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Ausgabe:

November/2017

Spalte:

1185–1187

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Westerholm, Stephen, and Martin Westerholm

Titel/Untertitel:

Reading Sacred Scripture. Voices from the History of Biblical Interpretation.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2016. X, 470 S. Kart. US$ 40,00. ISBN 978-0-8028-7229-6.

Rezensent:

Christof Landmesser

Die Autoren entfalten zwölf Stationen der Interpretation der bib-lischen Texte. Stephen Westerholm verantwortet die Kapitel zu Irenäus, Origenes, Chrysostomos, Augustin, Thomas von Aquin, Luther, Calvin, Wesley, Kierkegaard und Bonhoeffer und Martin Westerholm die Abschnitte zu Schleiermacher und Barth (IX). Kurzen biographischen Angaben folgen jeweils Hinweise zu besonderen Merkmalen ihrer Wahrnehmung der Bibel als Heiliger Schrift und der erforderlichen Disposition der Interpreten.
Die Vf. beginnen im Neuen Testament: The Voices of Scripture (1–28). Dieses sollte nicht wie jedes andere Buch gelesen werden (1). Paulus behaupte, Gott werde in seiner Evangeliumsverkündigung aktiv (4). Johannes wollte mit seinem Evangelium die Funktion einer Heiligen Schrift ausfüllen (21). Nach allen Autoren des Neuen Testaments werde durch sie das in Jesus Christus gesprochene Wort Gottes weitergetragen (23). Das Alte Testament (wie auch das Neue) rufe seine Leser zu einem Leben vor Gott auf (27). Die Lektüre der Schrift solle an diesem in ihr erkennbaren Ziel orientiert werden (28). – In Chapter 2: Before the Christian Bible (29–50) werden die Entstehung des Neuen Testaments und der frühchristliche Um­gang mit dem Alten Testament dargestellt. – Im Kapitel zu Irenaeus (51–66) wird notiert, dass gegen Ende des 2. Jh.s n. Chr. der Ausdruck »Schrift« bereits für die Evangelien verwendet wurde (52). Die Heilige Schrift der frühen Christen sei zunächst das Alte Testament gewesen (54). Der Gott des Alten Testaments wurde als der Gott Jesu Christi wahrgenommen (58). Irenäus entwickelte seine Sicht in der Auseinandersetzung mit Marcion und den Gnostikern. Er sehe einen Zusammenhang zwischen dem Alten und Neuen Testament (61). Die Schrift könne nur auslegen, wer den Zugriff auf ihre gesamte Botschaft habe (63). Die Auslegung sollte bei den klaren Textstellen beginnen, ambige Texte seien mit der Glaubensregel zu harmonisieren (64 f.).
Für die Vf. beginnt mit Origenes (67–100) die Bibelgelehrsamkeit (67). Die Schriftinterpretation des Origenes wird seinen theologischen Grundeinsichten zugeordnet. Er sehe keine Widersprüche in der inspirierten Schrift (76), deren Auslegung der Unterstützung des Heiligen Geistes bedürfe (79). Ein »geistlicher Sinn« verberge sich in jedem Text der Schrift, eine allegorische Interpretation der Schrift, die insgesamt über Christus schreibe (90), sei erforderlich. Die Schrift lege sich selbst aus (97). Bildung (98) und Gebet (99) seien hilfreich und erforderlich für die Auslegung, die nur durch den Heiligen Geist möglich sei, der die Verfasser der Schrift inspiriert habe (98). – Chrysostomos (101–128) wird als herausragender Prediger dargestellt. Die einfache Bedeutung des biblischen Textes sei das Medium der Offenbarung (115). Die Schrift diene der Rettung der Menschen, weshalb sich Gott in der Weise, durch die Schrift zu reden, den Menschen angepasst habe (119 f.). Zur Interpretation der Schrift bedürfe es der Erleuchtung durch Gott (126). – Augustin wird als allegorischer Schriftausleger dargestellt (129–161). Die von Gott inspirierte Schrift sei an das schwache Fassungsvermögen der Menschen angepasst (141). Das Alte Testament habe eine christologische Bedeutung (148). Die Psalmen seien christliche Schrift (153). Die Schrift müsse im Einklang mit der Lehre der Kirche ausgelegt werden (158). Jeder Text der Schrift spreche von der Liebe (159). – Für Thomas von Aquin (162–197) sei der wörtliche Sinn der Schrift als Intention der Autoren bedeutsam (167). Mit dem allegorischen, anagogischen und moralischen Sinn kenne Thomas drei »geistliche« Schriftsinne (170). Das Studium der Bibel führe in die Theologie (173). Gott als die »erste Ursache« (175) sei auch der Autor der Schrift (177). Das Ziel der Schrift sei die Erkenntnis der Liebe Gottes (187).
