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Ausgabe:

September/2017

Spalte:

906–908

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brendsel, Daniel J.

Titel/Untertitel:

»Isaiah Saw His Glory«. The Use of Isaiah 52–53 in John 12.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2014. XX, 280 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft, 208. Geb. EUR 109,95. ISBN 978-3-11-036504-7.

Rezensent:

Klaus Scholtissek

Die doctoral dissertation von Daniel J. Brendsel wendet sich monographisch dem Einfluss von Jes 52–53 auf das 12. Kapitel des Johannesevangeliums zu. Dieser Anlauf weckt das Interesse, da es einerseits um die Schriftbezüge, die Schrifttheologie und Schriftauslegung des JohEv am Beispiel eines konkreten Textkorpus (Jes 52–53) und andererseits um das 12. Kapitel geht, das – in der Johannesforschung mitunter am Rande stehend – kompositorisch und theologisch eine kaum zu überschätzende Bedeutung hat.
B. setzt zunächst forschungsgeschichtlich bei den expliziten Jesajazitaten in Joh 1,23 (vgl. Jes 40,3) und 12,38.39.41 (vgl. Jes 53,1; 6,10) an, die das öffentliche Wirken Jesu rahmen: »The two Isaiah quotations in 12:38–40 are thus prominent in the structure and theological outlook of the gospel« (8). Sodann verweist er auf eine Fülle weiterer Anspielungen und Bezüge zu Jes 52–53 in Joh 12, die Craig A. Evans dazu geführt haben, in Joh 12 einen Midrasch zu Jes 52–53 wahrzunehmen (vgl. a. a. O., 9 f.). Dann erläutert B. überzeugend »the role of John 12 within John’s narrative« (12): Indem Kapitel 11 mit der offiziellen Verurteilung Jesu zum Tode endet (Joh 11,46–52), scheint die Sendung Jesu zu »den Seinen« (Joh 1,11) zu scheitern. Am Ende des Kapitels 11 wird die Aufmerksamkeit der Lesenden dann auf die fragliche Teilnahme Jesu am Paschafest in Jerusalem gelenkt (11,53–57). Joh 12,1–11 deutet die Salbung seiner Füße durch Maria als Antizipation seiner Grablegung. Joh 11,55–12,50 – so grenzt B. die Textteile ab (vgl. 16–19) – kommt eine narrative und theologische Schlüsselfunktion zu zwischen den beiden Hauptteilen des vierten Evangeliums: »As a hinge, John 12 brings together, by way of summary or anticipation, many of the chief motifs of the gospel: signs, judgement, belief and unbelief, seeing and blindness, the ›fulfillment‹ of Scripture, Jesus’ ›hour‹, and Jesus’ death as glorification and ›lifting up‹. In this light, John 12 serves not simply as a transitional section or narrative hinge, but also somewhat as a précis of the message of the whole gospel« (19; vgl. 67–71).
In den einzelexegetischen Analysen will B. zeigen, dass die Re­zeption von Jes 52–53 nicht nur darauf zielt, Jesus mit dem Gottesknecht aus Jesaja zu identifizieren, sondern zusätzlich als »›structural Vorbild‹ or literary ›prototype‹ for John 12« dient.
Hinsichtlich der Quellenfrage setzt B. voraus, dass der vierte Evangelist das Markusevangelium kannte (23–27) und sowohl die hebräische Bibel als auch die LXX zitiert »as it suits his purposes« (28). B. liest Jes 40–55 als eine literarische Einheit, in der dem »Servant theme« eine bedeutende Rolle zukomme. Er gliedert in folgende Kapitel: Comfort and Persuasion for a New Era: 40:1–31; Jacob-Israel, Yahweh’s Chosen Servant: 41:1–42:17; The Blind and Imprisoned Servant: 42:18–48:22; The Servant and Zion-Jerusalem: 49:1–52:12; The Servant’s Success and Zion’s Transformation: 52:13–55:13.
Die kurzen Überblicke zu den genannten Abschnitten des Jesajabuches bilanziert B. wie folgt: »It is arguable, therefore, that Isaiah 40–55 offers less a radical reinterpretation of Davidic hopes, and more an attempt to bring together two strands of Israelite tradi-tion concerning the kingly office. On the one hand, the people as a whole were always possessors of a royal calling (Exod 19:6). On the other hand, the fundamental duty of the king was, from the beginning, to be humble, to trust in God, to be faithful to Torah, and thus lead the people by example as the ideal Israelite (Deut 17:4–20). In Isaiah 40–55, both streams of tradition come to fruition in and because of the work of the anonymous individual Servant« (64).
