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Ausgabe:

September/2017

Spalte:

899–900

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Mastnjak, Nathan

Titel/Untertitel:

Deuteronomy and the Emergence of Textual Authority in Jeremiah.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XI, 261 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 87. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-154401-9.

Rezensent:

Eckart Otto

Nathan Mastnjak legt mit der hier anzuzeigenden Monographie seine Dissertation an der University of Chicago vor. Ihr Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass in den letzten Jahren die literarische Relation zwischen Pentateuch und Jeremiabuch unterschiedlich interpretiert worden ist. Während D. Rom-Shiloni (Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 15 [2009], 254–281) »saw the book of Jeremiah treating Deuteronomy as an authoritative document that the various layers of Jeremiah use as a literary reservoir, an authority, and a means of self-authorization«, habe der Rezensent (Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 12 [2006], 245–306) »successfully demonstrated that certain texts in Jeremiah attempt to overturn or subvert passages, primarily from Deuteronomy, that restrict post-Mosaic revelation«. Diese Divergenz verlange, die Frage erneut unter Einbeziehung aller Textanspielungen in Jeremiabuch und Deuteronomium anzugehen.
In der literarischen Analyse von Deuteronomium und Jeremiabuch bleibt die Studie angesichts ihres Ziels, die benannte Diskussion um die literarische Beziehung zwischen Deuteronomium und Jeremia weiterzuführen, erstaunlich schlicht, insofern der Vf., der sich zu den »Neo-Documentarists« in Amerika zählt, die in »alternativ-faktischem« Gestus die Pentateuchforschung in das 19. Jh. zurückführen wollen, zwar einräumt, dass das Deuteronomium eine komplexe Literaturgeschichte durchlaufen habe. Doch dazu wird nichts weiter ausgeführt, so dass sie im Dunkeln bleibt zugunsten der nur postulierten These, dass Dtn 1,1–32,47 eine vordeuteronomistisch-vorexilische Einheit sei, die dem Jeremiabuch weithin vorgegeben sei. Literarische Differenzierungen beschränken sich in dieser Monographie auf das Jeremiabuch, wobei der Vf. S. Mowinckels Quellentheorie aus dem Jahre 1914 wiederbelebt, insofern er zwischen vordtr poetischen Prophetensprüchen (Quelle A), vordtr Erzählungen, die Mowinckel auf Baruch zurückführte (Quelle B), und einer dtr Redaktion DtrJ (Quelle C) unterscheidet.
Der Vf. will die Entwicklung der D-Rezeption von vordtr zu dtr Texten im Jeremiabuch erfassen. So wird zunächst die Rezeption des deuteronomisch-vorexilischen Prophetenverständnisses in Dtn 13 und 18 im Jeremiabuch analysiert mit dem Ergebnis, dass in DtrJ das Prophetengesetz in Dtn 18 zur Legitimation des Propheten Jeremia genutzt, gleichzeitig aber subversiv Beschränkungen des Deuteronomiums für die post-mosaische Prophetie im Jeremiabuch aufgebrochen werden. Da der Vf. aber das Epitaph des Pentateuch in Dtn 34,10–12 als vordtr der Quelle eines »Elohisten« zuschreiben will und also aus dem Deuteronomium ausgliedert, obwohl Dtn 34,10–12 als Teil des Deuteronomiums gerade den nachexilischen Pentateuch konstituiert (siehe E. Otto, Deuteronomium 23,16–34,12, Herders Theologischer Kommentar, 2017, 2261–2286), kann er nicht erkennen, dass im nachexilischen Jeremiabuch der Rekurs auf das dtr Prophetengesetz in Dtn 18 gerade dazu dient, um gegen das nachexilische Epitaph in Dtn 34,10–12, nach Mose sei »kein Prophet mehr aufgetreten, den JHWH von Angesicht zu Angesicht ins Vertrauen gezogen habe«, das sich gegen die Prophetie im corpus