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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1008–1013

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gülen, Fethullah

Titel/Untertitel:

Was ich denke, was ich glaube.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2014. 271 S. Geb. EUR 9,99. ISBN 978-3-451-33274-6. (= Gülen)

Rezensent:

Friedmann Eißler

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Homolka, Walter, Hafner, Johann, Kosman, Admiel, u. Ercan Karakoyun [Hrsg.]: Muslime zwischen Tradition und Moderne. Die Gülen-Bewegung als Brücke zwischen den Kulturen. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2010. 258 S. Kart. EUR 11,95. ISBN 978-3-451-30380-7. (= MTM)
Ebaugh, Helen Rose: Die Gülen-Bewegung. Eine empirische Studie. Aus d. Amerikan. übers. v. W. Willeke. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2012. 240 S. Kart. EUR 9,95. ISBN 978-3-451-30604-4. (= Ebaugh)
Thies, Jochen: Wir sind Teil dieser Gesellschaft. Einblicke in die Bildungsinitiativen der Gülen-Bewegung. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2013. 184 S. Kart. EUR 9,99. ISBN 978-3-451-30698-3. (= Thies)
Karakoyun, Ercan: Die Gülen-Bewegung. Was sie ist, was sie will. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2017. 224 S. Geb. EUR 19,99. ISBN 978-3-451-37679-5. (= Karakoyun)


Allein im renommierten Herder Verlag (Freiburg i. Br.) sind in den vergangenen Jahren fünf Bücher über Fethullah Gülen und die nach ihm benannte »Gülen-Bewegung« (Selbstbezeichnung Hizmet, d. i. »Dienst« für Gott und an der Menschheit) erschienen. Dabei fällt auf, dass von kritischen Positionen zwar hier und da die Rede ist, diese aber selbst nicht zu Wort kommen, geschweige denn diskutiert werden. Wie ein roter Faden zieht sich durch alle fünf Publikationen, was gleich zu Beginn der ersten formuliert wird und gleichsam als Motto über der Reihe stehen könnte: Bemühungen für ein friedliches Zusammenleben verstärken, das »Zueinander von Kulturen und Religionen« angesichts der Herausforderungen der Gegenwart positiv gestalten (MTM, 7).
1) In einem Moment des Aufschwungs und der weitgehend positiven Wahrnehmung Gülens als eines modernen »Reformers« wurde die Gülen-Bewegung (GB) mit einer internationalen Konferenz in Potsdam 2009, auch als »Coming-out der Fethullahcis in Deutschland« bezeichnet, und dem dazugehörigen Tagungsband MTM einer interessierten Öffentlichkeit vorgestellt. Der Band enthält elf Beiträge, die von den Grundlagen bis zu Länderberichten und einem Werbeblock für Gülens Schriften auf Deutsch reichen. Aus heutiger Sicht ist nach wie vor sehr aussagekräftig der Überblick von Bekim Agai (dessen Dissertation ein Standardwerk zur Gülen-Bewegung darstellt) über die Motivation, die Akteure, die Diskurse und die Aktivitäten der Bewegung in Deutschland. Daneben ist Rainer Hermann zu nennen, der Hintergründe und Zusammenhänge im Kontext der Türkei erhellt, freilich einer Türkei, in der er Gülen als positive gesellschaftliche Kraft, als Modernisierer und »Stimme der Vernunft« verorten konnte. Hier fällt wie im Beitrag von Michael Blume im Blick auf die neue Arbeitsethik Gülens das Wort vom »islamischen Calvinismus«, wobei Letzterer eine größere Nähe zum frühen Pietismus konstatiert (MTM, 93.133; s. a. Karakoyun, 43). Wird hier neben dem Lob der GB als »Glücksfall« für die Förderung von Menschenrechten und Demokratie (MTM, 141) auch ein klein wenig Kritik laut, indem der konstruktive Dialog mit der Evolutionslehre angemahnt wird (die Gülen als »Darwinismus« grundsätzlich abtut), vertieft Johann Hafner eine kritische Linie mit einem lesenswerten Blick auf Religionsfreiheit, Menschenrechte und speziell die Apostasiefrage. Weitere Texte sind teilweise ernüchternd naiv (Leonid Sykiainen), andere geben Einblicke in Gülens Denken (Thomas Michel), die Selbstdarstellung der GB nimmt großen Raum ein.
