Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1227–1230

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Porter, Stanley E., and Craig A. Evans [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Scrolls and the Scriptures. Qumran Fifty Years After.

Verlag:

Sheffield: Academic Press 1997. 414 S. gr.8 = Journal for the Study of the Pseudepigrapha, Suppl. Series 26. Roehampton Institute London Papers, 3. Lw. £ 47.50. ISBN 1-85075-844-1.

Rezensent:

Alexander Maurer

Der vorliegende Band enthält Beiträge zu einer der vielen Konferenzen, die 1997 aus Anlaß des 50. Jubiläums der Entdeckung der Qumranfunde stattfanden. Insgesamt 21 Artikel werden in vier Gruppen präsentiert: 1. The Scrolls in Historical and Literary Context, 2. The Scrolls and the Scriptures of Israel, 3. The Scrolls and Early Christianity, 4. The Scrolls and Extra-Biblical Texts. Neben einem Vorwort, Abkürzungsverzeichnis und einer Liste der Mitarbeiter (9-13) enthält der Band noch eine Einführung der Herausgeber (15-21) und ausführliche Indizes (392-414).

Philip R. Davies, Qumran and the Quest for the Historical Judaism (24-42), sieht die Qumranforschung weit entfernt von einem Konsens in wichtigen Fragen: Wer schrieb die Qumranrollen, wie ist die Zusammenstellung dieses Korpus zu verstehen, wie sind die jüdischen Gruppen zur Zeit des Zweiten Tempels, die des frühen Christentums und des rabbinischen Judentums genauer zu bestimmen und abzugrenzen?

Charlotte Hempel, Qumran Communities: Beyond the Fringes of Second Temple Society (43-53), stellt die Forschungsentwicklung dar von der frühen Betrachtung Qumrans und der Schriftrollen als Zeugnisse einer kleinen sektiererischen Gemeinschaft bis zur aktuellen Diskussion, die die Qumrantexte zunehmend im Kontext einer breiten religiösen Bewegung sieht und darin Elemente allgemein-jüdischer Tradition wie auch einer spezifischen Gruppe erkennt, die sich nicht länger marginalisieren lasse.

Lester L. Grabbe, The Current State of the Dead Sea Scrolls: Are There More Answers than Questions? (54-67), hält wie Davies wichtige Forschungsergebnisse für weiterhin fragwürdig: Die Identifizierung der Qumranbewohner als Essener, der Gruppe derer aus den Qumrantexten, "die nach glatten Dingen suchen", als Pharisäer, den Konnex der Qumransiedlung mit den Schriftrollen-Höhlen sowie eine essenische Verfasserschaft von 4QMMT.

Arthur Gibson, God’s Semantic Logic: Some Functions in the Dead Sea Scrolls and the Bible (68-106), untersucht die Belege für Elohim in Qumrantexten. Die Bezeichnung wird sowohl für Gott als auch für andere (pluralische) Größen verwendet. Der Vf. argumentiert, der Begriff werde deshalb auch auf andere Größen als Gott bezogen, weil ihm (nicht zuletzt als alter Pluralbildung) die Möglichkeit innewohne, Agenten oder Mittler Gottes als Repräsentaten seiner Identität bzw. Präsenz zu charakterisieren.

Kevin McCarron, History and Hermeneutics: The Dead Sea Scrolls (107-120), stellt Überlegungen zu einigen Passagen aus den Qumrantexten aus literaturwissenschaftlicher Perspektive vor.

Richard S. Hess, The Dead Sea Scrolls and Higher Criticism of the Hebrew Bible: The Case of 4QJudga (122-128), bezweifelt, daß 4QJudga eine ältere Textform repräsentiert als der masoretische Text. Der Erstherausgeber J. Trebolle Barrera hatte argumentiert, die in 4QJudga fehlenden Verse Ri 6,7-10 seien ein sekundärer Zuwachs. Dagegen meint Hess, es sei gut möglich, daß hier ein Schreiber sich sekundär die Freiheit genommen habe, eine (im masoretischen Text als Abschnitt gekennzeichnete) Passage ganz auszulassen oder umzustellen.

John Elwode, Distinguishing the Linguistic and the Exegetical: The Case of Numbers in the Bible and 11QTa- (129-141), führt linguistische Überlegungen zur Verwendung von Numeri-Passagen in 11QTa vor (Num 9,3 in 11QTa XVII,6; Num 19,14 in 11QTa XLIX,5-6; Num 19,19b in 11QTa XLIX,19-20) mit dem Ergebnis, es fänden sich darin sowohl Veränderungen durch re-lexicalization als auch durch re-idiomatization.