propheticum, also auch das Jeremiabuch, richtet, zu argumentieren. Damit geht dem Vf. aufgrund der Quellenzuweisung von Dtn 34,10–12 zu einem vorexilischen »Elohisten« ein wesentlicher Aspekt in der Rezeption der Prophetenmotivik des Deuteronomiums im Jeremiabuch verloren und ein methodischer Gesichtspunkt, dass die nachexilischen Autoren im Jeremiabuch durchaus die Spannungen im Pentateuch gesehen und für ihre Zwecke genutzt haben. Schwierig wird es auch, wenn der Vf. in Jer 5,15–17 eine bereits vorexilische Rezeption der mosaischen Prophetie der babylonischen Katastrophe in Dtn 28,49–52 sehen will, obwohl Dtn 28,50 seine nächste Parallele in Klgl 4,16 hat und in Dtn 28,49 Jer 5,15, Jes 5,26 und Ex 19,4 miteinander verknüpft sind, was darauf hinweist, dass Dtn 28,49–52 eher der Jeremia rezipierende Text ist. Die Reihe derartiger Beispiele lässt sich verlängern.
DtrJ rezipiere nach Meinung des Vf.s das Deuteronomium, um Moses Autorität auf Jeremia zu übertragen, was aber auch »transformation and subversion« in der Rezeption einschließe, wenn es darum gehe, die Beschränkungen im Deuteronomium in Bezug auf die nachmosaische Prophetie aufzubrechen, und wenn es um den Neuen Bund nach Israels Bundesbruch als Grund für die babylonische Katastrophe gehe. Der vordtr Prophetie im Jeremiabuch diene das Deuteronomium nicht zur Autoritätssicherung und Erklärung der Katastrophe mit dem Gebotsungehorsam. Vielmehr sei die Prophetie charismatisch legitimiert, so mit Max Weber, was sich auch darin erweise, in der Lage zu sein, auf Texte der Tradition und also das vorexilische Deuteronomium anzuspielen. In einem Exkurs analysiert der Vf. abschließend dann doch noch überraschend Texte des Deuteronomiums, von denen er annimmt, dass im Deuteronomium Jeremia rezipiert worden sei. Zu diesen Texten rechnet er neben Dtn 30,1–10 auch Dtn 29* und vor allem Dtn 32, worin ihm zuzustimmen ist. Doch wird an dieser Stelle gerade die prinzipielle Problematik dieser Monographie deutlich, da der Vf. darauf verzichtet, die Texte, die in Jeremia zitiert werden, literaturgeschichtlich in Relation zu denen zu setzen, die Jeremia rezipieren.
Die Monographie ist mit Akribie gearbeitet und insofern ein zu beachtender Beitrag zur Diskussion der literarischen Anspielungen in Deuteronomium und Jeremiabuch. Die literarkritischen Vorgaben von Thesen der »Neo-Documentarists« haben den Vf. daran ge­hindert zu erkennen, dass sich die wechselseitigen Rezeptionen nicht auf das Deuteronomium beschränken, sondern insbesondere auch die Sinaiperikope in Exodus und Levitikus einschließen. Auch mindert der Verzicht auf eine literaturhistorische Differenzierung im Buch Deuteronomium und die allzu schematische literarische Differenzierung im Jeremiabuch, die auf die Analyse von fünf Versen in Jer 22,1–5 aufgebaut wird, den Ertrag der Studie. Das gilt auch für die apodiktisch-pauschale Deklaration, wo Anspielungen vorliegen und wo nicht, ohne das im Einzelfall aufzuweisen. Der Vf. hat, was in amerikanischen Dissertationen keine Selbstverständlichkeit ist, die kontinental-europäische Literatur zum Thema recht umfassend aufgearbeitet. Umso bedauerlicher ist es, dass er die für die Frage nach dem literarischen Verhältnis des Jeremiabuches zum Pentateuch einschlägige Monographie von Harald Knobloch (Die nach exilische Prophetentheorie des Jeremiabuches, Beihefte für die Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 12, Wiesbaden 2009) übergangen hat. Trotz dieser Vorbehalte wird die Mo­nographie des Vf.s ihren Platz in der weiteren Arbeit an den nachexilischen Diskussionen zwischen prophetischen und priesterlichen Autorenkreisen im Jeremiabuch und im Pentateuch haben.