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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1098–1100

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Keuchen, Marion

Titel/Untertitel:

Bild-Konzeptionen in Bilder- und Kinderbibeln. In 2 Bdn. Teil 1: Die historischen Anfänge und ihre Wiederentdeckung in der Gegenwart. Teil 2: Abbildungen.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2016. 638 S. u. 123 S. = Arbeiten zur Religionspädagogik, 61. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-3-8471-0475-9.

Rezensent:

Rainer Lachmann

Marion Keuchen legt ein ambitioniertes Werk vor, das mit seinen über 750 Seiten vom Leser außer großem Interesse auch noch erhebliche Lese- und Studierkondition verlangt! Die 12-seitige Gliederung, die sich ungekürzt der Paderborner Habilitationsschrift verdankt, macht deutlich, was inhaltlich zu erwarten ist. K. bescheidet sich dabei nicht nur mit Kinderbibeln, sondern wählt dazu pro Jahrhundert noch eine durch große Verbreitung ausgezeichnete Bilderbibel aus.
Gegenüber der bisherigen Beschäftigung mit »Illustrationen in Kinderbibeln« (Jena 2005), profiliert sich K.s Analyse durch ihre Orientierung an aus den Bibelwerken »herausgeschälten Bild-Konzeptionen«. Dazu zählt sie »Rahmen«/»Einzelmotive und Vignetten«/ »Collagen und Montagen«/»Bild-Konzeptionen, die eher in einzelnen Bildern auftreten«/»Pluriszenität«/»Schrift und Zahl im Bild«/ »Hinzufügung nicht biblischer Elemente« (46). An diesen Kategorien ist die strikt deskriptiv-induktive Analyse der ausgewählten Bilder- und Kinderbibeln orientiert (34), was Wertungen und (Qualitäts-)Urteile der Wissenschaftlerin in der Regel ausschließt.
Nach den einleitenden Klärungen folgt auf 370 Seiten mit der »Analyse Historischer Werke« das Hauptkapitel der Arbeit, in dem 16 Bilder- und Kinderbibeln aus vier Jahrhunderten vorgestellt werden. Es beginnt mit der bekannten Bilderbibel von Matthäus Merian Icones Biblicae (1627), einem Werk mit einer wirkmächtigen Illustrationsgeschichte. Wie durchgängig für alle analysierten Werke gliedert sich die Analyse einmal in das »Werk und sein Hintergrund«, um zweitens die »Bild-Konzeptionen an Beispiel-Illustrationen« gewinnbringend erfassen zu können. Unverzichtbar ist dabei der 2. Teil des Werkes, der dem (gut-)willigen Analysten eine Auswahl »lupenrein« kleiner Abbildungen der besprochenen Bibelbilder zumutet.
Mit einer Überleitung zum Bildverständnis des 17. Jh.s wendet sich K. den drei begründet ausgewählten kinderbiblischen Werken des 17. Jh.s zu: Sigmund Evenius, Christliche Gottselige Bilder Schule (1636); Johannes Buno, Bilder=Biebel (1680); Melchior Mattsperger, Geistliche Herzens=Einbildungen (1685).
Für das 18. Jh. präsentiert K. als Bilderbibel die Physica Sacra (1728–1739) von Johann Jakob Scheuch­zer, die durch ihre sowohl naturkundliche als auch biblische Ausrichtung hervorsticht (178), indem sie das Programm der Physikotheologie bildlich umzusetzen sucht.
An illustrierten Kinderbibeln wählt K. folgende drei Werke aus: Christoph Heinrich Kratzenstein, Kinder- und Bilderbibel (1737/38); Johann Adam Stein/Gabriel Nicolaus Raspe, Die Curiense Bilder-Bibel (1749, 1756, 1806); Johann Sigmund Stoy, Bilder-Akademie für die Jugend (1784). Da steht Kratzensteins dezidiert didaktisch ausgerichtete »Historienbibel« neben dem kuriosen Religionsbüchlein, das in der Tradition Mattspergers mit durchaus ernsthafter Lernabsicht als unterhaltsames »biblisches Figur-Spruchbuch mit Rätseln« fungiert und neben Stoys Bildband, der mit seinen 54 Kupfern bibeldidaktisches Wissen und Anschauungsmaterial vermitteln will.
Für das 19. Jh. beginnt K. mit (nur) zwei Kinderbibeln und lässt dann die beiden monumentalen Bildwerke von Julius Schnorr von Carolsfeld Die Bibel in Bildern (1860) und von Gustave Doré Bilder-Bibel (1866) folgen. An Kinderbibeln werden einmal Johann Lud-wig Ewalds Biblische Erzählungen des alten und neuen Testaments (1816) analysiert und dann mit Zweimal zweiundfünfzig biblische Ge­schichten (1832) von Christian Gottlob Barth und Gottlob Ludwig Hochstetter der Kinderbibel-Bestseller, von dem bis heute ca. sechs Millionen Exemplare verkauft wurden. Bemerkenswert daran ist, dass dieser Erfolg sich trotz der geringen Qualität seiner aus der englischen »Traktatskultur« stammenden Bilder einstellte!
