischen Buchstaben ihn daran gehindert hätten.9 Damit muss er wohl die lateinische Übersetzung gemeint haben, denn er übersetzte doch aus dem Urtext. Man kann daran sehen, dass Luther dieselbe Erfahrung machte wie alle, die auf frühere Übersetzungen zurückgreifen können. Es bedarf einer ziemlichen Anstrengung, nicht in die ausgefahrenen Geleise zu rutschen.

Ein heutiger Luther-Kenner fasst Luthers Übersetzerregel treffend zusammen. »Übersetze die Heilige Schrift – am besten ge­meinsam mit anderen – nach dem letzten Stand der Wissenschaft, d. h. ermittele das Sprachmaterial auf rhetorisch-analytischem, also sachlich-philologisch genauem Wege; dann schreibe die Schrift nieder, auf Deutsch: ebenso genau und auf rhetorisch-synthetischem Wege, in innerer Angemessenheit gegenüber dem einen göttlichen Wort, das heilig ist und dennoch zur Sprache kommen will, und schreibe in äußerer Angemessenheit gegenüber den Chris­ten, die es hören und verstehen müssen, damit sie glauben können. Aber verstehe Dein Werk nie als abgeschlossen, sondern bessere entsprechend tieferer Einsicht.«10

Auch wenn man annimmt, dass es Luther gelungen ist, seinem Anspruch gerecht zu werden und die Sprach- und Verständigungsgewohnheiten seiner Zeitgenossen getroffen zu haben, stellt sich die Frage, ob das für dieselbe Übersetzung 500 Jahre später immer noch gilt. Diese genießt mittlerweile in der deutschsprachigen evangelisch-lutherischen Kirche einen ähnlich kanonischen Status wie die zugrundeliegenden Bibeltexte selber. Diese Übersetzung wird aber nun nicht einfach in der Form reproduziert, wie Luther sie in der Ausgabe letzter Hand 1545 vorgelegt hat, sondern in einer adaptierten Weise. Die Bibelrevision stand vor der schwierigen Aufgabe, keine neue, eigenständige, für heutige Adressaten möglichst verständliche Übersetzung bereitzustellen, sondern Luthers Übersetzung von Fehlern und Versehen zu reinigen und heutigen Lese- und Hörgewohnheiten moderat anzupassen. Wenn sich schon bei jedem anderen häufig übersetzten Text keine Neuübersetzung von ihren Vorgängerinnen loslösen kann, so gilt das umso mehr von der Revision einer zu ihrer Zeit als besonders geglückt empfundenen Übersetzung, die sich als für die lutherischen Chris­ten kanonische etabliert hat. Diese muss ja auf jeden Fall wiedererkannt werden. Es stellt sich jedoch die Frage, was den Wiedererkennungseffekt ausmacht. Am ehesten dürften dafür wohl die Wortwahl und die Metaphorik maßgeblich sein. Gilt dies auch für den Satzbau?

II Detailbeobachtungen


Als ein von Luther so genannter »Papist« schlägt man als Erstes nach, ob in Röm 3,28 das nicht im Urtext stehende »allein« bei »aus Glauben«, das Luther in seinem »Sendbrief vom Dolmetschen« wortreich als verdeutlichend verteidigt,11 in der Lutherbibel 2017 stehengeblieben ist. Es ist; denn es gehört wohl zu Luthers Bibelübersetzung wie der Tintenfleck zum Lutherzimmer der Wartburg. Immerhin bietet die Lutherbibel 2017 in einer Anmerkung eine Übersetzung ohne »allein«! Erfreulicherweise hat die vorliegende Revision häufig zu diesem Mittel gegriffen, einer Übersetzung des Reformators im Haupttext eine philologisch korrekte Variante zur Seite zu stellen. Das erleichtert den kritischen Um­gang mit ihr ungemein. Auf der anderen Seite zeigt es, wie oft man anders übersetzt hätte, wenn man »frei« gewesen wäre. Ein ähnlicher, wenn auch nicht ganz so prominenter Fall liegt in Röm 8,19 vor, wo Luthers Übersetzung »das ängstliche Harren der Kreatur« beibehalten wurde, wobei die Lutherbibel 2017 in einer Anmerkung zur Stelle erklärt, es ginge um »sehnliche[s]« Harren. Die Einheitsübersetzung 2016 übersetzt gleich so: »Die Schöpfung wartet sehnsüchtig«.

