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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1054–1055

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kaufmann, Thomas, u. Martin Keßler[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Luther und die Deutschen. Stimmen aus fünf Jahrhunderten.

Verlag:

Ditzingen: Philipp Reclam jun. Verlag 2017. 269 S. = Reclam Taschenbuch, 20747. Kart. EUR 14,95. ISBN 978-3-15-020474-0.

Rezensent:

A. B.

Aus der durch das Reformationsjubiläum von 2017 veranlassten Buchproduktion dürften diejenigen Bände Bestand haben, die sich um die Sicherung, Aufbereitung und Verbreitung von Quellenschriften verdient machten. Zu ihnen zählt auch die vorliegende Anthologie. Ihr Titel mag an die große, auf der Wartburg gezeigte Jubiläumsausstellung erinnern, verdankt sich jedoch dem Bestreben des Verlags, die hauseigene, von dem Politologen Johann Baptist Müller im »Lutherjahr« 1983 unter demselben Titel publizierte Textsammlung zeitgemäß zu ersetzen.
Den als Herausgeber firmierenden Kirchenhistorikern Thomas Kaufmann und Martin Keßler ist eine exzellente Auswahl an Autoren und Voten geglückt. Die historisch präzise, bündige »Einleitung« informiert zunächst über die 1617 an der Universität Wittenberg einsetzende, alsbald mit obrigkeitlichen Interessen vermengte Geschichte der Reformationsjubiläen. Danach beleuchtet sie in repräsentativer Auswahl und chronologischer Folge die wichtigsten Protagonisten der auf Luther bezogenen, inzwischen fünf Jahrhunderte umfassenden Rezeptionsgeschichte. Eindrücklich findet sich dabei vor Augen geführt, dass und inwiefern die aufgerufenen Autoren stets auch zeittypischen Strömungen, Tendenzen und Interessen verpflichtet sind.
Jedem Quellenbündel sind ein griffiger Sachtitel und knappe, kernige Hinweise zu Person und Bedeutung des Autors vorangestellt. Der Reigen beginnt bei freundlich oder feindlich gesinnten Zeitgenossen Luthers (Friedrich Myconius, Philipp Melanchthon, Johannes Cochläus, Johannes Mathesius), setzt sich in die Ära des konfessionellen Luthertums fort (Johann Gerhard, Veit Ludwig von Seckendorff, Ernst Salomon Cyprian), führt über das auch den Pietismus (Gottfried Arnold) einschließende Zeitalter der Aufklärung (Johann Georg Walch, Gotthold Ephraim Lessing, Charles de Villers) in die bis dahin unerreichte Polyphonie des 19. Jh.s (Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Heinrich Heine, Leopold von Ranke, Friedrich Engels, Heinrich von Treitschke), um schließlich für das 20. Jh. den fachwissenschaftlichen Aufbruch (Adolf von Harnack, Ernst Troeltsch, Karl Holl), an dem auch die katholische Reformationsforschung (Joseph Lortz) teilhatte, daneben die essayistische Spielart (Thomas Mann) sowie zwei der bedeutendsten Impulsgeber für die aktuelle Arbeit an Luther (Bernd Moeller, Heiko A. Oberman) zu dokumentieren.
Die Auswahl der Autoren folgt einem klaren Prinzip: Es werden Auszüge aus solchen historiographischen und literarischen Quellen geboten, »denen eine besondere Repräsentativität oder eine herausragende Wirkung zuerkannt werden konnte« (24). Dies macht verständlich, weshalb andere Autoren, die man beim ersten Blick auf den Buchtitel vielleicht hätte erwarten wollen, nicht berücksichtigt wurden – so etwa Johann Gottfried Herder, für dessen ungeschriebene Biographie des Reformators die Überschrift »Lu­ther. Ein Lehrer der Deutschen Nation« vorgesehen war, oder auch der katholische Kulturhistoriker Johannes Janssen und der von dessen Lutherbild stark beeinflusste Friedrich Nietzsche. Den Quellentexten sind knappe Wort- und Sacherläuterungen beigefügt, am Ende des Bandes folgen die Textnachweise sowie kundig erstellte weiterführende Literaturempfehlungen.
Der Band möchte die großen kommentierten Textsammlungen von Ernst Walter Zeeden (1950/52) und Heinrich Bornkamm (21970) nicht alternieren, sondern ergänzen. Indem er in glückendem Zu­griff die bisherige Deutungsgeschichte Luthers und der Reformation präsentiert, lädt er zugleich zu deren kritischer, bereichernder Fortschreibung ein.