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Ausgabe:

September/2017

Spalte:

959–961

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Moukala, Charles

Titel/Untertitel:

Geschichte als Vermittlung von Gott und Mensch. Eine kritische Auseinandersetzung mit Wolfhart Pannenberg.

Verlag:

Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2015. 234 S. = THEOS – Studienreihe Theologische Forschungsergebnisse, 123. Kart. EUR 88,90. ISBN 978-3-8300-8191-3.

Rezensent:

Gunther Wenz

Zu Beginn der 50er Jahre des vergangenen Jh.s konstituierte sich eine Gruppe aufstrebender Jungtheologen mit dem Ziel, im deutschen Protestantismus eine theologiegeschichtliche Wende herbeizuführen. Die sogenannte Wort-Gottes-Theologie in ihren beiden herrschenden Gestalten, dem Barthianismus und der existentialen Kerygmatik Bultmanns und seiner Schule, sollte überwunden werden durch Wiederentdeckung der Universalgeschichte als des umfassenden Mediums der Offenbarung Gottes und durch Erweis einer allem Irrationalismus, Dezisionismus und Fideismus überlegenen Vernünftigkeit des Glaubens. Dem ursprünglichen Kern der Mannschaft, die später nach ihrem Vordenker und geistigen An­führer der Pannenberg-Kreis genannt wurde, gehörten neben ih­rem Namensgeber Wolfhart Pannenberg (1928–2014) Klaus Koch, Rolf Rendtorff, Dietrich Rössler und Ulrich Wilckens an. Nach einiger Zeit traten Martin Elze und Trutz Rendtorff, Rolfs Bruder, hinzu. An die Öffentlichkeit gebracht wurde das Programm des Kreises in der 1961 publizierten Schrift »Offenbarung als Geschichte«, die aus systematische und historische Arbeit verbindenden Studien einer gemeinsamen Arbeitstagung im Vorjahr hervorging. Im Zentrum der Programmschrift stehen Pannenbergs »Dogmatische Thesen zur Lehre von der Offenbarung«. Danach hat sich Gottes Selbstoffenbarung nicht direkt, sondern indirekt, nämlich durch die Geschichte vollzogen, deren universaler Sinn sich von ihrem eschatologischen Ende her erschließt, wie es sich im Geschick Jesu von Nazareth im Kontext der Geschichte Gottes mit Israel vorwegereignet hat. Im Unterschied zu besonderen Erscheinungen der Gottheit sei die göttliche Geschichtsoffenbarung jedem Menschen offen, der Augen habe zu sehen.
Die Prämissen und Implikationen des Programms von »Offenbarung als Geschichte« hatte Pannenberg bereits 1959 in dem in der Zeitschrift »Kerygma und Dogma« erschienenen Aufsatz »Heilsgeschehen und Geschichte« detailliert dargelegt. Welche Konsequenzen er mit dem programmatischen Konzept verband und welche systematischen Schlüsse er in seinem theologischen Denken künftig daraus zog, ist Untersuchungsgegenstand der Dissertation von Charles Moukala, einem aus der Republik Kongo stammenden Priester, die im Wintersemester 2013/14 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Univer-s ität Bonn angenommen und für die Drucklegung geringfügig überarbeitet wurde. In einem ersten Kapitel werden unter der Überschrift »Zeit und Ewigkeit« offenbarungs- und geschichtstheologische Grundsatzfragen einschließlich derjenigen erörtert, inwiefern und mit welchem Recht nach Pannenberg das Christusgeschehen das antizipative Ende der Geschichte zu nennen sei. Erörterungen über die vernünftige Erkennbarkeit der Offenbarung Gottes und zur Verfassung des historischen Bewusstseins in der Neuzeit schließen sich im zweiten Kapitel an, wobei die These einer Historizität der Auferstehung Jesu Christi besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein drittes Kapitel spitzt die bisherigen Analysen auf die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit einer Vermittlung letztgültiger Offenbarung in geschichtlicher Kontingenz zu. Beim Versuch einer Beantwortung dieser Frage meint M. auf die Grenzen der eschatologischen Geschichts- und Offenbarungstheologie Pannenbergs zu stoßen. Unter Berufung auf Hansjürgen Verweyen vertritt er die Ansicht, dass auf der Basis von Pannenbergs geschichtstheologischer Offenbarungskonzeption nur antizipatorisch-hypothetische Evidenz, nicht aber ein un­hinterfragbarer Begriff von letztgültigem Sinn zu ermitteln sei (vgl. 136 f.).