An manchen Stellen hat man sich durchaus die Freiheit genommen, von Luthers Übersetzung abzuweichen, sogar an solchen Stellen, die er in seinem »Sendbrief« vehement verteidigt. So hat Luther etwa im Gruß des Erzengels Gabriel an Maria (Lk 1,28) das griechische Partizip κεχαριτωμένη nicht im Anschluss an die Vulgata (»gratia plena«) mit »vol gnaden«, sondern mit »du holdselige« wiedergegeben.12 Luther verdankte diese Übersetzung wohl Erasmus von Rotterdam, der seit der zweiten, 1519 veröffentlichten Ausgabe seines Neuen Testaments, die Luther seinem Septembertestament zugrunde legte, die traditionelle Übersetzung gratia plena durch gratiosa ersetzt und dies ausführlich begründet hat.13 Luther verteidigte seine Übersetzung mit dem Hinweis auf die Semantik der deutschen Sprache.14 Die Lutherübersetzung 2017, die in einer Anmerkung auf Luthers ursprüngliche Fassung hinweist, bietet in Übereinstimmung mit der Einheitsübersetzung 2016 jedoch »du Begnadete«. Ob das eine freundliche Gesinnung oder eine liebliche Erscheinung beschreibende Adjektiv »holdselig« ersetzt wurde, weil man den Ausdruck für veraltet bzw. schwer verständlich oder für theologisch unangemessen hielt, steht dahin. Das gleiche Übersetzungsproblem kehrt an einer anderen Stelle, der Reaktion der Leute in der Synagoge von Nazaret auf die »Antrittsrede« Jesu, wieder. Hier hat Luther ebenso wie Erasmus λόγους τῆς χάριτος (Lk  4,22) im Sinne eines Genitivus qualitatis adjektivisch übersetzt: »holdselige Wort« (Lutherbibel 1545). Die Lutherübersetzung 2017 und die Einheitsübersetzung 2016 haben sich für eine philologisch fragwürdige, theologisch aufgeladene Variante entschieden: »Worte der Gnade«. Es ist bedauerlich, dass die Einheitsübersetzung die recht geschickte Umschreibung des Genitivus qualitatis mit »wie begnadet er redete«, die sie bisher hatte, aufgegeben hat. Zumindest für die Revisoren der Lutherbibel 2017 stellt sich die Frage, warum sie die Ausführungen Luthers zum Genitivus qualitatis am Beispiel des »vir desideriorum« (Dan 9,23; 10,11.19) in seinem »Sendbrief«15 nicht berücksichtigt haben. Immerhin durfte das Adjektiv »holdselig« in der Lutherbibel 2017 überleben, wohl nicht zufällig in poetischen Texten des Alten Testaments (Ps 45,3: »holdselig sind deine Lippen«; Spr 5,19: »holdselig wie ein Reh«).16 An diesen Stellen traut man demnach heutigen Leserinnen und Lesern zu, das nicht mehr zur Alltagssprache gehörende Wort zu verstehen. Demnach müssen es andere, wohl theologische Gründe gewesen sein, warum man für die genannten Stellen im Lukasevangelium von Luther abwich.

