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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1264–1266

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Zeller, Reimar

Titel/Untertitel:

Prediger des Evangeliums. Erben der Reformation im Spiegel der Kunst.

Verlag:

Regensburg: Schnell & Steiner 1998. 167 S. m. 281 Abb. z. T. farb. 4 = Adiaphora. Lw. DM 78,-. ISBN 3-7954-1154-8.

Rezensent:

Gert Haendler

Die Reformatoren haben das Berufsbild der Geistlichen geprägt, das viele Ausformungen fand: "Epochenszenarien in allen Schattierungen der Verinnerlichung oder pathetischen Überhöhung, der Einzel- und Gruppenportraits, des historischen Dokumentations- und Ereignisbildes oder der individualbiographischen Bildanekdote" (10). Trotz der reformatorischen Kritik am religiösen Bild, die den künstlerischen Impetus einengten, trugen Lucas Cranachs Werkstattproduktionen und Auftragsbilder wesentlich zum Durchbruch der reformatorischen Botschaft bei (14). Dafür zeugt das Weimarer Altarbild, das Cranach zwischen Johannes den Täufer und Luther unter das Kreuz stellt (Abb. 23), sowie das Dessauer Abendmahlsbild mit den Reformatoren Martin Luther, Philipp Melanchthon, Caspar Cruciger, Justus Jonas, Johannes Bugenhagen u. a. (Abb. 24). Die Werkstatt Cranachs legte den "Grundstein zur Gestaltung und Pflege des Pfarrerporträts für die nachfolgenden Predigergenerationen" (14).

Abb. 8-14 zeigen die Nürnberger Pfarrer Veit Dietrich und Andreas Osiander, die oberdeutschen Reformatoren Martin Bucer, Johannes Brenz, Jakob Andreae und Ambrosius Blarer sowie den Siebenbürgener Johannes Honter. Der Züricher Maler Hans Asper stellte Zwingli und Ökolampad dar, auch Bullinger, Calvin, Beza, Farel und Erzbischof Thomas Cramner erscheinen (Abb. 15-20). Außenseiter der Reformation werden aufgenommen: Thomas Müntzer, Melchior Hoffman, Hans Hut, Balthasar Hubmaier, Jan Matthys, Johann Sylvan, Bernd Krechting, William Tyndale, Michael Servet (Abb. 30-38). Die Künstler suchten "die dokumentative Vergegenwärtigung jenes Personenkreises, dem das Verdienst zukam, den Menschen das wiederentdeckte Evangelium ,rechtmäßig und im biblischen Kontext’ verkündigt zu haben". Von den Künstlern erwartete man "nicht nur professionelle Umsetzung von ,Auftragsbildern’, sondern die subjektive Überzeugung und somit auch das Engagement, jene Neuordnung des Gottesverhältnisses und Kirchenverständnisses selbst nachzuvollziehen" (22 f.).

Zum Thema "Glaubenszeugen des Barock" kommt primär Holland in den Blick (Abb. 53, 58). Die vom Joch der Spanier befreiten Niederländer fühlten sich mit dem Volk Israels verbunden (Abb. 68 mit S. 26). Neben Gemälden von Rembrandt (61-63) steht ein Bild von Emanuel de Witte "Predigt in der Delfter Oude Kerk" (Abb. 66). Z. verweist auf die lockere Gruppierung der Gemeinde im Sinne eines calvinistisch-mennonitischen "Demokratismus", der den hierarchisch-sakramentalen Kultus der alten Kirche abgelöst hat (24). Franz Hals und Anthonis van Dyck sind mit Porträts vertreten (Abb. 64 f.). Die ökumenische Porträtgalerie des 17. Jh.s wird abgeschlossen mit dem Liederdichter Paul Gerhardt (Abb. 74) und dem Schweizer Dekan Johannes Murer, der als Mathematiker, Karthograph und Konstrukteur einer Sonnenuhr bekannt wurde (Abb. 75).

Zum Thema "Religionsdiener im Zeitalter der Aufklärung" sagt Z.: "Im Zusammenprall der Ideen und Kräfte entwickelten sich zwischen orthodoxem Beharrungswillen und reformerischen Bestrebungen tiefgreifende Auseinandersetzungen, die das Amtsverständnis und damit verbunden auch das physiognomische Erscheinungsbild des Geistlichen veränderten" (26). Er stellt hintereinander einen anglikanischen Bischof im festlichen Ornat und einen Schlittschuh laufenden Reverend (Abb. 80 f.), Jonathan Swift trägt die Amtstracht eines Dekans der St. Patrickskathedrale Dublin, ihm folgt John Wesley (Abb. 83, 84). Der Hugenottenpfarrer Charles Étienne Jordan, Hofprediger Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem und Hauptpastor Johann Melchior Goeze werden direkt hintereinander dargestellt (Abb. 90-92), ebenso Valentin Ernst Löscher und Nikolaus Ludwig Graf Zinzendorf (Abb. 94 und 96) sowie Herder und Lavater (Abb. 100 f.). Satirische Darstellungen von William Hogarth in Abb. 111-114 gelten der englischen Gesellschaft und schließen den Klerus ein, doch ist "seine Kunst nicht als Waffe gegen religiöse Überzeugungen" gemeint (28). Zudem finden sich zu jener Zeit in England auch viele "Beispiele des anglikanisch-hochkirchlichen Stiftungs- und Widmungsbedürfnisses" (29).

