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Ausgabe:

September/2017

Spalte:

974–976

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Heaney, Robert S.

Titel/Untertitel:

From Historical to Critical Post-Colonial Theology. The Contribution of John S. Mbiti and Jess N. K. Mugambi. Foreword by Ch. Rowland.

Verlag:

Cambridge: James Clarke & Co. 2016. 276 S. Kart. £ 21,50. ISBN 978-0-227-17580-4.

Rezensent:

Andreas Heuser

Im gesellschaftspolitischen Kontext der postkolonialen Ära in Afrika setzte ein eminent produktiver Aufschwung auch afrikanischer Theologiebildung ein. Blicken wir allein auf den anglophonen Sprachraum, so avancierte eine aufstrebende Riege um Theologen wie Harry Sawyerr (Sierra Leone), Christian Baëta (Ghana), Charles Nyamiti (Tansania) oder auch E. B. Idowu (Nigeria) zu Taktgebern einer sich etablierenden afrikanischen Theologie. Im selben Atemzug werden zu diesem Kreis der Pioniere afrikanischer Theologie auch die beiden Kenianer John S. Mbiti (geb. 1931) und der etwas jüngere Jesse N. K. Mugambi (geb. 1947) gerechnet. Nicht nur wach­sen beide, Mbiti wie auch Mugambi, zu Ziehvätern nachfolgender Theologengenerationen heran, die eine (späterhin so ­) Kontextuelle Theologie zu profilieren suchten. Zu prägenden Figuren werden sie durch ihre bis in die Gegenwart anhaltende theologische Produktivität. Ungeachtet ihrer Aktualität aber spielen diese Theologen, deren in mehrere Sprachen übersetzten Werke zum Grundinventar selbst dürftig ausgestatteter Bibliotheken afrikanischer Universitäten gehören, ein Schattendasein in den nunmehr einsetzenden Diskursen um postkoloniale Theologie in Afrika. Diese Beobachtung ist Ausgangspunkt der vorliegenden Studie des anglikanischen Theologen Robert Heaney.
H. greift zurück auf eingehende Kenntnisse afrikanischer Theologie, die er in mehrjähriger Tätigkeit an der St. Johns University, einer unter anglikanischer Leitung stehenden Privatuniversität in Dodoma (Tansania), sammeln konnte. Derzeit arbeitet er als Do­zent an einem anglikanischen Seminar in Virginia/USA. Auch die beiden Protagonisten seiner Betrachtung von postkolonialen Theo­logieansätzen sind Anglikaner. Zudem weisen die Biographien von Mbiti und Mugambi erstaunliche Ähnlichkeiten auf: Beide stammen aus Kenia, haben akademisch ausgerichtete Theologie in ostafrikanischen universitären Institutionen mit aufgebaut und fest etabliert und waren im Ökumenischen Rat der Kirchen aktiv.
Dabei wird das akademische Profil Mugambis oft in der Nachfolge des älteren Mbiti betrachtet, der mit einigem Recht als der vielleicht imaginativste Kopf der modernen afrikanischen Theologie gelten kann. Die konfessionelle Zuspitzung auf den Anglikanismus enthält mit Blick auf die gegenwärtig sich herausschälende postkoloniale afrikanische Theologie durchaus ein heuristisches Moment: Postkoloniale afrikanische Theoriediskurse grenzen sich nämlich zunehmend deutlich ab gegenüber jener älteren Generation kontextueller Theologie, da diese in einem historischen Umfeld entstanden sei, das maßgeblich durch die »koloniale Situation« (Balandier) geprägt gewesen sei. Die Verdachtshermeneutik spürt das vermeintlich westlich geprägte Grundgefüge solcher afrikanischen Theologien auf, das zudem besonders nachhaltig in der mit britischem Imperialismus eng verwachsenen Anglikanischen Kirche spürbar sei. H. plädiert dafür, diese Marginalisierungstendenz zu durchbrechen, mithin die Bedeutung der theologischen Ansätze Mbitis und Mugambis für die Konstituierung postkolonialer Theologie zu erheben. Diesbezüglich arbeitet H. die theologische Entwicklung postkolonialer Theologie heraus (Kapitel 1), wobei er Postkolonialität kritisch-thematisch ausbuchstabiert, also nicht auf die his­torische Phase der unmittelbaren politischen Unabhängigkeit und afrika-nischer Staatenbildung reduziert. Unter postkolonialer Theologie versteht er einen Ansatz, der die Erfahrungen der Kolonialität verarbeitet und theologischen Hegemonialansprüchen widerspricht, indem sie die theologische Handlungsmacht ( agency) marginalisierter Gemeinschaften fördert, die sich oft in hybriden Ausdrucksformen von Theologie und Kirche findet.
