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Ausgabe:

September/2017

Spalte:

979–982

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Edelmann, Helmut

Titel/Untertitel:

Das Evangelisch-Lutherische Predigerseminar der Pastoren für Amerika in Breklum 1882 bis 1931. Beiträge zum »Amerikaseminar« Breklum. Ergebnis-Trilogie, Teil 1.

Verlag:

Husum: Verlagsgruppe Husum (Matthiesen Verlag) 2016. 478 S. m. zahlr. Abb. = Der Geschichte ein Gesicht geben, 4. Kart. EUR 24,95. ISBN 978-3-7868-5404-3.

Rezensent:

Katharina Krause

Mit dem ersten Band seiner Trilogie »Pastoren für Amerika« legt der ehemalige theologische Referent für ökumenische Grundsatzfragen der VELKD und Propst des Kirchenkreises Husum-Bredstedt Helmut Edelmann eine Sammlung von Aufsätzen vor, in denen er sich auf die Suche nach Spuren jener Pastoren begibt, die zwischen 1882 und 1931 an den Amerikaseminaren Breklum und Kropp ausgebildet wurden, um als sogenannte »Sendlinge« in lutherischen Gemeinden in der neuen Welt zu wirken. Das Anliegen des Vf.s ist ein dreifaches. Die Trilogie, deren zweiter Band Herkunft und Wirken der Pfarramtskandidaten beleuchtet und die im dritten Band ein Porträt des nordamerikanischen Luthertums zeichnet, setzt sich zum Ziel, zunächst die frömmigkeitsgeschichtlichen Einflüsse lutherischer Auswandererpastoren aus Norddeutschland auf holsteinisch-hamburgische Auswanderermilieus in den USA, Kanada (und Südamerika) nachzuzeichnen. Auf Grundlage dessen soll sodann die Frage nach der Anschlussfähigkeit des Luthertums in einem pluralen religionskulturellen Kontext bedacht werden. Die historische und die systematisch-theologische Fragestellung indes sind kein Selbstzweck. Sie fundieren ein kirchliches Interesse– den Wunsch nämlich, die einstmalige transatlantische Partnerschaft zwischen den lutherischen Kirchen neu zu beleben.
Die Disziplingrenzen überschreitende Ausrichtung der Forschung korrespondiert mit ihrer institutionellen Anbindung. Das Projekt »Pastoren für Amerika«, aus dem der vorliegende Band erwachsen ist, wurde 2008/09 vom Kirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche Nordelbiens in Auftrag gegeben und an das Institut für Systematische Theologie und Zentrum für Ethik der Christian-Albrechts-Universität Kiel angebunden, dessen Lehrstuhlinhaber H. Rosenau den Verlauf der Forschungsarbeit wissenschaftlich begleitet hat.
Auf den methodischen Ansatz, der den in diesem ersten Band versammelten Amerikastudien zugrunde liegt, kann implizit ge­schlossen werden. Der Vf. schreibt Geistes- und Kulturgeschichte auf Grundlage eines reichen Korpus an Textquellen. Neben Zeugnissen aus den Archiven nordamerikanischer Partnerkirchen – darunter vor allem autographe Texte wie Briefe, Tagebücher und Le­bensläufe, aber auch Visitationsberichte – finden Äußerungen über das Wirken der Ausbildungsstätten und ihrer Zöglinge in der zeitgenössischen christlichen Publizistik Berücksichtigung. Dem Um­stand, dass sich kaum Archivalien aus den Predigerseminaren Breklum und Kropp erhalten haben, sucht der Vf. zu begegnen, indem er Aussagen verbleibender Zeitzeugen in die Analyse einbezieht. Die Rezensentin hätte sich, was die Methodik der Datenerhebung und -auswertung anbelangt, mehr Transparenz ge­wünscht. Bildquellen finden sich reichlich in dem ersten Band der Trilogie, auf die gleichwohl nur selten im Fortgang der Analyse rekurriert wird. Sie haben flankierende Funktion, was fragen lässt, ob der Quellenwert dieses Bildmaterials nicht unterschätzt wird. Anders wird mit literarischen Zeugnissen wie Liedern und Gedichten verfahren, die als Zeugnisse ausgewertet werden, in welchen sich die soziale Situation der Auswanderer spiegelt.
Das Buch versammelt acht Aufsätze. Um einen Überblick über den Facettenreichtum der Themenstellung zu gewinnen, mag es sich empfehlen, sich zuerst den letzten Beitrag vorzunehmen, in dem das Forschungsvorhaben skizziert und die wichtigsten Einsichten gebündelt werden. Die erste Studie zeichnet ein Bild der Situation norddeutscher Auswanderer an der Wende zum 20. Jh. Der Vf. skizziert die sozialen Nöte der Emigranten in ihrer Heimat und die Herausforderungen, mit denen sie in der neuen Welt konfrontiert sind. Viele Auswanderer kehren enttäuscht zurück, so dass sich Einzelne veranlasst sehen, sich ihrer anzunehmen. Die Amerikaevangelisation wird »von unten« her durch einzelne Dorfpastoren wie Christian Jensen und Johannes Paulsen ins Leben ge­rufen.
