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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1258 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Schwens-Harrant, Brigitte

Titel/Untertitel:

Erlebte Welt - Erschriebene Welten. Theologie im Gespräch mit österreichischer erzählender Literatur der Gegenwart.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia 1997. 269 S. 8 = Salzburger Theologische Studien, 6. Kart. öS 340.-. ISBN 3-7022-2095-X.

Rezensent:

Johann Holzner

Der Dialog zwischen der Theologie und der zeitgenössischen Literatur gerät, obwohl in letzter Zeit öfters versucht worden ist, ihn zu fördern, immer wieder ins Stocken. Aber das weit verbreitete Vorurteil, das besagt, die Themen, die in der Literatur verhandelt werden, wären eben kaum theologisch relevant, ist dennoch zu korrigieren: Es sind weniger die Themen, es sind die Verfahrensweisen der Gegenwartsliteratur, die der Theologie oft genug fremd, jedenfalls schwer zugänglich sind.

Brigitte Schwens-Harrant, Mitarbeiterin im Literarischen Forum der Katholischen Aktion Österreichs und Redakteurin eines außergewöhnlich informativen Fernkurses für Literatur, geht denn auch in dieser Untersuchung konsequent von dem Ansatz aus, daß die in der Literatur aufgehobenen Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen, ihre Menschen- und Weltbilder nach wie vor die Theologie interessieren müßten, und zwar völlig unabhängig davon, ob traditionelle religiöse Stoffe, Motive, Metaphern weiter eine Rolle spielen oder ganz ausgeblendet werden. Ihr Hauptaugenmerk gilt also Werken, die vordergründig theologische Fragen höchstens am Rande oder sogar nirgends thematisieren; und ihr Hauptanliegen ist es, Zugänge zu diesen Werken zu öffnen, um schließlich aufzuweisen, daß die in den ästhetischen Strukturen dieser Literatur beinah immer angelegte Mehrdeutigkeit nicht nur feste Standpunkte zu erschüttern, sondern auch neue Bilder zu erzeugen imstande ist. Bilder von Menschen, Bilder von der Welt, die es verdienen würden, in theologischen Debatten berücksichtigt zu werden.

Über die Auswahl der Werke ließe sich trefflich streiten. Sch.-H. konzentriert sich nämlich auf Erzählungen und Romane österreichischer Autorinnen und Autoren, klammert dabei die Berühmten, Thomas Bernhard und Peter Handke, vollständig aus (weil über deren Arbeiten einschlägige Analysen schon vorliegen) und nimmt an ihrer Stelle auch einige Außenseiter des Literaturbetriebs auf. Immerhin, mit Büchern von Christoph Ransmayr, Michael Köhlmeier, Norbert Gstrein, Inge Merkel, Reinhard P. Gruber, Peter Henisch, Alois Hotschnig, Anna Mitgutsch, Rudolf Habringer, Barbara Frischmuth und Robert Menasse ist hier ein ziemlich breites Spektrum der österreichischen Gegenwartsliteratur vertreten; und auch wenn in diesem Panorama einige wichtige Stimmen fehlen (am meisten vielleicht, weil sie gerade in einem postmodern-theologischen Kontext für Aufregung sorgen könnte, die Stimme von Friederike Mayröcker), ist die hier getroffene Auswahl gleichwohl hinreichend brisant. Denn sie konfrontiert die Theologie mit einer langen Reihe literarischer Figuren, die sich mit allen ihren Kräften von jeder Institution, von jeder Ideologie, auch von jeder Glaubensgemeinschaft abwenden.

Entdecker, Abenteurer, Versager, Figuren jedenfalls, die aus der Gesellschaft gerne ausgegrenzt werden oder aber sich selbst ausgrenzen, stehen in diesen Werken im Mittelpunkt. Träumer, Spieler, die auf alle möglichen Wege und Abwege geraten. Im poetischen Geflecht der zeitgenössischen Prosa (die österreichische kann ohne weiteres als Paradigma dienen) geraten sie jedoch zugleich in ein flimmerndes Licht: einerseits Identifikationsfiguren, andrerseits Repräsentantinnen und Repräsentanten extremer Außenseiterpositionen, brechen sie, statt selbst Orientierungen zu geben, nur die gewohnten Orientierungsmuster auf. - Abgesehen von dem Sonderfall Inge Merkel, deren Roman "Die letzte Posaune" stark zu Verallgemeinerungen tendiert, durchkreuzen alle diese Werke permanent jede Erwartung, die Literatur könnte noch unmißverständliche Botschaften vermitteln. Weil längst andere Disziplinen diese Aufgabe übernommen haben, sieht sich die Literatur der Verpflichtung zu führen und zu verführen entbunden. Im Raum der Fiktion gehen Ziel und Zweck schnell verloren. Stattdessen sind allerdings Einblicke zu gewinnen in Welten, in erschriebene Welten, deren Betrachtung manchmal wohl Kopfschütteln auslösen, manchmal aber auch den Blick schärfen kann auf das, was sich in der realen Welt zuträgt.

Sch.-H. versteht Literatur nicht als Institution, vielmehr als kommunikative Aktivität. Von diesem methodischen Ausgangspunkt her, den sie im ersten Teil der Darstellung im übrigen ausführlich erläutert und eindringlich begründet, entwickelt sie umsichtig immer neue Interpretationsansätze zu den ausgewählten Erzählungen und Romanen. Sie bezieht dabei selten, vielleicht zu selten, selbst eine fest-verankerte Position (weshalb auch die Bücher von Köhlmeier, Mitgutsch und Merkel von jeder Kritik fast verschont bleiben). Aber eben das ist die zentrale Intention dieser Monographie: nämlich darauf hinzuweisen, was alles im Akt der Lektüre, wenn sie sich nicht von vorgegebenen Fragestellungen und Interpretationsrastern leiten läßt, zu sehen, zu erkennen, zu erleben wäre.