Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2017

Spalte:

941–943

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Langford, Michael J.

Titel/Untertitel:

The Tradition of Liberal Theology.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2014. 174 S. Kart. US$ 18,00. ISBN 978-0-8028-6981-4.

Rezensent:

Andreas Kubik

Die »liberale Tradition«, von der im Titel die Rede ist, beschreibt hier vor allem – aber nicht nur – eine bestimmte Richtung in der englischen Theologie »up to about 1900« (106), verfolgt diese aber zu ihren altkirchlichen und mittelalterlichen Wurzeln zurück und zieht zu­gleich Linien bis heute aus. Anders als man es aus dem deutschen Sprachraum kennt, meint Michael J. Langford mit »liberal« keine spezifisch neuzeitliche Bewegung, sondern einen Traditionsstrang, der im Christentum spätestens mit Justin dem Märtyrer (vgl. 68 f.) beginnt und in Origenes und Abaelard seine vorneuzeitlichen Hö-hepunkte hatte. Dieser Strang repräsentiert eine Auffassung von Christentum als weitherzig, apologetisch im guten Sinne, der Vernunft zugewandt und ethisch orientiert. Schleiermacher gehört für L. übrigens ausdrücklich nicht dazu: Dieser habe in seiner Gefühlstheorie den dezidiert vernunftorientierten Charakter des Christentums unterbetont. Während mir die kurze Schleiermacher-Darstellung (vgl. 13–15) etwas fragwürdig erscheint, wird an ihr doch klar, dass das Buch sich als eine Apologie des theologischen »rationalism« (14; anders allerdings 148 f.) näher bestimmt.
Aus drei Gründen möchte ich das Buch empfehlen. Zum einen gibt es ein Musterbeispiel für theologische Transfer-Prosa ab. Es schlägt einen unterhaltsamen, mitunter beinahe plaudernden Ton an, ohne dabei an Solidität zu verlieren: Das Buch »attempts to build a bridge between the academic and the popular« (VIII). Diese Art Essayistik geht auf Englisch irgendwie besser; ich weiß nicht, woran es liegt. Zum Zweiten lernt, wer theologisch vor allem im deutschen Sprachraum unterwegs ist, einiges über die Traditionen neuzeitlicher englischer Theologie, welche bei L. interessanterweise mit Elizabeth I. beginnt – er erfreut sich vor allem an ihrer undogmatischen Abendmahlsauffassung (vgl. 78 f.). Die Ahnenreihe wird dann über William Chillingworth bis zu Frederick Temple fortgesetzt. L. konzentriert sich hier ganz auf diejenigen Charakteristika der Theologen – mit der Quäkerin Hannah Barnard ist auch eine weitere Frau dabei –, welche sie zur Aufnahme in dieses Buch empfehlen. Die entstehenden kleinen Porträts zielen kein bisschen auf Vollständigkeit, sind aber jeweils für das, was L. zeigen will, durchaus instruktiv. Zum Dritten kann man sagen, dass die gegenwärtige Zeit ein großes Bedürfnis nach liberaler Religion – und der Theologie, die sie denkt– hat, und L. kommt diesem Bedürfnis auf ebenso kenntnisreiche wie unaufgeregte Weise entgegen: eine liberale Theologie, die kein großes Pathos des Neuen oder »Modernen« ausstrahlt, sondern sich als »liberal orthodoxy« (VII) in einen breiten Traditionsstrang positiven Christentums eingestellt weiß. Dass L. diesen Traditionsstrang alles in allem etwas schönfärbt, ist durchaus Programm, denn: »[W]e should judge sincerely held positions by their best examples« (2) – eine stets beherzigenswerte Maxime.
