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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1072–1075

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Frisch, Ralf

Titel/Untertitel:

Was können wir glauben? Eine Erinnerung an Gott und den Menschen.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer Verlag 2016. 351 S. Kart. EUR 27,00. ISBN 978-3-17-032509-8.

Rezensent:

Gunther Wenz

Anders als zur Zeit Luthers ist die christliche Tradition in ihren Grundbeständen dem allgemeinen Bewusstsein nicht mehr von Hause aus vertraut, sodass der Horizont ihrer Wahrnehmung erst erschlossen und ihre Aneignung auf vielfältige Weise vorbereitet werden muss. Darum ist es Ralf Frisch zu tun. Seine Auslegung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses beginnt mit einer Erklärung der Wendung »Credo«, »Ich glaube«: »Ohne Ich kein Glaube.« (27) Fides quae und fides qua bilden einen differenzierten Zusammenhang, weil es in der fides nicht lediglich um zustimmende Kenntnisnahme von Satzwahrheiten, sondern um persönliches Vertrauen zu dem im letzten Grunde Verlässlichen geht. F. betont mit Recht, dass der Glaube von seinem Grund her, auf den er sich verlässt, und nicht vom reflexiven Bewusstsein seiner selbst seine Gewissheit empfängt; er wird sich daher, wenn er sich recht be­greift, als ein unverdientes Gottesgeschenk begreifen, das sich ge­geben und nicht menschlichem Eigenvermögen zuzurechnen ist; zwischen Glaubenden und Ungläubigen auf moralisierende oder ähnliche Weise zu differenzieren, erweist sich von daher als un­möglich.
Glaube ist kein Werk des Menschen bzw. ein Menschenwerk lediglich im Sinne reinen Empfangens und eines Lassens alles dessen, was aus der Verkehrtheit unmittelbarer Selbstbestimmung hervorgeht, die meint, Ich und die Welt aus sich selbst heraus begründen zu können. Der Schöpfungsartikel übt in diesen Glauben ein. Im Bekenntnis zu Gott, dem Vater, dem Allmächtigen, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, vertraut sich der Glaubende dem ursprünglichen Konstitutions-, Erhaltungs- und Zielgrund seiner selbst und seiner Welt an, bei dem es sich nicht lediglich um eine Allverursachungsgröße im Sinne einer prima causa, eines unbewegten Bewegers oder eines ens necessarium, sondern um denjenigen handelt, der in einem väterlichen Ursprungsverhältnis zu seiner Kreatur steht und namentlich das Menschengeschöpf zu einem genuinen Kindschaftsverhältnis ihm gegenüber bestimmt hat. F. gründet diese Einsicht auf die, wie er sagt, gotteserkenntnistheoretische Annahme:
»›Wie der Sohn, so der Vater.‹ Der erste Artikel des Glaubensbekenntnisses, also der Glaube an Gott den Vater, erschließt sich letztlich erst vom zweiten Artikel, also vom Glauben an den Sohn her, was ja übrigens auch glaubensgeschichtlich zutrifft. Denn der Glaube an den dreieinigen Gott, der das Apostolische Glaubensbekenntnis strukturiert, erwächst aus der Überzeugung der ersten Christen, dass Jesus in besonderer Weise mit Gott verbunden ist und Gott in einzigartiger Weise offenbart und neu definiert.« (87 f.)
Diese »Neudefinition« erledigt nicht das Bekenntnis zur Allmacht Gottes samt all den offenen Fragen und gravierenden Problemen, die sich hieraus ergeben. Sie verbindet es aber mit der im Geiste Christi erschlossenen Einsicht, dass der allmächtige Schöpfer in seiner im Sohne offenbaren Väterlichkeit weiß, was es heißt, sich in quälender Ungewissheit und abgründiger Ohnmacht zu be-finden.
F.s kosmologische Überlegungen und seine Erwägungen etwa zur Theodizeefrage wollen von dorther verstanden sein. Ihr Fazit bleibt gleichwohl diskussionsbedürftig: »Die Liebe ist die stärkste und Gottes ureigene Kraft im Universum. Erst durch die Liebe kann die All-Macht das Böse überwinden, das von der Macht des Alls nicht gewollt ist, aber geschaffen und in Kauf genommen wird, um das Liebeswerk der Schöpfung zu verwirklichen, das die Liebe vollenden wird.« (109) Diese Argumentationsfigur samt der terminologischen Differenzierung zwischen All-Macht und Macht des Alls ist durchaus bemerkenswert, aber doch eher als Indiz eines Problems denn als Erweis seiner Lösung zu sehen. Eine unaufge-löste Aporie ist schon im Ansatz gegeben. Denn wenn die Macht des Alls der allmächtige Vatergott ist, den Christen bekennen, dann kann er das Böse nicht geschaffen haben. Hat er es aber geschaffen, dann ist er nicht die Macht der Liebe, selbst wenn seine Erschaffung des Bösen nicht gewollt und nur wegen einer vermeintlichen Freiheit des Menschengeschöpfs in Kauf genommen wurde, was im­mer das näherhin heißen mag.
