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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1026–1029

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gertz, Jan C., Levinson, Bernard M., Rom-Shiloni, Dalit, and Konrad Schmid [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Formation of the Pentateuch. Bridging the Academic Cultures of Europe, Israel, and North America.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XI, 1204 S. = Forschungen zum Alten Testament, 111. Lw. EUR 269,00. ISBN 978-3-16-153883-4.

Rezensent:

Christian Frevel

Der zu besprechende Band ist schon äußerlich ein Schwergewicht. Unter den Monographien im Bücherschrank sticht der breite Buchrücken ins Auge. Das Buch will Zeichen setzen und dabei nicht nur einen Diskurs abbilden, sondern maßgeblich bestimmen und weiterführen. Vier Forscherpersönlichkeiten von Rang aus Heidelberg, Minnesota, Jerusalem und Zürich firmieren als Herausgeber von insgesamt 56 englischsprachigen Beiträgen zur Pentateuchforschung. Den Hintergrund des Bandes bildet die ab­schließende Dokumentation der Arbeit einer unter dem Titel »Convergence and Divergence in Pentateuchal Theory« am Institute for Advanced Studies in Jerusalem von 2012 bis 2013 zusammengeführten internationalen achtköpfigen Forschergruppe. In diesem Kontext fanden zwei größere Konferenzen 2013 und 2014 statt, deren Vorträge in die zehn Sektionen des vorliegenden Bandes eingeflossen sind. Das Ergebnis ist beachtlich und in der akademischen Gelehrsamkeit auf 1204 Seiten schon quantitativ schwer zu überblicken, geschweige denn zu übersehen. Nicht alle Einzelbeiträge werden von abstracts begleitet und manches Mal fehlt sogar eine Zusammenfassung, was den einfachen Zugriff erschwert. Im Rahmen einer Rezension ist überdies schon die Vorstellung der 56 Beiträge ein aussichtsloses Unterfangen, da schon die Nennung der Einzeltitel die vorgegebene Umfangsbegrenzung sprengen würde. Wollte man nun einzelne Beiträge herausgreifen, bliebe die Auswahl geradezu notwendig arbiträr. Wie soll man sich aber einem solchen Band überhaupt nähern, um ihn Leserinnen und Lesern näherzubringen?
Schon das ausführliche Bibelstellenstellenregister hat 44 Seiten und wer es durchblättert, gewinnt einen ersten Eindruck von der Vielfalt der Zugänge. Dazu zwei Beobachtungen: Zum einen weisen Textstellen, bei denen sich die Diskussion der vergangenen Dekaden immer wieder inhaltlich wie literargeschichtlich kontrovers bündelte (also etwa Gen 12,1–3; 15,6; 17,6; Ex 7,13–14; 19,3–6; 23,23; 34,27; Lev 26,46; Num 14,1–4; 25,1–6; Dtn 34,4; Jos 24,2–9 u. v. a. m.), kaum eine größere Resonanz in dem Band auf. Hier ist demgegenüber mehr literargeschichtliche Entschiedenheit, die das überkommene (traditionelle Vier-) Quellenmodell hinter sich gelassen hat. Die Differenzen, die in dem Band deutlich werden, liegen weit tiefer, als dass sie an der immer gleichen Auseinandersetzung von Einzelstellen geführt werden könnten. Auch die den Band zusammenbindenden Fragestellungen gehen über die Diskussion von Einzelstellen weit hinaus. Zum anderen fällt auf, dass es zwar kaum Stellen gibt, die gar nicht genannt werden, aber zugleich ebenso wenig Stellen, die in mehreren Aufsätzen behandelt werden. Damit offenbart schon das Stellenregister eines der erwartbaren Hauptprobleme eines solchen Bandes: die Vernetzung der Einzelbeiträge untereinander, sodass tatsächlich ein Brückenschlag oder ein Diskurs am Text erkennbar würde. Das verspricht aber der Untertitel »Bridging the Academic Cultures of Europe, Israel, and North America«, der zugleich der Untertitel der oben genannten Forschergruppe war. Ist der Band die Brücke durch die Juxtaposition der Vielfalt der Zugänge oder bietet er Pfeiler, auf denen die Nutzer des Bandes diese Brücke schlagen können? Die Diversität ist größer als auf einer bunten Sommerwiese. Manche Blume ist noch knospend, andere blühen prächtig in unterschiedlichen Farben und manche sind auch schon verwelkt. Das Gesamtbild ist beeindruckend bunt und jede einzelne Blume für sich genommen wertvoll.
