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Ausgabe:

November/2017

Spalte:

1137–1152

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Karin Finsterbusch und Armin Lange

Titel/Untertitel:

Zur Textgeschichte des Jeremiabuches in der Antike
Überblick und neue Einsichten

Das Buch Jeremia gehört zu den biblischen Büchern, die eine ausgesprochen komplexe Textgeschichte haben. Ein Indiz dafür ist, dass das in der Zeit des zweiten Tempels entstandene Buch vollständig in zwei Textfassungen erhalten ist, die sich grundlegend in Bezug auf Umfang (Differenz von ca. einem Siebtel), Aufbau (un­terschiedliche Position und Reihenfolge der Fremdvölkersprüche) und Profil (unterschiedliche Schwerpunkte) unterscheiden, zudem gibt es viele Fälle, bei denen sich kleinere Texteinheiten zwar formal entsprechen, inhaltlich jedoch etwas anderes besagen: Die eine Textfassung ist der MT-Jer (die frühesten Handschriften des volls tändigen Textes stammen aus dem Mittelalter), die andere die LXX-Jer (die frühesten Handschriften des vollständigen Textes stammen aus dem 4. Jh. n. Chr.). Im folgenden Übersichtsartikel sollen zentrale forschungsgeschichtliche Fakten und Thesen zur Textgeschichte des Buches in der Antike vorgestellt werden.
Im Mittelpunkt von Teil 1 stehen die wichtigsten antiken Textzeugen. Durch sie lassen sich Informationen in Bezug auf grundlegende Fragen nach der Art und Weise der Textentwicklung, nach der hebräischen Vorlage der LXX-Jer und nach der Entstehungszeit der Textfassungen gewinnen. In Teil 2 geht es um das in der Forschung umstrittene entstehungsgeschichtliche Verhältnis der Textfassungen. Hier werden alte und neue Gründe für die von uns mit der Mehrheit der Textkritiker vertretene These vorgestellt, dass die proto-masoretische Textfassung des Jeremiabuches grosso modo jünger als die hebräische Fassung ist, die dem griechischen Übersetzer(kreis) vorlag, der für die LXX-Jer verantwortlich war. In Teil 3 wird auf die mutmaßliche Entstehungszeit der proto-masoretischen Buch-Redaktion eingegangen.

I Die wichtigsten antiken Textzeugen
Aus der Zeit des zweiten Tempels sind fragmentarisch neun he­bräische Jeremiahandschriften (Schriftrollen) erhalten (I.1). Einige fragmentarisch erhaltene griechische Jeremiatexte stammen aus dem 2. bis 3. Jh. n. Chr., der vollständige Text findet sich in den im 4. Jh. n. Chr. geschriebenen Codices Vaticanus und Sinaiticus (I.2). Von textkritischer Aussagekraft sind ferner Zitate von jeremianischen Texten und Anspielungen (hebräisch und griechisch) in der antiken jüdischen Literatur (I.3).

1. Die hebräischen Jeremiahandschriften aus der Zeit des zweiten Tempels


Sechs der neun hebräischen Jeremiahandschriften1 (mit kaum überlappendem Text2) stammen mit Sicherheit aus der Qumranbibliothek (2QJer, 4QJera, 4QJerb, 4QJerc, 4QJerd, 4QJere). Angesichts der kleinen Textmenge von XJer? – ein kleines Fragment mit nur wenigen Worten (11 Buchstaben), u. a. von Jer 48, 29–31, das sich im Besitz der Foundation on Judaism and Christian Origins befindet – ist nicht auszuschließen, dass das Fragment nicht von einer Jeremia-Handschrift stammt, sondern dass es sich lediglich um ein Zitat handelt. Das Fragment aus der Schøyen Sammlung mit der Nummer Ms Schøyen 4612/9, das Teile von Jer 3,15–19 enthält, ist unklarer Provenienz, ebenso das Fragment aus der Green Sammlung DSS F.Jer2 mit Teilen von Jer 23,6–9. Im Folgenden seien einige, für Fragen der Textgeschichte des Jeremiabuches besonders bedeutsame Befunde be­schrieben.

1.1 Ein proto-masoretischer Text: 4QJera (4Q70)

4QJera (4Q70), die älteste in Qumran gefundene Jeremiahandschrift, wird datiert zwischen 225 und 175 v. Chr.3 Von dieser Handschrift sind ca. 50 Fragmente erhalten, davon können 14 Fragmente textlich nicht mehr erschlossen werden. 36 Fragmente mit 728 zum Teil nur partiell erhaltenen Worten stammen aus insgesamt 15 Kolumnen aus der ersten Hälfte des Buches. In der Orthographie stimmt die Handschrift meist mit dem späteren MT überein. Achtzehn Mal finden sich in der Handschrift nichtorthographische supralineare Korrekturen von erster und/oder zweiter Hand, die beiden Hände lassen sich nicht immer sicher unterscheiden. Auf jeden Fall sind die Korrekturen beider Hände in archaischer Schrift geschrieben worden, dies bedeutet, dass auch die Korrekturen der zweiten Hand (so z. B. der Nachtrag des wohl durch Parablepsis ausgefallenen Abschnitts Jer 7,30–8,3 in Kol. III)4 wahrscheinlich aus der Zeit unmittelbar nach der Entstehung der Handschrift stammen. Die Korrekturen lassen sich in siebzehn Fällen (also mit Ausnahme des erwähnten größeren Textnachtrags) als Verbesserungen von kleineren Abschreibfehlern verstehen. Auffallend ist, dass die Textkorrekturen überwiegend in Richtung des MT-Jer gehen. Werden die Textkorrekturen berücksichtigt, ergibt sich das Bild einer proto-masoretischen Handschrift. Um dies in der Sprache der Textkritik zu formulieren: Im Vergleich mit den Textzeugen MT-Jer und LXX-Jer stimmt die korrigierte Handschrift bei den Varianten 57 Mal mit dem MT-Jer und nur zwei Mal mit dem von der LXX-Jer bezeugten Text überein; in fünf Fällen hat sie eigenständige Les-arten.

Da, wie die Schreibfehler zeigen, die Handschrift kein »Autograph« war, sondern von einer älteren Vorlagenrolle abgeschrieben wurde, ergibt sich von hier aus ein terminus ante quem für die proto-masoretische Textfassung des Jeremiabuches: Diese muss grosso modo spätestens gegen Ende des 3. Jh.s v. Chr. vorgelegen haben.

1.2 Ein semi-masoretischer Text: 2QJer (2Q13)

Die jüngste in Qumran gefundene Jeremiahandschrift 2QJer (2Q13) stammt aus herodianischer Zeit, und zwar aus der ersten Hälfte des 1. Jh.s n. Chr.5 Von den 27 Fragmenten können zehn textlich nicht mehr erschlossen werden. Sicher identifizierbar ist Text aus Jer 42–49. Die Reihenfolge der Kapitel im Hinblick auf die Position der Fremdvölkersprüche entspricht dem MT-Jer. Allerdings weist die Handschrift in 13 Fällen einen eigenständigen Text auf. Ein Beispiel dazu aus dem Moabspruch:

MT-Jer 48,29: Wir haben gehört den Hochmut Moabs – (er ist) sehr hochmütig – seine Hoffart und seinen Hochmut und seinen Stolz und die Überheblichkeit seines Herzens
LXX-Jer 31,29: Ich habe gehört den Hochmut Moabs – er ist sehr hochmütig gewesen – seinen Hochmut und seinen Stolz, und überheblich ist gewesen sein Herz
2QJer hat:6 ובבל ם[ורו ]ותואגו[ ו]נניאו ונואג [דוא]מ הא[ג ]באומ ןואג אנ ועמש: Hört nun den Hochmut Moabs – (er ist) s[ehr] [ho]chmütig – seinen Hochmut – und [er] ist nicht (mehr)! – und seinen Stolz [und die Überheblich]keit seines Herzens.

Von ein- und derselben Stelle sind also im Hinblick auf den Sprecher und die Spruch-Adressatenschaft insgesamt drei verschiedene Versionen bezeugt. Diese Vielfalt steht hier wahrscheinlich in Zusammenhang mit der ausgesprochen komplexen Rhetorik und der besonders schwierigen Überlieferungsgeschichte des Moabspruchs insgesamt (Paralleltexte z. B. in Jesaja).

