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Ausgabe:

November/2017

Spalte:

1173–1175

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Gribetz, Sarit Kattan, Grossberg, David M., Himmelfarb, Martha, and Peter Schäfer [Eds.]

Titel/Untertitel:

Genesis Rabbah in Text and Context.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. IX, 288 S. = Texts and Studies in Ancient Judaism, 166. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-154702-7.

Rezensent:

Günter Stemberger

Der Band, der auf eine Tagung in Princeton 2013 zurückgeht, ist der erste umfassendere Beitrag zu Genesis Rabbah (GenR) seit Langem, in Englisch überhaupt der erste. Die Herausgeber Gribetz und Grossberg betonen in der Einführung die Neuheit von GenR innerhalb der rabbinischen Literatur, so etwa die erstmalige Verwendung der Petiḥa als wesentliches Element für die Komposition des Werks. Zugleich war seine Edition durch J. Theodor, vollendet durch Ch. Albeck (1912–1936) die erste große kritische Ausgabe einer rabbinischen Schrift. Die Einführung kontextualisiert GenR innerhalb der Midraschliteratur und führt dann in die einzelnen Beiträge des Bandes ein, die je zur Hälfte den Text in Beziehung zu anderen rabbinischen Werken analysieren sowie die kulturellen, religiösen und politischen Kontexte des Midrasch untersuchen.
Den ersten Teil eröffnet M. Sokoloff, der seit seiner Jerusalemer Dissertation von 1971 eine Reihe von grundlegenden Studien zum Text von GenR vorgelegt hat. In seinem Beitrag »Major Manuscripts of Genesis Rabbah« zeichnet er die Entwicklung des Textes seit Beginn des Buchdrucks nach. J. Theodor setzte mit seiner Edition ab dem späten 19. Jh. neu bei den Handschriften ein; er wählte MS British Museum als Basis, obwohl er Vatikan 30 schon kannte, das Sokoloff in dem auf die erste Hand zurückgehenden Teil als wichtigstes Manuskript erkannte; dazu kommen nun auch zahlreiche Geniza-Fragmente, wovon die Palimpseste besonders wichtig sind. Auch wenn er die Ausgabe Theodor-Albeck noch im­mer als bisher beste Edition eines haggadischen Midrasch ansieht, fordert er eine neue Edition auf Basis aller nun bekannten Textzeugen.
S. K. Gribetz, »Between Narrative and Polemic: The Sabbath in Genesis Rabbah and the Babylonian Talmud«, sieht GenR 11 als Antwort auf die nichtjüdische Polemik gegen den Sabbat. Zwar war der Sabbat auch in der paganen Umwelt attraktiv, doch wirkt, wie GenR betont, der Wohlgeschmack und köstliche Geruch des Sabbatmahls nur bei denen, die den Sabbat auch einhalten. Der Talmud (bShab 119a–b) stützt sich wohl auf eine mit GenR gemeinsame mündliche Quelle, kennt aber noch nicht GenR als Ganzes. Was die Sabbatpolemik in Babylonien bezweckt, muss offen bleiben – spätere Texte wie der Tanchuma und Pirqe de-R. Eliezer preisen den Sabbat, übergehen aber die Polemik um ihn völlig. P. Schäfer, »Genesis Rabbah’s Enoch«, sieht in der negativen Darstellung He­nochs in GenR 25,1, die völlig im Kontrast zur so positiven Zeichnung Henochs im hellenistischen Judentum, in Heb 11 und bei den Kirchenvätern steht, antichristliche Polemik. Ch. Milikowsky, »Into the Workshop of the Homilist: Comparison of Genesis Rabbah 33:1 and Leviticus Rabbah 27:1«, versucht die komplexe Entstehung der parallelen Texte zu Gottes Gericht über Gerechte und Böse nachzuzeichnen; immer wieder sei LevR ursprünglicher als GenR, enthalte aber auch sekundäre Erweiterungen. Die mit Synopsen gestützte Rekonstruktion der Entstehung beider Texte ist zwar plausibel, bleibt aber doch sehr hypothetisch.