2) Die texanische Religionssoziologin Helen R. Ebaugh geht in ihrem Buch ausführlich drei Fragen nach: Woher kommt der große Enthusiasmus der Unterstützer der transnationalen GB? Wie hängen die Finanzierungsmechanismen und die engagierte Verbundenheit der Unterstützer zusammen? Welche finanziellen Bedingungen gelten für die Einrichtungen der GB, zu denen weltweit neben Bildungseinrichtungen u. a. Medien, Krankenhäuser, eine Universität und das Hilfswerk Kimse Yok Mu gehören? Zentral ist im Ergebnis die Eigenverantwortung ausgehend von den sozialen Basisgruppen, lokalen Zirkeln, die eine spirituelle Motivation für das Spenden (durchschnittlich 5–20 Prozent des Jahreseinkommens) stiften. In den soziologischen Teilen geht Ebaugh von den Theorien der Ressourcenmobilisierung und der Organisationsverbundenheit aus. Ergänzt wird die hauptsächlich auf Interviews basierende Studie durch beschreibende Kapitel zur Geschichte in der Türkei, zur Person Gülens und zum Ethos des Gebens in der türkisch-islamischen Kultur (vermutlich im Wesentlichen von einem Gülen-Getreuen verfasst). Ebaugh liefert ausdrücklich keine kritische Analyse der GB. Das wäre auch kaum möglich, betonte sie doch selbst wiederholt, weder die Schriften von Gülen noch Said Nursis wirklich gelesen zu haben. Sie erkennt zwar die religiöse Inspiration als Motor der Bewegung und sieht die zentrale Funktion der Sohbets, lehnt aber die Kenntnisnahme der religiös-weltanschaulichen Zusammenhänge dezidiert als ideologisch ab. Ergebnis: Die GB sei eine zivile, ja säkulare soziale Bewegung. Auch die 25 den »Stimmen der Kritiker« gewidmeten Seiten werden nicht genutzt, das gravierende methodische Defizit auch nur annähernd auszugleichen.
3) Das Büchlein von Jochen Thies ist schnell besprochen. Es setzt unentspanntem Misstrauen und kritischen Nachfragen im Blick auf die Bildungsinstitutionen der GB ein Bild der Empathie entgegen, geradezu der Begeisterung. Am Beispiel der Gülen-nahen Schulen in Berlin, Köln und Stuttgart (jeweils zusammenfassende Profildaten im Anhang) lobt der Vf. den Beitrag der Minderheit (der »neuen Deutschen«) in der Mitte der Gesellschaft über den Schellenkönig als erfolgreiche Alternative zum staatlichen deutschen Schulwesen. In die auf weite Strecken essayistisch, persönlich gehaltene Beschreibung der Schulgründungen und seiner »Entdeckungsreise« mischt sich immer wieder Biographisches, Anekdotisches, ein wenig Geschichte, einige Zahlen, viel Optimismus. Noch konsequenter als Ebaugh vermeidet Thies jeden Anschein, eine Auseinandersetzung mit den tiefer liegenden weltanschaulichen Implikationen der GB für sinnvoll zu erachten.
4) Das mit Abstand gewichtigste der zu besprechenden Bücher ist die von E. Karakoyun zusammengestellte Sammlung von Texten (Langzitaten, Niederschriften von Reden) Fethullah Gülens. Nach dem radikalen Bruch zwischen Erdoğan und Gülen 2013 war der Informationsbedarf ebenso wie der Rechtfertigungsdruck ge­stiegen. K. will mit neueren Texten (vor allem aus den letzten zehn Jahren) Gülen als zwar konservativen Theologen und gefeierten »Wanderprediger«, aber vor allem als modernen Demokraten und lernfähigen Bildungsmittler darstellen, der konstruktiv und pragmatisch Wege zur gesellschaftlichen Partizipation von frommen Muslimen aufzeige und Vorreiter einer gesellschaftlichen Öffnung sei. Gerade angesichts des Anspruchs, Gülen habe seine An­sichten ständig erneuert und weiterentwickelt, ist ein kritischer Blick angebracht. Die Eröffnung bilden drei Interviews mit dem Hocaefendi, darunter ein vielzitiertes FAZ-Gespräch mit R. Hermann (2012), auf das sich die GB seither gerne bezogen hat. In vier Teilen (17 Texte) wird dann der Gülen-Horizont abgesteckt: 1. Der Mensch und seine Potentiale, 2. Gesellschaftliches Leben, 3. Der Islam und 4. Der globale Frieden.