1.3 Texte, die der hebräischen Vorlage der LXX-Jer nahekommen: 4QJerb (4Q71), Ms Schøyen 4612/9 und DSS F.Jer2

4QJerb (4Q71) wurde bereits 1973 von John G. Janzen, einem Schüler von Frank M. Cross, veröffentlicht.7 Die Handschrift stammt aus der zweiten Hälfte des 2. Jh.s v. Chr.8 Von ihr ist nur ein Fragment mit 31 zum Teil nur partiell bewahrten Worten von Jer 9,22–25; 10,1–5.11–21 erhalten. 4QJerb lässt sich textkritisch aufgrund der mehrfachen Varianz (mit dem masoretischen ebenso wie dem von der LXX bezeugten Text) nicht eindeutig klassifizieren. Dessen un­geachtet ist entscheidend, dass trotz der wenigen erhaltenen Worte die Versfolge Jer 10,5a.9.5b.11 erkennbar ist; deutlich ist zudem, dass die Verse Jer 10,6–8.10 im Text nicht vorhanden waren. In diesen beiden Punkten entspricht der Text der Handschrift dem Text der LXX-Jer. Damit ist durch 4QJerb in Bezug auf eine Passage, in der MT-Jer und LXX-Jer textlich erheblich voneinander abweichen, belegt, dass es einen nicht-masoretischen hebräischen Text gegeben hat, der in etwa der Vorlage der LXX-Jer an dieser Stelle entsprochen haben muss (und dass es also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht der griechische Übersetzer[kreis] war, der hier den Text im Zuge der Übersetzung weitreichend um­gestaltet hat).9

Die erst 2016 veröffentlichte Handschrift Ms Schøyen 4612/9 stammt wahrscheinlich aus den Jahren 100–40 v. Chr.10 Erhalten ist ein Fragment von Jer 3,15–19 mit 31 Worten (zum Teil nur partiell bewahrt). Besonders wichtig ist eine Variante in V. 19:

MT-Jer 3,19 (Auszug): Und ich (i. e. JHWH), ich sprach: Wie sehr werde ich dich einsetzen unter den Söhnen/Kindern …
LXX-Jer 3,19 (Auszug): Und ich (i. e. Jeremia), ich sprach: Es möge geschehen, Kyrios, nämlich (was du gesprochen hast): Ich werde dich einsetzen unter den Söhnen/Kindern …
In Ms Schøyen 4612/9 ist vom Satz folgender Text erhalten: ]כ יכ הוהי ןמא: Amen, JHWH, nämlich ?[.

Der hebräische Text von Ms Schøyen 4612/9 stimmt inhaltlich mit dem Text der LXX weitgehend überein (das sprechende Ich ist nicht wie im MT Gott, sondern Jeremia, der sich, die Rede Gottes unterbrechend, an Gott wendet). Damit dürfte ein weiteres Mal in Bezug auf einen signifikanten Textunterschied belegt sein, dass der griechische Übersetzer(kreis) eine hebräische Vorlage hatte, die kein proto-masoretischer Text war.

2016 wurde auch die wohl aus der Mitte des 1. Jh.s v. Chr. stammende Handschrift DSS F.Jer2 aus der Green-Collection (Museum of the Bible SCR.003172) veröffentlicht.11 Erhalten ist nur ein Fragment mit 26 Worten und Wortresten von Jer 23,6–9. Im Hinblick auf die Position von V. 7 f. entspricht der Text zwar dem MT-Jer (in der LXX-Jer folgen die beiden Verse nach 23,40), zweimal aber stimmt der Text in V. 8 mit dem der LXX überein: Die Handschrift hat erstens [ע]רז לכ (LXX: ἅπαν τὸ σπέρμα) »den ganzen Same[n]«, im MT fehlt לכ; und sie hat zweitens םח{ה}ידה12 (LXX: ἐξῶσεν αὐτούς) »er hat sie verstoßen«, im MT steht םיתחדה »ich habe sie verstoßen«. Die beiden Übereinstimmungen zeigen, dass auch bei kleineren Textunterschieden zwischen LXX-Jer und MT-Jer damit zu rechnen ist, dass diese mit einem nicht dem MT entsprechenden he­bräischen Vorlagentext der LXX-Jer zusammenhängen. Nur darauf hingewiesen werden soll hier noch, dass der Mischbefund des Fragments der Handschrift DSS F.Jer2 auch für die hebräische Vorlage der LXX-Jer auf eine komplexe Wachstumsgeschichte hindeutet.

1.4 Textveränderungen durch (Kopisten-)Schreiber und Redaktoren: Der Fall 4QJerd (4Q72a)

Die Handschrift 4QJerd (4Q72a) stammt aus der ersten Hälfte des 2. Jh.s v. Chr.13 Erhalten ist nur ein einziges Fragment von neun Zeilen, das Reste von Jer 43(50),2–10 mit 63 zum Teil nur partiell be­wahrten Worten bietet. Aufschlussreich ist die Varianz in V. 5 f.:

MT-Jer: Und es nahm Johanan, der Sohn Kareachs, und alle Oberen der Streitmächte den ganzen Rest Judas, (alle,) die zurückgekehrt waren, aus allen Nationen, wo sie verstoßen worden sind dorthin, zu wohnen im Land Juda, die Männer …
LXX-Jer: Und es nahm Johanan und alle Oberen der Streitmacht den gan-zen Rest Judas, (alle,) die zurückgekehrt waren, zu wohnen im Land, die Männer …
4QJerd hat:14 רשא הדוהי] תיראש לכ תא םלי[ח]ה יר[ש לכו] ןנח[י ח]קיו םירבגה תא םש[ וחד]נ ר[שא םיוגה לכמ ובש: Und es nah[m Jo]hanan [und alle O]beren der Streitmacht den ganzen Rest [Judas, (alle,) die zurückgekehrt waren, aus allen Nationen, w]o [sie verstoßen worden sind] dorthin, die Männer …

In 4QJerd nicht bezeugt ist der Satzteil »zu wohnen im Land«, der sich aber in den beiden anderen Textfassungen findet. Ferner ist 4QJerd und MT-Jer gemeinsam ein Satzteil, der in der LXX-Jer fehlt (»aus allen Nationen, wo sie verstoßen worden sind dorthin«). Diese beiden Satzteile lassen sich am besten als punktuelle textliche Zusätze von »(Kopisten-)Schreibern«15 erklären. Gemeint sind da­mit Schreiber, die keiner systematisch arbeitenden Redaktion zu­zuordnen sind (und die bis zur Standardisierung der Texte frü-hestens im ausgehenden 1. Jh. v. Chr.16 in einem gewissen Rahmen frei waren, den Text der einzelnen Handschriften zu verändern)17. In Bezug auf eine solche Redaktion ist der Vergleich der Textfassungen im Hinblick auf den gesamten Abschnitt Jer 43(50),2–10 aufschlussreich: Im Unterschied zu 4QJerd und LXX-Jer 50,2–10 enthält MT-Jer 43,2–10 mehrere kleinere Ergänzungen von Namen und Titeln (z. B. »der Sohn Kareachs«, »Juda«, »der Großmeister der Leibwache«, »der Sohn Schafans«). Derartige Ergänzungen lassen sich auch in anderen Texten des MT-Jer nachweisen (siehe dazu unten unter II.2). Dahinter stand also mit hoher Wahrscheinlichkeit eine proto-masoretische Buch-Redaktion.

Die hebräischen antiken Jeremiahandschriften lassen trotz ih­res fragmentarischen Zustandes in Bezug auf die Textüberlieferung ein vielschichtiges Bild erkennen. Es existierten, um einen Ausdruck aus der aktuellen Textkritik zu verwenden, sicherlich einige Jahrhunderte lang gleichzeitig »variant editions«18 von Jeremia. Die proto-masoretische Textfassung des Jeremiabuches und die Textfassung, die die hebräische Vorlage für die griechische Übersetzung bildete (beide Textfassungen sind als Ganze aus der Zeit des zweiten Tempels nicht erhalten), lassen sich vielleicht am besten als »extreme« Repräsentanten einer sich bis zur Standardisierung der Texte im Fluss befindlichen jeremianischen Texttradition verstehen.

2. Die ältesten Textzeugen der griechischen Übersetzung des Jeremiabuches


Der terminus ante quem der griechischen Übersetzung des Jeremiabuches ist das Ende des 2. Jh.s v. Chr. (siehe zur Begründung unten unter I.3). Die ältesten griechischen Handschriften mit Jeremiatexten sind fragmentarisch erhalten. Papyrus Ann Arbor, Uni-versity of Michigan, P. Mich. Inv. 3689 (Jer 18,3–6),19 und Papyrus Chester Beatty Library VIII (Jer 4,30–5,1.9.23 f.; Rahlfs, 966)20 stam-men aus dem 2.–3. Jh. n. Chr.; Papyrus Berlin, Ägyptisches Museum P. 17212 (Jer 2,2–3,25 mit Lücken; Rahlfs, 837), stammt aus dem 3. Jh. n. Chr.21 Die ältesten vollständig erhaltenen und von der Hexapla des Origines nicht bzw. wenig beeinflussten griechischen Übersetzungen des Jeremiabuches (d. h. nicht in Richtung des standardisierten masoretischen Textes korrigierten griechischen Übersetzungen) finden sich in den Mega-Codices Vaticanus (B) und Sinaiticus (S), die einige Jahrhunderte nach der »ursprünglichen« Übersetzung, nämlich im 4. Jh. n. Chr. angefertigt wurden. Ihr Text gilt grosso modo als »Old Greek«: So hielt ihn Josef Ziegler, der Herausgeber des Jeremia-Bandes in der kritischen Göttinger Septuaginta-Edition,22 »für den ältesten und vielfach auch den besten«, und Ziegler bevorzugte deshalb die Lesarten der beiden Codices, »falls sie nicht deutlich als verderbt oder sekundär erkannt wurden«23. Insgesamt unterschätzt hat Ziegler wohl die (noch kaum aufgearbeitete) Vetus Latina (direkte Übersetzungen der griechischen Übersetzungen im 2.–3. Jh. n. Chr.), insbesondere die Evidenz eines ihrer ältesten und besten Textzeugen, des Codex Wirceburgensis (ca. 5. oder 6. Jh. n. Chr.), eines Palimpsests mit mehreren eigenständigen Kurzlesarten in den fragmentarisch erhaltenen jeremianischen Texten.24