Zum Abschnitt "Independenten und Sektierer Nordamerikas" verweist Z. auf die Bedeutung "der religiös-folkloristischen Elemente, die sich in den lokalen Museen und Erinnerungsstätten der Dissenters, Quäker, Anabaptisten, der Seekers, Chiliasten und religiösen Enthusiasten weit verstreut auf dem nordamerikanischen Kontinent finden lassen" (31). Amerikanische Demokratie ist "ohne jenen geistlichen Hintergrund nicht zu verstehen, die Verwirklichung nämlich der biblischen Aussage, wonach der Geist Gottes überall und in jedem einzelnen Menschen und vor allem, wann immer er will, zu wehen vermag" (32). Die Abb. 118-154 können gerade dem europäischen Betrachter interessante Einsichten vermitteln.

Abb. 155 führt zurück nach Europa: "Pastoren des 19. Jahrhunderts". Zwei Beispiele protestantischer Denkmäler illustrieren Anfang und Ende des Jahrhunderts: "Die Errichtung des ersten Lutherdenkmals auf dem Marktplatz in Wittenberg (1817-1822) und der Bau der Speyrer Gedächtniskirche (1893-1904) mit ihrer ikonographisch reichen Glasmalerei und ihrem großzügigen Skulpturenschmuck" (34).

Die Reformatoren werden im 19. Jahrhundert neu dargestellt: Luther (155-159, 180), Calvin (162), John Knox (163). Es folgen Männer des 19. Jahrhunderts. u. a. Johann Peter Hebel (172), Johann Michael Hahn und die Stundisten (174), Johann Friedrich Oberlin (177) und die streitenden Hallenser Professoren Tholuck und Wegscheider (178). Satirische Bilder gehen u. a. auf das Examen des Kandidaten Hieronymus Jobs ein (179). Die Mission kommt in den Blick (200-206), auch gibt es Karikaturen (207 f.). Denkmäler zeigen in Worms die Reformatoren (210), August Hermann Francke (214), Schleiermacher (215), Wesley (216), Lavater (217). Kunstströmungen des Jahrhunderts lassen sich an Darstellungen Luthers verdeutlichen: "Die Skala reicht von der klassisch-antikisierenden Heroik bis zum Biedermeierlich-Familiären, vom historischen Pathos bis zur genrehaft-bürgerlichen Realistik, vom Religiös-Empfindsamen bis zur Sentimentalisierung" (37).

Der Abschnitt "Das Pfarrerbild im 20. Jahrhundert" bringt u. a. Friedrich von Bodelschwingh, Eduard Zeller, Friedrich Naumann, Rudolf Bultmann, Paul Schneider (Abb. 221-225). Neun Karikaturen stammen aus dem Simplicissimus der Jahre 1900 bis 1914 (Abb. 229-237). Z. stellt hintereinander die Selbstverbrennung des Pfarrers Brüsewitz, den südafrikanischen Erzbischof Tutu und Thomas Müntzer (241-243). Später sieht man Nathan Söderblom, Dietrich Bonhoeffer und Matthias Claudius auf einer Seite (249-251). Kaum für möglich hält es Z:, "noch einmal zu einem überzeugenden Denk- und Mahnmal zu gelangen, obwohl die unsagbaren Leiden und apokalyptischen Wirren unseres Zeitalters sich zur künstlerischen Vergegenständlichung geradezu anbieten müßten" (40).

Mit Abb. 254 beginnen die Photographien. "Bei der Portraitierung des Geistlichen und seines Wirkens in der Öffentlichkeit dokumentiert diese Bildkunst nahezu lückenlos und in ökumenischer Breite die Individual- und Amtsgeschichte von Predigern aller konfessionellen Gruppierungen" (41). Nebeneinander sitzen Albert Schweitzer und Adolf von Harnack (258, 259), gemischte Gefühle erweckt ein "Sacromobil" mit bikonfessionellem Personal für Feldgottesdienste im Ersten Weltkrieg (Abb. 267).

Man sieht die Pastorin Annemarie Winter, die 1945 in einem Lager im Ural ums Leben kam (Abb. 270), es folgt Otto Dibelius im März 1933 auf dem Tag von Potsdam und im April 1962 mit Kardinal Bea (Abb. 271 f.). Das Kapitel "Prediger im Wirken der Kleinkunst" beschließt den Band. Die letzte Seite bringt ein Werk im Stil der naiven Malerei von der Schwedin Greta Philipson Digman: Eine Pastorin vor 4 Pastoren, dazu die Unterschrift "Frauen sind auch Menschen, aber schönere" (Abb. 279).

Das Buch bietet reiche Anregungen sowohl durch die Sammlung wie auch durch die mitunter eigenwillige Zusammenstellungen der Bilder sowie ihre Deutung in bestimmten Zusammenhängen. Der Band greift mehrfach auf das Gebiet der Praktischen Theologie hinüber (z. B. Abb. 233 die Satire "Die Pfingstpredigt"). Primär aber haben Kirchenhistoriker und Kunsthistoriker zu danken.