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Ausgabe:

November/2017

Spalte:

1201–1202

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Breytenbach, Cilliers [Ed.]

Titel/Untertitel:

Paul’s Graeco-Roman Context.

Verlag:

Leuven: Peeters Publishers 2015. XXII, 751 S. = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 277. Kart. EUR 94,00. ISBN 978-90-429-3271-5.

Rezensent:

Stefan Krauter

Der zu besprechende Band versammelt die Vorträge – 14 Hauptvorträge und Erträge der Seminarsitzungen sowie 20 Kurzvorträge – des 62. Colloquium Biblicum Lovaniense, das zum Thema »Paul’s Graeco-Roman Context« vom 16. bis zum 18. Juli 2013 stattfand. 20 davon sind englisch, zehn deutsch, vier französisch abgefasst. Wie immer bei einem derartigen Kongressband ist die thematische und methodische Bandbreite der Beiträge groß. »Griechisch-römischer Kontext« ist eine denkbar weite Themenformulierung. Einige Beiträge kann man als lexikalische Untersuchungen bezeichnen, die die Bedeutung eines im Corpus Paulinum verwendeten Lexems an­hand von dessen Verwendung in der griechischen Literatur erhellen, andere fallen unter Realienkunde, wieder andere suchen nach Parallelen zwischen Vorstellungen bei Paulus und philosophischen Lehren, nochmals andere arbeiten eher literaturgeschichtlich, einige schließlich untersuchen paulinische Texte in ihrem sozialen oder politischen Kontext. Alle diese Zugänge haben ihre Berechtigung und führen in vielen – allerdings bei Weitem nicht allen – Beiträgen zu interessanten und weiterführenden Ergebnissen. Ein irgendwie abgerundetes Gesamtbild entsteht freilich nicht – und kann zu diesem Thema vielleicht auch nicht entstehen.
Die Themen aller 34 Beiträge zu skizzieren und zu besprechen ist weder möglich noch sinnvoll. Im Folgenden sollen jeweils einige der Aufsätze exemplarisch für die verschiedenen Zugangsweisen vorgestellt werden. Dadurch werden deren spezifische Stärken, aber auch Problematiken sichtbar.
Mit Realien aus der Lebenswelt des Paulus und seiner Adressaten befassen sich unter anderem John T. Fitzgerald (Paul, Wine in the Ancient Mediterranean World, and the Problem of Intoxication, 331–356), und Jermo van Nes (Under Construction: The Building of God’s Temple according to Ephesians 2,19–22, 631–644). Van Nes negiert keinesfalls, dass Eph 2,19–22 auf Passagen in der Sep­tuaginta und weitere antik-jüdische Vorstellungen in Zusammenhang mit dem Jerusalemer Tempel rekurriert. Er schlägt aber plausibel vor, dass auch die Anschauung des Zielpublikums vom Bau griechisch-römischer Tempel in ihrer Umgebung dessen Vorstellungen geprägt hat, was ein Fundament ist und was ein Eckstein ist. Nach der Lektüre des Beitrages von Fitzgerald weiß man hingegen sehr viel über Weinanbau, Weinsorten, Weinhandel und Weinkonsum in der Antike, aber nicht, ob all dies exegetisch etwas Substanzielles austrägt, und falls ja, was.
Lexikalische Untersuchungen bieten unter anderem David Konstan (Regret, Repentance, and Change of Heart in Paul: Metanoia in its Greek Context, 119–133), David du Toit (Δύναμις εἰς σωτηρίαν: Röm 1,16 und Pseudo-Aristoteles De mundo 6, 398b 6–10 im Horizont antiker Diskurse über Entstehung, Bedrohung und Gefährdung der Welt, 457–470) und Teodor Braşoveanu (Πᾶσαν ἀρχὴν καὶ πᾶσαν ἐξουσίαν καὶ δύναμιν [1 Cor 15,24] and Its Anti-Imperial Interpretation: A Philological Approach, 415–442). D. Konstan geht von der bereits oft diskutierten Frage aus, ob μετάνοια im klassischen Griechisch die Bedeutung »Bedauern«, »Reue«, »Buße« haben kann oder ob dies eine spezifisch christliche Entwicklung ist. Seine sehr feinsinnigen Erwägungen kommen zum Schluss, dass es keineswegs klar ist, dass μετάνοια diese Bedeutungsnuancen im Neuen Testament und insbesondere im Corpus Paulinum hat, vielmehr meistens die klassisch griechische Bedeutung »Sinneswandel« passt.
Sorgfältige und exegetisch innovative Beobachtungen findet man auch bei du Toit. Er zeigt in erhellender Weise die Nähe paulinischer Formulierungen zu jenen in De mundo auf. Antiken Lesern wird der Anschluss an den kosmologischen Diskurs, aber auch das deutliche Eigenprofil des Paulus – sein Akzent auf dem Bereich der Ethik – aufgefallen sein.
T. Braşoveanu geht differenziert auf die sog. anti-imperiale Interpretation von 1Kor 15,24 ein, lehnt diese aber im Endeffekt ab. Er tut dies mit nachvollziehbaren Argumenten. Dennoch zeigt sich hier die Grenze dessen, was er »philological approach« nennt, und die Notwendigkeit einer umfassenderen Un­tersuchung der Lebenswelt des Paulus und seiner Adressaten.
Der Beitrag von J. C. Thom (Paul and popular Philosophy, 47–74) wählt als Herangehensweise die Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen der Gedankenwelt des Paulus und der antiken Philosophie. Thom wendet sich gegen Versuche, Paulus – oder zumindest einige Vorstellungen bei Paulus – passgenau bestimmten philosophischen Schulen der Antike (Stoa, Neuplatonismus) zuzuordnen. Plausibel argumentiert er dafür, die populärphilosophischen Diskurse der Antike in ihrer ganzen Breite sorgfältig wahrzunehmen und Paulus’ Profil in ihnen differenziert zu erheben.