Zu fragen ist, ob man es, statt dass man sie durch metaphysisch-ontotheologische oder wie auch immer geartete Scheinlösungen zu beheben sucht, nicht bei der unaufgelösten und durch keine Theorie und Praxis aufzulösenden Spannung innerhalb des ersten sowie zwischen dem ersten und dem Folgeartikel des Credo belassen sollte, um sich von ihr konsequent dorthin treiben zu lassen, wo Erlösung von weltlichen Übeln und Versöhnung menschlicher Sündenschuld allein zu finden ist, nämlich in die offenen Arme des auferstandenen Gekreuzigten, in dem Gott kraft seines Geistes in perfekter Tatsächlichkeit als unbedingte Liebe und damit vollkommen als er selbst offenbar ist (vgl. WA 18,685). Dass dies trotz protologischer Rücksichten auch F.s Ziel ist, zeigen seine Ausführungen zum zweiten Artikel. Sie beginnen mit bemerkenswerten Reflexionen zu dem »Und«, das den ersten mit dem zweiten Artikel und diesem mit jenem verbindet. Werde das Wörtchen, das »gravierende theologische Implikationen« (139) enthalte, falsch verstanden, dann drohen nach F. »erhebliche Missverständnisse im Blick auf das christliche Gottesbild« (ebd.).
Ein mögliches theologisches Missverständnis wurde in protologischer Hinsicht bereits angesprochen; die im ersten angelegte Spannung lässt sich prinzipientheoretisch nicht beheben. Umgekehrt darf nun allerdings auch die österlich offenbare Gnadenliebe Gottes, von welcher der christologische Artikel handelt, in ihrer Unbedingtheit nicht theoretisch prinzipialisiert und zum Ausgangspunkt entspannter theologischer Deduktionen gemacht werden. Der zweite Artikel bleibt vielmehr rückbezogen auf den ersten, über den er hinausführt, und offen für den dritten, der auf ihn folgt und ohne den er nicht wäre, was er ist, nämlich der Zentralartikel des Glaubens. Das altkirchliche Dogma mit seinen komplexen Bestimmungen zur Einheit des Wesens Gottes in den drei göttlichen Hypostasen und den für das Verständnis der trinitarischen Ökonomie grundlegenden Aussagen über die unio personalis Gottes und des Menschen in Jesus Christus bietet für die Erschließung dieser Zusammenhänge heute wie ehedem den entscheidenden Impuls, den gedanklich zur Geltung zu bringen nach wie vor ungleich wichtiger ist als alle um naheliegende Aktualität bemühte Apologetik. F. weiß das, wie weniger aus seinen diversen Exkursen in diese oder jene Geisteslandschaft als vor allem an den Dreh- und Angelpunkten seiner Argumentation, nämlich dort erkennbar wird, wo er von Einheit und Unterschiedenheit der Credoartikel sowie von der eindeutig gerichteten Sequenz handelt, durch die sie untereinander verbunden sind.
Was die inhaltlichen Einzelbestimmungen des zweiten Glaubensartikels anbelangt, so sind F.s Erörterungen unbeschadet ihrer inkarnationstheologischen Fundierung auf die Staurologie konzentriert. Betont hervorgehoben und positiv gewürdigt wird die christliche Problematisierung des Apathieaxioms antiker Ontotheologie. Traditionelle Deutungen des Todes Christi wie die Satisfaktions- oder Strafleidenstheorie werden hingegen vehement abgewiesen. Offen bleibt, wie F. sich das Verhältnis der Gerechtigkeit Gottes, die es nicht zulässt, die Differenz von Recht und Unrecht zu egalisieren, und seiner unbedingten Versöhnungs- und Gnadenliebe präzise denkt. In hamartiologischer Hinsicht bleibt seine »theologia crucis« tendenziell unterbestimmt und zu wenig komplex, was nach meinem Urteil den gravierendsten Mangel der Gesamtdarstellung ausmacht. Zwar wird sehr deutlich die Macht der Sünde herausgestellt, die in Christi Kreuzestod definitiv zu-tage getreten und zugleich gebrochen worden sei; hingegen tritt ihr Schuldcharakter, ohne dass er geleugnet würde, hinter ihren Machtcharakter zurück, was mit der bereits problematisierten Tendenz zusammenhängen mag, die Faktizität des Bösen auf die Macht des Alls zurückzuführen. Wie auch immer: Zum »propter Christum« des IV. Artikels der Confessio Augustana, mit dem nach reformatorischer Auffassung die Kirche steht und fällt, wäre meines Erachtens noch mehr und anderes zu sagen als F. zu sagen vermag; die gelegentlich etwas polternd auftretende Kritik (die in »Cur Deus homo« entwickelte Theorie etwa wird als »perverses Gedankenkonstrukt« [201] gebrandmarkt, deren »Blutgeruch« [ebd.] noch an der Kreuzestheologie Karl Barths hafte, von derjenigen Luthers ganz zu schweigen) ist nicht imstande, das hier verbleibende Defizit konstruktiv zu beheben.
