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Ausgabe:

November/2017

Spalte:

1225–1227

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Beljakova, Nadezhda, Bremer, Thomas, u. Katharina Kunter

Titel/Untertitel:

»Es gibt keinen Gott!«. Kirchen und Kommunismus. Eine Konfliktgeschichte.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2016. 256 S. m. zahlr. Abb. u. Ktn. Geb. EUR 29,99. ISBN 978-3-451-30622-8.

Rezensent:

Ehrhart Neubert

Das Buch füllt dankenswerterweise eine Lücke, die umfassende Darstellung der weltweit von den Kommunisten gesuchten Konfrontation mit der christlichen Tradition und der von ihnen praktizierten Destruktion der Kirchen. Nicht neu sind Generalabrechnungen mit den kommunistischen Verbrechen, wie sie etwa im »Schwarzbuch des Kommunismus« vorgelegt wurden.
Aber die Fokussierung auf die Religionsfrage trifft schlechthin den Kernbereich kommunistischer Selbstlegitimation. Die von den Kommunisten angestrebte Liquidierung der Religion sollte den Wahrheitsbeweis ihrer Ideologie, der »wissenschaftlichen« Weltanschauung, liefern. Das Geschäft sollte eigentlich die von ihnen metaphysisch verkleidete »Geschichte« erledigen. Doch wo die Wirklichkeit dieser Logik nicht folgte, wurde Gewalt angewendet. Tausende Tote und die Vernichtung einer gewachsenen christlichen Kultur waren das Ergebnis.
Die kommunistische Repression traf alle gesellschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Bereiche, Kunst und Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Umwelt. Aber, darauf wird auch in diesem Buch verwiesen, die folgenreichsten und nachhaltigsten Beschädigungen wurden den Kirchen zugefügt. Sie haben nicht nur in der Zeit des Kommunismus unter den Repressionen bis hin zu ihrer Marginalisierung schwer gelitten, sondern die Kirchen wurden so nachhaltig in ihren Strukturen und ihrer gesellschaftlichen Verwurzelung beschädigt, dass ihre Erholung bislang in einer Reihe von ehemals kommunistischen Ländern kaum absehbar ist.
Die Vf. setzen in der Schilderung der Konfliktgeschichte im ersten Teil des Buches mit den antikirchlichen Bewegungen in der Französischen Revolution und den religionskritischen Debatten des 19. Jh.s ein, die in die radikal atheistische Konzeption des Marxismus führten. Im zweiten Teil werden die Auseinandersetzungen in Russland bzw. der UdSSR geschildert, wo erstmals die Kommunisten die Macht an sich reißen konnten. Hier entlud sich der Kampf gegen die Religion in einer blutigen Verfolgungswelle gegen die Kirchen, die nahezu ausgelöscht wurden. Der dritte Teil nimmt die kirchenpolitische Wendung Stalins im Zweiten Welt krieg auf, die der Orthodoxie Erleichterung verschaffte, wenngleich deren Kontrolle systematisiert wurde. Stalin brauchte nun die Kirchen, um im Krieg die nationale Mobilisierung zu stärken. Und schließlich brauchten die Sowjets die Kirchen, um in den gewaltigen gewonnenen und besetzten Gebieten nach dem Krieg über sie den westlichen Einfluss einzudämmen und über die an der Ökumene beteiligten sowjetischen Kirchen Propagandakanäle aufzubauen. Im vierten Teil wird über die Beteiligung der Kirchen am machtpolitischen Ende des Kommunismus von 1989 bis 1991 be­richtet. Die Lage der Christen in den verbliebenen kommunistischen asiatischen Ländern wird erörtert.
Alles liest sich spannend. In allen Abschnitten werden anhand von hervorragenden Quellen die verschiedenen ideologiegeleiteten kirchenpolitischen Maßnahmen geschildert, die sich im Zuge der Evolution des Kommunismus änderten.
