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Ausgabe:

November/2017

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Beschrieben v. D. Gehrt unter Mitarbeit v. H. Carius.

Titel/Untertitel:

Katalog der Handschriften aus den Nachlässen der Theologen Johann Gerhard (1582–1637) und Johann Ernst Gerhard (1621–1668). Aus den Sammlungen der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Stiftung für Kunst und Wissenschaft.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2017. XXXIV, 687 S. m. 7 Abb. = Die Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha, 3. Lw. EUR 164,00. ISBN 978-3-447-10700-6.

Rezensent:

Stefan Michel

Nachdem Daniel Gehrt 2015 den Katalog der Reformationshandschriften der Forschungsbibliothek Gotha vorgelegt hat (vgl. ThLZ 141 [2016], 490–492), folgt nun als Band 3 der Reihe »Die Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha« die gewissenhafte Beschreibung der Handschriften des bedeutenden lutherischen Theologen Johann Gerhard und seines Sohnes Johann Ernst Gerhard, die beide in Jena wirkten. Der Wert dieser Arbeit, das barocke Universum dieser 202 Handschriften mit etwa 8850 Einzelstücken als umfassenden Teil einer herausragenden Gelehrtenbibliothek des frühen 17. Jh.s zu erschließen, ist in ihrer Bedeutung zurzeit noch gar nicht abzuschätzen. Der Handschriftenkatalog, der ein wichtiges Forschungsinstrument darstellt, muss zunächst als vervollständigendes Seitenstück zur Rekonstruktion der Bibliothek Johann Gerhards angesehen werden, die 2002 Johann Anselm Steiger in zwei umfangreichen Bänden vorgelegt hat (Bibliotheca Gerhardiana, Stuttgart-Bad Cannstatt = Johann Gerhard-Archiv I,11). Steiger und seine Mitarbeiter nutzten für die Rekonstruktion die Gothaer Handschrift Chart. A 605, die Gehrt kurz beschreibt (149 f.). Zugleich gewährt der vorgelegte Handschriftenkatalog Einblick in das reiche Material der Forschungsbibliothek Gotha, das viele Möglichkeiten für Untersuchungen zur Kirchen-, Kultur- und Geistesgeschichte der Frühen Neuzeit und Neuzeit bereithält. Unter den beschriebenen Bänden befinden sich auch zwölf orientalische Handschriften (502–520), die das breite Interesse der Gerhards erahnen lassen.
Eine ausführliche und detailreiche Einleitung (IX–XXXIII) vermittelt dem Nutzer des Bandes notwendige historische Hintergründe zur Einordnung der besprochenen Handschriften. Die Sammlung war Teil der Bibliothek Johann und Johann Ernst Gerhards, die bis 1678 auch der universitären Öffentlichkeit in Jena zur Benutzung zur Verfügung stand. Dann wurde sie für die herzogliche Bibliothek in Gotha erworben. Innerhalb der Handschriftensammlung gibt es verschiedene Provenienzen, die nicht nur auf Johann und Johann Ernst Gerhard, sondern auch auf weitere Familienmitglieder zurückzuführen sind. Andere Handschriften wurden offenbar gezielt erworben wie beispielsweise fünf Bände aus dem Nachlass des Leipziger Mediziners Caspar Naevius (1514–1579), elf Bände des Leipziger Theologen Georg Weinrich (1554–1617) sowie 13 Bände mit Disputationen und Vorlesungsmitschriften an Jesuitenkollegien in Paris, Verdun, Pont-à-Mousson und Mainz.