Angesichts von Unterschieden in der Semantik bzw. vom Wechsel der Äquivalenzen in LXX-Jer 1–28 und 29–52 (z. B. wird die Formel הוהי רמא הכ »so hat gesprochen JHWH« ab Jer 30,1 mit οὕτως εἶπε κύριος »so hat gesprochen Kyrios« übersetzt, davor mit τάδε λέγει κύριος »dies spricht Kyrios«) ist in der Forschung umstritten, ob es einen Übersetzerwechsel gab (Henry St. J. Thackeray25), ob LXX-Jer 29–52 als spätere Überarbeitung der ursprünglichen Übersetzung zu beurteilen ist (Emanuel Tov26), oder ob die Unterschiede durch den Kontext zu erklären sind (Albert Pietersma27). Unbeschadet dieser Unterschiede kann in Bezug auf den Gesamttext mit den beiden Übersetzern der LXX-Jer in NETS, Albert Pietersma und Marc Saunders, festgehalten werden, dass »the most basic norm of the translator […] that of isomorphism« war, das heißt »typically each morpheme of the source text is represented in the target text«28. Als weiteres Hauptmerkmal lässt sich mit Hermann-Josef Stipp, Anneli Aejmelaeus, Georg A. Walser, Richard Weis, Karin Fins­terbusch und Norbert Jacoby die möglichst genaue Nachahmung der hebräischen Wortfolge und Satzstruktur angeben,29 denn es klingt durch jeden einzelnen griechischen Satz unverkennbar die hebräische Sprache durch.30 Dabei bemühte sich der Übersetzer(kreis) durchaus um ein gutes Griechisch (in Bezug auf die Qualität des Griechischen ist die Jeremiaübersetzung bislang wohl eher unterschätzt). Der Übersetzer(kreis) übersetzte nicht »mechanisch« oder »wortwörtlich«, wenn dies aus seiner Sicht dem Textsinn nicht dienlich war, sondern mit großer Sensibilität und Sorgfalt (wie z. B. an der Verwendung des Numerus oder der Zeiten, Aspekte und Modi erkennbar ist)31.

All dies zeigt das zentrale Interesse des Übersetzer(kreise)s: Er wollte das ihm vorliegende hebräische Jeremiabuch so »original-getreu« und so »gut« wie möglich seiner griechischsprechenden Adressatenschaft nahebringen. Im Hinblick auf die in der Forschung immer noch heftig umstrittene Frage nach der hebräischen Vorlage bedeutet dies: Es ist gegen Georg Fischer, Andreas Vonach und Shimon Gesundheit32 unwahrscheinlich, dass diese hebräische Vorlage eine proto-masoretische Jeremiahandschrift war, die der Übersetzer(kreis) dann in großem Stil eigenhändig umstrukturierte und interpretierend veränderte. Dieser hebräische Vorlagentext muss sich vielmehr in zentralen Punkten von dem proto-masoretischen Text unterschieden haben; die Existenz eines solchen nicht-masoretischen Vorlagentextes wird ja in den er­haltenen Teilen der antiken Handschriften 4QJerb, 4QJerd, Ms Schøyen 4612/9 und DSS F.Jer 2 auch tatsächlich belegt.

Eine offene Frage ist, warum der griechische Übersetzer(kreis) eine nicht-masoretische Fassung übersetzt hat (Zufall? höheres Alter? Zugänglichkeit der Handschriften? höhere Textautorität in den Augen des Übersetzer[kreise]s?).

3. Zitate und Anspielungen in der jüdischen Literatur des zweiten Tempels


Das Jeremiabuch wurde sowohl in der jüdischen als auch der christlichen antiken Literatur intensiv rezipiert. Eine umfassende textkritische Untersuchung aller Zitate von und Anspielungen auf Jeremia in diesen Literaturen steht noch aus. Für die ca. 200 Zitate und Anspielungen in der jüdischen Literatur gibt es einige Vorarbeiten.33 Mehrere Teiluntersuchungen haben ergeben, dass im hebräischen Buch Ben Sira, in der Kriegsrolle und in den Hodayot semi-masoretischer bzw. proto-masoretischer Jeremiatext zitiert bzw. auf einen solchen angespielt wird.34 Für die Datierung von MT-Jer sind folgende Zitate von masoretischen Lesarten und typischen Langtexten bzw. Anspielungen auf sie von Bedeutung:35

– Jer 2,7 in Neh 9,36
– Jer 17,9 in 4QInstructiond 8 12
– Jer 17,13 in 4QInstructiond 103 ii 6
– Jer 20,5 in Aramaic Levi Document 13:11
– Jer 26(33),18 in 4QNarrative and Poetic Compositionb 1 8
– Jer 31(38),13 in Esth 9,22
– Jer 33(40),8 in 11QPsa XIX:13 (= Plea for Deliverance)
– Jer 33,16 in Sach 14,11
– Jer 33,16 in 4QProphecy of Joshua (= 4QapocrJoshc?) 9 ii 8

Alle angeführten rezipierenden Texte (also Trito-Sacharja, Esther, Nehemia, das Aramaic Levi Document sowie die Qumrantexte Instruction, Narrative and Poetic Composition, Plea for Deliver-ance, Prophecy of Joshua)36 stammen unstrittig aus dem (frühen) 3. Jh. v. Chr. Die in ihnen enthaltenen Zitate und Anspielungen belegen also, dass die proto-masoretische Textfassung in dieser Zeit vorhanden war, oder anders formuliert: Sie schließen eine Datierung von MT-Jer nach dem frühen 3. Jh. v. Chr. aus. Dieses Ergebnis wird durch die Verwendung der proto-masoretischen Textfassung des Jeremiabuchs in der ebenfalls aus dem 3. Jh. stammenden Epistula Jeremiae erhärtet.37

Für die Textgeschichte des Jeremiabuches besonders interessant sind die Zitate und Anspielungen in den hebräischen und griechischen Texten des Ben Sira, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll.

Die Textgeschichte von Ben Sira ist ähnlich komplex wie diejenige von Jeremia. Grob können zwei hebräische und zwei griechische Textfassungen unterschieden werden: H I ist wahrscheinlich nahe an oder identisch mit der von Ben Sira geschriebenen Fassung, H II eine spätere Überarbeitung mit mehreren Erweiterungen. G I ist identisch mit der auf H I basierenden griechischen Übersetzung des Enkels Ben Siras, die er vermutlich in Ägypten kurz nach dem Tod Ptolemäus VIII 117/116 v. Chr. anfertigte;38 G II geht zurück auf H II und enthält zusätzlich noch einige Erweiterungen. In der älteren hebräischen Textfassung H I finden sich in Bezug auf Jeremia zwölf Zitate und Anspielungen mit insgesamt 37 Worten Jeremiatext. Die Textzeugen MT-Jer und (hebräische Vorlage der) LXX-Jer haben an vier Stellen einen unterschiedlichen Text (Jer 1,10a/31[38], 28; 1,10b; 18,6; 27,12[34,10]), wobei sich Ben Sira in drei Fällen auf einen MT-Jer entsprechenden Text bezog. Der vierte Fall (Jer 1,10b) ist insofern komplex, als hier innerhalb der masoretischen Texttradition eine Varianz bezeugt ist (MT Kenn 1,109,191, 244: תונבל ןכו; MTL,A: תונבל). In diesem Fall folgte Ben Sira einem Text, der auch in mehreren masoretischen mittelalterlichen Handschriften bezeugt ist und der wohl auch dem griechischen Übersetzer(kreis) vorlag, der aber nicht im masoretischen Jeremiatext des Codex Leningradensis und des Codex Aleppo steht.

Insgesamt kann geurteilt werden, dass Ben Sira sich bei seinen Zitaten und Anspielungen in Bezug auf Jeremia auf einen semi- oder proto-masoretischen Jeremiatext bezogen hat. Besonders in­teressant ist, dass der Enkel des Ben Sira in den besagten drei Fällen nicht wortwörtlich den zitierten hebräischen Jeremiatext übersetzte, sondern diesen an die Textfassung der LXX-Jer anglich.39 Zudem schuf er über den Text seines Großvaters hinausgehend zwei implizite Anspielungen auf Jer 5,31 (in Sir 12,18) und Jer 21,12 (in Sir 4,9). Diese komplexen textlichen Operationen (die sich im Übrigen nicht nur in Bezug auf Jeremia nachweisen lassen) ma­chen es nach Armin Lange wahrscheinlich, »that Ben Sira’s grandson did refer to written copies of the Old Greek text when trans-lating his grandfather’s book. Furthermore, Ben Sira’s grandson would have neither been able to understand the intertextuality of his grandfather’s work nor would he have been able to adjust them in several cases to the Old Greek text of Jeremiah without in depth knowledge of small textual details of a proto/semi-Masoretic text of Jeremiah.«40 Von hier aus ergibt sich ein terminus ante quem für die griechische Übersetzung des Jeremia: Sie muss vor dem Ende des 2. Jh.s v. Chr. angefertigt worden sein.