Gewiss aus sachlichen Gründen weicht die Lutherbibel 2017 an manchen Stellen von Luther 1545 ab. Etwa in Mt 13,5, wo dieser übersetzte: »Etliches fiel in das Steinichte«. Man hätte sich mit einer Anpassung des Substantivs an den heutigen Sprachgebrauch be­gnügen können (»das Steinige«), hat aber stattdessen die Bezeichnung des Terrains geändert: »Anderes fiel auf felsigen Boden«. Hier hat man wohl aus sachlichen Gründen den gewachsenen Felsboden dem steinigen vorgezogen, um das Bild zu verdeutlichen. Die dünne Humusschicht über dem Fels gibt den Pflanzen keinerlei Halt, den sie zwischen den Steinen wohl noch finden könnten. Auch der Wandel des Sprachgebrauchs machte manche Veränderung nötig. Konnte Luther in 2Kor 4,7 vom »Schatz in jrdischen Ge­fessen« reden, wo es um aus Ton gebrannte Töpferware geht, in der der kostbare Schatz des Glaubens aufbewahrt wird, musste die Lutherbibel 2017 das Adjektiv ersetzen, da diese Bedeutung heute nicht mehr mit ihm verbunden wird. Sie wählte »Schatz in irdenen Gefäßen«, womit sie im selben Wortfeld blieb. In der gehobenen Sprache mag dieses Adjektiv verständlich sein, viele werden damit jedoch ihre Schwierigkeit haben. Die Einheitsübersetzung 2016 wählte dagegen die Möglichkeit, das mit dem Bild Gemeinte unmittelbar auszudrücken: »Schatz […] in zerbrechlichen Gefäßen«.

In einem anderen Fall hat die Lutherbibel 2017 trotz Sprachwandels an einer Übersetzung Luthers festgehalten, die den Urtext heute nicht mehr trifft: »HERR, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen« (Jer 20,7). Als Luther dies schrieb, hatte »überreden« durchaus noch die Bedeutung des Übervorteilens und Betrügens, ja des Betörens.17 Martin Buber und Franz Rosenzweig haben in ihrer Verdeutschung genau dieses letztere Wort gewählt: »Betört hast du mich, DU,/ich ließ mich betören.«18 Die Einheitsübersetzung 2016 ist ihnen gefolgt: »Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören.« Beide deutsche Übersetzungen folgen damit einer erotisch-sexuellen Interpretation des Bibeltextes, die bereits in der Übersetzung der Septuaginta und der Vulgata anklingt, die jedoch nach dem Urteil von Rudolf Mosis dem mit »betören« wiedergegebenen hebräischen Wort pth nicht eignet, weshalb er »zum Narren machen« vorschlägt.19 Der Tor steckt allerdings auch in betören.

Während Luther in Jer 20,7 sich wohl von der Vulgata nicht hat beeinflussen lassen, ist das bei seiner Übersetzung von Hld 1,5 deutlich zu greifen: »Ich bin schwarz, aber gar lieblich« (Lutherbibel 1545). Er übersetzt das hebräische Waw, das dem zweiten Adjektiv im Hebräischen vorangeht, adversativ wie die Vulgata: »Nigra sum sed formosa«. Noch die Einheitsübersetzung 2016 folgt dieser Übersetzungstradition, die das Schwarzsein grundlos als unschön abqualifiziert: »Schwarz bin ich, doch schön«. Hier bietet die Lu­therbibel 2017 einen wirklichen Fortschritt: »Ich bin schwarz und gar lieblich«.20 Ob man dabei die Septuaginta zu Rate gezogen hat, die das Waw schlicht mit καί übersetzt? Auch Martin Buber bietet: »Schwarz bin und anmutig ich«,21 ebenso die Bibel in gerechter Sprache: »Schwarz bin ich und schön«.

Solchen Mut zur Korrektur der Vorlage hätte man sich auch an anderen Stellen gewünscht, etwa wenn Luther in 1Petr 2,25 das griechische Wort ἐπίσκοπος in anachronistischer Weise mit »Bischof« übersetzt: »Aber jr seid nu bekeret zu dem Hirten vnd Bischoue ewer Seelen« (Lutherbibel 1545). Man wundert sich, dass Luther mit seinem feinen Gespür für historische Differenzen und angesichts seiner Kritik an den zeitgenössischen Bischöfen so übersetzt hat. Die Lutherbibel 2017 korrigiert das Verb, behält aber sonst Luthers Text bei: »aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen«. Die Einheitsübersetzung 2016 bietet mit »jetzt aber habt ihr euch hingewandt zum Hirten und Hüter eurer Seelen« die in jeder Hinsicht zutreffende Übersetzung. Ähnlich verhält es sich mit Phil 1,1. Luther übersetzt hier »sampt den Bischouen vnd Dienern« (Lutherbibel 1545). Die Lutherbibel 2017 hat das zweite Substantiv διάκονοι mit der für die Entstehungszeit wohl nicht zutreffenden Amtsbezeichnung »Diakone« wiedergegeben: »samt den Bischöfen und Diakonen«. Auch hier ist die Einheitsübersetzung 2016 vorzuziehen: »mit ihren Vorstehern und Helfern«.