Zur Katalogisierung der Handschriftenbände konnte auf verschiedene Vorarbeiten von Ernst Salomon Cyprian, Erdmann Rudolf Fischer, Friedrich Christian Wilhelm Jacobs, Johann Heinrich Müller, Heinrich Niewöhner, Rudolf Ehwald und Helmut Claus zurückgegriffen werden. Nicht nur der gedruckte Katalog ermöglicht einen Zugang zu den behandelten Handschriften. Die Aufnahmen und Beschreibungen sind zudem auch über zwei Da­tenbanken zugänglich: www. http://hans.uni-erfurt.de/ und http:// kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/de/index.html.Alle Bände wurden entsprechend der Forderungen der »Regeln zur Er­schließung von Nachlässen und Autographen (RNA)« so beschrieben (13–520), dass ihr Inhalt nach der Gliederung erfasst wurde. Bereits edierte Stücke wurden nachgewiesen. Allgemeine Literatur steht am Ende der jeweiligen Beschreibung wie auch Angaben zur genauen Datierung, zum Umfang, zur Größe des Bandes und zu seiner Bindung.
Die Erforschung der lutherischen Theologie des 17. Jh.s erlebte in den letzten Jahren bedauerlicherweise keine sonderliche Blüte. Der Band kann aber als Wegweiser zu bisher wenig benutzten Quellen für den Zeitraum etwa zwischen 1550 und 1650 herangezogen werden, die das Interesse von zwei außerordentlichen Gelehrten belegen, das weit über den Rahmen der Theologie, Jurisprudenz und Medizin hinausging. Hier einige vorläufige Hinweise: Chart. A 134 bietet beispielsweise 40 Briefe und Dokumente zum Synkretistischen Streit um 1650 (50–53). Häufiger benutzt wurde Chart. A 408, der Johann Gerhards Testament von 1603 enthält (79–89). Darin wurden aber noch 209 weitere Dokumente, vor allem Briefe, gesammelt, die bis ins Jahr 1629 reichen. Weiteren Aufschluss über den als »Kryptocalvinisten« gebrandmarkten Theologen Christoph Pezel dürfte Chart. A 623 bieten, der neben zwei Vorlesungen des Wittenberger Theologen aus den Jahren 1569 bis 1571 auch eine Mitschrift einer Vorlesung Johannes Bugenhagens d. J. über Melanchthons »Examen ordinandorum« enthält (167). Dass sich Johann Gerhard mit Gabriel Biel auseinandersetzte, belegt Chart. B 280, eine Sammlung mit Aufzeichnungen zu Biels »Collectorium in quattuor libros sententiarum« (277). Johann Gerhards Studium wird durch Chart. B 447 gut dokumentiert, in dem sich vor allem Vorlesungsmitschriften und Disputationen aus der Zeit zwischen 1600 und 1616 befinden (285–289). Der Prediger Gerhard kann anhand von Chart. B 460 gut untersucht werden (387 f.), in dem sich beispielsweise ein Verzeichnis seiner Predigten zwischen 1616 und 1621 befindet. Wenig bekannt dürften auch die Erfurter Vorlesungen des Andreas Poach über die Confessio Augustana aus der Zeit von 1569 bis 1571 sein, die in Chart. B. 503 aufbewahrt wurden (454 f.). Schließlich lassen sich durch die Gothaer Quellen nicht nur die Wittenberger und Jenaer Universitätsgeschichte erhellen, sondern auch die Leipziger, da Chart. B 920 Examensprotokolle der Theologischen Fakultät Leipzig aus dem Jahr 1613 enthält (500).
Dem Handschriftenkatalog wurden sieben Abbildungen (3–9) beigegeben, die die sonst sehr sachliche Darstellung etwas an­schaulicher machen. Die benutzten Kurztitel sind bequem über das übersichtlich gestaltete Literaturverzeichnis aufzulösen (521–537). Der umfangreiche Band verfügt über zwei aufwändig angelegte Register, die nicht genug gelobt werden können. Das Personenregister (539–636) ist so gegliedert, dass der Nutzer mit Hilfe von 17 Siglen sofort erfährt, ob die gesuchte Person beispielsweise als Urheber (Ur), Verfasser (V), Adressat (Ad) oder Übersetzer (Ü) einer Quelle fungierte. Das umfangreiche Sachregister (637–687) dürfte ebenfalls zur Erschließung der Handschriften aus den Nachlässen der Theologen Johann und Johann Ernst Gerhard beitragen.