Den Ausgangspunkt des Bandes beschreibt die mit »Convergence and Divergence in Pentateuchal Theory« überschriebene Einleitung der Herausgeber. Sie beschwört eine mehrdimensionale Schwellensituation in der Pentateuchforschung: »Recent developments in academic biblical studies, however, jeopardizes the revolutionary progress that has been accomplished over the last two centuries.« (2) Zum Beleg stellen die Herausgeber die Fragmentierung der Diskurse vor, die durch das Ende der Neueren Urkundenhypothese bedingt sei, was zu einer babylonischen Sprachverwirrung in der community geführt habe: »Even when they employ the same terminology (for example, redactor, author, source, exegesis), scholars often mean quite different things.« (2) Zunehmend blo-ckiere sich der Diskurs durch die fehlende Verständigung in den wesentlichen Grundfragen selbst: »Scholars tend to operate from such different premises, employ such divergent methods, and reach such inconsistent results, that meaningful progress has become impossible.« (3) Die Erwartung, dass der Band hier nun Schneisen schlägt, indem er die Differenzen erläutert und die Beiträge darauf verpflichtet, dass sie ihr Verständnis von redactor, author, source und exegesis offenlegen, erfüllt sich allerdings nicht, auch wenn die Herausgeber als Ziel angeben, durch eine Reflexion der methodologischen Annahmen einen Beitrag dazu leisten zu wollen. Die genannte Schwellensituation wird mit drei Beobachtungen zur Lage der Exegese begründet: 1. Durch die Archäologie seien literarische Theorien neu herausgefordert, 2. die protestantische Prägung der literarkritischen Exegese sei durch jüdische Perspektiven in Israel und an amerikanischen Universitäten aufgebrochen worden, und 3. neue empirische wie methodologische Einsichten in die Art, wie Traditionsliteratur entsteht, bearbeitet und überliefert wird, hätten den Diskurs in seinen Grundfesten verändert. Erwartet die Leserin oder der Leser nun, dass diese drei wichtigen Veränderungen im akademischen Feld einzeln und umfassend aufgearbeitet werden, wird er enttäuscht. Teile davon sind, wie gleich zu zeigen ist, in den einzelnen Sektionen erkennbar, aber die Klarheit, mit der sie in der Einleitung benannt werden, verliert sich in dem Band. Die diametrale Gegenüberstellung von Documentarians und Europäischer Forschung (über die sich selbst auch diskutieren ließe, weil die de facto Diversität auf beiden Seiten viel höher ist), die die Einleitung als Leitunterscheidung darstellt, wird eher abgebildet, als dass sie methodisch aufgearbeitet würde. Vielleicht muss das auch einer Monographie vorbehalten bleiben.
Auch wenn in der Fülle der Beiträge eine einheitliche Linie oft verloren geht, beschreibt der Band ein weites Diskursfeld in zehn Bereichen, die jeweils mit einer Einleitung versehen sind. Nicht alle Sektionen sind gleich umfangreich und in der Behandlung ihres Fragehorizontes in den Einzelbeiträgen homogen, aber das ist auch nicht erwartbar. Was aber beeindruckt, ist das Portfolio der Fragen, die allesamt als in der gegenwärtigen Pentateuchforschung für wichtig, wenn nicht zentral erachtet werden können. Im Folgenden seien aus Platzgründen nur die Namen derjenigen ge­nannt, die die Einleitung zu den Einzelsektionen verfasst haben (die dem Namen folgende Ziffer gibt die Anzahl der Beiträge an), worin zugleich die sinnhafte Planung des Bandes und seine Schwerpunktsetzungen sichtbar werden: Es beginnt mit empirischen Kontrollblicken auf die Komposition des Pentateuch ( Jan Christian Gertz, 5). Der zweite Abschnitt fragt dann nach dem Zusammenhang von erzählerischem Plot und literarischer Kohärenz (Jeffrey Stackert, 6), der dritte nach Kriterien der historischen Linguistik für