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Ausgabe:

September/2017

Spalte:

986–988

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Metzler, Volker

Titel/Untertitel:

Mission und Macht. Das Wirken der Orient- und Islamkommission des Deutschen Evangelischen Missionsausschusses 1916–1933.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2016. XII, 431 S. = Göttinger Orientforschungen. I. Reihe: Syriaca, 48. Geb. EUR 84,00. ISBN 978-3-447-10554-5.

Rezensent:

Ulrich Schröter

Die Arbeit wurde 2015 als Dissertation in Göttingen unter dem gleichen Titel angenommen und »für den Druck […] leicht überarbeitet und aktualisiert«. Das Beibehalten des Titels verwundert, sollte doch »deutlich geworden sein, dass das Begriffspaar ›Mission und Macht‹ erst dann als präzise Problemperspektive nutzbar ist, wenn sie formal wie inhaltlich die personale Dimension des zu untersuchenden Gegenstandbereiches stärker systematisch berücksichtigt und das Begriffspaar zu einer Trias erweitert: ›Mission, Person(en) und Macht.‹« (Fazit, 394; vgl. auch 9 f.). Hätte dann nicht der Buchtitel »Mission, Person und Macht« bzw. »Mission, Macht und Person« lauten müssen?
Volker Metzler nimmt Erkenntnisse der Machtforschung (insbesondere N. Luhmanns) auf. »Macht« wird daher beidseitig verstanden. Nicht nur Staatsmacht, Politik und Kirche suchen auf Missionsgremien und -gesellschaften Einfluss zu nehmen. Auch Dachverbänden und Gesellschaften ist an ihrer (kirchen)politischen Einflussnahme um der Sicherung des Missionsfeldes willen gelegen. Und da sind schließlich die Personen, die durch ihre sehr eigen geprägten Persönlichkeit wesentliche Weichenstellungen vor­nehmen.
Nach I. Einleitung (1–17) und II. Die OIK als Dachorganisation und Lobbygremium einschließlich deren Vorgeschichte (18–50),werden zwei Schwerpunkte vorgeführt: III. Die Ära Karl T. Axenfelds (1915–1924); 51–220, IV. Die OIK unter Julius Richter und Martin Schlunk (1924–1933); 221–371. Dem Ausleitungskapitel V. Von einer Islam-Kommission zu einem Orient-Werk (372–394), folgt VI. Mis-sion und Macht – eine Bilanz. Im Anhang (395–431) werden Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Personenregister, Verzeichnisse der Mitglieder der OIK-Arbeitskommission, der OIK-Werke und deren Stationen und Anstalten geboten. Vorgeordnet sind Inhaltsverzeichnis, Vorwort und Abkürzungsverzeichnis (V–XII). Leider fehlt ein Sachregister, um z. B. die besondere Definition von »Kapitulationen« erneut aufsuchen zu können.
Die beiden Schwerpunkte sind sehr unterschiedlich konzipiert. Während in III. das dominante Wirken des Vorsitzenden K. T. Axenfeld im Geflecht vielfacher Aktivitäten der Missionsgremien und -gesellschaften im Mittelpunkt steht, ist dies in IV. anders. Das liegt nicht nur daran, dass die Orient- und Islamkommission (OIK) ab 1924 nur noch eine eingeschränkte Bedeutung behielt. Vielmehr kreist der ganze Abschnitt um den Armenier Armenag S. Baronigian mit seinem einzig auf ihn zugeschnittenen Armenischen Hilfskomitee (AHK) und dem leitenden Ansatz »Armenier für Armenien«. Werden dadurch nicht zu viele Problemfelder in den Hintergrund gedrängt? Der aufkommende Nationalsozialismus wird erst in V. gestreift. Die Weimarer Zeit scheint durch bei der Frage nach der Kriegsschuld, die z. B. von Axenfeld keineswegs bei Deutschland gesehen wird, den Auswirkungen des Versailler Vertrags auf die Missionsfelder sowie der von der Inflation bedrohten Missionsarbeit.