Die zweite Studie schließt daran an und enthält erste Ausführungen zu Jensens Anliegen und Theologie, die in größerer Ausführlichkeit in der vierten Studie beleuchtet werden. Hinweise darauf, wie die konfessionell und zugleich erwecklich geprägten Zöglinge Jensens von amerikanischen Lutheranern wahrgenommen wurden, münden unmittelbar in eine Reflexion darüber, welchen Niederschlag »Luther in der neuen Welt« (91) gefunden haben könnte. Ein Fragebogen, mittels dessen die Einflüsse erhoben werden sollen, ist abgedruckt. Wie er ausgewertet wurde und an welcher Stelle dessen Ergebnisse berücksichtigt sind, hat sich der Rezensentin nicht erschlossen.
Die dritte Studie widmet sich der Entstehung und Ausbildungskultur des Amerikaseminars in Breklum. Die Fokussierung Christian Jensens auf erweckliche Themen und dessen Polemik gegen den zeitgenössischen Wissenschaftsbetrieb ist dem Vf. Anlass zu einem systematisch-theologischen Exkurs über das Verhältnis von persönlicher Bekehrung und wissenschaftlicher Theologie. Ähnliches findet sich in der vierten Studie, die ein Porträt Jensens zeichnet. Explizit positioniert sich der Vf. dabei auf Linie jener Richtung von Pietismusforschung, die sich an Hartmut Lehmanns und Martin Brechts weitem Pietismusbegriff orientiert, was ihm Gelegenheit zu Ausführungen zu gegenwärtigen charismatischen Strömungen gibt. Zu begrüßen ist die ausgewogene Haltung, die den beschriebenen Phänomenen gegenüber eingenommen wird. Trotzdem stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage sich die historisch-empirische Beschreibung und die systematisch-theologische Reflexion so unmittelbar aufeinander beziehen lassen. In den systematischen Ausführungen begegnet ferner das Argument, die Erweckungsfrömmigkeit Jensens lasse sich aufgrund der Un­mittelbarkeit der sie begründenden Erfahrung nur ansatzweise beschreiben. Der Vf. spricht an dieser Stelle auch von einem Sprung in den Glauben. Dabei bemüht er ein Interpretament der zu be­schreibenden Frömmigkeit selbst, das in entsprechenden Mi­lieus mit Hilfe bestimmter Praktiken der praxis pietatis plausibilisiert und abgestützt wird.
Die fünfte Studie beleuchtet die Würdigung der Arbeit Jensens in der zeitgenössischen christlichen Publizistik und konstatiert, dass Jensen auch nach seinem Tode zu polarisieren im Stande war. Neben scharfer Abgrenzung finden sich Würdigungen im Geiste frommer Heldengeschichtsschreibung. Die sechste Studie stellt ein Pendant zur vierten dar, indem sie ein Porträt des Kontrahenten Johannes Joachim Nikolaus Paulsens und des von ihm begründeten Amerikaseminars in Kropp enthält. Deutlich werden dabei zugleich die Parallelen in der Organisationsstruktur und theologischen Ausrichtung der Seminare. Die siebte Studie schließlich sichtet Literatur zur zeitgenössischen wissenschaftlichen Theologie an den Lutheran Seminaries in Nord- und Südamerika unter der Fragestellung, ob der Topos der Heiligung im amerikanischen Luthertum jenen Platz einnehme, der der Rechtfertigungslehre im deutschen Luthertum zukomme.
Die Studien richten sich allesamt an eine breite Leserschaft, die mit diesem Buch eine material- und kenntnisreiche Einführung in Händen hält, deren Sprache zumeist leicht zugänglich ist. Im Literaturverzeichnis sind nicht alle Titel der zu Rate gezogenen Sekundärliteratur geführt. Auch lässt der Band ein Sach- und Personenregister vermissen, was möglicherweise dem Umstand geschuldet ist, dass die anvisierte Zielgruppe nicht primär das fachwissenschaftliche Publikum ist. Diesem wird gleichwohl eine Fülle an Quellen zugänglich gemacht. Auch werden weiterführende Fragestellungen eröffnet, die zu verfolgen sich lohnen könnte (vgl. etwa die Bedeutung der Frauen, die an Seite der Sendlinge in die USA auswanderten), zumal sie sich auch an aktuelle amerikanistische For schungen zum Bereich Amerikanischer Religionsgeschichte in transatlantischer Perspektive anschließen lassen.