Rettung in argumentativer Not verspricht sich M. von einer transzendentalphilosophisch vermittelten Offenbarungstheologie im Sinne Verweyens sowie insbesondere Thomas Pröppers und seiner Schule. Dieser »Alternative« (139) ist das vierte Kapitel der Dissertation gewidmet, das in Pröpperscher Perspektive von Offenbarung und ihrer geschichtlichen Vermittlung, vom Glauben an Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus sowie von der Entstehung und vom Grund des Osterglaubens handelt. Die Gesamtargumentation ist dabei darauf angelegt, den mittels transzendentaler Subjektivitätstheorie eruierten Begriff letztgültigen Sinns mit dem Gedanken des in der Geschichte Jesu Christi offenbaren und vom Glauben bezeugten Gottes inhaltlich zur Deckung zu bringen. M. äußert selbst Zweifel am hinreichenden Gelingen seines Ver-suchs und versieht die vorgebrachten Lösungsangebote aus gutem Grund mit Fragezeichen. Dies spricht für seine intellektuelle Redlichkeit, die er auch in den anderen Teilen seiner kenntnisreichen und informativen Untersuchung unter Beweis stellt. Nur gelegentlich trübt die Emphase, mit welcher »der bis ins Mark seiner Existenz hinein von dem durch ihn bezeugten Anspruch eines Unbedingten« (158) überzeugte Glaubenszeuge als Transparenzmedium bzw. Glaubwürdigkeitsgarant der aktuellen Geltung der Geschichtsoffenbarung zum Zuge gebracht wird, die Klarheit der gedanklichen Argumentation; heikel wird dieser Überschwang immer dann, wenn er sich, obwohl selbst unmittelbar von ihm betroffen, in eigenwilliger Dialektik mit dem Vorwurf des Fideismus an die Adresse Pannenbergs verbindet.
Ulrich Wilckens, einst Gründungsmitglied des sogenannten Pannenberg-Kreises, hat unlängst sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass »aus dem Programm der Gruppe keine theo-logische Schule geworden« sei, die nach erfolgter Kritik der Dialektischen Theologie zugleich »als Widerlager gegen die sich dann rasch verbreitende neu-liberale Theologie hätte wirken können« (U. Wilckens, Theologie des Neuen Testaments. Bd. III: Historische Kritik der historisch-kritischen Exegese. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Göttingen 2017, 379). Obwohl er ihn zu einem theologischen Innovator erster Ordnung und zu dem »führenden ökumenischen Theologen der gegenwärtigen evangelischen Kirche« (382) erklärt, gibt Wilckens Pannenberg zumindest indirekt eine Mitschuld am Ausbleiben des von ihm erhofften durchschlagenden Erfolgs. So erscheine in Pannenbergs Denken »aufgrund des Unterschieds zwischen der Zukunft der Endvollendung der Selbstoffenbarung und der Gegenwart ihrer ›proleptischen‹ Inanspruchnahme in Glaube und Verkündigung, der Wahrheitsanspruch aller Theologie allzu pauschal als hypothetische Behauptung, die der endzeitlichen Bewährung bedarf, sodass diese im Ganzen seines Systems allzu sehr den Charakter vorläufiger Wahrheit zu bekommen scheint« (381). Mögen Wilcken’s Vorbehalte anders motiviert sein, in der Sache kommen sie weitgehend mit den Einwänden überein, die M. in der von ihm favorisierten Perspektive gegen Pannenberg vorbringt. Doch wäre an beide Kritiker die Rückfrage z u stellen, ob sie die Pointe der Pannenbergschen Theorie vom hypothetischen Charakter aller Aussagen einschließlich derjenigen des Glaubens wirklich richtig verstanden haben. Impliziert nicht jedes wahrhaftige Glaubenszeugnis, wenn es wahr zu sein beansprucht, die Selbstunterscheidung des Glaubenszeugens von der von ihm bezeugten Glaubenswahrheit in der geistvermittelten, inhaltlich bestimmten und argumentationspflichtigen Gewissheit der Selbstbezeugungsfähigkeit der bezeugten Wahrheit, die sich selbst und von sich aus für jedermann überzeugend zu bewähren vermag, wenn sie denn ist, was sie ist, nämlich die offenbare Wahrheit?