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Ausgabe:

November/2017

Spalte:

1259–1261

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Jütte, Stephan R.

Titel/Untertitel:

Analogie statt Übersetzung. Eine theologische Selbstreflexion auf den inneren Zusammenhang von Glaubensgrund, Glaubensinhalt und Glaubensweise in Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. X, 299 S. = Religion in Philosophy and Theology, 86. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-154354-8.

Rezensent:

Markus Knapp

Wie kaum ein anderer Autor hat Jürgen Habermas in den zurückliegenden Jahrzehnten die neue Präsenz der Religionen zum Anlass einer Reflexion über ihre nicht selten konfliktträchtige Stellung in der Öffentlichkeit moderner säkularer Gesellschaften genommen. Insbesondere seine Rede von einer postsäkularen Gesellschaft signalisiert hier einen Wandel, der es erforderlich macht, die Stimme der Religion so zur Geltung zu bringen, dass sie in Entscheidungsfindungsprozesse, etwa in parlamentarischen oder juristischen Zusam menhängen, miteinbezogen werden kann. Das setzt jedoch eine Übersetzung religiöser Gehalte in eine säkulare Sprache voraus. Die Reflexion und Beurteilung dieses Übersetzungsvorbehalts aus theologischer Perspektive ist das Thema der Arbeit von Stephan R. Jütte, einer von der Theologischen Fakultät Bern angenommenen Dissertation. Eine entscheidende Bedeutung kommt dabei der von Habermas vorgenommenen Grenzziehung zwischen Glauben und Wissen zu. An dieser Frage ist nach J.s Auffassung die gesamte bisherige theologische Habermasrezeption gescheitert, weil sie es nicht vermocht hat, diese Grenzziehung theologisch produktiv aufzugreifen (vgl. 7). Möglich erscheint das nach J. bei konsequenter Fortsetzung des von Kierkegaard zu Barth führenden protestantischen Weges. D ann, so möchte er zeigen, gelingt eine christlich-theologische Selbstreflexion »unter Habermas’ Theorievoraussetzungen innerhalb der fundamentaltheologischen Grundsätze Karl Barths geradezu spielerisch leicht« (26). Genauerhin geht es dabei um den Aufweis, dass die Grenzziehung zwischen Glauben und Wissen theologisch »die selbstrelativierende Perspektive einer epistemischen Selbstbescheidung« eröffnet: Es soll auf der Grundlage des christlichen Glaubensbegriffs gezeigt werden, dass der mit dem Glauben verbundene universale Wahrheitsanspruch »öffentlich nur partikular Geltung beanspruchen kann« (23).
Bei der Konkretisierung dieses Vorhabens orientiert J. sich an drei Forderungen, die Habermas gegenüber religiösen Mitbürgern erhebt: Sie müssen ihre Glaubensüberzeugungen in ein reflexives Verhältnis zum Vorrang des säkularen Staates, zur Tatsache des weltanschaulichen Pluralismus sowie zum Wissensprivileg der modernen Wissenschaften setzen. Entsprechend diskutiert J. ausführlich das Verhältnis von Religion und Recht aus theologischer Perspektive (108 ff.), die Situation von Religion im Pluralismus (166 ff.) und das Verhältnis von Glaube und Wissen (226 ff.). Er weist dabei Habermas’ Übersetzungsprojekt nicht zurück, sondern be­greift es als Herausforderung für die Theologie, es durch ihr eigenes, der Innenperspektive des Glaubens verpflichtetes Verständnis dieser Problemfelder zu ergänzen.
»Wenn wir die Übersetzung als Möglichkeit modernitätsfähigen Sprechens aus dem Glauben zurückweisen, dann verbindet sich damit […] keine Kritik an diesem Vorschlag. Im Gegenteil, Habermas’ theologische Relevanz und gesellschaftliche Fruchtbarkeit liegt genau darin, dass er nicht Theologe sein will und dass er die Grenze von Glauben und Wissen auf der Seite des Wissens so beschreibt, dass die Theologie diese Grenze auf der Seite des Glaubens – der sich ja zum Wissen nicht als das ganz Andere, Irrationale und Fremde verhält – zu beschreiben hat.« (227)
In einer theologisch sachgemäßen Weise kann das nach J. durch die Bezugnahme auf das Konzept einer Analogia fidei im Sinne Barths gelingen. Denn damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass der Glaube eine Perspektive auf die Wirklichkeit eröffnet, die aus dem Weltwissen schlechterdings unableitbar bleibt. Diese Glaubensperspektive lässt sich nicht in eine säkulare Sprache übersetzen, sondern nur gleichnishaft zur Geltung bringen. Theologisch begründet ist das bei Barth in der Christologie; an ihr hat eine theologisch angemessene Bestimmung des Gott-Welt-Verhältnisses ihr Maß, weil sich hier Gott so zur Welt in Beziehung gesetzt hat, dass zugleich auch die Differenz zwischen Gott und Welt mitgesetzt ist (vgl. etwa 159 f.). Es ist diesem Beziehungsverhältnis geschuldet, warum die Glaubensperspektive sich nicht in Wissen transformieren lässt, sondern nur durch Analogie zum Ausdruck gebracht werden kann: Sie bringen das mit dem Glauben verbundene Verständnis der weltlichen Wirklichkeit zur Geltung, indem sie diese (z. B. Recht, Staat) als mitgesetzt durch das im Wort Gottes Geschehende (z. B. Rechtfertigung, Kirche) erläutern und darin begründet sehen.