An Bekanntheit und vor allem künstlerischer Qualität können es die ca. eine Generation später entstandenen Bilderbibeln von Schnorr von Carolsfeld und Doré durchaus mit Barths Weltbestseller aufnehmen. Julius Schnorr von Carolsfeld schuf seine 240 Holzschnitt-Illustrationen nicht nur als Künstler, sondern auch als »praktizierender Christ«, der mit seiner Maler-Kunst biblische In­halte »sowohl an Erwachsene als auch an Kinder« vermitteln wollte (319). Da unterschied er sich entschieden von Gustave Doré, der an der Bibel und ihrem »Weltenstoff« primär als Künstler interessiert war und das durch seine dramatischen, häufig theatralischen und meist düsteren Radierungen auch zum genial originellen Ausdruck brachte. Wie Schnorr von Carolsfeld fügte auch er seinen Bildern des Öfteren nicht biblische Elemente hinzu, was ihren Unterhaltungswert und nicht zuletzt die Absatzzahlen erhöhte. Dorés Bibelillustration wurde denn auch »international gesehen zu einer der erfolgreichsten überhaupt« (353).
Nicht von ungefähr setzt K. ihre biblische Illustrationsgeschichte mit Bilder- und Kinderbibeln erst nach 1945 fort (380) und beginnt mit der Künstlerbibel von Marc Chagall Bible (1956), der unbeschwert von bibelbildnerischen Konventionen »das Jüdische in seiner künstlerischen Existenz« betont (387) und sich »vorzugsweise auf symbolischer Ebene« in affektiver Dimension und Funktion bewegt.
Mit dem letzten Abschnitt »Kinderbibel nach 1945« führt K. den historisch »müd-bereicherten« Leser behutsam zu den gegenwärtigen Bibelbebilderungen. Sie beginnen für Alte und Ältere mit mehr oder weniger wohligen Erinnerungen an die »Bildchen« des »Gottbüchleins« oder die strengen Tuschezeichnungen von Paula Jordan oder, schon später, an den »Kinderbibel-Nachkriegsbestseller« von Anne de Vries (396 f.) und gelangt dann in das überreiche Feld kinderbiblischer (Illustrations-)Produktion, das sich seit den 1970er Jahren auftat. Drei bekannte Bibelausgaben und -illustrationen finden die »Gnade« gründlicher Analyse:
Als Erstes sind das die Bilder von Kees de Kort in Das große Bibel-Bilderbuch 1994. Bewusst elementarisiert verzichtet er für seine Bebilderung auf alle Details und lässt sie durch Farbgebung und ausdrucksstarke Hände, Gesichter und vor allem große offene Augen wirken. Leitendes Prinzip dabei sind »Elementarisierung und Vereinfachung« (416). Geradezu als Kontrast könnten demgegenüber die Bilder von Annegert Fuchshuber angesehen werden, die sie zusammen mit dem Erzähler Werner Laubi für die Kaufmann Kinder Bibel (1992) konzipierte (417). Ihre kräftigfarbigen Bilder vermittelten häufig einen strengen, eher abweisenden oder gar furchterregenden Eindruck, was zwar bei Erwachsenen sehr gut ankam, bei den »jungen Leserinnen und Lesern« allerdings weniger. Typisch für diese Kinderbibel sind einmal die sachkundlich informierenden und spielerisch unterhaltenden Vignetten am Rand und dann besonders ihre zeitgebunden aktualisierenden Elemente.
Mit der Gütersloher Erzählbibel (2004) als drittem Beispiel lässt K. das große Analyse-Kapitel enden – verfasst von den »sog. ›Querdenkern‹« Diana Klöpper, Kerstin Schiffner, Juliana Heidenreich, die – anstößig wie die »Bibel in gerechter Sprache« – »Ansätze und Fragen aus der Befreiungstheologie, der Feministischen Theologie und dem jüdisch-christlichen Dialog« aufnehmen (431) und dazu durch J. Heidenreich eine einfallsreiche Illustration bieten.
Eine 13-seitige Zusammenfassung dokumentiert in beschreibender Bilanzierung die Ergebnisse der Analysen. Wer allerdings jetzt meint, nach getaner Analysearbeit die Lese-Lupe aus der Hand legen zu dürfen, der hat sich getäuscht. Wie ein Nachschlag erwarten ihn noch 80 Seiten eines III. Kapitels »Die Wiederentdeckung der Bild Konzeptionen in gegenwärtigen Kinderbibelillustrationen«; als wären nicht schon mit den letzten Kinderbibeln gut ausgewählte Illustrationsbeispiele »aus der Zeit nach 1989« analysiert worden (463)! Der Schatz »gegenwärtiger Kinderbibelillustrationen« konnte einfach nicht ungehoben bleiben und wird von K. an weiteren ausgewählten Kinderbibeln »kritisch-konstruktiv« und unverdrossen streng deskriptiv exemplifiziert, obwohl so mancher sich gerade hier direktere Bewertungen und Empfehlungen ge­wünscht hätte. Selbst der abschließende »Ausblick« (535 ff.) hilft hier nicht weiter.
Wie das gesamte Werk wissenschaftlich solide erarbeitet ist, so entspricht auch der Registerteil höchsten Ansprüchen und erweist sich von größtem Nutzen besonders für den, der nicht das Buch ganz gelesen hat. Er bekommt nicht nur ein erschöpfendes »Literaturverzeichnis« und »Namensregister«, sondern – besonders verdienstvoll und didaktisch brauchbar – auch noch ein Bibelstellenregister!
In der wachsenden Kinderbibel-Literatur füllt K.s Arbeit in ihrer ausführlichen Gründlichkeit eine »illustre« Lücke und dürfte für den Bereich kinderbiblischer Illustrationen zum langlebigen Standard- und Nachschlage-Werk werden. Für die wissenschaftliche Leistung, den großen Arbeitsaufwand und den immensen Fleiß, die für ein solches Werk nötig sind, gebührt K. Anerkennung und Dank!