Wo die Einheitsübersetzung 2016 heutigem Sprachgefühl entsprechend Maskulinformen, die Menschen beiderlei Geschlechts betreffen, wenn auch nicht immer konsequent, um die Femininform erweitert hat, braucht die Lutherbibel 2017 nicht einzugreifen, da Luther oft schon gendersensibel übersetzt hatte. So etwa wartet nach ihm die Schöpfung auf das Offenbarwerden der »Kinder Gottes« (Röm 8,19), obwohl im Griechischen nur von »Söhnen« die Rede ist. Die Gläubigen sehnen sich nach der »Kindschaft« (Röm 8,23), griechisch: »Sohnschaft«. In beiden Fällen spricht die Einheitsübersetzung 2016 ausschließlich von Söhnen. Auch an an­derer Stelle, etwa Weish 12,19–21, übersetzt die Lutherbibel 2017 im An­schluss an Luther durchweg »Söhne« mit »Kinder«, wo die Einheitsübersetzung in V. 19 statt wie bisher »Söhne« jetzt »Söhne und Töchter«, aber in V. 21 nur »Söhne« bietet. In V. 20 haben beide Übersetzungen übereinstimmend »Kinder«, aber das steht so im griechischen Text. In Röm 8,26 findet sich die plastische Formulierung: »Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf«, die die L utherbibel 2017 sprachlich leicht geglättet aus der Lutherbibel 1545 übernommen hat. Diese Übersetzung ist schöner als die durchaus korrekte der Einheitsübersetzung 2016: »nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an«. Die Übersetzung Luthers dürfte von Erasmus angeregt worden sein, der die Verbform συν- αντιλαμβάνεται nicht nur mit adiuuat übersetzt, sondern auch in der zugehörigen Anmerkung mit manum porrigens laborantibus erklärt.22

Zu den Eigenheiten der Lutherübersetzung, die die Lutherbibel 2017 beibehalten hat, gehören Satzbau und Wortstellung, die häufig vom heute Üblichen abweichen, sowie ein inflationärer Gebrauch des Apostrophs. Letzteren gab es zu Luthers Zeiten im Deutschen noch gar nicht. Luther schrieb Wortverbindungen mit Auslassung einzelner Buchstaben einfach zusammen: zum Beispiel »wenns« für »wenn es«, was in der Lutherbibel 2017 zu »wenn’s« wird (Joh 14,2). Beim Sprechen klingt die zusammengezogene Wortverbindung, ob mit oder ohne Apostroph geschrieben, um­gangssprachlich. Man kann aber auch sagen, sie verleihe dem Text eine gewisse Dynamik. Dasselbe gilt für die von Luther gebrauchte Voranstellung des Verbs vor das Subjekt. In derselben Perikope fällt auf, dass die Gesprächspartner Jesu jeweils mit vorangestelltem Verb eingeführt werden (»Spricht zu ihm Thomas/Philippus/Ju­das« [Joh 14,5.8.22]), während, wenn Jesus etwas sagt, das Subjekt am Anfang steht (»Jesus spricht zu ihm/antwortete« [Joh 14,6.9.23]). Im griechischen Text steht das Verb, ob Jesus oder die Jünger sprechen, immer vor dem Subjekt. Der Konstruktionswechsel, je nachdem ob die Jünger oder Jesus sprechen, ist also von Luther gewollt. Während diese Wortstellung auch im heutigen Deutsch eine ge­wisse Dramaturgie erkennen lässt, erschließt sich der Sinn von Brüchen im Satzbau oder von Wortumstellungen an anderen Stellen nicht unbedingt, etwa Mt 11,25: »dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart« oder Röm 8,18 »dieser Zeit Leiden« für »die Leiden dieser Zeit«. Ebenso wenig wird ersichtlich, warum Luther in der Aussage Jesu »Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten« (Joh 14,2, vgl. V. 3) den im Griechischen nicht vorhandenen Artikel ergänzt hat und die Lutherbibel 2017 ihm darin gefolgt ist. Möglicherweise war zu Luthers Zeiten »die Stätte bereiten« (mit generischem Artikel) eine idiomatische Wendung, die heute durch »den Platz bereiten« abgelöst ist. Die Einheitsübersetzung 2016 bietet gleichwohl entsprechend dem artikellosen griechischen Text »einen Platz«.

