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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1057–1059

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Luttikhuizen, Frances

Titel/Untertitel:

Underground Protestantism in Sixteenth Century Spain. A Much Ignored Side of Spanish History.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017. 434 S. = Refo500 Academic Studies, 30. Geb. EUR 90,00. ISBN 978-3-525-55110-3.

Rezensent:

Lothar Vogel

Frances Luttikhuizen, emeritierte Linguistin an der Universität Barcelona, möchte mit dieser Monographie die internationale Aufmerksamkeit für eine weithin vernachlässigte Seite der Reforma-tionsgeschichte fördern, nämlich für das, was sie als »Untergrund-Protestantismus« in Spanien im 16. Jh. definiert. Zweifellos wird dieser Anspruch durch die vorliegende Veröffentlichung eingelöst. Sie bietet Zugang zu Quellen und Personen, die in der Tat weitgehend unbekannt sind, jedoch Aufmerksamkeit verdienen aufgrund der Rechenschaft, die sie für ihren Glauben vor der Inquisition leisteten – bis hin zur Bestrafung auf den berüchtigten autos-da-fé, d. h. hochritualisierten »Glaubensakten«, bei denen überführte Hä­retiker öffentlich verurteilt und bei entsprechender Schwere des Vergehens auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wurden. Quellenmäßig basiert die Darstellung dabei auf zwei Säulen. Zum einen bedient sie sich, wie die gesamte Geschichtsschreibung über die Reformation in Spanien, der Informationen eines unbekannten, unter dem Pseu-donym Reginaldus Gonsalvus Montanus auftretenden Verfassers, dessen Werk im Jahre 1567 in lateinischer Sprache gedruckt wurde (Sanctae inquisitionis hispanicae artes aliquot detecta). Warum die Vfn. den auf dem Frontispiz angegebenen Druckort Heidelberg in Frage stellt und stattdessen London vorschlägt (159 f.), wird nicht ganz deutlich. Zum andern – und darin liegt das entscheidende Verdienst der Veröffentlichung – wird die in Spanien seit Ende der Franco-Diktatur geleistete Erschließungsarbeit von Inquisitionsakten des 16. Jh.s zusammengestellt.
Besonders eindrücklich sind die Nachrichten über evangelische Kreise in den beiden Städten Valladolid und Sevilla. Sie sind durch erasmianisch-humanistisches Gedankengut inspiriert und zeichnen sich zudem durch Lektüren von Reformatorenschriften (Luther, Melanchthon, Calvin und andere) aus. Lehrmäßig tritt dabei die Rechtfertigung aus Glauben allein ins Zentrum und wird als kritischer Maßstab gegen eine als veräußerlicht wahrgenommene Frömmigkeit ins Feld geführt. Praktisch gleichzeitig, d. h. um 1558/59, geraten diese Netzwerke in beiden Städten in den Fokus der Inquisition und werden konsequent und gewaltsam unterdrückt. In Valladolid erscheint als Zentralfigur neben den Mitgliedern der Cazalla-Familie, welche zuvor der mystischen Strömung der Alumbrados nahestand, der aus Vicenza stammende Italiener Carlo de Sesso. Das Vorgehen der Inquisition gegen diesen Kreis brachte sogar den amtierenden Erzbischof von Toledo und Primas von Spanien, Bartholomé de Carranza, in Schwierigkeiten. In Sevilla lässt sich dieser Kreis in der Bildungselite der Bürgerschaft verorten. Ein ihm angehöriger Kleriker, Constantino Ponce de la Fuente, war zuvor Hofprediger Philipps II. gewesen. Nach dem Zeugnis des Ps.-Reginaldus führte dessen Kandidatur auf ein Kanonikat zur Aufdeckung des Kreises. Als Motivation des Ponce de la Fuente erscheint dabei die Absicht, von einer angesehenen Position aus die eigenen Überzeugungen wirksamer zu vertreten (207). Es handelte sich demnach um das Projekt einer Kirchenreform von innen. Bemerkenswert sind auch Hinweise auf evangelische Seeleute und von muslimischen »Piraten« gekidnappte Geiseln. Zur seelsorgerlichen Stärkung der Letzteren veröffentlichte der evangelische Exil-Spanier Cipriano de Valera am Ende des 16. Jh.s sogar einen Traktat (290 u. 415, leider geht der Druckort aus den Angaben nicht hervor).