Gülen geht aus von einem perfekten System, einer vollkommenen Harmonie von Wissenschaft/Bildung und Religion/Frömmigkeit im »Makroplan« Gottes (Gülen, 188 ff.). Glaube und Wissenschaft könnten nie in einem Gegensatz stehen, ja »die Religion leitet die Wissenschaft an, bestimmt ihr wahres Ziel und stellt ihr moralische und universelle menschliche Werte zur Verfügung« (so in: Aufsätze, Perspektiven, Meinungen, 2004, 70). Gülen spricht häufig von den für ein gelingendes Zusammenleben unabdingbaren »unveränderlichen Prinzipien« oder »universellen ethischen Werten« – die der Islam (im Unterschied zu anderen Religionen und Ideologien) in konkrete und menschenverständliche Normen ge­gossen hat, überliefert als Scharia. Sie werden mit der »natürlichen Veranlagung des Menschen« in Verbindung gebracht (fitra, Sure 30,30; Gülen, 96 f.). Darauf basiert die Überlegenheitsrhetorik (»Islam« vs. »Westen«), der man überall in den Schriften Gülens begegnen kann. Es handelt sich daher nicht um diskutierbare Werte, sondern um in der islamischen Tradition vorgegebene Regeln und deren verbindliche Auslegungen, die wohl den Staatsgebilden der Menschen einen gewissen Spielraum lassen, jedoch der Gesellschaft »nicht geopfert« werden dürfen. Mit Begriffen wie »Recht« (auch: »das Recht der Menschen«), »Tugend«, »(hohe) Moral« spielt Gülen häufig auf diesen grundlegenden Zusammenhang an. Geradezu suggestiv kann er von den »fünf fundamentalen Prinzipien« des Islam als »für die Menschenrechte maßgeblich« sprechen (Leben, Vermögen, Religion, Vernunft, Nachkommenschaft; Gülen, 38). Nicht erwähnt wird, dass es sich hierbei um einen traditionell geprägten Topos handelt, seit al-Ghazali als »Inten­tion(en) der Scharia« zusammengefasst. Zugespitzt: Das von der Scharia – bei aller Flexibilität und Auslegungsbedürftigkeit – verbriefte Recht wird zum Maßstab für »Menschenrechte« erklärt (Gülen, 36 f.).
Von hier aus müssten zahlreiche Aussagen Gülens »kontextualisiert« werden – was vom nichtmuslimischen Publikum kaum zu erwarten – und von den Akteuren offensichtlich nicht gewünscht ist. Es würde deutlich, dass die »Menschenrechte«, die Gott den Menschen zuweist, eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen vorsehen und keine Religionsfreiheit kennen. Frauen können zwar »nahezu alle Rollen übernehmen«, doch zu beachten seien »die Natur der Frau und religiöse Empfindlichkeiten« (Gülen, 40). Es sei »niemals zulässig, die Rolle der Frau in der Gesellschaft und ihren Handlungsspielraum einzuschränken« (Gülen, 41). Leider werden Rolle und Handlungsspielraum der Frau nicht näher bestimmt. Auch nicht ihre Rechte: »Wenn eines ihrer Rechte berührt wird, kann sie, wie die Männer, ihre Rechte einfordern« (ebd.). Ähnlich ambivalent: »Wie bei Männern stehen auch ihr Vermögen, Leben und ihre Sexualität unter Schutz.« (Gülen, 42) Die Frau hat demnach – religiös bestimmte – Rechte, die sie einfordern kann »wie die Männer«, was freilich nicht heißt, dass es die gleichen Rechte wie die der Männer wären. Die Aussage, die Sexualität von Frauen stehe unter Schutz »wie bei Männern«, schließt keineswegs aus, dass dieser »Schutz« bei Männern und Frauen sehr unterschiedlich aussieht. Derlei Doppel- und Mehrdeutigkeiten gehören bei Gülen und seiner Präsentation vor deutschem Publikum zum Programm. Eine an Schariaregeln orientierte Lesart wird nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern anscheinend bewusst offen gehalten. An dieser Form des »Schariavorbehalts« hat Gülen nie Abstriche gemacht. Dies gilt auch – und erschwerend – im Blick auf den Demokratiebegriff. Muhammad