Peter W. Flint und Andrea E. Alvarez, The Oldest of All the Psalms Scrolls: The Text and Translation of 4QPsa- (142-169), liefern einen Überblick über die 39 erhaltenen Psalmenhandschriften vom Toten Meer (36 aus den Qumranfunden, zwei aus Masada, eine aus Nah.al H.ever) und geben die älteste davon, 4QPsa, in hebräischer Transkription wie auch in englischer Übersetzung wieder.

John Jarick behandelt The Bible’s ’Festival Scrolls’ among the Dead Sea Scrolls (170-182). Das Vorkommen des Buches Ruth sei erstaunlich, da Dtn 23,3 der Zulassung von Moabitern und ihren Nachkommen zur Gemeinschaft Israels entgegenstehe und Jub 30,7-17 strikt gegen Mischehen ausgerichtet sei. Das Buch Esther sei insbesondere deshalb nicht unter den Qumrantexten vertreten, weil der Festtermin (14./15. Adar [Esth 9,21]) nicht mit dem 364-Tage-Kalender vereinbar sei (der 14. Tag des 12. Monats fällt darin regelmäßig auf einen Sabbat, was Festtage aber nicht dürfen).

Craig A. Evans, David in the Dead Sea Scrolls (183-197), sichtet den kompletten Befund zu David in den Qumrantexten und unterteilt diesen in drei Kategorien: Bezugnahmen 1) auf die historische Figur und 2) auf David als ideale Gestalt sowie 3) Verwendung der Davidstraditionen in messianischen und eschatologischen Kontexten.

James D. G. Dunn, ’Son of God’ as ’Son of Man’ in the Dead Sea Scrolls? A Response to John Collins on 4Q246 (198-210), kritisiert gründlich die Ansicht Collins’, die Menschensohnfigur aus Dan 7 ("einer wie ein Menschensohn") sei zu Beginn des 1. Jh.s n. Chr. als individuelle Größe verstanden worden und stelle daher die Grundlage dar für den neutestamentlichen Hoheitstitel "der Menschensohn". Vor allem wendet sich der Vf. gegen die Heranziehung von 4Q246 in der Argumentation von Collins; denn die dortige Bezeichnung "Sohn Gottes" kann nicht als Analogie für den "Menschensohn" herangezogen werden.

Loren T. Stuckenbruck, The Throne-Theophany of the Book of Giants: Some New Light on the Background of Daniel 7 (211-220), kommt beim traditionskritischen Vergleich der Thron-Vision aus dem Gigantenbuch (erhalten in 4Q530 II,16-19) und dem Danielbuch (Dan 7,9-10) zu dem Ergebnis, das Gigantenbuch sei an dieser Stelle nicht von Dan 7,9-10 beeinflußt, sondern umgekehrt enthalte das Gigantenbuch eine Theophanie-Tradition, die in Dan 7,9-10 ausgebaut worden sei.

Brook W. R. Pearson, The Book of the Twelve, Aqiba’s Messianic Interpretations, and the Refuge Caves of the Second Jewish War (221-239), entwickelt eine phantasievolle These: Neben P. Mur 88 sei auch die Zwölfprophetenhandschrift 8H.evXIIgr als Bestattungsbeigabe zu sehen, wie man sie aus späterer Zeit kennt. Da es sich bei den Bestatteten um Parteigänger des Bar-Kochba handele, sei in der durch die Beigabe ausgedrückten Hochschätzung des Zwölfprophetenbuches eine Parallele zur Bewertung Bar-Kochbas durch R. Aqiba zu erkennen, die nach rabbinischen Quellen stark aus der Interpretation dieser Prophetenbücher gespeist gewesen sei. Darin sieht der Vf. eine historische Reminiszenz und eine Bestätigung der Annahme einer tatsächlichen tiefgreifenden Verbindung zwischen dem "Sternensohn" und R. Aqiba.

George J. Brooke geht unter dem Titel ’The Canon within the Canon’ at Qumran and in the New Testament (242-266) auf die Suche nach jenen biblischen Texten, die in den Qumranschriften bzw. im Neuen Testament von besonderer Wichtigkeit sind. In beiden Bereichen ragen Texte aus Genesis, Deuteronomium, Jesaja und den Psalmen hervor, denn - so der Vf. - gerade sie hätten den Essenern und auch den frühen Christen am besten die Richtigkeit ihres Geschichtsverständnisses (Urzeit-Endzeit-Entsprechung; die Gegenwart als Endzeit, in der sich Gottes Wille erfüllt) wie auch ihres Anspruches, das wahre Israel darzustellen (auf dem der Segen Gottes trotz aller Verfolgung und Mißverständnisse ruht), verbürgt.