Problematisch an diesem Buch ist jedoch der historiographische Ansatz. Die Vfn. bietet eine geradezu als Martyrologium lesbare personalistische Darstellung. Wenn auch in material angereicherter Weise, reproduziert sie die Deutung der History of the Progress and Suppression of the Reformation in Spain in the Sixteenth Century von Thomas McCrie aus dem Jahre 1829, wonach die in die Hände der Inquisition geratenen spanischen Luther- und Calvin-Leser des 16. Jh.s als Krypto-Protestanten betrachtet werden können. Dabei findet zu wenig Beachtung, dass ein Großteil der von der Inquisition Verhörten, Verhafteten und Bestraften Religiosen waren: Priester, teilweise in hochgestellten Positionen, Mönche, Nonnen, zum Teil beatas (eine Art spanisches Beginentum). Sowohl die faktische Position der Verdächtigten als auch die humanistischen Einflüsse und die Zeitstellung der Prozesse (ab 1558) würden es bei vielen der dargestellten Figuren nahelegen, von einem Typus »katholischer Reform« zu sprechen, der sich unter vor-und früh-tridentinischen Bedingungen durch die Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben inspirieren ließ. Insofern ließen sich diese Spanier mit Gasparo Contarini oder J ohannes Gropper vergleichen, die es bis zum Kardinal brachten, postum aber zensuriert wurden. Insofern trifft der Begriff eines »Untergrund-Protestantismus« die in diesem Buch behandelten Personen am ehesten aus der Sicht der Verfolger, die pauschal von »Lutheranern« sprachen.
Was größere Zusammenhänge betrifft, ist die Darstellung oft unzuverlässig. So wird das Wormser Edikt als kirchliche Exkommunikation fehlinterpretiert (82); das erste und das zweite Regensburger Religionsgespräch (1541 bzw. 1546) werden miteinander vermengt (112); wenn Francisco de Enzinas im Vorwort seiner spanischen Übersetzung des Neuen Testaments behauptet, dass es in Spanien noch keine Bibelübersetzung gebe, so ist das historisch falsch und sollte nicht unkommentiert wiedergegeben werden (264; vgl. W. Rainer Kroll: »Spanische Bibelübersetzungen« u. »Katalanische Bibelübersetzungen«, LMA 2, 103 f.). Die lediglich mit einem Verweis auf McCrie belegte Behauptung, in den Jahren 1564/1565 sei Philipps II. Plan, Jeanne d’Albret festzunehmen und Navarra zu annektieren, lediglich an der Erkrankung seines Hauptmanns gescheitert (274), entspricht ebenfalls nicht dem Forschungsstand (vgl. Kevin Gould: Catholic Activism in South-West France, 1540–1570. Burlington: Ashgate 2006, 73–75). Schließlich wäre es erforderlich, die für Spanien ermittelten Verhältnisse systematisch mit anderen süd- und westeuropäischen Ländern zu vergleichen. So ist eine sich aus teils gefährlichen Lektüren und Übersetzungen nährende und nach humanistischem Vorbild in Kreisen und Netzwerken realisierte Reformbewegung auch in Italien anzutreffen (Hubert Jedin sprach hier von »Evangelismus«). Oft führten erst der Druck der Inquisition und das Exil zu konfessionellen Entscheidungen. Im Ganzen hätte die Vfn. ihrem Anliegen besser gedient, wenn sie anstelle einer monographischen Darstellung ein (vielleicht zweisprachiges) Quellenbuch veröffentlicht hätte.