schuf, so Gülen, in Medina eine Staatsordnung, die Modellcharakter auch für heute hat. »Dort sieht man die Verantwortung, die Rechte und Freiheiten von Muslimen und von Nichtmuslimen« (Gülen, 232; 38 f.). Das »Medina-Modell« steht für eine islamische Gesellschaft mit minderen Rechten für Juden und Christen. Dies als historisches Kernkonzept eines demokratischen Rechtsstaats zu präsentieren, ist islamistisches Gemeingut geworden, hat aber mit dem heutigen Begriff nichts zu tun. Gülen preist die Demokratie als bislang beste Staatsform, weil und insofern sie den von Gott gesetzten islamischen Prinzipien nicht widerspricht (Gülen 34 ff.92.234 f.); sie sei allerdings noch nicht »reif«: Seine Perspektive ist die einer religiösen, gar »muslimischen Demokratie« nach dem Vorbild »Medina« (Gülen, 38 f.). Bezüglich der heiklen Apostasiefrage bekräftigte Gülen vor Jahren das Urteil der islamischen Rechtsschulen, dass der Abfall vom islamischen Glauben die Todesstrafe nach sich ziehe. Das sei keine individuelle Angelegenheit. Dies wird auch jetzt nicht infrage gestellt, wenngleich Gülen nun versucht, den politischen Aspekt hervorzuheben (Gülen, 93). »Freiheit der Glaubensausübung« herrscht indessen, insofern der Glaube (als individuelle Entscheidung) nicht aufgezwungen werden kann (Gülen, 94) – was selbstverständlich unbestritten ist. Elegant umschifft Gülen die Klippe der religionsgesetzlichen Konsequenzen, indem er von der Glaubensfreiheit spricht und von der Strafe für Apostasie schweigt.
5) Direkt nach der Zäsur 2016 (Putschversuch Türkei) kam das Buch von Ercan Karakoyun (Vors. Stiftung Dialog und Bildung) punktgenau. Der Untertitel könnte, schon wenn man die Kapitelüberschriften sieht, lauten: »Eine Apologetik«. Die völlig inakzeptable Notsituation der Gülen-Anhängerschaft ernst zu nehmen ist das eine. Doch wie die GB vor diesem Hintergrund (weich-)gezeichnet wird, ist das andere. Sachliche und weiterführende Informationen zu Grundstrukturen, zur Geschichte von Hizmet sowie zum Verständnis der aktuellen Situation sind für die Leser kaum zu trennen von suggestiver Halbinformation und blanker Desinformation. Ziel ist offenkundig, zwischen Gülen und Erdoğan einen denkbar weiten Abstand plausibel zu machen. (Dieser ist nach Ansicht des Rezensenten nach über zehn Jahren symbioseähnlicher Allianz aus Machtkalkül entstanden, nicht aus Differenzen im Islamverständnis.) Das neue, mit Halbwahrheiten gespickte Narrativ wird im ersten Kapitel, das durchaus eindrücklich die Folgen des Putschversuchs schildert, präsentiert und zieht sich durch das Buch: Gülen und Erdoğan seien sich fast nie begegnet (»Mythos vom Bündnis«, Karakoyun, 179), der Präsident vertrete einen politischen Islam, Gülen dagegen einen völlig anderen, nämlich »mystischen Sufi-Islam«. Überschneidungen beider habe es nur gegeben, weil der Kemalismus die Religion unterdrückte, wogegen man sich gemeinsam zur Wehr setzte. Erdoğan habe Gülen instrumentalisiert, bis sein unterdrückerisches Regime unübersehbar und für Gülen klar war: Ohne uns! (Karakoyun, 24 f.) Weitere Kapitel führen das näher aus (5. Der Islam: Eine Religion mit vielen Gesichtern; 7. Scheindemokratie in der Türkei: Der Putsch und seine Vorgänger). Es wird schlicht abgestritten, dass es in der GB eine Organisationsstruktur und eine Hierarchie gibt, um dann Gülens Autorität immerhin »ein intensives und vertrauensvolles Lehrer-Schüler-Verhältnis« zuzuschreiben (Karakoyun, 82). Themen sind außerdem das »böse Image« eines gewalttätigen Islam, das eigentlich nichts mit »dem Islam« zu tun habe (4. Unter Verdacht – Terrorismus …, mit 9/11 über »Islam heißt Frieden« bis zu teilweise sarkastischen Einlassungen über Journalisten und Menschen mit Ängsten), die Bildungsthematik (6. Sufi-Prediger Gülen als Bildungsmodernisierer) sowie Hizmet-Aktivitäten (3. Ungesehen: Hizmet-Aktivitäten in Deutschland, und Kapitel 8). Die zweite große Stoßrichtung des Buches jedoch zielt auf die deutlicher gewordene Kritik an der GB (Medien, Verfassungsschutz u. a.), gebündelt im längsten Kapitel, dem 2., unter der – auch hier etwas plakativ-apologetischen – Überschrift »Hizmet in Deutschland – ein Missverständnis«. Letzteres wird mit einigem Aufwand, Scheingefechten (Hizmet – eine Sekte?) und Ablenkungsmanövern ( Sohbets als Weltkulturerbe) auf die Verkennung des »reformerischen Ansatzes« (Karakoyun, 38), der Offenheit der GB (»Alle unsere Vereine machen transparent, wer sie sind«, Karakoyun, 37) und des Sufi-Islam (Karakoyun, 44) zurückgeführt – letztlich eine Folge der »ständigen Verleumdung« durch Kritiker (Karakoyun, 39). Quasi als Quelle aller Verleumdung macht der Vf. einen bekannten Spiegel-Artikel von 2012 dingfest. Auf sage und schreibe 20 Seiten wird die Geschichte einer Zitatfälschung nachgezeich-net, durch die »ein gegen die PKK ausgesprochener Fluch ein Fluch gegen alle Kurden« wurde (Karakoyun, 54), der [bzw. dann: die, nächs­te Zeile: ihren] von einem PKK-Sender in die Welt gesetzt wurde und auf vielen Kanälen seinen Weg in deutsche Medien, vor allem den Spiegel, fand. C. Bultmann hat in einer Broschüre (die zwar nicht »200 eng bedruckte Seiten« hat, wie Karakoyun, 46, schreibt, sondern 100, und zwar vier Seiten Vorwort, elf Seiten Text und der Rest Dokumentation) die »[a]kribische Erforschung eines folgenschweren Enthüllungsberichts« festgehalten (Karakoyun, 45), die der Vf. geradezu zelebriert, vermengt mit Mutmaßungen über die Arbeit von Verfassungsschützern, ohne die Ergebnisse des fraglichen Berichts ordentlich wiederzugeben. Der kundige Leser kommt zu dem Schluss, dass neue Missverständnisse vorprogrammiert sind, wenn sich die »Anwälte der Demokratie« (die GB, Karakoyun, 202) – beiläufig als »harmlose zivilgesellschaftliche Bildungsinitiative« apostrophiert (Karakoyun, 63) – so in Szene setzen. Auf viele konkrete und begründete Kritikpunkte geht K. nicht argumentativ ein, stattdessen werden seriöse Kritiker, sicher nicht zufällig, in die Nähe des Vorwurfs gerückt, dass »zunehmend rassistische, sexistische und populistische Thesen Einzug in die bürgerlichen Wohnzimmer« halten (Karakoyun, 70).
Fazit: Die fünf Publikationen werden wichtige Bezugspunkte in der Debatte um die Hizmet-Bewegung bleiben. Allerdings darf eine sachgemäße Debatte den Kern ihrer Motivation, den alles umgreifenden Deutungshorizont, nicht außer Acht lassen, will sie nicht oberflächlich und einseitig bleiben. In über sechzig Publikationen auf Deutsch zeigen sich die Konstanten in der inhaltlichen Ausrichtung der Bewegung. Sie liegen im Wesentlichen im Islamverständnis Fethullah Gülens. Hier ist keine »Weiterentwicklung«, sondern durchgehend Kontinuität zu erkennen. Die einseitige Selbstdarstellung, zu deren Sprachrohr sich der Herder-Verlag gemacht hat und der Teile der Publizistik zur GB mehr oder weniger kritiklos folgen, unterschlägt nicht einen vernachlässigbaren Aspekt religiöser Gesinnung, sondern verdeckt den inhaltlich-ideologischen Zusammenhang, in dem die Aktivitäten der Gülen-Bewegung ihren Sinn haben. Die zur Verfügung stehenden Informationen müssen zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden. Das hier rezensierte Buchangebot wird diesem Anspruch nicht gerecht.