II Das entstehungsgeschichtliche Verhältnis der proto-masoretischen Textfassung

und der hebräischen Vorlage der LXX-Jer


1. Die wichtigsten Differenzierungsmerkmale


Bevor auf das entstehungsgeschichtliche Verhältnis der beiden Textfassungen näher eingegangen wird (II.2), sollen zum besseren Verständnis vorab die wichtigsten Differenzierungsmerkmale überblicksartig vorgestellt werden (auf der Basis der spätantiken/ mittelalterlichen Handschriften):

1. Textumfang: Die LXX-Jer ist um ca. 1/7 kürzer als der MT-Jer (der vergleichsweise viele kleinere Plusse, aber auch größere Langtexte hat wie z. B. MT-Jer 17,1–4; 29,16–20; 33,14–26; 39,4–13; 52,28–30).

2. Buchstruktur: Die Fremdvölkersprüche stehen jeweils an un­terschiedlicher Position und in unterschiedlicher Reihenfolge:

LXX-Jer:

Erster Buchteil 1–24: vorwiegend Reden Jeremias (Gottes Gerichtsreden gegen Juda zitierend)
Zweiter Buchteil 25–32: Völkergericht (Gerichtswort, Fremdvölkersprüche [Elam–Moab], Jeremias Erzählung vom Zornbecher für die Völker)
Dritter Buchteil 33–51: vorwiegend Erzählungen über den Untergang Jerusalems und über Jeremias Geschick
Schluss 52: Bericht über die Einnahme Jerusalems und die Exilierung Zidkijas nach Babel

MT-Jer:
Erster Buchteil 1–24: vorwiegend Reden Jeremias (Gottes Gerichtsreden gegen Juda zitierend)
Zweiter Buchteil 25–45: vorwiegend Erzählungen über den Untergang Jerusalems und über Jeremias Geschick
Dritter Buchteil 46–51: Fremdvölkersprüche (Ägypten–Babel)
Schluss 52: Bericht über die Einnahme Jerusalems und die Exilierung von Judäern nach Babel.

3. Buchprofil: Das unterschiedliche Buchprofil wird bereits durch die unterschiedlichen Buchanfänge angezeigt, zitiert sei hier nur die deutsche Übersetzung des ersten Verses in den beiden Fassungen:

LXX-Jer 1,1:

1,1 Die Botschaft Gottes, die geschah zu Jeremia,
dem (Sohn) Hilkijas, (eines) von den Priestern,
der (dauerhaft) wohnte in Anatot, im Land Benjamin

MT-Jer 1,1:

1,1 Die Worte Jeremias,
des Sohnes Hilkijas, (eines) von den Priestern,
der (wohnte)/die (wohnten) in Anatot, im Land Benjamin.

2. Die proto-masoretische Textfassung als die vergleichsweise jüngere Textfassung


Auch unter den Exegeten und Exegetinnen, die von der Existenz einer antiken proto-masoretischen Jeremiafassung einerseits und einer dieser (in mehreren Punkten) nicht entsprechenden hebräischen Vorlage der LXX-Jer andererseits ausgehen (und nicht alle Unterschiede im Zusammenhang der Arbeit des griechischen Übersetzer[kreise]s sehen), ist das Verhältnis der beiden Textfassungen umstritten. So erklären einige Exegeten längere Plusse im MT-Jer mit Kürzungen durch den griechischen Übersetzer(kreis)41 oder schreiben diesem die Umstrukturierung des Buches zu.42 Die Mehrheit beurteilt die proto-masoretische Textfassung als die jüngere.43 Dabei rechnen einige Exegeten mit mehreren Buch-Redaktionen, denen verschiedene redaktionelle Schichten im proto-masoretischen Sondergut zugeschrieben werden können, andere gehen eher von einer Haupt-Redaktion aus, die die ältere (in etwa der hebräischen Vorlage der LXX-Jer entsprechende) Buchfassung konzentriert systematisch veränderte.44 Dafür, dass die proto-masoretische Textfassung grosso modo (insofern auch nach den entscheidenden redaktionellen Eingriffen in allen Handschriften noch mit kleineren punktuellen Veränderungen durch [Kopisten]-Schreiber gerechnet werden muss, siehe oben z. B. zu 4QJerd unter I.1) die vergleichsweise jüngere ist, sprechen gewichtige Gründe:

1. Die Plusse: Viele der über das ganze Buch verteilten kleineren und größeren Plusse weisen bestimmte Sprach- und Stileigentümlichkeiten auf und zeigen klare ideologische, theologische und rhetorische Tendenzen.45 Die kleineren Plusse bestehen z. B. aus dem (wiederholten) Einsatz von Gottesepitheta wie תואבצ יהלא, von Sprucheinleitungs- und Ausleitungsformeln wie die הוהי רמא הכ-Formel und die הוהי םאנ-Formel, aus der Ergänzung von Eigennamen, Patronymen und Titeln wie z. B. איבנה für Jeremia. Bei den größeren Plussen fällt eine besondere Affinität zu den Themen Tempel und Kult auf, eine Verschärfung der vorexilischen Schuldgeschichte Judas in der Welt des Buches sowie eine jerusalemkri-tische einerseits und diasporafreundliche Tendenz andererseits (siehe hierzu unten unter Punkt II.3). Die meisten dieser Plusse erklären sich zwanglos als nachträgliche Akzentuierungen und Konkretisierungen des vorliegenden Textes. Gegen die These einer Kürzung hingegen spricht vor allem, dass, wie Hermann-Josef Stipp zu Recht betont hat,46 der Korrekturbedarf bzw. Gründe für die Eliminierung der entsprechenden Elemente nicht einsichtig zu machen sind. Denn was sollte gegen den Einsatz von Gottesepitheta, Namen, Titeln und Spruchformeln (die in der einen oder anderen Form auch im nicht-masoretischen Text vorhanden waren bzw. von den kürzenden Redaktoren diesfalls teilweise stehengelassen worden wären) sprechen?

2. Die Buchstruktur (siehe die Strukturübersicht oben unter II.1): Der Nachweis, dass die Buchstruktur des MT-Jer vergleichsweise jünger ist, dass also die Fremdvölkersprüche sekundär nach hinten versetzt worden sind und im Zuge dessen auch MT-Jer 25 als Kunsttext sekundär geschaffen worden ist (aus den Teilen 25,1–13 und 32,1–24 nach der Zählung der LXX-Jer), lässt sich von der Kommunikationsstruktur der Texte her führen (dies ist ein neuer Ansatz)47: Der Schwerpunkt in der Kommunikationsstruktur des Buchteils Völkergericht in der LXX-Jer bzw. der hebräischen Vorlage (25–32) liegt auf Jeremia als Erzähler; der Schwerpunkt des Buchteils Fremdvölkersprüche im MT-Jer (46–51) liegt hingegen auf dem Bucherzähler (insofern seine Stimme hier mehrfach vernehmbar ist, z. B. finden sich einige Sprucheinleitungen des Bucherzählers, die masoretisches Sondergut sind). In 25,1–13 spricht nach der Einleitung des Bucherzählers in der Fassung des MT der Prophet Jeremia als Ich; in der Fassung der LXX bzw. ihrer hebräischen Vorlage hingegen zitiert Jeremia in der Welt des Buches sofort das Ich Gottes. Angenommen, nicht-masoretische Buch-Redaktoren hätten die Fremdvölkersprüche sekundär hinter MT-Jer 25,1–13 platziert, hätte es für diese Redaktoren entsprechend ihrem kommunikativen Schwerpunkt keinen Grund gegeben, hier das Ich Jeremias im Text zurückzudrängen und in das Ich Gottes zu verändern, ganz im Gegenteil. Von daher gingen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die tiefgreifenden Veränderungen in der Buchstruktur auf das Konto proto-masoretischer Redaktoren.

3. Das Buchprofil: Ein deutlicher Hinweis auf die Handschrift proto-masoretischer Redaktoren ist die buchübergreifende Rahmung. Die Superscriptio in MT-Jer 1,1a hat eine entsprechende Subscriptio in MT-Jer 51,64b (diese Subscriptio gehört zum masoretischen Sondergut):

1,1a: והימרי ירבד (»Die Worte Jeremias«)

51,64b: והימרי ירבד הנה דע (»Bis hierhin die Worte Jeremias«).

Der von der Fügung הימרי ירבד gerahmte Text soll also als Worte von und über Jeremia verstanden werden (das letzte Kapitel Jer 52 ist ein Bericht über die Einnahme Jerusalems und das Ergehen des Königs Jojachin im babylonischen Exil und fällt insofern aus diesem Rahmen). Der Fokus des masoretischen Buches liegt also ganz auf dem Propheten Jeremia (siehe zum Buchanfang nach der LXX-Jer bzw. ihrer hebräischen Vorlage oben unter II.1).48 Dass es proto-masoretische Redaktoren waren, die den Buchanfang veränderten und den rahmenden Satz des Bucherzählers in 51,64b am Ende des Buchteils Fremdvölkersprüche einfügten (ebenso wie viele andere Sätze des Bucherzählers in den Fremdvölkersprüchen und anderen jeremianischen Texten), ist die wesentlich einfachere und plausiblere Annahme als diejenige einer komplexen Kürzung durch nicht-masoretische Redaktoren.

