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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1024–1026

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Farber, Zev

Titel/Untertitel:

Images of Joshua in the Bible and Their Reception.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2016. XIV, 491 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 457. Geb. EUR 139,95. ISBN 978-3-11-033888-1.

Rezensent:

Joachim J. Krause

Im Genre einer rezeptionsgeschichtlich angelegten Charakterstudie, das sich in der neueren bibelwissenschaftlichen Forschung einer gewissen Konjunktur erfreut, porträtiert Zev Farber die Figur des Josua bin Nun anhand ihrer alttestamentlichen Bezeugung und deren antiker Rezeption durch Juden, Christen und Samaritaner. Zugleich leistet seine Studie, die auf eine von Jacob Wright betreute Doktorarbeit an der Emory University zurückgeht, konstruktive methodologische Beiträge zu besagtem Genre und seinem theoretischen Hintergrund im erinnerungsgeschichtlichen Ansatz.
Mit Halbwachs und Assmann als Gewährsleuten geht es F. um Josua als Gegenstand des kulturellen Gedächtnisses – im Plural. Assmanns »Moses der Ägypter« dient als Vorbild dafür, wie »the reception of a biblical character in a given society can demonstrate a great deal about that society’s values and cultural identity« (10). In diesem Fahrwasser verfolgt F. »the continuous reinvention of Joshua over time« (455) in den unterschiedlichen Rezeptionsgemeinschaften. Die komparative Perspektive schärft den Blick dafür, inwieweit sich eine bestimmte Profilierung den spezifischen Be­dürfnissen des je eigenen kulturellen Systems verdankt und wo, in produktiver Spannung zu der Modellierung Josuas nach dem jeweiligen Selbstbild, primär der biblische Stoff das Bild prägt. F. konzeptualisiert die beiden Pole dieser Spannung als konkurrierende »kulturelle Werte«: Dass von einem hochgeschätzten Protagonisten der erinnerten Geschichte erzählt wird, verdankt sich dem Anliegen, die Kontinuität der je eigenen Gegenwart mit dieser Geschichte bewusst zu machen und zu bewahren. Zugleich muss dabei auch deutlich werden (andernfalls rücken andere Erinnerungen an diese Stelle), welche Bedeutung (F. spricht pointiert von »Relevanz«) diese Geschichte für die Gegenwart (»one’s cultural present«, 455) hat. Diese Spannung zwischen »maintaining continuity with the past« und »reconceptualizing the past to make it relevant« (455) lotet F. am Fallbeispiel des biblischen Josua und seiner Erinnerungsgeschichte in den unterschiedlichen Erzählgemeinschaften aus.
Zu Beginn steht eine grundlegende und gründliche Erarbeitung des biblischen Materials. Sie erfolgt in zwei Teilen, die den ersten beiden Kapiteln entsprechen. Kapitel 1 »Biblical Joshua(s)« bietet eine sorgfältige synchrone Lektüre des Josuabuches zuzüglich der übrigen biblischen Belege der Figur Josuas. (Im Bereich der Landnahmeerzählung folgt sie weitgehend der Studie von S. L. Hall, Conquering Character. The Characterization of Joshua in Joshua 1–11, LHBOTS 512, New York u. a. 2010.) Als Erstzugang ergibt dies guten Sinn, bedenkt man, wie F. es ausdrücklich tut, dass auch die vormodernen Tradenten, um deren Wahrnehmung es im Folgenden gehen soll, das Josuabuch als literarische Einheit lasen. Gleichwohl reiche dies nicht hin, um die Dimensionen des biblischen Befunds auszuloten, sondern bedürfe der komplementären Frage nach dem diachronen Profil des Textes. Im Umfeld vergleichbarer Arbeiten eine durchaus bemerkenswerte methodische Maxime, erweist sich dieser zweifache Zugang doch als eine für den Erfolg der Studie entscheidende Weichenstellung. Ihr entsprechend werden in Kapitel 2 »Pre-Biblical Joshua(s)« profiliert. Zwar irritiert die Überschrift – auch F. stand das Buch des Redlichen (Jos 10,13) nicht zur Verfügung –, und über konkrete überlieferungsgeschichtliche Re­konstruktionen lässt sich naturgemäß streiten. Wichtiger ist aber, im Grundsatz wie im Ergebnis, dass der Polyphonie der Überlieferung Rechnung getragen wird. Denn es sind die unterschiedlichen Josuabilder der Bibel, die dabei in ihrer je eigenen Aussageabsicht wahrgenommen werden, an denen sich die nachfolgende Rezeption inspiriert.