Die Vf. zeigen die ganze Palette der Mittel im Kampf gegen die Religion: Mord und Verfolgung von Personen und religiösen Gruppen, Störung oder gar Zerschlagung von kirchlichen Strukturen, Schließung von Kirchen, wirtschaftliche Drosselung, geheimdienstliche Unterwanderung, Kontrolle der Kirchen durch eigens eingerichtete Institutionen, Instrumentalisierung der Kirchen für innen- und außenpolitische Zwecke.
Zu den wirksamen Mitteln gehörte die kompensatorische Be­kämpfung der Kirchen. Ersatzriten und quasireligiöse Feiern sowie die unaufhörliche Produktion von Mythen der Kommunismusgeschichte sollten an die Stelle der kirchlichen Sinnangebote treten. Hinzu kamen konsequente Maßnahmen zur gesellschaftlichen Ausgrenzung der Kirchen und immer neue antichristliche diffamierende Propagandakampagnen.
Der Kommunismus sollte einen neuen Menschen hervorbringen, der auf die Ideologie eingeschworen war und dabei auch von der Religion befreit sein sollte. Trotz dieser zynischen Behandlung der Kirchen wurden sie genötigt, dem kommunistischen Staat Loyalität zu erweisen.
Aber das Buch bietet auch das kirchenpolitische Gegenstück, die sehr unterschiedlichen Strategien der Kirchen bzw. der in den Kirchen Verantwortlichen, den gewaltigen Druck aufzufangen und zu kompensieren. Dass es sich im Ringen um die Sicherung der Exis­tenz um intelligente Gratwanderungen zwischen Opportunismus und Opposition handelte, wird an vielen Beispielen aus vielen Ländern gezeigt. Auch Verrat an der eigenen Kirche und offener Widerstand gegen allzu loyale Kirchenoberhäupter waren nicht selten. Im Falle der westlichsten Provinz des kommunistischen Imperiums, der DDR, wird etwas zu generell von einer nahezu einheitlich handelnden protestantischen Kirche ausgegangen. Tatsächlich gab es entgegengesetzte Handlungsstränge, was sich in der Artikula-tion einer oppositionellen Minderheit besonders deutlich zeigte. Außerdem bleibt die Frage unerörtert, ob und inwieweit die offi ziell vorgetragene Theologie nicht auch kommunistische Ideen partiell verinnerlicht hatte. Das zeigt sich u. a. in der Menschenrechtsfrage oder dem theologisch begründeten Aufgeben der Volkskirche.
In einem Schlusswort wird angemerkt, dass es in den »Rivalitäten zwischen Christentum und Kommunismus« »keinen Sieger« (238) gäbe. Nichts ist entschieden. Und deswegen lädt dieses nützliche Buch zu weiteren nötigen Debatten ein. Die Vf. fragen mehrfach vorsichtig, ob es nicht auch Gemeinsamkeiten zwischen Chris­tentum und Kommunismus hätte geben können. Sie schränken diese Möglichkeit angesichts der Fakten zwar ein, trotzdem er­scheint es unangebracht, einen »humanistischen Ansatz« (235 ff.) im Kommunismus zu identifizieren. Zwar haben sich die Kommunisten dieser Sprache bedient, sie haben aber stets die selbstge­steckten Ziele verfehlt und nur den Schein inszeniert. Solche Systeme sind nicht an ihren Verheißungen und Versprechen zu messen. Was allein zählt, sind die von ihnen gewählten Mittel. So hätte das Urteil der Vf. über den Kommunismus noch deutlicher ausfallen können. Der Kommunismus hatte nichts Konstruktives, nichts Neues der Menschheit Dienendes hervorgebracht. Er war ein wirkungsvolles europäisches Exportgut, das selbst die Inhumanität des imperialen Kolonialismus übertraf. Der Kommunismus scheint darum heute politisch gestorben zu sein. Die Mentalitäten, die er geprägt hat, schlummern auch ohne kommunistische Parolen un­ter der Oberfläche.
Die Vf. beklagen in den letzten Sätzen ihres Buches den durch die Kommunisten verursachten elementaren Verlust an materiellen und immateriellen Werten der christlichen Kultur. Und richtig stellen sie fest, dass nur wegen der »persönlichen Glaubensstärke« von Millionen Christen »das Christentum überleben« konnte. Und die Frage an die Kirchen und die Theologie bleibt, ob die Erfahrung Kommunismus in geistige und geistliche Stärke überführt werden kann.