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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1262–1264

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Tschuggnall, Peter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion - Literatur - Künste. Aspekte eines Vergleichs. Mit einem Vorwort von Kardinal F. König.

Verlag:

Anif/Salzburg: Müller-Speiser 1998. VI, 558 S. m. Abb. 8 = Im Kontext, 4. Kart. öS 577.-. ISBN 3-85145-031-0.

Rezensent:

Klaus Stiebert

In der Reihe "Im Kontext". Beiträge zu Religion, Philosophie und Kultur", hrsg. von Peter Tschuggnall, ist als 4. Band die Sammlung von Beiträgen eines Symposions erschienen, das die Theologische Fakultät der Universität, die Diözese und das Landestheater Innsbruck 1995 veranstaltete. Das ursprüngliche Thema "Religion und Literatur. Aspekte eines Vergleichs" erfuhr eine Ausweitung durch Beiträge weiterer humanwissenschaftlicher und ästhetischer Disziplinen. 39 Arbeiten europäischer Theologen, Philosophen, Literatur-, Musik- und Kunstwissenschaftler, darunter sogar Arabisten und Indologen, belegen die Vielfalt und das Interesse an der Themenstellung: Dichtung und Wahrheit oder (mit Mario Vargas Llosa) "Die Wahrheit der Lügen": Fiktionen können "die menschliche Unzufriedenheit nicht nur vorübergehend mildern: sie können sie auch schüren, indem sie die Phantasie anregen". Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stehen Analysen, "die sich mit dem Religiösen in seinem Zusammenwirken mit dem Religiösen eingehend auseinandersetzen", so der Herausgeber. Die Spannung reicht also vom Wort des Evangelisten Johannes (1,1) bis zu Arnold Schönbergs "O Wort, du Wort, das mir fehlt" ("Moses und Aron"), auch oder gerade im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks (Walter Benjamin): "Der einzigartige Wert des ,echten’ Kunstwerks hat seine Fundierung im Ritual, in dem es seinen ersten und originären Gebrauchswert hatte." Das Selbstverständnis der Literatur (und Kunst im allgemeinen) von der Antike über die Renaissance zur Aufklärung, ja zum Teil bis in die (Post-)Moderne, überlieferte jüdisch-christliche und griechisch-römische Traditionen zu stützen oder sie zu kritisieren, ging "Hand in Hand mit ästhetischen Spiegelungen sowie einem literaturwissenschaftlichen Interesse an Religion" (552). Der Hrsg. erinnert zu Recht daran, daß wichtige Impulse für diesen Dialog ausgingen von Dorothee Sölle, Dietmar Mieth, Walter Jens, Hans Küng, Karl-Josef Kuschel und anderen.

Im ersten Teil des Sammelbandes wird den "Spuren" in "dramatischer Theologie", im Spannungsfeld von Theologie und Philosophie sowie von Religion und Ästhetik nachgegangen. Wie Religion und Literatur aufeinander verwiesen sind und sich "treffen im suchenden und fragenden Menschen" stellt schon Kardinal Franz König im Vorwort am Beispiel der "Fröhlichen Wissenschaft" Friedrich Nietzsches dar. So sieht Willibald Sandler einen positiven Bezug zu einer dramatischen Theologie zwar nicht mehr in der "Vergegenwärtigung des Transzendenten ,sub contrario’ mit ihrer kathartischen Wirkung", aber vielleicht "im Schmerz am Fehlen eines Horizonts" (57); oder mit Georg Trakls "Psalm"-Worten, "Leitbildern des Suchens und Findens von Sinn" (wie sie Wolfgang Roscher zitiert, 101): "Schweigsam über der Schädelstätte öffnen sich Gottes goldene Augen."

Der zweite Teil geht "Allianzen" nach in "Bibel und Antike", zum Beispiel der litererarischen Darstellung exegetischer Werkzeuge, dem Johannes-Evangelium und dem Dichter Apulejus als Isisjünger im Rahmen der Erzählstruktur seines Romans. Danach folgt ein großer Sprung (wohl den Referatsangeboten geschuldet) gleich auf die "Literatur vom 17. Jahrhundert an" mit Analysen der deutschen Barocklyrik, Lew Tolstois Roman "Auferstehung" und Theodor Storms "Schimmelreiter". Allianzen in der modernen Literatur in Einzelbeiträgen bei Hugo von Hofmannsthal ("Der Turm" mit seinem Calderon-Bezug), in Paul Kornfelds Tragödie "Jud Süß", in der deutschen Lyrik seit 1945 (Langgässer, Kaschnitz, Zeller, Eich, Lavater, Busta u. a.), dem Dichter als Mythenstifter (Peter Handke), in Friedrich Dürrenmatts "Durcheinandertal" und in der jüngeren "Frauenliteratur" der Romania.

Diesen Teil beschließen "Allianzen" in Musik, Architektur, Film und Tanz. Ein interessanter Vergleich zwischen Martin Luther, Stefan Lochner und Johann Sebastian Bach zum Lukanischen Marienbild steht am Anfang; die Sprache der Musik und die religiöse Spannung auf der Bühne Wolfgang Amadeus Mozarts (Don Juan mit Blick auf Albert Camus), Richard Wagners ("Romantische Utopie"), Edward Elgars und Peter Maxwell Davies’. Der Architekturbeitrag gilt dem Neubau der Peterskirche in Rom in der Renaissance; die Filmanalyse Pier Paolo Pasolinis "Teorema" und grundsätzliche Überlegungen zu "Bibel und Tanz".

Im dritten und letzten Teil, "Alternativen" überschrieben, werden ergänzende außereuropäische Kunstbeispiele herangezogen: Versdichtung des Persers Hafis mit religiöser Terminologie - interessant nicht erst seit Goethes Rezeption im "Divan" - Hafis als Dichter, nicht identisch mit den Vertretern der etablierten Religion, wenngleich er zu ihnen gehörte! Der Versuch einer Annäherung an die muslimische Dichtung Kabírs (15. Jh.) mit einem aufschlußreichen Vergleich zum Werk des Angelus Silesius; die Dichtung des südindischen Sängers Tya-gara-ya (1767-1847) und die Gottesliebe als Thema der indischen Bhakti-Dichtung - insgesamt eine Fülle "alternativen" Materials zum Dialog. "Freund, es ist auch genug./Im fall du mehr wilt lesen/So geh und werde selbst/die schrifft und selbst das wesen." - Leider fehlt dem ausgezeichneten Band ein Register und ein Verfassernachweis.