Ihr ist der zweite, in vier materialreiche Kapitel gegliederte Hauptteil des Buches gewidmet. Sein Umfang (ca. 300 S.) und zugleich seine Übersichtlichkeit resultieren daraus, dass F. nicht nur in die untersuchten Quellen einführt, sondern diese auch je­weils in Original und Übersetzung darbietet – angesichts der Spannbreite der Untersuchung eine überaus hilfreiche Maßnahme. Dass dabei Sekundärliteratur nur in einer auf das Nötigste beschränkten Auswahl herangezogen werden kann, liegt auf der Hand. Kapitel 3 stellt mit »Hellenistic and Second Temple Joshua(s)« eine epochenmäßig gebundene, mithin heterogene Sammlung zusammen. Entsprechend vielfältig sind die jeweils auf einen Aspekt des biblischen Befunds abhebenden Josuabilder: Für die Makkabäer ist er der paradigmatische Krieger, für Josephus ein Staatsmann, für Philo ein Philosoph (treffender vielleicht: ein philosophischer Sparringspartner des Mose), im Apokryphon aus Qumran ein Prophet usw. Demgegenüber konzentriert sich Kapitel 4 »Samaritan Joshua(s)« auf eine, nahezu anderthalb Jahrtausende jüngere Quelle: das mittelalterliche »Josuabuch« der Samaritaner, in dem Josua als »the first king of Israel« (274) vorgestellt wird. Kapitel 5 »Early Christian Joshua(s)« untersucht nach den spärlichen neutestamentlichen Belegen vor allem die eingehende Be­schäftigung der Väter mit Josua und die typologische Deutung auf seinen Namensvetter Jesus. Indem er sich nicht auf die gleichsam kanonische Ausarbeitung bei Origenes beschränkt, sondern die patristische Literatur in ihrer Breite heranzieht, arbeitet F. den durchaus zwiespältigen Einsatz der Typologie heraus. Neben dem Führer in das jenseitige Verheißungsland kommt so der Nachfolger des Mose zu stehen, der schon in dieser Welt dessen Vermächtnis, die Tora, überwindet. Kapitel 6 »Rabbinic Joshua(s)« schließlich arbeitet heraus, wie die Rabbinen Josua als einen der ihren neu erfinden: als den »Rabbi des Landes«. Dass sie dabei keineswegs ein reines Selbstgespräch führten, belegen mutmaßliche polemische Spitzen gegen die christliche Interpretation. Wo Josua von den Kirchenvätern tendenziell als Überwinder des Mose portraitiert wird, da streichen die Rabbinen seine dem Meister untertänig ergebene Haltung heraus.
Am Ende steht eine konzise Zusammenfassung der Studie, de­ren ausgesprochen weiter Horizont – zeitlich wie kulturell – beeindruckt. Ihr weiterführender Wert dürfte sich vor allem in zwei Hinsichten erweisen. Zum einen überzeugt die konsequente Verbindung gründlicher rezeptionsgeschichtlicher Arbeit mit einer nicht weniger skrupulösen Untersuchung des biblischen Textbestands. Es ist F.s diachrone Analyse die, unbeschadet aller Anfragen, die man an die vorgelegte Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte richten kann, die Vielfältigkeit und Vielspältigkeit der Figur Josuas in einer Weise profiliert, die es erlaubt, die nachfolgende Rezeption ihrer Eigenlogik entsprechend nachzuvollziehen und auf ihr innovatives Potential zu befragen. Zum anderen ist der kulturvergleichende Ansatz hervorzuheben, durch den die Rezeption der Figur Josuas nicht nur in einer, sondern in allen maßgeblichen antiken Rezeptionsgemeinschaften gleichsam synoptisch untersucht wird. Erst so kann in den Blick kommen, was F. eindrücklich (streckenweise allerdings auch mit einem gerüttelt Maß historischer Speku lation) herausarbeitet: »the various ›Joshuas‹ are in conversation with each other as the cultures that venerate them attempt to navigate and negotiate their own identities vis-à-vis each other« (459). So sind im Ergebnis die Differenzen aufschlussreicher als die grundlegende Übereinstimmung in der Darstellung des Charakters. Denn sie erweisen sich als Indikator für »the core value differences« zwischen den behandelten Traditionen und religiösen Kulturen, »all of whom wish to be seen as the proper and legitimate successor to Israelite religion« (beide Zitate 460).
Erschlossen wird das lesenswerte und ausgesprochen gut lesbare Buch durch Register der zitierten modernen Autoren und – zur Nutzung dieser breit angelegten Synopse besonders hilfreich – der verwendeten Primärquellen, vom Pentateuch bis zum sogenannten samaritanischen Josuabuch.