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Ausgabe:

September/2017

Spalte:

976–978

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Mertes, Klaus, u. Antje Vollmer

Titel/Untertitel:

Ökumene in Zeiten des Terrors. Streitschrift für die Einheit der Christen.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2016. 176 S. Geb. EUR 19,99. ISBN 978-3-451-37569-9.

Rezensent:

Jürgen Werbick

Antje Vollmer, ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Grünen-Politikerin, und Klaus Mertes, Jesuit, der die Auf-deckung des Missbrauchsskandals am Canisius-Kolleg in Berlin angestoßen hat, nun Direktor des Kollegs Sankt Blasien, haben drei Tage nach dem Pariser Attentat am 13. November 2015 einen Briefwechsel begonnen, der zwei Tage nach dem Attentat von Brüssel am 22. März 2016 endete. Er ist hier dokumentiert und liest sich heute wie eine »wiederholende Erinnerung« an eine gesellschaftlich-politische »Achsenzeit«, in der sich Welt- und Selbstwahrnehmung vieler Zeitgenossen deutlich verändert hat.
Die »nackten Fakten« müssen hier nicht ins Gedächtnis gerufen werden; die kritischen Kommentare der Briefschreiber sollen nicht noch einmal kommentiert werden. Aber das theologisch-kirch-liche Gewicht der Frage, auf die der Briefwechsel – nicht ohne theologische Gelehrsamkeit, aber nicht eigentlich mit fachtheologischer Absicht – immer wieder zurückkommt, sollte erwogen werden: Was bedeutet es, wenn sich die Kirchen, vor allem die rö­misch-katholische, angesichts einer religiös-politischen Herausforderung, wie sie seit dem Zweiten Weltkrieg ohne Gleichen ist, nicht über ihre Lehrfestlegungen hinaustrauen und so auch die Abendmahlsgemeinschaft nicht wagen? Vollmer und Mertes haben in der gemeinsamen Arbeit im Kuratorium der Stiftung 20. Juli 1944 ratlos erfahren, dass selbst in Plötzensee im Gedenken an die »Ökumene der Märtyrer« nicht möglich wurde, was den Märtyrern die Kraft gab, ihren Weg zu gehen. Zur Ökumene der Märtyrer kommt es mittlerweile in anderen Weltgegenden; und sie öffnet sich weltweit über das Christentum hinaus. Was bedeuten da noch die Stolpersteine auf dem Weg zunächst zur gemeinsamen Feier der hier und jetzt geöffneten Gottesherrschaft, die im Auftrag Jesu Christi begangen werden darf und von seinen Zeuginnen und Zeugen begangen werden muss?
Zunächst scheint die Frage etwas aus der Zeit gefallen, so als müsste sie in dieser Entscheidungszeit doch selbstverständlich zu­rücktreten vor den andrängenden Entscheidungen des Tages. Aber Vollmer und Mertes machen deutlich: Wenn die Christen angesichts der Einladung Jesu zum Abendmahl die Unfähigkeit »bezeugen«, die Anderen hier und jetzt mit eingeladen zu sehen, wird man ihnen kaum zutrauen, über ihre ekklesialen (und amtstheologischen) Selbstbehauptungsinteressen, ihren »kirchlichen Narzissmus« (Papst Franziskus) hinauszukommen. Vieles ist im Spiel – und dürfte als theologisch und kirchlich überwunden angesehen werden: unreflektierte und wenig historisch geklärte Opferideologien, die Eigendynamik von begrifflichen Modellen, deren Zurückbleiben vor dem letztlich Unsagbaren offen zutage liegt, schiefe Pries­ter- und Amtskonzepte, das Heimgesuchtwerden vor allem der katholischen Kirche von dem, was Vollmer und Mertes »Männerbündelei« nennen. Die Theologie und auch andere Wissenschaften haben hinreichend Klarheit geschaffen. Umso ärgerlicher ist es, wenn sich kirchlich Verantwortliche immer noch hinter der Ausrede verstecken, all das müsse theologisch weiter geklärt werden, und so den Gläubigen »die faule Frucht der ausgrenzenden Selbstgenügsamkeit« auftischen (137). Wenn sogar der gegenwärtige Papst die Kirche dazu aufruft, eine Kirche des Willkommens und nicht der Ausgrenzung zu sein, was hindert da, wenigstens die eucharistische Gastfreundschaft zu wagen? Antje Vollmers Antwort: »Die Hürden, die noch zu überwinden sind, liegen überwiegend im eigenen Herzen und in der eigenen Mutlosigkeit.« (161) Man wird als katholischer Theologe nur dies hinzufügen müssen: Sie liegen ärgerlicherweise in amtstheologischen Festlegungen, die immer noch daran hindern, andere Kirchen- und Amtsmodelle als das in der römisch-katholischen Kirche unter höchst kontingenten Bedingungen sukzessive verwirklichte als legitim christlich anzuerkennen.
Die üble Deklassierung von Dominus Iesus, die aus der Reformation hervorgegangenen Gemeinschaften seien nicht im eigentlichen Sinn als Kirche anzusehen, liegt immer noch wie ein Schatten über der Ökumene, auch wenn man auf allen Seiten tapfer versucht, ihn zu ignorieren. Die Bedeutung der von Mertes und Vollmer ins Spiel gebrachten »Löseorte«, an denen die Falschheit solcher Festlegungen besonders deutlich empfunden wird und vielleicht auch in ge­meinsamer Buße gelöst werden kann, hätte im Reformationsgedenkjahr zu mehr inspirieren können, als bisher gewagt wurde. Es gäbe diese ökumenischen Löseorte. Man müsste sie nur in der Be­reitschaft aufsuchen, über lange Schatten zu springen und das theologisch wie kirchlich um des gemeinsamen christlichen Zeugnisses willen Gebotene zu tun. Eine »Streitschrift« haben Klaus Mertes und Antje Vollmer nicht vorgelegt, sondern einen Ruf zur Besinnung auf die Größenordnungen. Er hat es verdient, gehört zu werden.