H. zeichnet die theologischen Werdegänge Mbitis und Mugambis in den missionsgeschichtlichen Kontexten Kenias nach (Kapitel 2). Die zentralen Kapitel 3, 4 und 5 widmen sich der theologischen Entdeckung afrikanischer Tradition durch Mbiti. H. stellt hier einen – wie er sagt – paradigmatischen Wandel im theologischen Denken Mbitis heraus. Im Urteil H.s gründet die Geringschätzung Mbitis unter postkolonialen afrikanischen Theologinnen und Theologen auf einer Fehldeutung, wonach Mbiti die Konstruktion lokalkul tureller Identitäten mit verantwortet habe. In der Tat umkreist sein Denken den Pol von theologischer Partikularität, wie etwa in seiner frühen lokalkulturellen Deutung von Akamba Temporalität, die zyklisch angelegt sei und somit einem christlichen linearen Verständnis von Eschatologie (wie allgemein der westlichen Mo­derne) widerstrebe. Noch die von Mbiti jüngst vorgelegte lokalsprachliche Bibelübersetzung (Akamba) mit ihren symbolsprachlichen Anpassungen zehrt von dieser Beachtung des Kleinteiligen, des Lokalkulturellen. Doch gelange Mbiti bald zu einem allgemeineren Verständnis afrikanischer Weltanschauung, indem er die Vielzahl afrikanischer Lokaltraditionen im Sinne einer recht einheitlich gefassten Afrikanischen Traditionalen Religion (ATR) kategorisiere. Christliche Theologie müsse den von ATR vorgegebenen kategorialen Mustern entsprechen, sofern sie relevant sein möchte in afrikanischen Lebenswelten. In der Tat inventarisiert Mbiti in seinen weit rezipierten Folgestudien die afrikanischen Vorstellungen von Gott; und mehr noch ist sein Diktum von dem allseits religiös durchwirkten afrikanischen Menschenbild dauerhaft präsent in wohl praktisch jedem theologischen Ausbildungsgang afrikanischer Kirchen. In dieser Kombination von afrikanischer Religion als einheitlichem Konzept mit einer theologischen Kontinuitätsthese erkennt H. eine paradigmatische Wende afrikanischer Theologiebildung.
Der Anteil Mugambis an dieser theologischen Wende liegt in seinem dezidiert praxisorientierten und politisch-theologischen Ansatz. Mugambi geht auf die Analyse von Macht und ihren Asymmetrien ein, die bedeutende Perspektiven postkolonialer Theologiebildung sind. Herauszustellen ist Mugambis Beteiligung (H. spricht gar von Innovation, wobei ihm die vorgängige frankophone Debatte entgeht) an einer gesellschaftspolitisch wachen rekonstruktiven Theologie. Die Theologie der Rekonstruktion bildet eine hochproduktive Phase postkolonialer Theologiebildung, die sich den Herausforderungen der Transformation von ehedem autori-tären Regimen zu plural verfassten Demokratien stellt. Kritisch bleibt anzumerken, dass H. den eigentlichen gesellschaftlichen Kontext, auf den sich beide theologische Protagonisten beziehen, kaum selbst beleuchtet. Kaum irgendwo gibt es konkrete Bezüge zur politischen Ökonomie Kenias, eines Staates mit noch jüngst turbulenten Regimewechseln und einer starken zivilgesellschaftlich beförderten Transition hin zu einer pluralistischen Demokratie. Damit bleibt seine Paradigmathese in der afrikanischen postkolonialen Theologie eigentümlich abstrakt.
Nicht ausgeräumt sind mit der Studie H.s grundsätzliche An­fragen an postkoloniale Theologie: Gerade diejenigen Perspektiven, die als Entdeckungen der Pioniergeneration afrikanisch-kontex-tueller Theologie in den Gegenwartsdebatten postkolonialer Theologie einzuholen seien, sind kritikwürdig. Die als Paradigmenwechsel vorgestellte Präsentation afrikanischer Religion und Weltanschauung bleibt ein durchaus essentialistisch eingehauchtes Al­teritätskonzept, das mit dichotomischen Setzungen von kolo-nial/postkolonial arbeitet. Die vor allem von Mbiti vorformulierte These einer notwendigen Korrelation christlicher Theologie mit einer kategorial homogenisierten, gleichsam panafrikanischen Re­ligion entpuppt sich als wirklich allgegenwärtige Trope afri-kanisch-kontextueller Theologiediskurse. Doch reduziert sie die Eigenart afrikanischen Theologietreibens gegenüber einem vermeintlichen westlichen Universalitätsanspruch auf wirkmächtig vorangetriebene kulturalistische Deutungen von afrikanischen Got­tesbegriffen. Einen Ausweg weist Mugambis Ansatz einer Praxisrelevanz von Theologie, die sich in einer Kontinuität mit ge-lebter Religion in Afrika (nicht: afrikanischer Religion) und im Resonanzraum gesellschaftspolitischer Dynamiken ausformt. Aufgrund dieser Andeutungen ist H.s detaillierte Dechiffrierungsarbeit der theologischen Denkpfade zweier Pioniere afrikanischer Theologie gewinnbringend und durchaus als Einstieg in die hochproduktive postkoloniale Theologiebewegung in Afrika geeignet.