Angesichts der Konzentration auf die Leitungsebene wird von der speziellen Missionsarbeit, insbesondere von der Art und Weise der Mission unter Muslimen, fast gar nichts berichtet, gelegentlich wird die Proselytenproblematik gestreift mit den Versuchen, orthodoxe Christen in evangelische Kirchen oder Gemeinschaften herüberzuziehen oder evangelische Christen untereinander abzuwerben. Anders innerhalb von III. Hier schildert M. die lange Geschichte der Spannungen zwischen Armeniern und Türken und verteilt die Schuld nicht einseitig. Doch bei der Frage des Genozids ist er ganz eindeutig. Und mit Nachdruck beklagt er, dass die »machtpolitisch motivierte Ignoranz der OIK-Spitze« dem Drän-gen der politischen Seite nachgab und bei der Armenien-Frage den kriegspolitisch motivierten Verhaltenskodex einhielt: keine Kritik an den Türken, Stillschweigen der armenophilen Seite auch bei armenophoben Presseartikeln, um Hilfsaktionen und Geldsammlungen für die Armenier zu ermöglichen (vgl. z. B. 113.118).
Damit ist eine bleibende, grundsätzliche »Spannung zwischen der faktischen nationalen Bedingtheit des Missionslebens und dem idealen übernationalen Charakter der Mission«, der Supra- bzw. Übernationalität der Mission, angesprochen (196, vgl. auch Anm. 739). Denn mit Recht arbeitet M. auch die jeweilige große Nähe zu den politischen Kreisen des eigenen Landes auch für die britische Seite, mit ihren prominenten Vertretern J. R. Mott und Joseph H. Oldham, heraus.
Der achtköpfigen OIK mit ihrem Berliner Dreigestirn Axenfeld, Schreiber, Richter und von diesen besonders dem Vorsitzenden Axenfeld, einer »stark autokratischen Führungspersönlichkeit« (220), wird bescheinigt, dass die Missionsgesellschaften nach außen und innen vielfältige Unterstützung erhielten. Andererseits gab es das Drängen auf Fusionen, Machtfülle durch die Zuteilung der Gelder und politik- und missionsstrategische Entscheidungen. So beharrte Axenfeld nach Kriegsende darauf, dass von Seiten der En­tente-Missionskreise vorab spürbare Erleichterungen durch Einsatz für eine Revision des Versailler Vertrages erbracht werden müssten, um z. B. im nach dem osmanischen, nunmehr britischen Missionsfeld die Arbeit wieder aufzunehmen. Dagegen suchte Julius Richter ohne Vorbedingungen die Wiederannäherung durch die Teilnahme an internationalen Missionskonferenzen zu befördern, wobei es auch um die Rückgabe des deutschen Missionsvermögens aus der Verwaltung der Treuhänderäte ging.
Bei der in IV. geschilderten unsäglichen Auseinandersetzung mit Baronigian werden von beiden Seiten alle juristischen, kirch-lichen, missionarischen, (inter)national-politischen und publizis­tischen Register gezogen einschließlich der bewussten Diffamierung. So unternimmt es gerade auch der in der Armenienfrage sonst so hervorzuhebende Julius Lepsius, den »apokalyptischen Hochstapler« schriftstellerisch »tötlich lächerlich machen«, be­zeichnet ihn als »beinahe unzurechnungsfähig« und »Gewohnheitslügner«. Ja, M. kann festhalten, dass es bei den Auseinandersetzungen »weniger um der Sache willen geschah, als vielmehr be­wusst dazu beitragen sollte, das AHK und ihren armenischen Missionsleiter entscheidend zu schwächen« (305). Das gelang schließlich mit nationalsozialistischer Hilfe. Baronigian verließ Deutschland und kam so seiner Ausweisung zuvor. Es ist bemerkenswert, dass M. in seiner Gesamtbeurteilung (360–371) unter »Hinweisen aus der Machtforschung« die Schuldfrage nicht einseitig beantwortet.
Wie sehr sich M. in die Thematik eingearbeitet hat, zeigt sich auch daran, dass er die einzelnen Gremien nur mit ihren jeweiligen Abkürzungen im Text selbst dann präsentiert, wenn sie nicht ge­ballt (»DEMH, DEMA, WFKI, CC …, aber auch zu DEKA und AA«, 49 f.) begegnen. Auch löst er im Abkürzungsverzeichnis z. B. die Zeitschriften AMZ, JVDM, HMB nicht auf.
Der Vorzug dieser Arbeit ist, dass M. eine Fülle neuen Quellenmaterials beibringt und diskutiert, aber Probleme offenlässt, wenn das Quellenmaterial kein abschließenden Urteil zulässt; in der Be­urteilung Akzente setzt, aber immer auch anderen Sichtweisen Raum gewährt.