Ausgehend von der in einem Brief mit zahlreichen freundschaftlichen Motiven zunächst überraschenden Versicherung des Paulus in Phil 4,11, er sei αὐτάρκης, untersucht D. Pevarello (Paul and the Philosophical Concept of Self-Sufficiency, 503–523) Elemente des antiken philosophischen Konzeptes der Autarkie im Philipperbrief. Er kommt zum Schluss, dass Paulus bewusst zahlreiche solche Elemente aufnimmt, um sich als Menschen darzustellen, der seine Beziehung zur Umwelt, zu Mitmenschen, Besitz, aber auch Bedürfnissen und Wünschen aufgrund seiner Christusbeziehung neu definiert hat. Bradley Arnold (Striving for the summum bonum: Athletic Imagery and Moral Philosophy in Philippians, 579–590) resümiert in seinem Beitrag sein 2014 erschienenes Buch »Christ as the Telos of Life«. Seine Überlegungen zum philosophischen Hintergrund der Laufmetapher in Phil 3,13–14 sind interessant. Wenn er sie zum Schlüssel des gesamten Briefes erklärt, wirkt dies aber teilweise etwas bemüht.
Unter den eher literaturwissenschaftlich geprägten Beiträgen sind vor allem diejenigen von Christine Gerber (Καυχᾶσθαι δεῖ, οὐ συμφέρον μέν … (2Kor 12,1): Selbstlob bei Paulus vor dem Hintergrund der antiken Gepflogenheiten, 213–251), Michael Wolter (Das Proömium des Römerbriefes und das hellenistische Freundschaftsethos, 253–271) und C. K. Rothschild (Acts and the Art of Safe Criticism, 615–629) hervorzuheben. C. Gerber beleuchtet einen bislang wenig beachteten Aspekt der Briefpassagen, in denen Paulus Aussagen über sich selbst macht. Weder können diese vorschnell autobiographisch gelesen werden noch ist die »briefliche Selbstempfehlung« selbstverständliches Gattungselement noch kann man zu rasch theologische Schlüsse ziehen. Vielmehr ist die Kategorie des »aptum«, des »Angemessenen«, zu beachten: das von kulturellen Gepflogenheiten geprägte, oft sehr delikate Empfinden der Adressaten, ob ein Autor sich selbst glaubwürdig und authentisch darstellt oder ins verpönte Selbstlob verfällt.
Dass man auch zu vieldiskutierten Texten noch neue Aspekte finden kann, zeigt M. Wolter. Es ist bekannt, dass das Proömium des Römerbriefes Elemente des Freundschaftsbriefes – oder allgemeiner: der antiken Freundschaftsethik – aufnimmt. Wolter gelingt es allerdings beispielhaft, das spezifische Profil gerade dieses Textes herauszuarbeiten, seine ganz besondere Kommunikationssituation, und daraus vorsichtige, aber exegetisch weiterführende und hochspannende Schlüsse auf den Abfassungszweck des Briefes zu ziehen.
C. Rothschild nimmt eine Idee aus der sog. anti-imperialen Paulusauslegung auf. Dort spielt die Vorstellung, neutestamentliche Texte hätten in politischer Hinsicht eine Art »Doppelbotschaft« – einerseits einen romtreuen oder wenigstens neutralen public discourse, andererseits einen romkritischen hidden discourse –, eine zentrale Rolle. Rothschilds Ausführungen sind weiterführend, insoweit sie darlegt, welche antiken Modelle es für versteckte Kritik gab, und dies auf die Apostelgeschichte und insbesondere deren Paulus betreffende Passagen anwendet. Die Grundfrage, wie man die politische Einstellung von Paulus (und Lukas) einschätzen soll, ist damit freilich noch nicht beantwortet.
Im engeren Sinne politische Fragestellungen behandeln nur wenige der Beiträge – innerhalb des »Graeco-Roman context« liegt ein starker Akzent auf griechischen Einflüssen, der römische Kontext bleibt etwas im Hintergrund. James R. Harrison (Paul and Ancient Civic Ethics: Redefining the Canon of Honour in the Graeco-Roman World, 75–118), stellt zunächst das System der Verteilung von Ehrungen im frühkaiserzeitlichen Römischen Reich anhand von vor allem inschriftlichen Quellen dar. Dann versucht er zu zeigen, wie Paulus die Erwartungshaltung seiner Adressaten hinsichtlich der gesellschaftlichen Verteilung von Ehre und Schande aufnimmt und zugleich durchbricht.
S. J. M. Sierksma-Agteres (Πίστις and Fides as Civic and Divine Virtues: A Pauline Concept through Greco-Roman Eyes, 525–543) macht in ihrem kurzen, aber bemerkenswerten Beitrag klar, dass ein Verständnis des paulinischen Zentralbegriffs πίστις, das diesen auf religiöse Aspekte, gar auf individuellen religiösen »Glauben«, einengt, nicht angebracht ist. Vielmehr schwingen auch dezidiert soziale und politische Aspekte mit.
Wie eingangs erwähnt, haben die Beiträge des Bandes ein sehr breites Spektrum. Doch auch wenn ein einigermaßen deutliches Ge­samtbild von Paulus in seinem griechisch-römischen Kontext noch weit entfernt ist, ja nicht einmal ein Konsens sich abzeichnet, mit welchen Herangehensweisen man ihm näherkommen könnte, sind viele Aufsätze in diesem Band ausgesprochen lesenswert.