Die textlichen Eingriffe durch die mutmaßlichen proto-masoretischen Buch-Redaktoren sind derartig weitreichend, dass sich unweigerlich die Frage stellt: Wer waren diese Redaktoren, wann haben sie gewirkt und welche Ziele haben sie verfolgt?

III Die proto-masoretischen Buch-Redaktoren: Zeit, Milieu, Ziele


Mehrfach wurde die Entstehung des proto-masoretischen Jeremiabuches in der Hasmonäischen Zeit49 oder im 2. Jh. v. Chr.50 vermutet. Doch wie oben ausgeführt, legt die proto-masoretische Handschrift 4QJera das ausgehende 3. Jh. v. Chr. als terminus ante quem für den MT-Jer nahe (s. o. I.1.1). Die Zitate von und Anspielungen auf Langtexte und Lesarten des MT-Jer in jüdischer Literatur aus dem 3. Jh. v. Chr. machen sogar einen terminus ante quem im frühen 3. Jh. v. Chr. wahrscheinlich (s. o. I.3).

In Bezug auf den terminus post quem ist in der Forschung nur unstrittig, dass er nach Verlust der Eigenstaatlichkeit Judas und der im letzten Kapitel der Buches (beide Fassungen) berichteten Begnadigung Jojachins liegen muss. Aaron D. Hornkohl vertritt im Hinblick auf das verwendete Hebräisch (Übergang zwischen dem sogenannten »Klassischen Biblischen Hebräisch« und dem »Späten Biblischen Hebräisch«) eine Datierung in die späte Exilszeit/sehr frühe nachexilische Zeit.51 Mehrere Exegeten gehen davon aus, dass das proto-masoretische Jeremiabuch nach der Exilszeit in der persischen Zeit geschaffen wurde.52 In einem frühen Aufsatz vertrat Pierre-Maurice Bogaert die These, dass in den proto-masoretischen Zusätzen im Philister-Spruch (MT-Jer 47,1.4) auf Eroberungen Ptolemaios I Soter 312 bzw. 294 v. Chr. angespielt wird.53 Die proto-masoretische Buch-Redaktion setzte Bogaert dann Mitte des 3. Jh.s v. Chr. an.

Zur Klärung der Frage nach der Wirkungszeit und dem Milieu der proto-masoretischen Buch-Redaktion ist es tatsächlich naheliegend, von den Zusätzen im MT-Jer auszugehen, und zwar insbesondere von den Langtexten.54 So enthält in der Fassung des MT der Brief Jeremias an die Exilierten in Babylon (MT-Jer 29,1–23) nicht nur eine Prophezeiung über die vollständige Zerstörung Judas und Jerusalems, sondern auch eine Heilsprophezeiung für die Exulantenschaft in der gesamten Diaspora (vgl. MT-Jer 29,14: »aus allen [!] Nationen und aus allen [!] Orten, wohin ich euch verstoßen habe«). Im Unterschied dazu enthält der Brief in (der hebr. Vorlage von) LXX-Jer 36 eine Heilsprophetie nur für die jüdische Diaspora in Babylon (dem Land des Exils in der erzählten Zeit des Buches). Diese gegen Juda und Jerusalem und zugunsten der Diaspora ge­machten Aussagen deuten auf ein Diaspora-Milieu hin, in dem die proto-masoretischen jeremianischen Buch-Redaktoren arbeiteten. Dabei spricht die Universalisierung der Diaspora gegen Mesopo-tamien. Außerhalb Mesopotamiens gab es aber nur noch eine bedeutende Diaspora, nämlich die jüdischen Gemeinden im ptolemäischen Ägypten. So berichtet der Aristeasbrief (§§ 12–27) von der Verschleppung einer sehr großen Zahl von Juden aus Judäa nach Ägypten unter Ptolemaios Soter I, und Hekataios (vgl. Josephus, Contra Apionem 1.186–187) spricht von einer freiwilligen Auswanderung einer priesterlichen Gruppe unter Führung des Erzpries­ters Hesekia nach Ägpyten.

Mehrere Zusätze weisen auf ein spezifisch priesterlich-levitisches Profil der proto-masoretischen jeremianischen Buch-Redaktoren hin:55 In MT-Jer 27,18 f.21 f. finden sich im Vergleich zu der (hebr. Vorlage der) LXX-Jer Ergänzungen in Bezug auf die Tempelgeräte und ihren langen Aufenthalt in Babylon. In MT-Jer 52,18–23 wird die Liste der von den Babyloniern zerstörten und geraubten Tempelgeräte erweitert bzw. korrigiert. Solches priesterliches In­teresse wird auch im umfangreichsten proto-masoretischen Langtext deutlich, in MT-Jer 33,14–26. Hier wird nicht nur verheißen, dass Gott seinen Bund mit David aufrecht erhält und dass die davidische Dynastie wieder zu politischer Macht kommt, sondern verheißen wird auch die Erhaltung von Gottes Bund mit den levitischen Priestern, die für den Opferkult des Jerusalemer Tempels verantwortlich sind. Interessanterweise wird den levitischen Priestern also eine rein kultische Verantwortung zugewiesen (ähnlich auch das Aramaic Levi Document) 56, während alle politische Macht beim davidischen Königshaus liegen soll. Dieses Modell richtet sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegen die politischen Realitäten im Jerusalem des frühen 3. Jh.s v. Chr., denn im theokratischen System dieser Zeit war das Amt des Hohenpriesters weit über alle rituellen Funktionen des Opferkults hinaus deutlich politisch geprägt.

Hinzuweisen ist noch auf die ausgesprochen harte Kritik an den Verhältnissen in Jerusalem und Juda. Nach dem Langtext MT-Jer 17,1–4 wird Juda angedroht, dass die Verehrung anderer Götter zur Aufgabe seines Erbbesitzes führen wird; die Dauer dieser Strafe wird mit םלוע דע »auf Weltzeit« angegeben. Nicht nur in MT-Jer 29,16–20 (s. schon oben), sondern auch in 39,4–13 wird die vollständige Zerstörung Jerusalems und Judas angekündigt. Demgegenüber stehen Verheißungen, nach denen Gott in einer Zeit des Schalom nicht nur die Nationen richten, sondern auch die gesamte Exulantenschaft nach Jerusalem zurückbringen und den korrekten priesterlichen Kult sowie die legitime königliche Herrschaft wieder herstellen wird (MT-Jer 29,10–14; 30,10 f.22; 31,17; 33,14–26). Solche Hoffnungen auf ein Gericht an den Nationen und an den Jerusalemer Theokraten und ihren Anhängern könnten durchaus von den Gräueln der Diadochenkriege über die Nachfolge Alexanders des Großen inspiriert worden sein.

Bei den proto-masoretischen jeremianischen Buch-Redaktoren dürfte es sich also um eine priesterliche Gruppe ägyptischer Juden gehandelt haben, die den Geschehnissen am Jerusalemer Tempel und im Juda ihrer Zeit kritisch gegenüberstanden. Historisch ist eine solche Gruppe greifbar in dem bereits erwähnten Zitatenfragment aus dem Werk des Hekataios, wonach eine priesterliche Gruppe unter Führung des Erzpriester Hesekia Jerusalem freiwillig verlassen und sich in Ägypten angesiedelt hat. Die Annahme ist naheliegend, dass die Motivation für eine solche freiwillige Migration in einer kritischen Haltung zu den Verhältnissen am Jerusalemer Tempel begründet lag.

In Anbetracht des sich ergebenden (schmalen) Zeitfensters, in dem die mutmaßlichen proto-masoretischen Priesterredaktoren das Jeremiabuch grundlegend überarbeitet haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich ihre oben geschilderten anti-judäischen und anti-jerusalemischen Polemiken insbesondere gegen die intensive Hellenisierung des judäischen Judentums richteten, nachdem Juda Teil des ptolemäischen Reiches geworden war. Dabei wird die Situation der erzählten Zeit des Jeremiabuches durchsichtig für die Deutung ihrer eigenen Zeit: In der erzählten Zeit ließ Gott unter der Herrschaft Zidkijas Jerusalem und Juda aufgrund falscher Religiosität untergehen bzw. führte den großen Teil der Bevölkerung in das babylonische Exil; die Zukunft des Volkes liegt einzig bei der Exulantenschaft. Wie die Zusätze zeigen, erwarteten die proto-masoretischen Priesterredaktoren wiederum Gottes umfassendes Gericht an Juda und Jerusalem aufgrund falscher Religiosität und sahen das wahre Judentum allein in der Diaspora repräsentiert. Sie rechneten offensichtlich damit, dass Diaspora-Juden nach ihrer Rückkehr Jerusalem und Juda wieder aufbauen, eine angemessene davidische Königsherrschaft einsetzen und am Tempel einen angemessenen, nicht theokratischen Kultbetrieb etablieren werden.