Für Luther (198–239) sei der Sohn Gottes das Wort Gottes, das gelte aber auch für die Schrift (201). Kenntnis von Gott hätten die Menschen nur durch die Schrift (207). Bei ihrer Lektüre wirke der Heilige Geist die innere Einsicht in das Evangelium als externem Wort (209). Die Schrift sei für das Heil der Menschen klar genug (221). Der wörtliche Sinn habe Vorrang. Der Zugang zur Schrift werde durch oratio – meditatio – tentatio erschlossen (234 f.). – Nach Calvin (240–269) werde die Offenbarung Gottes durch die Schrift erforderlich, weil die Menschen dessen in der Schöpfung bezeugte Herrlichkeit nicht sehen könnten (242 f.). Die vom Geist geleiteten Autoren vermittelten über die Schrift die himmlische Lehre (245). Die Leser bedürften desselben Geistes (247). Die Bibel sei das Buch der Ungebildeten (258), ihre Auslegung müsse möglichst einfach gehalten werden. Letztlich seien die Worte der Schrift von Gott gesprochen (262). Von den Menschen seien Ehrfurcht und Gehorsam gegenüber der Schrift gefordert (267).
Im Kapitel The Pietists and Wesley (270–297) werden Francke, Bengel und Wesley dargestellt. Für alle drei sei die persönliche Bibellektüre unter Gebet wesentlich. Die Schrift solle zu Gott führen (291). Nach Wesley sei nicht die intellektuelle Zustimmung, sondern die Einstellung des Herzens entscheidend (292). Die Bibel sei das Zentrum für die einfachen Glaubenden (295). – Schleiermacher (298–326) beschreibe einen Weg der Bibellektüre in der modernen Welt (299). Das Neue Testament sei Ausdruck des Glaubens der frühen Christen (304 f.) und damit seiner reinsten Form (307). Die Inspiration des Neuen Testaments sei vom Handeln Christi her zu denken (308 f.). Er unterscheide Altes und Neues Testament scharf. Entscheidend sei die Zuordnung der Exegese zur »historischen Theologie« (314). Das Neue Testament müsse wie jeder andere Text verstanden werden. Es bedürfe einer allgemeinen Hermeneutik (316 ff.) und der Kritik (321 ff.). Die Vf. sehen einen Paradigmenwechsel und einen Schritt in die moderne Theologie (326).
Nach Kierkegaard (327–355) müsse das Christentum persönlich gelebt werden (332). Die Lektüre der Bibel diene der Beantwortung der Frage, wie wir leben sollen (335). Letztlich stelle die Schrift jeden Menschen vor die Frage, »ob ich Gott liebe« (352). – Barths Schriftverständnis (356–388) wird in den verschiedenen Phasen dargestellt. Für ihn sei die Schrift als eine Form der Offenbarung bedeutsam; der Geist erschließe, was sie sage (374 f.). Die Schrift müsse zum Wort Gottes »werden« (375 f.). Für die Glaubenden sei der Gehorsam gegenüber der Offenbarung wesentlich (377), der Glaube sei die Voraussetzung für die Wahrnehmung der Autorität der Schrift (379). Christus selbst spreche durch die Schrift (384 f.). – Für Bonhoeffer (389–408) sei die Bibel das Buch der Kirche (392). Die Offenbarung Gottes geschehe in Person und Geschichte Jesu Christi (395), von der die Schrift Zeugnis ablege (396). Das Lebensschicksal Bonhoeffers wird als mit seiner Sicht der Schrift eng verbunden dargestellt. Er habe das Alte Testament christologisch interpretiert, die Psalmen als Gebetbuch Jesu verstanden und den Gott des Alten Testaments als den Gott der Christen wahrgenommen (402–404). Auch für ihn beginne die Bibellektüre mit dem Gebet.
Im Kapitel Beyond the Sacred Page (409–426) meinen die Vf., dass alle Autoren durch die Lektüre der Bibel als Heilige Schrift in die Gottesgegenwart gekommen seien (409). Die Vf. verstehen es nicht nur in diesem Abschnitt, Bezüge der Autoren untereinander durchsichtig zu machen. Die große Bedeutung der Bibel für die christliche Tradition wird kundig entfaltet. Freilich wird die kritische Bibellektüre von den Vf. unterschätzt. Autoren wie Lessing, Gabler, Baur und vor allem Bultmann werden nicht wahrgenommen. So bleibt eine wichtige Reflexionsdimension in diesem dennoch gewinnbringenden Buch ausgeblendet.