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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1066–1068

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Gerhard, Johann

Titel/Untertitel:

Postilla (1613). Teil 1: Advent bis Judica. Kritisch hrsg., kommentiert u. m. e. Nachwort versehen v. J. A. Steiger. Unter Mitwirkung v. F. May.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2014. VI, 481 S. m. 2 Abb. = Doctrina et Pietas, Abt. I Johann Gerhard-Archiv, 7.1. Lw. EUR 312,00. ISBN 978-3-7728-1961-2.

Rezensent:

Stefan Michel

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Gerhard, Johann: Postilla(1613). Teil 2: Palmarum bis Pfingsten. Kritisch hrsg. u. kommentiert v. J. A. Steiger. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2015. VI, 335 S. = Doctrina et Pietas, Abt. I Johann Gerhard-Archiv, 7.2. Lw. EUR 256,00. ISBN 978-3-7728-2679-5.


Die Postille des späteren Jenaer Theologen Johann Gerhard (1582–1637) gehört aus heutiger Perspektive wahrscheinlich zu den weniger bekannten Werken des sonst als Dogmatiker berühmten Gelehrten. Dabei wurden seine Predigten offenbar von den Zeitgenossen und auch den Lesern erbaulicher Schriften bis in das 19. Jh. hinein geschätzt. Dass seit 2014 eine Edition dieser erstmals 1613 aufgelegten Postille in einer kritischen Edition erscheint, verdient aus verschiedenen Gründen Beachtung. Johann Anselm Steiger, der Herausgeber des Johann Gerhard-Archivs (künftig: DeP I), legt damit erstmals eine Edition einer gerade im 17. und 18. Jh. sehr wirksamen Gattung, der Postille vor. Keine andere Postille dieser Zeit – zu erinnern wäre beispielsweise an Johann Arnds (1555–1621) Postille von 1616 oder Valerius Herbergers (1562–1627) »Herzpostille« von 1613 – ist in einer modernen Edition greifbar. Wer keinen alten Druck zur Hand nehmen möchte, ist auf die Edition von Luthers Postillen in der Weimarer Lutherausgabe angewiesen, um sich einen Eindruck davon zu verschaffen, was eine Postille ist und wie sie funktioniert. Deshalb ist Steigers Vorstoß unbedingt zu begrüßen, der nicht nur für die Predigtforschung des 17. Jh.s Impulse geben könnte. Darüber hinaus könnte Steigers Edition die Erforschung der lutherischen Theologie des 17. Jh.s befördern. Hier muss aber zugleich eine Kritik ansetzen, die nicht die Edition der Postille, sondern die Konzeption seines Johann Gerhard-Archivs trifft: Steiger stellt G. als Erbauungsschriftsteller in den Vordergrund, hinter dem der theologiegeschichtlich so wichtige Dogmatiker zu verschwinden droht. Dringend notwendig wäre daher eine ebenso sorgsam besorgte Ausgabe der Loci, der Confessio catholica und der Schola pietatis.
G. verfasste seine 114 Predigten umfassende Postille in seiner Zeit als Superintendent in Heldburg. Die erste Auflage im Quartformat erschien in vier Bänden 1613 bei Tobias Steinmann in Jena. Die zweite Auflage, diesmal im Folioformat, brachte Steinmann 1616 vermehrt um G.s Passionspredigten aus dem Jahr 1611 (die von Steiger bereits im Jahr 2002 als Band DeP-Band I/6 ediert wurden) auf den Markt. Weitere Auflagen folgten 1633, 1733, 1870 bis 1878. G. widmete seine Postille drei Räten im Umfeld des Dresdener Hofes, nämlich dem Präsidenten des Appellationsgerichtes Caspar von Schönberg (1570–1629), dem Hofrat Marcus Gerstenberger (1583–1634) und dem Kammersekretär Ludwig Wilhelm Moser (1556–1635). Interessant ist G.s Widmungsvorrede (DeP 7/1, 2–11), die er an seinem 30. Geburtstag, dem 17. Oktober 1612 unterzeichnete, weil er darin kurz seine homiletischen Grundsätze umreißt. Nachdem er elf verschiedene Modi zu predigen, damit zugleich Typen von Predigern benannt hat, umreißt er kurz sein Konzept. Für G. sind sowohl der »modus Catecheticus« als auch der »modus mysticus« bindend. Dies bedeutet, dass G. zunächst den biblischen Text verständlich als »Lehre, Trost, Vermahnung und Warnung« für seine Hörer erschließt. Außerdem werden alt- und neutestamentliche Texte christologisch ausgelegt. Theologische Debatten oder gelehrte Belehrungen haben in den Predigten keinen Platz.
Die ersten beiden Bände der vorgelegten Edition enthalten den ersten Teil der Postille, und zwar im ersten Band 28 Predigten von Advent bis Judica und im zweiten Band 20 Predigten von Pfingsten bis Palmarum. Benutzt wurden Exemplare der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen sowie der Universitätsbibliothek Rostock. In DeP 7/1 findet sich ein kurzer editorischer Bericht (461 f.), der die in dieser Edition eingeführten Editionsgrundsätze umreißt. Demnach ahmt die Edition das Druckbild der Ausgabe von 1613 durch Kursivierungen u nd unterschiedliche Schriftgrößen nach. Zwei Apparate weisen einerseits die Abweichungen zur zweiten Auflage von 1616 und andererseits Zitate, vor allem Bibelstellen und Kirchenväterzitate, nach. An den editorischen Bericht schließt sich eine durchaus in­struktive Einführung (462–475) an, die allerdings ohne entsprechende bibliographische Kennzeichnung einen nahezu unveränderten Aufsatz bietet, der bereits schon einmal vom Herausgeber veröffentlicht wurde (Die Postilla des lutherischen Barocktheologen Johann Gerhard, in: Lutherische Theologie und Kirche 36 [2012], 213–233). Texterweiterungen und -streichungen in der Postille der Ausgabe von 1663 werden in beiden Bänden im Anschluss an alle Predigten separat abgedruckt (Bd. 1, 425–441; Bd. 2, 305–315).
Drei Register über die Predigttexte, Bibelstellen und Personen in jedem Band erschließen die Inhalte der beiden Bände. Das Erscheinen der restlichen Teile der Postille, wofür drei weitere Bände vorgesehen sind, steht noch aus. Erst nach Abschluss der Edition wird eine vorsichtige Bewertung ihres Ertrags vorzunehmen sein.