Bei den von mir betrachteten Stellen ist mir bisweilen eine ge­wisse Nähe zwischen der Lutherübersetzung 2017 und der Einheitsübersetzung 2016 aufgefallen. Von der Anrede Marias mit »Du Begnadete« war schon die Rede. Mt 11,28 übersetzt die Lutherbibel 2017 im Anschluss an die Lutherbibel 1545: »Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.« Mit einem kleinen Unterschied zu Beginn (»Kommt alle zu mir …«) bietet auch die Einheitsübersetzung 2016 diesen Text. Sie hat dafür die bisherige Fassung »Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich will euch Ruhe verschaffen« aufgegeben, obwohl diese wesentlich plastischer ist und der zweite Satz den griechischen Text (ἀναπαύσω ὑμᾶς) schlicht wörtlich übersetzt. Hier scheint Luther wieder stärker von der Fassung der Vulgata (reficiam vos) abhängig zu sein. Im folgenden V. 29 übersetzt er ἀνάπαυσιν wie die Vulgata (requiem) mit »Ruge« (Lutherbibel 1545), die Lutherbibel 2017 bietet ebenso wie die Einheitsübersetzung 2016 »Ruhe«. Auch der letzte Vers dieser Perikope er­klingt jetzt in erfreulicher ökumenischer Übereinstimmung: »Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht« (Mt 11,30). Dafür kann man auf die bisherige, das griechische χρηστός nicht wörtlich wiedergebende, sondern umschreibende Fassung der Einheitsübersetzung »Denn mein Joch drückt nicht«, die durchaus ihren sprachlichen Reiz hat, verzichten.

Schließlich besteht eine Bibel nicht nur aus dem Bibeltext, sondern auch aus Paratexten. Die Lutherbibel 2017 bietet zum einen den Bibeltext, der durch Zwischenüberschriften in Sinneinheiten gegliedert ist und in dem einzelne Sentenzen durch Fettdruck hervorgehoben werden. Anmerkungen, die mit einem Buchstaben ge­kennzeichnet sind, verweisen auf innerbiblische Quellen oder Parallelstellen mit ähnlichen Inhalten. Anmerkungen mit Hilfe eines Sternchens bieten kurze Sach- und Worterklärungen oder verweisen auf solche im Anhang. Wenn man genau zusieht, finden sich alle diese Elemente bereits in der Lutherbibel 1545. Auch dort werden jeweils Sentenzen durch ein anderes Schriftbild hervorgehoben, Zwischenüberschriften und Anmerkungen finden sich als Marginalien, was, vor allem im Hinblick auf Parallelstellen und Erklärungen, durchaus als übersichtlicher, weil immer in unmittelbarem Bezug zur jeweiligen Stelle, und daher leserfreundlicher erscheint. Auf die doch sehr zeitgebundenen Vorworte Luthers zu einzelnen biblischen Büchern oder Textkorpora wurde verzichtet. Diese wurden aber auch nicht durch aktuelle ersetzt, wie sie die Einheitsübersetzung 2016 bietet. Schade, dass, zumindest in der Standardausgabe, auf die Illustrationen verzichtet wurde, die die Lutherbibel 1545 auch zum Augenschmaus machen.

An Paratexten finden sich in der Lutherbibel 2017 wie in jeder modernen Bibelausgabe Karten, Zeittafeln, Erklärungen von Ma­ßen, Gewichten und Währungen sowie ein Stichwortverzeichnis, das hilft, die wichtigsten Namen, Orte und Sachen aufzuspüren. Alle diese »Hilfsmittel« sind hier auf dem neuesten Stand der Forschung.

