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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1225–1227

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Oberhänsli-Widmer, Gabrielle

Titel/Untertitel:

Biblische Figuren in der rabbinischen Literatur. Gleichnisse und Bilder zu Adam, Noah und Abraham im Midrasch Bereschit Rabba.

Verlag:

Bern-Berlin-Frankfurt/M.-New York-Paris-Wien: Lang 1998. 395 S. 8 = Judaica et Christiana, 17. Kart. DM 94,-. ISBN 3-906759-66-0.

Rezensent:

Hanspeter Ernst

Die vorliegende Studie, eine Habilitationsarbeit, nimmt im Rahmen des herkömmlichen deutschen Wissenschaftsbetriebes, eine eigene Stellung ein, weil ihre literarische Form die eines Essays ist. Sie setzt sich mit Deutungen, welche die drei biblische Protagonisten Adam, Noah und Abraham im Verlaufe der Zeit erfahren haben, auseinander. Die Wahl der Protagonisten ergibt sich aus der Zielsetzung der Arbeit, deren spezifisches Interesse den rabbinischen Gleichnissen in ihrem Kontext gilt - ein Desiderat in der rabbinischen Gleichnisforschung, die sich bis anhin vorwiegend mit thematisch orientierten Gleichnisgruppen oder mit der Interpretation von Gleichnissen losgelöst vom Kontext beschäftigte.

Angesichts der literarischen und redaktionellen Vielgestaltigkeit der Midraschim eignet sich für ein solches Unterfangen am besten der exegetische Midrasch, der dem Text der Hebräischen Bibel folgt, in diesem Falle des rabbinischen Auslegungswerkes Bereschit Rabba. Denn wie im Buche Genesis stellen auch hier "die Protagonisten - Adam, Noah und die Patriarchen - den eigentlichen roten Faden im Erzähl- und Kommentargefüge dar als Garant für einen zielgerichteten Duktus ... Auf dem Hintergrund der Protagonistengesamtbilder wird mithin die Leistung der dazugehörigen Gleichnisse eruierbar ..." (11) Da philologisch betrachtet die Rezeption "biblischer, mythologischer sowie legendärer Helden die Hauptschlagader der literarischen Produktion überhaupt" darstellt, "ist die Erarbeitung der nachbiblischen Interpretationen von Adam, Noah und Abraham nicht nur Teiletappe zur Erfassung der Gleichnisse im Kontext, sondern vielmehr gleichwertiges Ziel dieser Analyse" (12). Wie wurden rabbinisch die biblischen Figuren rezipiert? Die Frage der Rezeption verlangt zusätzlich zur biblischen auch die Berücksichtigung der zwischentestamentlichen Literatur, da die Rabbinen ja nicht unmittelbar an die Bibel anschließen.

In einem ersten Teil erläutert O.-W. den Stellenwert der rabbinischen Gleichnisse, wobei sie zunächst auf die Verwendung und die Bedeutung des Maschal im AT eingeht. Als dessen geistige Orte macht sie Weisheit und Prophetie aus. Da er selbst in Prosatexten überwiegend lyrisch verfaßt wurde, besteht bereits "beim biblischen Maschal ein durchgehendes Kriterium in seiner zweigeteilten Struktur" (27).

Schaltstelle in der Entwicklung hin zum rabbinischen Maschal bildet Sir 24,7: Hier wächst die zweiteilige Struktur von Maschal und Nimschal heraus. Und da Sirach die Tora mit Weisheit gleichsetzt, führt er hin zur Tora-Zentriertheit des rabbinischen Gleichnisses. Als Arbeitshypothese umschreibt sie rabbinische Gleichnis als "gewollt fiktionale, der Realia ... entledigte, einepisodische Erzählung zur Entschlüsselung schwer faßbarer Wahrheiten (der Tora) mit einer zweiteiligen Struktur ... von Maschal und Nimschal" (35). In einem weiteren Arbeitsschritt geht sie auf den Status der rabbinischen Gleichnisse im rabbinischen Bildungskatalog ein (bBB134a) und zeigt seinen Wandel vom Sitz im Leben - es wurde vor allem bei Hochzeiten erzählt, weil die Hochzeitsmetaphorik im Gleichnis überwiegt (81) - zum Sitz im Text - das Gleichnis wanderte ins Lehrhaus ab.

Im zweiten Teil ihrer Studie behandelt O.-W. die drei Protagonisten Adam, Noah und Abraham:

Produktiv für die Deutung Adams hat sich dessen Name als Eigen- und Gattungsname ausgewirkt. Das Gesamtbild, das O.-W. zeichnet, orientiert sich an drei Aspekten, die "frühjüdisch vorgegeben, rabbinisch in Variationen, Negationen sowie Hyperbeln rezipiert, und teilweise in Gleichnissen verdichtet sind" (127). In der Vitae Adae wird Adams aufgrund des Sündenfalls verlorene Herrlichkeit durch dessen Reue und Gottes Zusage in der zukünftigen Zeit wiederhergestellt. Diesbezüglich verkörpert Adam die Menschheit in der Naherwartung (132). Adam hat messianische Qualitäten (Qumran, TPsJon), ein Zug, der sich in der rabbinischen Literatur durchhalte, wenn auch verdeckter wegen der Bar Kochba-Katastrophe. Einen eigenen Schwerpunkt bildet ferner das Verhältnis zwischen Adam und Israel und die Adam kedmon-Vorstellung, die sie in der Merkaba-Mystik verortet. Diese Vorstellung werde von den Rabbinen dahingehend korrigiert, daß sie in Adam vermehrt die gebrochene conditio humana betonen. Adams Sünde dagegen werde nicht mehr Adam, sondern Enosch zugewiesen (166 f.).