Gott »hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt« (2Kor 5,21). Was der Apostel Paulus damit soteriologisch sagen wollte, bedarf weiterer Erörterungen über das von F. Ausgeführte hinaus. Unter ihrer Voraussetzung würden gegebenenfalls auch seine Aussagen zur Auferweckung bzw. Auferstehung, Himmelfahrt und zu der zu erwartenden Wiederkunft Jesu Christi noch erhellender ausfallen, als sie es ohnehin sind. Mit den eschatologischen Bezügen der Christologie ist bereits auf den pneu-matologischen Prozess und sein Vollendungsziel verwiesen, von welchem der dritte Artikel handelt, in dem sich der Glaube zum Heiligen Geist, zur Kirche als der communio sanctorum, deren Ge­meinschaft durch Teilhabe ihrer Glieder an Wort und Sakrament lebt, zur Vergebung der Sünde sowie zur allgemeinen Auferstehung der Toten und zum ewigen Leben bekennt. Als hintergründig wirksamer und die dogmatische Argumentation bestimmender Schlüssel von F.s Hermeneutik fungiert hier wie schon anderwärts die traditionelle Thematik von Gesetz und Evangelium, die beide recht zu unterscheiden und ins rechte Verhältnis zueinander zu setzen nach Luther die eigentliche Kunst der Theologie ausmacht.
Dass Unterschied und Zusammenhang von Gesetz und Evangelium nur vom Evangelium her heilsam zu bestimmen ist, ist ebenso zutreffend wie die Feststellung, dass eine hoffnungsfrohe Nachfolge Jesu Christi nur in der gewissen Zuversicht auf das Entgegenkommen des Herrn möglich ist, der durch Gottes Gnade aus dem Gericht zu erretten versprochen hat. Was kommt zuletzt auf uns zu? Antwort: Die Zukunft dessen, der gekommen ist, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist (Lk 19,10; vgl. Mt 18,11). Von daher hat es gerade in eschatologischer Hinsicht und in Erwartung des Vollendungsziels des pneumatologischen Prozesses und der gesamten göttlichen Ökonomie seine Richtigkeit, die traditionelle Reihenfolge von Gesetz und Evangelium umzukehren und von Evangelium und Gesetz, ja sogar nur noch vom Evangelium zu sprechen. Zu einem wie auch immer gearteten Antinomismus darf diese Rede allerdings nicht führen. Man läge dann zwar im Trend, befände sich aber gleichwohl auf einem Abweg. F. wird dem zustimmen, wie nicht nur, aber vor allem seine Ausführungen zum Thema der Vergebung der Sünde vermuten lassen, deren Unwesen er als Verkehrung des Gottes- und des Selbstverhältnisses des Menschen sowie seiner Verhältnisse zu Mitmensch und Welt deutet.
»Wer Amen sagt, will selbst nicht das letzte Wort haben« (344), heißt es zum Schluss bei F., der als Professor für Systematische Theologie und Philosophie an der Evangelischen Hochschule in Nürnberg lehrt sowie als theologischer Referent der Landessynode in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern tätig ist; das gilt für jedes Glied der Kommunikationsgemeinschaft der communio fidelium, die dazu berufen ist, vor Menschheit und Welt Rechenschaft zu geben von ihrem Glauben. Rechte Zeugenschaft christlicher Wahrheit kann es nur geben in der Gewissheit ihrer Selbstbezeugungsfähigkeit; sie nötigt den Zeugen zur Selbstunterscheidung vom Bezeugten und eröffnet jedermann die Möglichkeit sich selbst zu überzeugen bzw. überzeugen zu lassen. Der Heilige Geist, das ist wahr, ist kein Skeptiker, sondern provoziert feste Behauptungen, die unveräußerlich zum christlichen Glauben gehören; doch vermittelt er zugleich und in einem damit für den Glaubenden das Bewusstsein, nicht unmittelbar selbst das Subjekt der Beglaubigung seiner assertiones und ihrer Wahrheit zu sein. Theologische Entschiedenheit und Gesprächsoffenheit schließen sich danach nicht aus, sondern erfordern sich wechselseitig. »In diesem Sinne: ›Amen.‹« (345)