Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1059–1060

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schattkowsky, Martina [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Frauen und Reformation. Handlungsfelder – Rollenmuster – Engagement.

Verlag:

Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2016. 354 S. m. Abb. = Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, 55. Geb. EUR 66,00. ISBN 978-3-86583-927-5.

Rezensent:

Martin H. Jung

Der Titel weckt Erwartungen, der Inhalt des Buches enttäuscht aber ein wenig. Der Band ist sehr schön und sehr sorgfältig gestaltet, bereichert die Forschung aber nur in geringem Maß; der Aufwand war groß, der Ertrag ist schmal. Nur wenige Autoren bieten wirklich Neues, zu viele publizieren noch einmal in Variationen schon Publiziertes (Conrad, Frassek, Fröhlich-Schauseil), zu viele schöpfen aus zweiter Hand. Beinahe peinlich sind Formulierungen wie: »Die Reformation zählt zu den bedeutendsten Ereignissen des vergangenen Jahrtausends.« (255)
Der Sammelband zu einem durchaus und immer noch wichtigen Thema geht auf eine Tagung zurück, die schon 2013 zur Vorbereitung einer Ausstellung stattgefunden hatte. Nach einleitenden Beiträgen über »Frauen und Reformation« (Martina Schattkowsky), »Reformation und Genderforschung« (Ute Gause) und »Frauen in der Zeit der Reformation« (Anne Conrad) werden in vier Aufsätzen »Protagonistinnen der Reformation« (53) vorgestellt, in vier weiteren »Lebenswelten und Rollenbilder« (171) diskutiert und schließlich in noch einmal vier Aufsätzen »Handlungsspielräume« (253) zwischen dem Nonnendasein und dem Eheleben reflektiert.
Jens Klingner berichtet von der »Edition der Korrespondenz Herzogin Elisabeths von Sachsen« (55), ein schon weit fortgeschrittenes, viel versprechendes Editionsprojekt (2017 erschien jetzt der zweite der insgesamt drei Bände). Interessant ist aber das Projekt selbst, die edierten Texte, nicht jedoch Klingners im Grunde schon überholter Bericht über das Projektvorhaben und seine Rahmenbedingungen, der von Ergebnissen noch nichts zusammenfassen kann. Eine interessante Themenstellung verfolgt auch Martin Arnold, wenn er »[e]vangelische Glaubenspraxis und religiöses Engagement niederadliger Frauen im 16. und 17. Jahrhundert« (87) zu rekonstruieren sucht. Doch die dafür herangezogenen Quellen bieten leider zu wenig Substanzielles.
Uneingeschränkt interessant und Neues bietend ist Gabriele Janckes Untersuchung über die Rezeptionsgeschichte Katharina von Boras. Behandelt werden unter anderem der lutherische Autor Wilhelm Beste (1843), der katholische Michael Kuen (1747) und der amerikanische Spiritist Henry Upsall (1917). Positiv hervorzuheben ist auch Jasmin Irmgard Hoven-Hackers Bericht über »Nonnen fürstlicher Herkunft im Zeitalter der Reformation« (303). Behandelt werden sowohl wenig bekannte Anhängerinnen des alten Glaubens wie Elisabeth von Braunschweig-Wolfenbüttel als auch bekannte und unbekannte Anhängerinnen der Reformation wie Ursula von Münsterberg und Margarethe von Henneberg, die das Klosterleben aufgegeben haben. Eindrücklich wird geschildert, wie schwierig es war, für letztere adlige Frauen Ehemänner zu finden: »Kein protestantischer Fürst ehelichte eine ehemalige Nonne.« (337) Ferner hat Sabine Zinsmeyers auch Zahlen präsentierender Bericht über Klosterfluchten Beachtung verdient.
Die einleitenden Beiträge zu übergreifenden Perspektiven bieten dagegen nichts, was den Fachleuten nicht schon bekannt wäre. Recht gegeben werden muss freilich Ute Gause mit ihrer Diagnose, »dass in gegenwärtigen Gesamtdarstellungen der Anteil der Frauen am Verlauf der Kirchengeschichte nach wie vor marginal ist« (23) – es gibt allerdings auch Ausnahmen, die einer Erwähnung wert gewesen wären. Zuzustimmen ist ferner Anne Conrad mit ihrer Einschätzung, »dass die Reformation Entwicklungen in Gang gesetzt und vorangetrieben hat, die das abendländische Frauenbild und die reale Situa-tion der Frauen bis in die Neuzeit wesentlich geprägt haben« (52).
Störend bei der Lektüre ist eine starke Redundanz. Über verschiedene Dinge wie die Klosterflucht der Katharina von Bora und der Eheschluss der Katharina Zell wird gleich mehrfach berichtet, vor allem aber über Argula von Grumbach und ihr Leben und Wirken (Conrad, Arnold, Kommer, Jaeger), wobei sich dann auch noch unterschiedliche Angaben zum Todesjahr finden (»nach 1563«, 41; »um 1560«, 103; »1556/57«, 197; »1554«, 209). Richtig ist übrigens nach Peter Matheson, der in den vergangenen Jahren am gründlichsten über die Adlige geforscht hat, 1554. Conrad nennt Matheson in einer Anmerkung (41), hat ihn aber nicht wirklich gelesen oder rezipiert seine Forschungsergebnisse zumindest nicht.
Positiv hervorzuheben ist das reichlich einbezogene, schöne Bildmaterial, das vieles bietet, was nicht schon bekannt ist. Löblich ist ferner das Personen- und Ortsregister, das eine punktuelle Befragung und Benutzung des Bandes ermöglicht.