Nach der Einleitung präsentiert L. zunächst seine Liste von Merkmalen, welche jenen liberalen Traditionsstrang ausmachen. Be­wusst will er nicht definieren, sondern – mit Wittgenstein (vgl. 19 f.) – eher Familienähnlichkeiten feststellen. Dazu gehören etwa ein mehrperspektivischer Umgang mit der Bibel, die Vereinbarkeit von Vernunft und Offenbarung, eine nicht-legalistische Auffassung der Versöhnung und andere mehr. Es gibt nach L. nicht das eine unterscheidende Merkmal liberaler Theologie; charakteris­tisch ist gerade die Zusammenstellung. Dem kann man sich über weite Strecken durchaus anschließen, wobei er beim Merkmal neun – »joint need of faith and works« (50) – ein bisschen sehr großzügig über die Lehrdifferenzen zwischen den Konfessionen hinweggeht: Ob diese wirklich »in large parts[,] on misunderstandings« (51) basieren, möchte ich bezweifeln. Hier wäre die Rückfrage zu stellen, was jener »need« eigentlich genau bedeuten soll. Aber es wird schon stimmen: »Liberal« sind am ehesten die, welche ge­neigt sind, »different views« (ebd.) zu akzeptieren. Direkt neuzeitlich ist nur ein Merkmal, das letzte: »a range of acceptable lifestyles« (53). Dies nimmt den breitesten Raum ein und diskutiert vor allem die Frage der Homosexualität. Die Vorsicht, mit der L. dies Thema behandelt, verrät den amerikanischen Debattenhintergrund. (Dasselbe trifft auch auf das zweite Hauptkapitel zu, das einen »liberal approach to miracles« [59–66] vorstellt. Schwer vorstellbar, dass eine liberale Theologie in Deutschland dies so ausführlich und zugleich so de­fensiv diskutieren würde.)
Zur Liberalität gehört es auch, Alternativen zu sich selbst vorzustellen. Dies unternimmt L. in seinem Schlusskapitel: Äußerst fair, wenn auch durchaus kritisch behandelt er den Fundamentalismus, den konservativen Katholizismus und die Dialektische Theologie. Geradezu beeindruckend ist es, wie er den kritischen Anteil dieser Darstellung nur vor dem Hintergrund einer Liste von Gemeinsamkeiten verstanden wissen will (vgl. 114 f.), die er auch mit diesen Strömungen zu haben meint. Ob dieses Gesprächsangebot allerdings aufgegriffen wird, wage ich zu bezweifeln. Die vierte Strömung, die er bespricht, ist der säkulare Humanismus: Da kommt man nicht umhin, wenn man die Vernunft des Glaubens in den Vordergrund stellt, auch ihre rationale Bestreitung zu diskutieren (die Überschrift »Materialism« [137] ist aber irreführend). Hier entwickelt L. eine kleine theologische Metaphysik, die den ge­lernten Philosophie-Professor ausweist. Religiöser Glaube ist nicht weniger rational als seine Bestreitung, dies gilt nach L. aber auch umgekehrt. Einige Bemerkungen zum Verhältnis zu anderen Religionen schließen das Buch ab; sie plädieren für weitreichende Verständigung bei gleichzeitiger Markierung bleibender Differenzen. Liberales Christentum soll nach L. nicht in einer allgemeinen Religionsseligkeit aufgehen.
Dies ist überhaupt das diskursive Ziel des Buches: sich abzugrenzen von der Diffamierung – in der konservative Christen und Religionskritiker einen merkwürdigen Bund eingehen – von Menschen, die vernünftig glauben wollen, als »woolly liberals« (4). Liberales Christentum ist nach L. keine Religion, in der alles irgendwie egal ist, sondern gehört schon immer als respektable Form zum Diskurs der »mainstream Christianity« (5). In seiner Vernunftorientierung ist dieses Christentum zugleich »surprisingly conservative« (16), indem es sich zu den ehrwürdigen Zentralsymbolen des Christentums stets in ein konstruktives Verhältnis zu setzen sucht. Das Buch stellt daher alles in allem ein Plädoyer »for traditions that deserve a better press and a better appreciation« (4) dar.
Damit gelingt L. zugleich eine Ehrenrettung des Ausdrucks »liberal« in der Theologie. Ich selbst war schon fast dafür, ganz auf ihn zu verzichten, da er kaum etwas erklärt, wenn man ihn für theologische Strömungen des 19. Jh.s reserviert. Aber vielleicht kann man ihn in der hier propagierten, weiteren Bedeutung tatsächlich versuchsweise wieder in den Diskurs einbringen.