Im Folgenden untersucht B. ausführlich das Doppelzitat aus Jes 53,1 und 6,10 als »mutually interpretative« (121) in Joh 12,38–41. Dabei deutet er die expliziten Schriftzitate und die verstärkende Anspielung auf Jes 6,10 im Erzählerkommentar in Joh 12,41 als johanneische Auslegung des gesamten Jesajabuches, bei der der Evangelist »views Isaiah 52–53 as an interpretative development of Isaiah 6« (67). Joh 12,38–41 biete »the key to John’s intratextual read­ing of Isaiah« (ebd.). Inhaltlich stehen besonders die Aspekte »sehen« und »(nicht) glauben« im Zentrum der jesajanischen und der johanneischen Reflexion. Dabei greift der Evangelist – seiner theologischen Intention folgend – sowohl auf den MT als auch auf die LXX oder eine von ihm gewählte, freie Übersetzung zurück. Der Evangelist sucht und findet in Jesaja eine prophetische Antwort auf die virulente Frage, warum die Mehrheit der Zeitgenossen Jesu, obwohl sie seine »Zeichen« gesehen hat, dennoch nicht an Jesus glaubt. Diese findet er in den sogenannten Verstockungsaussagen Jes 6,8–10, die auch in Markus 4,10–12 eine prominente Rolle spielen. Nicht verständlich ist, warum B. der synoptischen Rezeption von Jes 6,9 f. keine Aufmerksamkeit schenkt.
In der Ablehnung Jesu und seiner Verwerfung erfülle sich die Ankündigung Jesajas (vgl. 89.116–122). Da Israel seine göttliche Mission »as the Servant of God« wegen der Verstockung nicht erfüllen könne, sei nun eine neue Lösung notwendig: »It may, therefore, imply the need for a new and individual Servant to solve Israel’s dilemma.« (94) B. zufolge identifiziere der Evangelist den Sprecher in Jes 6,10 (vgl. Joh 12,40) wie auch in Jes 53,1 (vgl. Joh 12,38) mit dem präexistenten Christus. Der Erzählerkommentar in Joh 12,41 beziehe sich auf beide Jesajazitate in Joh 12,38–40 (122–125).
Zudem werde der johanneische Jesus durch die Jesajazitate in Joh 12,38–41 mit »Isaiah’s Servant of God« identifiziert – eine Iden­-tifikation, die sich aus einer ganzen Liste von Übereinstimmun-gen zwischen Gottesknechtsaussagen in Jes 40–55 und dem johanneischen Jesusbild im corpus johanneum ergibt (vgl. 113–116). »Seine Herrlichkeit«, die Jesaja gesehen habe, beziehe sich zudem nicht nur auf die des präexistenten, sondern auch auf die des leidenden und erhöhten Gottesknechts (siehe Jes 52,13; vgl. a. a. O., 125–134).
Die folgenden Ausführungen widmen sich weiteren Perikopen in Joh 12 in dieser Reihenfolge: 12,20–36; 12,9–19 und 12,1–8. Die Verse 12,42–50 werden nicht eigens berücksichtigt. B. zielt jeweils auf den Nachweis der umfangreichen jesajanischen Schriftbezüge in diesen drei Sequenzen: Die Referenzgröße für Joh 12,20–36 ist der gesamte Abschnitt Jes 52,13–53,12 (vgl. 137–160), für Joh 12,9–19 sind es Jes 52,7–12 sowie Sach 9,9 (vgl. 161–186), für Joh 12,1–8 ist es Jes 52,7–12 (vgl. 187–211).
Zusammenfassend ergibt sich für B. die These, »that John 12:1–43 is modeled upon the progression of Isa 52:7–53:1« (212; gemeint ist wohl 53:12). »We may conclude, therefore, that for John the new exodus wrought in Jesus is the new exodus prophesied by Isaiah« (217).
Auch wenn der Rezensent nicht allen Einzelthesen von B. gleichermaßen folgen mag, in seiner Gesamtheit belegt die Studie nachdrücklich und eindrücklich die tiefe Verwurzelung des vierten Evangeliums in der biblischen Überlieferung und hier insbesondere des Jesajabuches. Der Evangelist Johannes zeigt sich gerade im 12. Kapitel als hochkarätiger Schrifttheologe, Schriftausleger und ambitionierter Verfasser einer neuen Schrift mit kanonischem Anspruch (vgl. Joh 20,30 f.; 21,24 f.).