Abstract


This article discusses the differences between the two principle versions of the book of Jeremiah (MT and LXX). It gains new insights into the relationship of these two versions based on a comparison of their argumentative structure and proposes a new dating of MT-Jer by way of a relative chronology established by quotations of and allusions to Jeremiah. Several Qumran manuscripts demonstrate that LXX-Jer goes back to a divergent Hebrew Vorlage as compared to MT-Jer. The text of MT-Jer is a redaction of a text close to LXX-Jer, but shows also scribal corruption and signs of individual scribal changes. The argumentative structure of MT-Jer identifies the bulk of its textual additions as a coherent redaction of a text close to the Hebrew parent text of LXX-Jer. Responsible for this redaction was in all likelihood a group of priestly refugees to Ptolemaic Egypt from the early third century B.C.E. around the archpriest Hezekiah. Inspired by the prophecies of Jeremiah, this priestly diaspora group hoped for the destruction of Jerusalem and Judea as a punishment for the Hellenizing tendencies of early Ptolemaic Judea and the theocratic priestly establishment at the Jerusalem temple. After this judgment, the diaspora would return to reestablish the David monarchy and a Levitical priesthood solely dedicated to ritual and cultic responsibilities.

Fussnoten:

1) Siehe hierzu die Überblicksdarstellungen von Armin Lange, Handbuch der Textfunde vom Toten Meer. Band 1: Die Handschriften biblischer Bücher von Qumran und den anderen Fundorten (Tübingen: Mohr Siebeck, 2009), 297–303; ders., Art. 7.2 Jeremiah. Ancient Hebrew-Aramaic Texts, in: Textual History of the Bible, Bd. 1B. Pentateuch, Former and Latter Prophets (Hrsg. A. Lange/E. Tov; Leiden: Brill, 2017), 514–542.
2) Textüberlappungen gibt es nur bei ca. 20 Versen, die jeweils nur wenige (teilweise nur partiell erhaltene) Worte betreffen, vgl. Lange, Handbuch (s. Anm. 1), 297. Für einen hilfreichen Überblick über die Texte vgl. Eugene Ulrich, The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants (VTSup 134; Leiden: Brill, 2010), 558–583, der allerdings nicht alle Handschriften berücksichtigt. Signifikante (nicht orthographische) Unterschiede finden sich in 22,14 (zwischen 4QJera und 4QJerc) und 43,9 (zwischen 2QJer und 4QJerd; Zählung nach dem MT).
3) Vgl. Emanuel Tov, 4QJera, in: DJD XV (1997), 145–170: 150.
4) Vgl. Tov, 4QJera (s. Anm. 3), 152 f.
5) Vgl. Maurice Baillet, Jérémie, in: DJD III (1962), 62–69: 62.
6) Vgl. Baillet, Jérémie (s. Anm. 5), 66.
7) John G. Janzen, Studies in the Text of Jeremiah (Harvard Semitic Monographs 6; Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1973).
8) Vgl. Emanuel Tov, 4QJerb, in: DJD XV (1997), 171–176: 172.
9) Vgl. auch Janzen, Studies (s. Anm. 7), 173.181 f.; Karen H. Jobes/Moisés Silva, Invitation to the Septuagint (Grand Rapids: Baker, 2000), 173–175; Eugene Ulrich, The Dead Sea Scrolls and the Hebrew Scriptural Texts, in: The Bible and the Dead Sea Scrolls I: Scripture and the Scrolls (Hrsg. J. H. Charlesworth; Waco: Baylor University Press, 2006), 77–99: 84 f. Möglicherweise gab es noch eine weitere Textfassung von Jer 10. Das Zitat von Jer 10,12 f. in 11QPsa XXVI 13–15 belegt eine von MT-Jer und LXX-Jer divergierende Abfolge der einzelnen Stichoi sowie eine nur teilweise mit der LXX-Jer (bzw. ihrer hebräischen Vorlage) geteilte Kurzform, vgl. Lange, Handbuch (s. Anm. 1), 316 f.
10) Vgl. Torleif Elgvin/Kipp Davis, MS Schøyen 4612/9: 11Q(?)Jer (Jer 3:15–19), in: Gleanings from the Caves. Dead Sea Scrolls and Artifacts from the Schøyen Collection (Hrsg. T. Elgvin et al.; London: T & T Clark, 2016), 215–221: 215.
11) Karl Kutz et al., Jeremiah 23:6–9 (Inv. MOTB.SCR.003172), in: Dead Sea Scrolls Fragments in the Museum Collection (Hrsg. E. Tov et al.; Publications of the Museum of the Bible 1; Leiden: Brill, 2016), 140–157.
12) ה geht auf einen Abschreibfehler zurück und wurde zu ח korrigiert.
13) Vgl. Emanuel Tov, 4QJerd, in: DJD XV (1997), 203–205: 203.
14) Vgl. Tov, 4QJerd (s. Anm. 13), 203.
15) Der Begriff ist übernommen von Emanuel Tov, Textual Criticism of the Hebrew Bible (Minneapolis: Fortress Press, 32012), 240. Tov unterscheidet zwischen authors-scribes und editors-scribes einerseits und copyists-scribes andererseits. Diese Unterscheidung ist sinnvoll, obwohl mit Tov, a. a. O., natürlich auch gilt: »There is a large gray area between the activity of copyists-scribes […] and that of authors and editors.«
16) Siehe zur Standardisierung Armin Lange, »They Confirmed the Reading« (y. Ta‘an. 4:68a): The Textual Standardization of Jewish Scriptures in the Second Temple Period, in: From Qumran to Aleppo: A Discussion with Emanuel Tov about the Textual History of Jewish Scriptures in Honour of his 65th Birthday (Hrsg. A. Lange et al.; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009), 29–80.
17) Zu dem üblichen Rahmen der textlichen Arbeit der (Kopisten-)Schreiber, wie sie sich nicht zuletzt auf der Basis der Schriftrollen vom Toten Meer darstellt, siehe Tov, Textual Criticism (s. Anm. 15), 221–239.240–262.
18) Vgl. Emanuel Tov/Eugene Ulrich, Textual History of the Hebrew Bible, in: Textual History of the Bible. The Hebrew Bible, Bd. 1A. Overview Articles (Leiden: Brill, 2016), 3–35: 20 f.
19) Siehe Alfred Rahlfs, Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments, Bd. 1.1: Die Überlieferung bis zum VIII. Jahrhundert (bearbeitet von Detlef Fraenkel; Septuaginta Vetus Testamentum Graecum 1.1; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2004), 9 f.
20) S. Rahlfs, Verzeichnis (s. Anm. 19), 98.
21) S. Rahlfs, Verzeichnis (s. Anm. 19), 37 f.
22) Josef Ziegler, Jeremias, Baruch, Threni, Epistula Jeremiae (Septuaginta Vetus Testamentum Graecum 15; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 42013).
23) Ziegler, Jeremias (s. Anm. 22), 125.
24) Vgl. hierzu vor allem Pierre-Maurice Bogaert, La vetus latina de Jérémie: texte très court, témoin de la plus ancienne Septante et d’une forme plus ancienne de l’hébreu (Jer 39 et 52), in: The Earliest Text of the Hebrew Bible. The relation-ship between the Masoretic Text and the Hebrew Base of the Septuagint Recon-sidered (Hrsg. A. Schenker; Septuagint and Cognate Studies 52; Atlanta: Society of Biblical Literature, 2003), 51–82; ders., De la vetus latina à l’hébreu pré-massoré-tique en passant par la plus ancienne Septante: le livre de Jérémie, exemple privilégié, in: Revue théologique de Louvain 44 (2013), 216–243.
25) Henry St. J. Thackeray, The Greek Translators of Jeremiah, in: JThS 4 (1903), 245–266.
26) Emanuel Tov, The Septuagint Translation of Jeremiah and Baruch. A Discussion of an Early Revision of the LXX of Jeremiah 29–52 and Baruch 1.1–3.8 (Missoula: Scholars, 1976), 162–165. Siehe zu einer instruktiven Kritik an den Positionen von Thackeray und Tov Hermann-Josef Stipp, Offene Fragen zur Übersetzungskritik des antiken griechischen Jeremiabuches, in: Ders., Studien zum Jeremiabuch. Text und Redaktion (FAT 96; Tübingen: Mohr Siebeck, 2015), 141–154.
27) Albert Pietersma, Of Translation and Revision: From Greek Isaiah to Greek Jeremiah, in: Isaiah in Context. FS. A. van der Kooij (Hrsg. M. van der Meer et al.; VTSup 138; Leiden: Brill, 2010), 361–387.
28) Albert Pietersma/Marc Saunders, Ieremias, in: A New English Translation of the Septuagint and the Other Greek Translations Traditionally Included under That Title (Hrsg. A. Pietersma/B. G. Wright; Oxford: University Press, 2007), 876–924: 876.
