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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1062–1063

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Spehr, Christopher, Haspel, Michael, u. Wolfgang Holler[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Weimar und die Reformation. Luthers Obrigkeitslehre und ihre Wirkungen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2016. 201 S. m. Abb. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-374-04278-4.

Rezensent:

A. B.

Die Frage, ob denn wirklich jede wissenschaftliche Tagung in einen Publikationsband ausmünden muss, stellt sich in diesem Fall nicht. Denn die Beiträge des vorliegenden Sammelwerks sind allesamt derart sachhaltig konzentriert, rahmenthematisch diszipliniert und organisch vernetzt, dass man der glücklichen Kooperation der zehn Autorinnen und Autoren eine gleichsam monographische Dignität wird bescheinigen wollen. Die damit dokumentierte Konferenz, die Ende Oktober 2014 in Weimar stattfand, verdankte sich der Zusammenarbeit der Evangelischen Akademie Thüringen, der Klassik Stiftung Weimar und der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Tatsächlich markiert die Stadt Weimar den idealtypischen Ort, an dem Luthers Obrigkeitslehre erstmals theoretische und organisationspolitische Konturen gewann. Hier trug der Reformator im Oktober 1522 jene beiden Predigten vor, aus denen kurz darauf seine religionstheologische Grundlagenschrift Von weltlicher Obrigkeit (1523) erwuchs, die dann ihrerseits, wenn auch indirekt und vielfach vermittelt, vielleicht nicht »die«, aber doch eine »Grundlage für die spätere Entwicklung eines weltanschaulich neutralen Staates« (5) bereitstellte. Und hier ist dann auch nach der protestantischen Niederlage im Schmalkaldischen Krieg (1547) unter Herzog Johann Friedrich von Sachsen und seinen Söhnen eine mustergültige politische und gesellschaftliche Realisierung des reformatorischen Staatsverständnisses umgesetzt worden.
Die Beiträge des Bandes haben es in sich: Christopher Spehr un­terzieht Luthers Weimarer Obrigkeitspredigten einer ebenso profunden wie präzisen Analyse, Gerhard Müller porträtiert das Weimarer Schloss als einen territorialfürstlichen Zentralort der Reformation. Weitere historische Detailrekonstruktionen gelten dem Herrschaftszuschnitt (Dagmar Blaha) und Wirkungsfeld Johanns von Sachsen (Joachim Bauer) sowie der von Lukas Cranach d. Ä. verfolgten reformatorischen Bildstrategie (Wolfgang Holler).
Auf der damit gesicherten lokal- und problemhistorischen Basis analysiert Luise Schorn-Schütte das Obrigkeitsverständnis des altprotestantischen Luthertums, wozu die von Georg Schmidt um­sichtig betriebene Erkundung der »Lutherische[n] Untertanen im späten Alten Reich« gewissermaßen die obrigkeitsfunktionale Gegenprobe bereitstellt. Dass die Prägekraft der lutherischen Ob­rigkeitslehre auch noch in der Gegenwart zu verspüren ist, wird exemplarisch in staatstheoretischer (Klaus Dicke), staatsethischer (Svend Andersen) und gesellschaftlich-kultureller Hinsicht (Ellen Ueberschär) erwiesen.
Aus der durch das Reformationsjubiläum ausgelösten Literaturflut ragt dieser Band wegen seiner präzisen Sachbezogenheit und fachwissenschaftlichen Seriosität weit heraus. Die Organisatoren anderer Tagungen sollten sich bei der Frage, ob eine Drucklegung ihrer Konferenz angezeigt ist, das hier erreichte Niveau zum Kriterium machen.