die Datierung von Texten (Shimon Gesundheit, 8). Welche Einsichten sich in die Formation des Pentateuch durch einen vergleichenden Blick auf die auch außerbiblische Literatur des zweiten Tempels gewinnen lassen, fragt der vierte Teil (Bernard M. Levinson, 5). Gibt es Evidenz für die in der Tradition der Quellenhypothese so prominente Redaktionskritik (Konrad Schmid, 3) und inwieweit sind bereits vorliterarische Traditionen in die Komposition des Pentateuch eingeflossen (Joel S. Baden, 4)? Im siebten Abschnitt stehen geographische und archäologische Perspektiven am Beispiel des Numeribuches im Vordergrund (Jan Christian Gertz, 5). Die zentrale Frage nach der Abgrenzung des Pentateuch als Größe und seine literargeschichtliche Beziehung zu den vorderen Propheten greift der achte Abschnitt auf (Konrad Schmid, 3). Den umfangreichsten Teil stellen die Beziehungen zwischen Tora und Prophetie dar, in den auch ein Cluster von Beiträgen zu Lev 26 aufgenommen ist (Dalit Rom-Shiloni, 12). Den Abschluss bildet die Frage nach einer theologischen Einheit des Pentateuch und den Konsequenzen einer solchen Idee für die Formation und Komposition der Tora (Benjamin D. Sommer, 4).
Die Felder sind in der gegenwärtigen Pentateuchforschung richtungsweisend, was das Schwergewicht des Bandes ausmacht, auch wenn die Pentateuchforschung nicht in diesen Fragen aufgeht. Aber alle sind durch sehr unterschiedliche Gewichtungen mit den Differenzen in den angesprochenen Wissenschaftstraditionen auf die eine oder andere Weise verbunden. Manche, aber nicht alle Beiträge lösen das Versprechen der übergreifenden Fragestellungen ein und treten in eine Diskussion ihrer Voraussetzungen ein.
Ein Gesamtertrag ist nicht zu erwarten und die Herausgeber dämpfen auch die Hoffnung, wenn sie bekennen, dass der Band nicht auf ein Set von finalen Antworten zielt, sondern darauf, einen Dialog neu anzustoßen. »This volume seeks to stimulate international discussion about the Pentateuch in order to help the discipline move toward a set of shared assumptions and a common discourse.« In dem Band selbst bleibt das jedoch über weite Strecken ein frommer Wunsch. Im Gespräch zu bleiben erscheint in jeder Hinsicht akademisch geboten. Daher ist es zwar einerseits erfreulich, wenn der Band sich breit aufstellt und auch Forscherinnen und Forscher berücksichtigt, die ihren Schwerpunkt nicht in der Pentateuchforschung haben, doch muss gleichermaßen darauf hingewiesen werden, dass bestimmte Positionen trotz der repräsentierten Breite ausgeblendet bleiben. Dazu gehören Teile der diachron reflektierenden Deuteronomiumforschung, radikale redaktionskritische Modelle oder auch kombinatorische Modelle, die das Quellen- und Fragmentenmodell im Sinne Wellhausens aufnehmen und weiterentwickeln. Mögen dem Abbilden der Vielgestaltigkeit der Pentateuchforschung in dem vorliegenden Band durch die Buchbindekunst, die für diesen wertvoll gestalteten Band perfekt ausgereizt wurde, Grenzen gesetzt sein, hätte man sich doch eine stärkere Präsenz im Inneren erwartet. So gibt der Band Anstoß zu weiterer Diskussion, auch über die Frage, wie Pentateuchforschung präsentiert wird. Mit Koh 12,11 gesprochen wird man dankbar bleiben, dass in den Beiträgen der Gelehrten und Weisen eine Vielzahl von »Ochsenstecken« (Einheitsübersetzung) oder »Stacheln« (Luther) dem Fachpublikum zugänglich gemacht wurde. Zugleich wird man mit Koh 12,12 bekennen dürfen, dass das viele Studieren auf 1204 Seiten gewiss den Leib ermüdet und der vorliegende Band bestimmt nicht der letzte Überblicksband zur Diversität der Pentateuchforschung bleiben wird. Das Fazit: ein wichtiger und vielseitiger Band, der zur Weiterarbeit am Pentateuch anregt und herausfordert.