29) Vgl. Hermann-Josef Stipp, Das masoretische und alexandrinische Sondergut des Jeremiabuches (OBO 136; Fribourg/Göttingen: Academic Press/Vandenhoeck & Ruprecht, 1994); Anneli Aejmelaeus, Jeremiah at the Turning-Point of History. The Function of Jer XXV 1–14 in the Book of Jeremiah, in: VT 52 (2002), 459–482; Georg A. Walser, Jeremiah. A Commentary Based on Ieremias in Codex Vaticanus (Septuagint Commentary Series; Leiden: Brill, 2012), 7; Richard Weis, The Textual Situation in the Book of Jeremiah, in: Sôfer Mahîr. FS A. Schenker (Hrsg. Y. Goldman et al.; VTSup 110; Leiden: Brill, 2006), 269–293: 281–283; Karin Finsterbusch/Norbert Jacoby, MT-Jeremia und LXX-Jeremia. Synoptische Übersetzung und Analyse der Kommunikationsstruktur (WMANT 145; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie, 2016). Im Vergleich zu Jeremia ist etwa die Übersetzung des Buches Jesaja relativ »frei«, manche Bücher wie z. B. das Danielbuch zeigen mehrere weitergehende interpretierende Eingriffe des Übersetzer(kreise)s, vgl. z. B. Martin Rösel, Translators as Interpreters. Scriptural Interpretation in the Septuagint, in: A Companion to Biblical Interpretation in Early Judaism (Hrsg. M. Henze; Grand Rapids, Mich.: Eerdmans, 2012), 64–91; Miriam van der Vorm-Croughs, The Old Greek of Isaiah. An Analysis of Its Pluses and Minuses (Septuagint and Cognate Studies 61; Atlanta: Society of Biblical Literature, 2014).
30) Dies ist gut erkennbar in den Synopsen von Hermann-Josef Stipp, Textkritische Synopse zum Jeremiabuch, frei zugänglich auf der Homepage www.kaththeol.uni-muenchen.de/lehrstuehle/at–theol/personen/ stipp/textkritische-synopse/index.html, und Finsterbusch/Jacoby, Synoptische Übersetzung (s. Anm. 29), in denen die Textzeilen von MT-Jer und LXX-Jer bzw. deren deutsche Übersetzungen nebeneinander gesetzt sind.
31) Siehe hierzu die Studie von Norbert Jacoby, Isomorphism and Interpretation. Reflections on the Greek Translation of Jeremiah 1, in: Texts and Context of Jeremiah. The Exegesis of Jeremiah 1 and 10 in Light of Text and Reception History (Hrsg. K. Finsterbusch/A. Lange; Contributions to Biblical Exegesis & Theology 82; Leuven: Peeters, 2016), 37–50; siehe auch die Ausführungen in Finsterbusch/Jacoby, Synoptische Übersetzung (s. Anm. 29), 3–5.
32) Georg Fischer, Jeremia 1–25 (Herders theologischer Kommentar zum Alten Testament 38; Freiburg: Herder, 2005), 46; Georg Fischer/Andreas Vonach, Jeremias. Das Buch Jeremia, in: Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung (Hrsg. W. Kraus/M. Karrer; Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2009), 1288–1342; Shimon Gesundheit, The Question of LXX Jeremiah as a Tool for Literary-Critical Analysis, in: VT 62 (2012), 29–57.
33) Vgl. die Übersicht von Armin Lange/Matthias Weigold, Biblical Quota-tions and Allusions in Second Temple Jewish Literature (JAJSup 5; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011), 141–147. Lange/Weigold, a. a. O., 25–27, unterscheiden zwischen impliziten Anspielungen (Übereinstimmung von mindestens drei parallelen Worten, nicht morphologisch identisch) und expliziten Anspielungen (im Unterschied zu impliziten Anspielungen durch eine Referenz auf einen gegebenen Text gekennzeichnet, z. B. durch eine Zitationsformel) sowie impliziten Zi-taten (Übereinstimmung von mindestens vier parallelen morphologisch iden- tischen Worten) und expliziten Zitaten (Übereinstimmung von mindestens zwei parallelen morphologisch identischen Worten in Verbindung mit einer Referenz auf den gegebenen Text, z. B. einer Zitationsformel).
34) Vgl. Armin Lange, From Literature to Scripture. The Unity and Plurality of the Hebrew Scriptures in Light of the Qumran Library, in: One Scripture or Many? Canon from Biblical, Theological, and Philosophical Perspectives (Hrsg. Ch. Helmer/Ch. Landmesser; Oxford: Oxford University Press, 2004), 51–107: 80.99; ders., The Text of Jeremiah in the War Scroll from Qumran, in: The Hebrew Bible in Light of the Dead Sea Scrolls (Hrsg. N. Dávid et al.; FRLANT 239; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2012), 95–116; ders., The Book of Jeremiah in the Hebrew and Greek Texts of Ben Sira, in: Making the Biblical Text. Textual Studies in the Hebrew and the Greek Bible (Hrsg. I. Himbaza; OBO 275; Fribourg/Göttingen: Academic Press/Vandenhoeck & Ruprecht, 2015), 118–161.
35) Siehe Armin Lange, 7.2.2 Jeremiah. Ancient Hebrew and Aramaic Texts. Masoretic Texts and Ancient Texts Close to MT, in: Textual History of the Bible, Bd. 1B. Pentateuch, Former and Latter Prophets (Hrsg. A. Lange/E. Tov; Leiden: Brill, 2017), 518–536: 521.
36) Zur Datierung der biblischen Texte s. Erich Zenger u. a. (Hrsg.), Einleitung in das Alte Testament (Stuttgart: Kohlhammer, 72008), 275–276.307–308.581. Zur Datierung der nicht-biblischen Texte s. Henryk Drawnel, An Aramaic Wisdom Text from Qumran: A New Interpretation of the Levi Document (JSJSup 86; Leiden: Brill, 2004), 63–75; Armin Lange, Weisheit und Prädestination: Weisheitliche Urordnung und Prädestination in den Textfunden von Qumran (StTJD 18; Leiden: Brill, 1995); ders., The Parabiblical Literature of the Qumran Library and the Canonical History of the Hebrew Bible, in: Emanuel. Studies in Hebrew Bible, Septuagint and Dead Sea Scrolls in Honor of Emanuel Tov (Hrsg. S. Paul et al.; VTSup 94; Leiden: Brill, 2003), 305–321: 313–314.316–318; ders., The Significance of the Pre-Maccabean Literature from the Qumran Library for the Understanding of the Hebrew Bible: Intermarriage in Ezra/Nehemiah – Satan in 1 Chr 21:1 – the Date of Psalm 119, in: Congress Volume Ljubljana 2007 (Hrsg. A. Lemaire; VTSup 133; Leiden: Brill, 2010), 171–218: 208.214; Eileen M. Schuller, Prayers and Psalms from the Pre-Maccabean Period, Dead Sea Discoveries 13 (2006), 306–318: 314.
37) Zur Verwendung von MT-Jer in der Epistula Jeremiae s. bes. Reinhard G. Kratz, Die Rezeption von Jeremia 10 und 29 im pseudepigraphen Brief des Jeremia, in: JSJ 26 (1995), 2–31: 9–11; vgl. Carey A. Moore, Daniel, Esther, and Jeremiah: The Additions: A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 44; New York: Doubleday, 1977), 323; George J. Brooke, The Structure of the Poem against Idolatry in the Epistle of Jeremiah (1 Baruch 6), in: Poussières de christianisme et de judaïsme antiques: Études réunies en l’honneur de Jean-Daniel Kaestli et Éric Junod (Publications de l’Institut romand des sciences bibliques 5; Lausanne: Editions du Zèbre, 2007), 107–128: 119 f. Zur Datierung der Epistula Jeremiae in das 3. Jahrhundert s. z. B. Antonius H. J. Gunneweg, Das Buch Baruch, Der Brief Jeremias (JSHRZ 3.2; Gütersloh: Mohn, 1980), 186, und Otto Kaiser, Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments, Bd. 2: Die prophetischen Werke (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1994), 183.
38) So schon Ulrich Wilcken, Review of W. Dittenberger, Hrsg., Orientis Graeci Inscriptiones Selectae, supplementum Sylloges Inscriptiorum Graecarum. Bd. 1 (Leipzig: Hirzel, 1903), in: Archiv für Papyrusforschung 4 (1907), 313–336: 321; Norbert Peters, Das Buch Jesus Sirach oder Ecclesiasticus (EHAT 25; Münster: Aschaffendorf, 1913), XXXII–XXXIII.
39) Vgl. Jer 1,10a/31(38),28 in Sir 49,7; Jer 18,6 in Sir 36(33),13; Jer 27,12(34,10) in Sir 51,26.
40) Lange, The Book of Jeremiah in the Hebrew and Greek Texts of Ben Sira (s. Anm. 34), 160.
41) Vgl. etwa Sven Soderlund, The Greek Text of Jeremiah. A Revised Hypothesis (JSOTSup 47; Sheffield: JSOT Press, 1985); Arie von der Kooij, Jeremiah 27:5–15. How Do MT and LXX Relate to Each Other?, in: JNSL 20 (1994), 59–78; Andrew G. Shead, The Open and the Sealed Book. Jeremiah 32 in Its Hebrew and Greek Recensions (JSOTSup 347; Sheffield: Sheffield Academic Press, 2002).