Somit zeigt sich aber: »Theoretisch bearbeitet die analogia fidei-Figur das faktische Problem, dass das Wort Gottes, mit dem sich ein unbedingter Wahrheitsanspruch verbindet, nicht intersubjektiv Geltung einlösen kann. Sie löst dieses Problem so, dass sie eine Differenz zwischen dem Wort Gottes und seiner Erkennbarkeit einzieht und die Überwindung jener Differenz als Verstehensmöglichkeit dieses Wortes, ganz beim Wort selbst und gar nicht beim Hörer des Wortes situiert« (258). Damit wird die von Habermas gezogene Grenze zwischen Glauben und Wissen theologisch mitvollzogen und legitimiert, ohne den universalen Wahrheitsanspruch des Glaubens aufzugeben. Es wird genuin theologisch verständlich, weshalb die Gläubigen im säkularen Kontext der Mo-derne einerseits an diesem Wahrheitsanspruch festzuhalten und andererseits zugleich zu akzeptieren vermögen, dass ihm in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit nur eine partikulare Geltung zu­kommt. Wo das der Fall ist, hat ein Gläubiger gelernt, zusammenzudenken und zu leben, »dass sein letzter Grund, seine auf das eigene Heil bezogene Hoffnung sich nicht intersubjektiv vermitteln lässt – und genau dies muss er nicht nur einsehen, sondern glaubend bejahen« (228).
Die Arbeit stellt sich der Herausforderung, die Habermas in seinen Schriften formuliert hinsichtlich der brisanten Frage, welche Bedeutung religiösen Überzeugungen in der Öffentlichkeit säkularer Gesellschaften zukommen kann. Dieser Herausforderung muss sich nicht zuletzt die Theologie stellen, obliegt es ihr doch, religiöse Überzeugungen zu reflektieren und ihre Begründung, ihre Inhalte und ihren Geltungsanspruch zu explizieren. Ebendies tut J., und seine Arbeit zeichnet sich dabei durch zwei Vorzüge aus: Zum einen rekonstruiert er Habermas’ Argumentation kenntnis reich und präzise. Zum anderen argumentiert er selbst auf der Grundlage einer prägnanten und konsistenten theologischen Position. Die Arbeit bereichert auf jeden Fall die vielstimmige Debatte um Habermas’ Thesen.
Man muss J. uneingeschränkt zustimmen, wenn er es entschieden ablehnt, Habermas’ Übersetzungsprojekt als Möglichkeit eines modernitätsfähigen Sprechens aus dem Glauben zu verstehen. Das entspricht auch keinesfalls dessen Intentionen; er ist sich vielmehr im Klaren darüber, dass es sich bei seiner Rede von Übersetzung »um eine mißbräuchliche Verwendung des Standardbegriffs von Übersetzung« handelt (Abschlussdiskussion: J. Butler, J. Habermas, Ch. Taylor, C. West, in: E. Mendieta/J. VanAntwerpen [Hrsg.], Religion und Öffentlichkeit, Berlin 2012, 158–169: 165). Sein Interesse dabei ist kein theologisches, sondern ein politisches, nämlich zum einen die Frage, wie religiöse Bürger ihre Überzeugungen in öffentlichen Entscheidungsfindungsprozessen angemessen zur Geltung bringen können, zum anderen in religiöser Sprache zugängliche semantische Gehalte, die auch für moderne Gesellschaften wichtig bleiben, aber in ihnen zunehmend unverständlich zu werden drohen. Damit ist das auch für die Theologie zentrale Thema der Diskursfähigkeit religiöser Überzeugungen in säkularen Kontexten markiert. Entscheidend für deren Beantwortung bleibt, wie J. mit Recht betont, die Grenzziehung zwischen Glauben und Wissen.
Hier ist nun aber gegen J. einzuwenden, dass er auf seiner bar-thianischen Grundlage Habermas und dessen These von einem »Sperrklinkeneffekt der Offenbarungswahrheiten« zu unkritisch folgt. Denn auch wenn der Glaubensgrund zweifellos nur im Glauben gewiss wird, so bleibt der Glaube hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit doch in säkularen Kontexten rechenschaftsfähig und daher auch rechenschaftspflichtig in dem Sinne, dass die Ansprechbarkeit des Menschen für das den Glauben begründende Wort Gottes anthropologisch aufgewiesen werden kann. E. Jüngel hat von einer »anthropologischen Verifikation dieses Sachverhaltes« (E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 31978, 212) gesprochen. Dadurch wird die Grenze zwischen Glauben und Wissen keineswegs aufgehoben, aber sie muss doch etwas anders gezogen werden, wenn diese fundamentaltheologisch unerlässliche Unterscheidung von Glaubensbegründung und Glaubwürdigkeitsbegründung beachtet wird. Dies hat J. in seiner Auseinandersetzung mit Habermas nicht hinreichend bedacht.