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Ausgabe:

September/2017

Spalte:

902–904

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Mensah, Michael Kodzo

Titel/Untertitel:

»I turned back my feet to your de­crees« (Psalm 119,59). Torah in the Fifth Book of the Psalter.

Verlag:

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2016. 370 S. = Österreichische Biblische Studien, 45. Geb. EUR 69,95. ISBN 978-3-631-67229-7.

Rezensent:

Alma Brodersen

Der im Titel zitierte Psalmvers 119,59 »I turned back my feet to your decrees« beschreibt nach Auffassung Michael Kodzo Mensahs die zentrale Botschaft des 119. Psalms und des 5. Psalterbuches: eine Rückkehr zur Tora mit neuer Intensität. Die Monographie basiert auf einer am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom (Pontificio Istituto Biblico) bei Gianni Barbiero abgeschlossenen Dissertation. Das Werk folgt dem Ansatz der synchronen Psalterexegese, die von einer Lektüre des gesamten (masoretischen) Psalters von Anfang bis Schluss ausgeht und Bezüge zwischen einzelnen Psalmen etwa durch Stichwörter herausarbeitet.
Während die Selbsteinordnung M.s in die synchrone Psalterexegese eine Gesamtinterpretation des Tora-Themas im 5. Psalterbuch (Ps 107–150) erwarten lassen könnte, erfolgt eine explizite Eingrenzung des zu untersuchenden Textbereichs auf Ps 111, 119 und 147. Als Begründung für dieses Vorgehen nennt M. zunächst (unter Berufung auf Donatella Scaiola) die Wichtigkeit detaillierter Einzelexegesen: »the analytical nature of exegetical study has always tended to favour the study of smaller circumscribed textual units, a situation which arouses suspicion towards any attempt to consider larger sections of the Biblical text« (32). Die konkrete Eingrenzung auf Ps 111, 119 und 147 erfolgt dann auf der Grundlage des 1987 erschienenen Artikels »The Place of the Torah-Psalms in the Psalter« von James Luther Mays, wobei jeweils der erste Psalm der von Mays genannten Tora-Psalmenpaare 111–112 und 147–148 sowie zentral Ps 119 ausgewählt wird. M. sieht seine Analyse dieser drei Psalmen als Grundlage für umfassendere Studien zum 5. Psalterbuch unter Einschluss aller Einzelpsalmen.
Die Monographie gliedert sich in vier Kapitel (Einleitung – Psalm 111 und 147 – Psalm 119 – Schluss), von denen das dritte zu Ps 119 mit rund 200 von 300 Seiten am umfangreichsten ist. Wie schon der Titel zeigt auch dies die Schwerpunktsetzung des Buches auf Ps 119. Das 5. Psalterbuch wird dagegen nur im Verhältnis zu Ps 119 sowie in Einleitung und Schluss diskutiert (bei Ps 111 beschränkt sich der analysierte Kontext im Psalter auf Ps 111–112, bei Ps 147 auf Ps 146–150). Für Ps 111, 147 und 119 enthält das Werk je eine Übersetzung mit textkritischen Anmerkungen, eine Strukturanalyse (kriterienbasiert mit lexikalischen, syntaktischen und thematischen Argumenten) und eine Inhaltsanalyse zum Tora-Thema, die im Wesentlichen auf ebendieses Thema beschränkt ist.
In der Interpretation von Ps 111 wird das Tora-Thema, obgleich das Wort »Tora« im Psalm nicht gebraucht wird, in zwei Aspekten herausgearbeitet: Tora als zu erinnernde Geschichte Israels und Tora als Gebot JHWHs. Im Kontext des 5. Psalterbuches wird nur die Verbindung mit Ps 112 diskutiert, der das Tora-Thema um Aspekte der Armenfürsorge und des Vergehens der Gottlosen er­weitert.
Psalm 147 enthält nach M.s Analyse eine Anhäufung mehrerer Wörter des Tora-Wortfeldes (nicht »Tora« selbst) und verbindet Aspekte von Tora als Schöpfungswort und Gesetzeswort. Ps 147 wird in eine synchrone Lesung von Ps 146–150 als Schlusshallel eingeordnet, in dem ebenfalls Tora als zentrales Thema angenommen wird. (Durch nach dem vorliegenden Werk erschienene Literatur ist die Diskussion über Ps 146–150 allerdings aktuell neu eröffnet.)