42) Alexander Rofé, The Arrangement of the Book of Jeremiah, in: ZAW 101 (1989), 390–398.
43) Vgl. z. B. Louis Stulman, The Other Text of Jeremiah. A Reconstruction of the Hebrew Text Underlying the Greek Version of the Prose Sections of Jeremiah with English Translation (Lanham u. a.: University Press of America, 1985); Pierre-Maurice Bogaert, Le livre de Jérémie en perspective. Les deux rédactions antiques selon les travaux en cours, in: RB 101 (1994), 363–406; Emanuel Tov, The Literary History of the Book of Jeremiah in Light of Its Textual History, in: Ders., The Greek and Hebrew Bible. Collected Essays on the Septuagint (VTSup 72; Atlanta: Society of Biblical Literature, 1999), 363–384; Bernard Gosse, La malediction contre Babylone de Jérémie 51,59–64 et les rédactions du livre de Jérémie, in: ZAW 98 (1986), 383–399; Yohanan Goldman, Prophétie et royauté au retour de l’exile. Les origines littéraires de la forme massorétique du livre de Jérémie (OBO 118; Fribourg/Göttingen: Universitätsverlag/Vandenhoeck & Ruprecht, 1992); Stipp, Sondergut (s. Anm. 29); Young-Jin Min, The Case for Two Books of Jeremiah, in: Text, Theology and Translation. FS J. de Waard (Hrsg. S. Crips/M. Jinbachian; London: United Bible Societies, 2004), 109–124; Adrian Schenker, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten. Jer 31 in der hebräischen und griechischen Bibel (FRLANT 212; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006), 11–13; Richard Weis, The Textual Situation in the Book of Jeremiah, in: Sôfer Mahîr (s. Anm. 29), 269–293; Jan Joos­ten, L’excédent massorétique du livre de Jérémie et l’hébreu post classique, in: Conservatism and Innovation in the Hebrew Language of the Hellenistic Period. Proceedings of a Fourth International Symposium on the Hebrew of the Dead Sea Scrolls and Ben Sira (Hrsg. J. Joosten/J.-S. Rey; Studies on the Texts of the Desert of Judah 73; Leiden: Brill, 2008), 93–108; Lange, Handbuch (s. Anm. 1), 319; Fins­terbusch/Jacoby, Synoptische Übersetzung (s. Anm. 29), 8–14.
44) Von mehreren Schichten gehen aus Min, Two Books (s. Anm. 43); Goldmann, Prophétie et royauté (s. Anm. 43). Hermann-Josef Stipp, Der prämasoretische Idiolekt im Jeremiabuch, in: Ders., Studien zum Jeremiabuch (FAT 96; Tübingen: Mohr Siebeck, 2015), 83–126: 122, rechnet im Hinblick auf das Material im MT-Jer, das von ihm als »prämasoretischer Idiolekt« bezeichnet wird, mit einem »eng begrenzten Autorenkreis«. Lange, 7.2.2 Masoretic Texts and Ancient Texts Close to MT (s. Anm. 35), argumentiert, dass es sich zumindest bei der Mehrheit der proto-masoretischen Langtexte um eine einzige Redaktion handelt, die ihre Texte mit Bezugnahme auf ältere Textpassagen des Jeremiabuches formuliert.
45) Vgl. Stipp, Der prämasoretische Idiolekt (s. Anm. 43); ders., Broadening the Criteria for Clarifying the Textual History of Jeremiah 10. The Pre-Masoretic Idiolect, in: Texts and Contexts of Jeremiah (s. Anm. 44), 107–116; Emanuel Tov, Some Aspects of the Textual and Literary History of the Book of Jeremiah, in: Le livre de Jérémie. Le prophète et son milieu. Les oracles et leur transmission (Leuven: University Press, 21997), 147–167.
46) Vgl. Stipp, Der prämasoretische Idiolekt (s. Anm. 44), 121, und ders., Nebukadnezzar und die Davididen. Kritische Lektüre einer These von Konrad Schmid, in: In Memoriam Wolfgang Richter (Hrsg. H. Rechenmacher; Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament 100; St. Ottilien: Eos Verlag, 2016), 369–400: 385.
47) Vgl. hierzu Karin Finsterbusch/Norbert Jacoby, Völkergericht und Fremdvölkersprüche. Kommunikationsebenen in (der hebräischen Vorlage von) LXX-Jer 25–32; MT-Jer 46–51 und MT-Jer 25, in: JAJ 6 (2015), 36–57. Insbesondere Karin Finsterbusch hat zu der Kommunikationsstruktur der jeremianischen Texte einige Arbeiten vorgelegt, vgl. dies., MT-Jer 1,1–3,5 und LXX-Jer 1,1–3,5: Kommunikationsebenen und rhetorische Strukturen, in: BZ 56 (2012), 247–263; dies., Unterbrochene JHWH-Rede. Anmerkungen zu einem rhetorischen Phänomen im Buch Jeremia, in: BZ 60 (2016), 1–13; dies., YHWH as the Speaker of the so Called »Messenger Formula« in the Book of Jeremiah, in: RB (2017), im Druck.
48) Vgl. auch Pierre-Maurice Bogaert, De Baruch à Jérémie. Les deux rédac-tions conservées du livre de Jérémie, in: Le livre de Jérémie (s. Anm. 45), 168–173; Karin Finsterbusch, Different Beginnings, Different Book Profiles. Exegetical Perspectives on the Hebrew Vorlage of LXX-Jer 1 and MT-Jer 1, in: Texts and Contexts of Jeremiah (s. Anm. 31), 51–66.
49) Vgl. Adrian Schenker, La rédaction longue du livre de Jérémie doit-elle être date au temps des premiers hasmonéens, in: ETL 70 (1994), 281–293; Pierre-Maurice Bogaert, Jérémie 17,1–4 TM, oracle contre ou sur Juda propre au texte long, annoncé en 11,7–8.13 TM et en 15,12–14 TM, in: La double transmission du texte biblique (Hrsg. Y. Goldman/Ch. Uehlinger; OBO 179; Fribourg/Göttingen: Universitätsverlag/Vandenhoeck & Ruprecht, 2001), 59–74; Christian-Bernard Am-phoux, Les réécritures du livre de Jérémie (LXX), in: Écritures et réécritures. La reprise interprétative des traditions fondatrices par la littérature biblique et extra-biblique. Cinquième colloque international du RRENAB, Université de Genève et Lausanne, 10–12 juin 2010 (Hrsg. C. Clivaz et al.; Leuven: Peeters, 2012), 213–225.
50) Anneli Aejmelaeus, Jeremiah at the Turning-Point of History: The Function of Jer XXV 1–14 in the Book of Jeremiah, in: VT 52 (2002), 459–482: 460.
51) Aaron D. Hornkohl, Ancient Hebrew Periodization and the Language of the Book of Jeremiah. The Case for a Sixth-Century Date of Composition (Studies in Semitic Languages and Linguistics 74; Leiden: Brill, 2014). 369: »… the lion’s share of the supplementary material apparently used to augment the short edition of Jeremiah, has the look and feel of a 6th-century composition.«
52) So z. B. Goldman, Prophétie et royauté (s. Anm. 43), 225–237; Bernard Gosse, Les évolutions du livre Jérémie et la rédaction massorétique, in: Structuration des grands ensembles bibliques et intertextualité à l’époque perse (Berlin: de Gruyter, 1997), 47–67; Richard Weis, Exegesis of Jeremiah 10, in: Texts and Contexts of Jeremiah (s. Anm. 31), 117–136: 134–136.
53) Pierre-Maurice Bogaert, Relecture et déplacement de l’oracle contre des Philistins. Pour une datation de la rédaction longue (TM) du livre de Jérémie, in: La Vie de la Parole. De l’Ancien au Nouveau Testament. FS P. Grelot (Paris: Desclée, 1987), 139–150; zustimmend Stipp, Sondergut (s. Anm. 29), 141 f. In seinem Aufsatz »Jérémie 17,1–4 TM« (s. Anm. 49) von 2001 hat Bogaert diese These allerdings revidiert und schlug eine Datierung um 150 v. Chr. vor.
54) Die folgenden Überlegungen finden sich ausführlich in zwei Publikationen von Armin Lange: The Covenant with the Levites (Jer 33:21) in the Proto-Masoretic Text of Jeremiah in Light of the Dead Sea Scrolls, in: »Go Out and Study the Land« (Judges 18:2). Archeological, Historical and Textual Studies in Honor of Hanan Eshel (Hrsg. A. M. Meir et al.; JSJSup 148; Leiden: Brill, 2012), 95–116; Art. 7.2.2 Jeremiah. Masoretic Texts and Ancient Texts Close to MT (s. Anm. 35).
55) Interessant ist zudem die masoretische Fassung von Jer 1,18, wonach Gott Jeremia zum wahren Jerusalem macht und zum Repräsentanten von Gottes Willen im Hinblick auf Tempelkult und Politik, vgl. Christl M. Maier, Jeremiah as YHWH’s Stronghold (Jer 1:18), in: VT 64 (2014), 640–653; Finsterbusch, Different Beginnings (s. Anm. 48), 62 f.
56) S. hierzu Lange, Covenant (s. Anm. 54), 110–116 und passim.