Was die Lutherbibel 2017 jedoch einzigartig macht, sind die vorzüglichen »Sach- und Worterklärungen«, die nicht nur die für das Verständnis notwendigen historischen Informationen liefern, sondern auch durchaus komplexe theologische Sachverhalte erklären. Als Beispiele seien die Stichworte »Abendmahl«, »Ge­meindeleiter«, »Jungfrau« und »Opfer« genannt. Wahrscheinlich kann man die ebenso knappen wie perspektivenreichen Ausführungen nur verstehen, wenn man über einen angemessenen Problemhorizont und entsprechendes Vorwissen verfügt. Dann aber erweisen sich die Erläuterungen als hilfreiche Zusammenfassungen schwieriger theologischer Diskussionen.

III Fazit


Wegen ihrer identitätsstiftenden Bedeutung begegnet Luthers Bi­belübersetzung mehr als jede andere Bibelverdeutschung unterschiedlichen Erwartungen, die nicht immer miteinander vereinbar sind. Die einen möchten in ihr den ihnen von Kind auf vertrauten Text wiederfinden, der heutigen Kindern und Jugendlichen kaum oder gar nicht mehr verständlich ist. Andere werden gerade um der Verständlichkeit willen eine stärkere Anpassung an den heutigen Sprachgebrauch fordern und die Entscheidung zu »mehr Luther« bedauern. Möglicherweise gehörte Luther selber dazu, wenn er heute wiederkäme. Wollte er doch eine Übersetzung liefern, die die Deutschen seiner Zeit ansprach. Er hat damit maßgeblich zur Entwicklung der deutschen Sprache beigetragen und ihren Sprachschatz bereichert. Aber stehengeblieben ist die Entwicklung dabei nicht. Die Revisionen seiner Bibelübersetzung versuchen, dieser Tatsache Rechnung zu tragen. Ob die Lutherbibel 2017 dies in ge­nügender Weise tut, darüber kann man streiten. Allerdings wird es auch heute Menschen geben, die sich gerade durch einen ihnen zunächst fremden und sperrigen Text herausfordern lassen, während andere damit nichts anfangen können und das Buch enttäuscht zur Seite legen. Zum Glück können diese auf andere Bibelübersetzungen und Paraphrasen zurückgreifen und, wenn sie mit der Bibel etwas vertrauter geworden sind, die Reize der Lutherbibel entdecken. Ein Letztes: Da die Übersetzung der Bibel in die Volkssprachen eine nie endgültig abzuschließende Aufgabe, sondern jeder Generation neu aufgetragen ist, darf man hoffen, dass diese Aufgabe für das Deutsche auch ökumenisch wieder angegangen wird. In eine solche Übersetzung werden selbstverständlich gelungene und bewährte Formulierungen der Lutherbibel eingehen, aber sie wird eine Übersetzung eigenen Rechtes sein, ökumenisch verantwortet, exegetisch und sprachlich – für eine Weile – auf der Höhe der Zeit. Mehr ist nicht möglich, weniger aber sollte es auch nicht sein.

Abstract


The latest revision of the Lutheran Bible, published in time for the 500th anniversary of the Reformation, is under the motto »More Luther«. It is, however, to be asked whether this corresponds to the intention of Martin Luther, who wanted to deliberately translate the Bible into the language of his time, and thereby decisively shaped it. Neither the German language nor Bible studies have stood still since the 16th century. For this reason many revisions of the Lutheran bible have been published since the end of the 19th century. Even though the present revision has more strongly revert­ed to Luther’s language in the main text, the revision nevertheless takes account of the linguistic and, above all, the exegetical de­velopments in the paratexts. However, this doesn’t solve the problem of understanding the biblical text in the language of today.