M.s Exegese von Ps 119 hat zwei Schwerpunkte: die thematische Kohärenz des Psalms und seine Position im masoretischen Psalter. Ps 119 enthält das Wort »Tora«, das M. als umfassendste der insgesamt acht Tora-Bezeichnungen im Psalm ansieht. Zur thematischen Kohärenz (wiederum mit Schwerpunkt auf dem Tora-Thema) benennt M. zunächst die Hauptfrage, ob Ps 119 eine über die 22 Strophen des alphabetischen Akrostichons hinausgehende Struktur aufweist. Die Strukturanalyse führt M. zu dem Antwortvorschlag, dass die 22 Strophen von Ps 119 durch das Thema der Rückkehr zur Tora, das stufenweise entfaltet wird, vereint sind. Ps 119 wird in sechs Großabschnitte eingeteilt. Am Anfang stehen dabei die »zwei Wege« von Gottesfürchtigkeit und Gottesabwendung ähnlich wie in Ps 1 (Abschnitt 1: V. 1–16) und die Wahl zwischen ihnen (Abschnitt 2: V. 17–48), in der Mitte das persönliche Fehlereingeständnis des Psalmisten (Abschnitt 3: V. 49–88) und sein neuer Schwur des Toragehorsams (Abschnitt 4: V. 89–128), am Ende das Lob der Tora (Abschnitt 5: V. 129–160) und die Lernbereitschaft des Psalmisten in seiner Fehlbarkeit (Abschnitt 6: V. 161–167). Zusätzlich zum Tora-Thema enthält die Analyse von Ps 119 Abschnitte zu Weisheit (die Sechserstruktur wird als Hinweis auf eine didaktische und damit weisheitliche Funktion des Psalms angesehen), Psalmist (dieser wird weder als König noch Mitglied der Weisheitselite eingeordnet), Feinden (diese werden als die führende Elite identifiziert) und Bund (dieser wird trotz Fehlen des Begriffes als thematisch vorhanden beschrieben). Auf diese thematischen Erörterungen folgt eine Einordnung von Ps 119 in das 5. Psalterbuch: Ps 119 steht nach M.s Beschreibung zwischen dem Ägyptischen Hallel Ps 113–118 (davor Psalmenpaar 111–112) und den Wallfahrtspsalmen 120–134 (danach Psalmenpaar 135–136, dann Scharnierpsalm 137) in einem liturgischen Rahmen wie Ps 19 zwischen Ps 15 und 24 im 1. Psalterbuch. Den Rahmen des 5. Psalterbuches bilden nach M., der damit einen Neuimpuls gegenüber früherer Psalterexegese setzt, Ps 107 mit der Zwei-Wege-Thematik am Anfang und Ps 146–150 mit der Tora-Thematik am Schluss (zugleich Schluss des Gesamtpsalters), was die zentrale thematische Stellung von Ps 119 unterstreicht. Die David zugeschriebenen Psalmen 108–110 und 138–145 werden als ebenfalls mit Ps 119 vernetzt angesehen, beispielsweise durch das Feinde-Thema. Die zentrale Stellung von Ps 119 und sein zentrales Tora-Thema führen M. zu dem Schluss, dass die Rückkehr zur Tora in Ps 119 das Zentrum und der Schlüssel zum Verständnis des 5. Psalterbuches ist: »[…] a Psalmist, who has previously erred, returns to YHWH’s Torah and affirms his faithfulness to it. The same theme then constitutes the centre of the Fifth Book […] Ps 119 constitutes the centre and the key to the reading of the Fifth Book of Psalms.« (302)
Problematisch ist angesichts der Einschränkung der Inhaltsanalysen auf das Tora-Thema das Fehlen einer expliziten Erläuterung zu M.s Verständnis ebendieses Themas. Sind unter Tora der Pentateuchtext oder umfassendere Gottesweisungen zu verstehen? Geht es um ein zu den Texten zeitgenössisches oder späteres Toraverständnis? Die Einschränkung auf ein Thema birgt zudem eine gewisse Gefahr, außerhalb der von M. ausdrücklich bevorzugten Einzeltextexegesen das Thema auch dort anzunehmen, wo es möglicherweise gar nicht vorhanden ist. Dass beispielsweise in Ps 150 jeglicher Torabezug fehlt, wird zwar genannt (89), aber nicht erörtert (93.305). Wünschenswert wären zudem nähere Erläuterungen M.s zur Psalterexegese, etwa, inwieweit eine Gesamtlesung des Psalters als Meditationsbuch auch für die Antike angenommen wird (so implizit 30: »how the Book was and is to be read«).
Insgesamt bietet das Buch (mit Literaturverzeichnis sowie Autoren-, Sach- und Bibelstellenregister) fundierte Beiträge insbesondere zur Inhaltsstruktur des 119. Psalms und zur synchronen Exegese des 5. Psalterbuches.