Richard Bauckham stellt die Frage: Qumran and the Fourth Gospel: Is There a Connection? (267-279) und bringt seine Skepsis zum Ausdruck, in Parallelen aus den Qumrantexten zum Johannesevangelium einen Einfluß bzw. eine historische Verbindung zu sehen. Exemplarisch behandelt der Vf. das "dualistische Denken" des vierten Evangeliums mit seiner Bildersprache von Licht und Finsternis bzw. seinen räumlichen Kategorien (oben - unten, Gott - Welt). Im Ergebnis meint der Vf., der Dualismus der Qumrantexte und des Johannesevangeliums seien eher als Weiterentwicklungen gemeinsamer jüdischer Tradition zu verstehen.

Timothy H. Lim, Midrash Pesher in the Pauline Letters (280-292), untersucht die Verwendung des Terminus Midrasch in den Qumrantexten. Man könne hier nicht von einem Gattungsbegriff für bibelexegetische Texte sprechen, obwohl der Befund in 4Q174 und 4Q177 (Midrasch zur Eschatologiea.b) das nahelege.

Stanley E. Porter, The Greek Papyri of the Judaean Desert and the World of the Roman East (293-316), erörtert anhand der eingehenden Besprechung eines Briefes aus dem Bar-Kochba-Archiv in Nah.al H.ever (5/6 H.ev 52), wie man sich selbst in jüdisch-traditionellen Kreisen zu Beginn des zweiten Jahrhunderts der geläufigen Briefform der griechisch-römischen Welt bediente und dabei mit Selbstverständlichkeit die griechische Sprache verwendete oder sich (wie im Fall einiger Babatha-Dokumente) auf römisches Recht bezog. Der Vf. plädiert dafür, das Palästina der ersten beiden Jahrhunderte n. Chr. massiver als bislang üblich als Bestandteil der griechisch-römischen Kultur zu betrachten. Man möchte hinzufügen, daß dies wohl auch für die frühere Zeit schon sinnvoll ist.

Philip S. Alexander, ’Wrestling against Wickedness in High Places’: Magic in the Worldview of the Qumran Community (318-337), stellt zusammenfassend die "magischen" Texte aus den Qumranfunden vor: 1. Texte, die sich mit Dämonenabwehr befassen, und 2. solche, die sich mit Divination und Zukunftsschau beschäftigen. Dabei ist auffällig, daß diese "Magie" zum festen Bestandteil der Texte aus Qumran gehört, sie also keineswegs nur eine Angelegenheit der Volksreligion darstellt, sondern geradezu als gelehrt erscheint, und insbesondere das Gebet als geistliches Kampfmittel hervortritt.

Jacqueline C. R. de Roo widmet sich der Frage: Is 4Q525 a Qumran Sectarian Document? (338-367). Dazu weist die Vfn. zunächst zahlreiche Elemente auf, die der Text mit der traditionellen Weisheitsliteratur gemein hat, um in einem zweiten Schritt aufzuzeigen, daß viele Gemeinsamkeiten mit gruppenspezifischen Qumrantexten (Schreibereigenarten, Vokabular, Gedankengut) 4Q525 dennoch als "Sectarian Document" ausweisen.

James M. Scott, Geographic Aspects of Noachic Materials in the Scrolls at Qumran (368-381), ist auf der Suche nach Spuren des verlorenen "Noahbuches" (vgl. Jub 8,11; 10,13-14; 21,10) und untersucht dazu die erhaltenen Noah-Befunde in Auseinandersetzung mit der Arbeit von F. García Martínez, der eine große Synthese des Materials für seine Rekonstruktion unternommen hatte. Stattdessen schlägt Scott vor, zunächst einmal nur in Jub 8-9 ein "Noahbuch" zu erkennen, da sich dafür ein eigenständiges Nachleben zeigen lasse (3. Sibyllinisches Orakel und 1QM rekurrieren auf diese Erzählung von der Verteilung der Erde).

Al Wolters, The Shekinah in the Copper Scroll: A New Reading of 3Q15 12.10 (383-391), nimmt als Ort des letzten Verstecks in der Kupferrolle (3Q15 XII,10) eine "cavern of the Presence" an (er liest an dieser Stelle sknh) und versteht dies als frühen Beleg der Schekhinah-Vorstellung. Damit lege die Kupferrolle Zeugnis ab für die Vorstellung einer zeitlich befristeten Ortsalternative zum Jerusalemer Kult angesichts der römischen Bedrohung. Dorthin sei die Schekhinah Gottes mitgezogen. Das ganze Gespinst scheitert bereits an der falschen Lesung des Wortes sbnh, cf. E. Puech, Quelques résultats d’un nouvel examen du Rouleau de Cuivre (3Q15), in: RdQ 18 (Nr. 70), 1997/98, 163-190, hier 181.