M. Himmelfarb, »Abraham and the Messianism of Genesis Rabbah«, befasst sich mit den wenigen messianischen bzw. eschatologischen Abschnitten in GenR. Christologisch gedeutete Texte wie Ps 45 und 110 bezieht der Midrasch auf Abraham, dem er auch Wunder und Heilungen zuschreibt und den er mit der Erschaffung der Welt verbindet (vgl. Joh 1,2: »Alles ist durch das Wort geworden«). GenR wehrt den christlichen Anspruch ab, Abraham sei der Vater der Völker, zeichnet Abraham vielmehr voll als Gegenstück zum christlichen Erlöser. C. Bakhos, »The Family of Abraham in Genesis Rabbah«, führt diese Thematik fort. Bei allen Berührungen mit dem Neuen Testament sieht sie keinen Beweis, dass GenR die Aussagen des Neuen Testaments über Abraham kennt; doch zeige der Vergleich, wie sehr das Bild Abrahams verschieden gezeichnet werden kann (auch innerhalb von GenR).
M. Niehoff, »Origen’s Commentary on Genesis as a Key to Genesis Rabbah«, bietet einige Ergebnisse ihres größeren Forschungsprojekts zu den Beziehungen zwischen Origenes und GenR. Origenes kannte Traditionen, die dann auch in GenR überliefert sind, und trägt damit auch zur Entstehungsgeschichte des Midrasch bei; ebenso zeigt der Vergleich die gemeinsame Einbettung in der hellenistischen Hermeneutik. Auf die vollen Ergebnisse des Vergleichs kann man schon gespannt sein.
L. Lieber, »Stage Mothers: Performing the Matriarchs in Genesis Rabbah and Yannai«, versucht eine vergleichende rhetorische Analyse; sowohl Midrasch wie auch Piyyut seien wesentlich theatralisch, auch wenn der Midrasch mit seinem Mosaik verschiedener Meinungen zu den Erzmüttern sich gewaltig vom emotionaleren, in sich einheitlichen, Persönlichkeitsbild der Frauen im Piyyut unterscheidet.
J. Levinson, »Composition and Transmission of the Exegetical Narrative in Genesis Rabbah«, studiert die vielen narrativen Dubletten in GenR im Blick auf die schichtweise Entwicklung des Textes, die sekundären Erweiterungen und Wiederverwendungen von Erzähleinheiten in GenR. Auch D. M. Grossberg, »On Plane-Trees and the Palatine Hill: Rabbi Yishmael and the Samaritan in Genesis Rabbah and the Later Palestinian Rabbinic Tradition«, analysiert Parallelerzählungen in GenR, um zu zeigen, wie in derselben Sammlung stabile und bewegliche Elemente derselben Tradition nebeneinander existieren können. M. Lockshin, »Peshat in Genesis Rabbah«, zeigt, wie auch GenR den einfachen Wortsinn (peshat im Verständnis der jüdischen Auslegung im Mittelalter) kennt, doch gewöhnlich den Midrasch bevorzugt, außer wenn der Peshat der Polemik gegen christliche und andere Auffassungen dienen kann. M. Hirshman schließlich, »The Final Chapters of Genesis Rabbah«, befasst sich mit dem unvollständigen Schluss des Mid­rasch und zeigt an Varianten in MSS, aber auch in anderen Midraschim, dass ursprünglich wohl der Jakobssegen eschatologisch-messianisch verstanden wurde, was andere Rabbinen ablehnten und unterdrückten. Das Grundkonzept von ganz GenR sei demnach die Geschichte des jüdischen Volkes von der Schöpfung bis zur erhofften Erlösung.
Diese kurze Zusammenfassung kann den großen Reichtum des Sammelbandes nur unvollkommen andeuten. Seine einzelnen Beiträge sind durch das präzise Bemühen um die Überlieferung und Entwicklung des Textes des Midrasch zusammengehalten, zu­gleich durch die Befassung mit der Theologie seiner Tradenten und die Auseinandersetzung mit dem Christentum und anderen ab­weichenden Auslegungen. Einzelne Beiträge mögen dem Leser vielleicht zu technisch und am kleinen Detail hängend wirken, andere als zu hypothetische Rekonstruktionen. Beides ist wichtig, um die verschiedenen notwendigen Zugänge der Arbeit am Text zu illustrieren. Insgesamt vermitteln die Beiträge jedenfalls eine Fülle von Einsichten in diesen Midrasch als wesentliches Werk der rabbinischen Literatur, als vielfältigen Ausdruck rabbinischer Theologie und Reaktion auf die nichtjüdische Umwelt. Der Band bietet mit seinen unterschiedlichen Beiträgen die beste allgemeine Einführung in GenR, die es derzeit gibt.