Fussnoten:

* Die Bibel. Lutherübersetzung. Revidiert 2017. Standardausgabe. Mit Apokryphen. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2016. 1536 S. Geb. EUR 25,00. ISBN 978-3-438-03311-6.
1) Vgl. D. Martin Luther, Die gantze Heilige Schrifft Deudsch. Wittenberg 1545. Letzte zu Luthers Lebzeiten erschienene Ausgabe, hrsg. von Hans Volz unter Mitarbeit von Heinz Blanke. Textredaktion Friedrich Kur, München 1972. Im Folgenden zitiert: Lutherbibel 1545.
2) Als Beispiel einer »zweisprachigen« Ausgabe deutscher Lutherschriften vgl. Martin Luther, Deutsch-deutsche Studienausgabe, hrsg. von Johannes Schilling u. a., 3 Bde., Leipzig 2012–2016.
3) Heinrich Bedford-Strohm, Vorwort, in: Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung. Lutherbibel revidiert 2017. Mit Apokryphen, Stuttgart 2016, ohne Seitenzahlen. Im Folgenden wird diese Ausgabe zitiert: Lutherbibel 2017.
4) Vgl. www.die-bibel.de/bibeln/bibelkenntnis/wissen-bibeluebersetzung/ loccumer-richtlinien/ (Abruf: 20.08.2017).
5) Die Lutherbibel 2017 besteht aus zwei unterschiedlich paginierten Teilen, die in einem Band zusammen gebunden sind. Der alttestamentliche Teil enthält auch die sogenannten Apokryphen, der neutestamentliche den Anhang zur gesamten Bibel. Hier findet sich auch die Liste der Abweichungen bei der Schreibung der Eigennamen von den Loccumer Richtlinien, a. a. O., 400 f.
6) Vgl. Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Gesamtausgabe, Stuttgart 2016, Lizenzausgabe: Freiburg/Basel/Wien 2016, 1386. Im Folgenden wird diese Ausgabe zitiert: Einheitsübersetzung 2016.
7) Vgl. WA 30 II, 632–646.
8) WA 30 II, 637,21.
9) Ebd.
10) Michael Beyer, Luthers Übersetzerregel(n), in: Eine glossierte Vulgata aus dem Umkreis Martin Luthers. Untersuchungen zu dem 1519 in Lyon gedruckten Exemplar in der Bibelsammlung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Arbeitsgespräch in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart vom 20. bis 22. Februar 1997, hrsg. von Martin Brecht und Eberhard Zwink (Vestiga Bibliae 21), Bern u. a. 1999, 95–116, bes. 96–99, 104–109; Zitat: 109.
11) Vgl. WA 30 II, 632,27–633,31; 636,11–637,10.
12) Vgl. WA 30 II, 638,13–20.
13) Vgl. Erika Rummel, Erasmus’ Annotations on the New Testament. From Philologist to Theologian (Erasmus Studies 8), Toronto/Buffalo/London 1986, 167–169.
14) Vgl. WA 30 II, 638,21–639,3.
15) Vgl. a. a. O., 639,4–23.
16) An einer dritten Stelle, im Klagelied Davids über den Tod von Saul und Jonatan, wo Luther die beiden als »holdselig vnd lieblich an jrem Leben« bezeichnet (2Sam 1,23), weicht die Lutherübersetzung 2017 davon ab: »geliebt und einander zugetan«.
17) Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Onlineversion, Art. überreden A. 1, a), 2) (URL: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/ WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GU01461#XGU01461 [19.09.2017]).
18) Bücher der Kündung. Verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Köln/Olten 1966, 298.
19) Vgl. Rudolf Mosis, Art. pth, in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Tes­tament 6 (1989), 820–831, hier 829 f.
20) Diesen Hinweis verdanke ich dem Vortrag von Carl S. Ehrlich: »Die Bibel – ein europäisches Buch?« auf dem XVI. Europäischen Kongress für Theologie, Wien, 11.09.2017.
21) Die Schriftwerke. Verdeutscht von Martin Buber, Heidelberg 1976, 345.
22) Erasmus Roterodamus, Annotationes in Nouum Testamentum. Pars tertia, hrsg. von P. F. Hovingh: Opera omnia Desiderii Erasmi Roterodami, Bd. 6-7, Leiden/Boston 2012, 208, 129.134.