Noah wird frühjüdisch sehr positiv gewertet: Als Wunderkind, das bereits beschnitten zur Welt kam, dient er als Mittelperson zwischen der Schöpfung der Welt und der Erschaffung Israels, dem messianische Qualitäten eigen sind. ÄthHen 6-11; 60,65-69; 106-107 und Jub 10-12 schildern Noahs überragende Größe. Zusammen mit Henoch fungiert er als Verfasser und Träger einer Tora. Beide stehen sie in direkter Vorverlängerung der Israellinie, da die mit der Schöpfung gegebene Halakha über die Tradentenkette Henoch, Noah, Sem zu Abraham wandert. Offenbar hat man in frühjüdischer Zeit ein solches Interesse an Noah, weil er einer ist, der das Gericht bereits erlebt hat. Rabbinisch schlägt diese positive Wertung ins Negative um: Hier stellt sich die Frage, ob Noah ein Jude oder ein Goy sei? Insbesondere mühen sich die Rabbinen mit dem Vers Gen 6,8, der besagt, daß Noah ein Gerechter in seinen Generationen sei. Die Antwort: Er war gerecht, aber nur in seiner Zeit. Ferner betrachten sie Noah als Kastraten.

Bei der Vorstellung Abrahams beschränkt sich die Autorin auf dessen Jugendzeit und die zehn Prüfungen, wobei sie besonderes Gewicht auf die letzte Plage, die Aqeda, legt. Allen einzelnen Protagonistenbildern folgt abschließend ein Gleichnisteil, der sich an folgenden Kriterien orientiert: Anzahl der Gleichnisse pro besprochener Bibelvers; Auslöser für die Gleichnisse; Verdichtung und Umsetzung der jeweiligen Themata in figurative Bilder; welche Akzente setzen die Gleichnisse im Verhältnis zum erarbeiteten Gesamtbild.

Die Arbeit ist, wie bereits eingangs betont, essayistisch verfaßt und gut zu lesen. Diese ihre Stärke ist zugleich auch ihre Schwäche. Es ist anzuerkennen, daß die Vfn. nicht einfach beliebig viele Stellen aneinanderreiht, sondern daß sie ein Protagonistengesamtbild zu entwerfen sucht. Dies geschieht didaktisch geschickt. Die Kriterien der Wahl indes sind zu wenig transparent, so daß oft der Eindruck entsteht, die Wahl richte sich nach dem, was sich narrativ verkaufen läßt und einen gewissen Neuigkeitswert besitzt (so z. B. bei Abraham).

Fatal wirkt sich das aus, wenn das Protagonistengesamtbild als Maßstab zur Beurteilung von Gleichnissen gebraucht wird. Dann dient das Gleichnis zur Bestätigung des Gesamtbildes. Was aber dem Gesamtbild zuwiderläuft, wird durch Geschmacksurteile so zurechtgebogen, daß es den eigenen Standpunkt stützt. Nicht umsonst ist innerhalb der judaistischen Forschung der biographisch orientierte Ansatz umstritten, der von Gesamtheiten her denkt. Leider fehlt diesbezüglich die Auseinandersetzung mit der Fachliteratur fast ganz. Dies führt auch an anderen Orten zu historisch fragwürdigen Ergebnissen: Der von O.-W. den Rabbinen zugeschriebene Paradigmawechsel in der Wertung Noahs müßte differenzierter ausfallen und könnte nur dann historisch gelten, wenn der Status der Noahgeschichte in der Hebräischen Bibel, in äthHen und Qumran eingehend und sorgfältig geklärt worden wäre. Auch dem einleitenden, gleichnistheoretischen Kapitel hätte es nicht geschadet, wenn anderen wissenschaftlichen Meinungen ein breiterer Raum eingeräumt worden wäre. Historisch kaum haltbare Zuschreibungen wären so verhindert worden. Zudem hätte die Interpretation einzelner Gleichnisse an Tiefe gewinnen können, wenn signifikant andere Gleichnisinterpretationen diskutiert worden wären.

Rabbinische Gleichnisse innerhalb ihres Kontextes untersuchen, das ist eines der Ziele dieser Arbeit. Freilich stellt sich die Frage, wie dies geschehen kann, wenn die Midraschim als Kontext nur aufgelistet und nie in ihrer Argumentationsstruktur offengelegt werden. Bereschit Rabba wäre dafür geeignet gewesen, liegen doch zwei verschiedene Textzweige mit durchaus unterschiedlichem redaktionellem Interesse vor. Davon ist aber nie die Rede. Vielmehr nehmen die Statistiken den biblischen Text als Referenztext. Das ist zwar auch möglich, freilich müßte dann der Stellenwert der Bibel innerhalb des Midrasch Rabba geklärt werden. Auf diese Weise aber wird nicht klar, wie die Gleichnisse innerhalb des Midrasch funktionieren.