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Ausgabe:

September/2017

Spalte:

895–897

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Berner, Christoph, and Harald Samuel [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Reception of Biblical War Legislation in Narrative Contexts. Studies in Law and Narrative.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2015. XII, 203 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 460. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-034844-6.

Rezensent:

Eckart Otto

Die Beiträge des Bandes gehen auf eine Tagung zu »Law and Narrative« im Jahre 2013 zurück. Wichtige, der Forschung förderliche Beiträge stehen – wie oft in derartigen Sammelbänden – neben solchen, hinter denen erhebliche methodische Fragezeichen einer allzu unkontrollierten Literarkritik und einer darauf basierenden redaktionsgeschichtlichen Hypothesenbildung anzubringen sind. Die Herausgeber legen eingangs die gewünschte Methodik der Beiträge fest, um der Frage nachzugehen, wie die Kriegsgesetze des Deuteronomiums Erzählungen und sie die Kriegsgesetze geprägt haben: »Since we are apparently dealing with complex literary developments, we are convinced a redactional-historical approach is not only appropriate but also necessary.«
A. Bartor wendet ihre in ihrer empfehlenswerten Monographie »Reading Law as Narrative« 2010 (cf. dazu der Rezensent in ThLZ 137 [2012], 1183–1186) vorgelegte Methode eines »literary narrative read­ing« deuteronomischer Gesetze auf die Kriegsgesetze in Dtn 20; 21,10–14 an und zeigt auf, wie intensiv die Gesetze sich der stilistischen Techniken und Motive von Erzählungen bedienen, um jene mit einer Vielzahl von Perspektiven von Protagonisten, Gesetzgebern und Erzählern zu versehen. Die Doppelungen in Dtn 20,14–18 führt A. auf einen Dialog zurück, den der Gesetzgeber mit seinen Adressaten führt.
Diesem lesenswerten Beitrag stellt C. Berner seine extrem diachrone Redaktionsgeschichte von Gen 14 gegenüber. Er bedient sich auch hier der in seiner Habilitationsschrift »Die Exoduserzählung« vorgelegten Methode der Auflösung von Texten in eine Vielzahl punktueller Fortschreibungen (cf. K. Schmid in ZAW 2011, 292–294). Eine »Quelle S« in Gen 14,(1*).2.8.10a.11 sei in fünf Fortschreibungen (»Redaktionen«) in die Erzväter-Erzählungen eingefügt (I), durch die Sodom-Motivik ergänzt (II), in einen internationalen Horizont eingestellt (III) und durch den Bezug auf Dtn 1–3 (IV) sowie die Melchizedek-Episode (V) fortgeschrieben worden. In Jub 13 sei Gen 14 rezipiert worden als vom Sinai unabhängige Begründung des Zehntgebots, ohne dass hier eine vergleichbare Abfolge von Fortschreibungen in Anschlag gebracht werden könnte, was hätte zu denken geben können, ob die extreme für Gen 14 behauptete literarische Stratigraphie wirklich die Literaturgeschichte des Kapitels angemessen erfasst.
W. Oswald knüpft an seine Monographie zur »Staatstheorie in Israel« (cf. der Rezensent in ZAR 2009, 388–399) an, um nach der »politischen Theorie« in der Erzählung von der Amalekiter-Schlacht in Ex 17,8–16 zu fragen. In einer Art allegorischer Auslegung erhebt er die politische Aufladung einzelner Lexeme, wobei Mose für die (prophetische) Tora, die Wüste für das durch die Babylonier verwüstete Juda, der Hügel für den zerstörten Tempelberg, der Altar für einen Vorläufer des 2. Tempels und Aaron mit Hur für die politische Elite stehen sollen. Da O. hier nur Deuteronomis-tisches sehen will, muss der Bezug Aarons zur Priesterschaft und -schrift eliminiert werden. In Dtn 25,17–19 sei die dtr Erzählung post-dtr uminterpretiert worden, wobei eine literaturhistorische Begründung hier wie dort fehlt.
Der Beitrag von S. Gesundheit zur Midraschexegese im Dienst der Literarkritik ist in exegetischer Genauigkeit und jeweils den Punkt treffender Literaturdiskussion ein Glanzlicht in diesem Band. In Dtn 2 sei die Vorstellung einer kriegerischen Eroberung des Ostjordanlandes neben die eines friedlichen Durchzugs gestellt, wobei sich Dtn 2,26–31 als Midrasch zu Dtn 2,24 f. erweise. G. hat zurecht eine am Numeruswechsel orientierte Literarkritik (L. Perlitt) ebenso zurückgewiesen wie Harmonisierungsversuche (M. Weinfeld). Die Spannungen in Dtn 2 seien auch den nachbiblischen Midraschim bewusst gewesen. »If sometimes even diachron-ically-oriented exegetes do not perceive the tensions and intertextual relations in the canonical text, the midrashim may prove a helpful tool which prompts our awareness of the problem.«
Wie dieser Beitrag ist auch der von R. Achenbach ein wichtiger Forschungsbeitrag in diesem Band. Er analysiert mit wichtigen exegetischen Einsichten die verzahnte Geschichte von Banngebot, Exogamie- und Bundesschlussverbot in persischer und frühhellenistischer Zeit, wobei den post-deuteronomistischen Fortschreibungen in Dtn 7 eine Schlüsselstellung zukommt. Sachlogisch, so zeigt A., ergänzt das Bundes(Vertrags)-Verbot, das eine Aufnahme von Kanaanäern in den Qahal untersagt, das Banngebot und zeigt, dass es sich beim Banngebot um eine fiktive Konstruktion handelt, die in den Ausschluss von Verträgen mündet, was im Falle einer Bannung unnötig wäre.
R. G. Kratz wendet sich der Tempelrolle zu, die in Kol. 56–59 Dtn 17 und in Kol. 61–63 Dtn 20 rezipiert und die Mose-Worte des Deuteronomiums in den Mund Gottes zurücklegt. In der zweimaligen Behandlung der Kriegsthematik will K. einen Hinweis auf eine literarische Fortschreibung in der Tempelrolle sehen, doch sollte man die unterschiedlichen Kreise der Adressaten bedenken, ehe nach dem literarkritischen Skalpell verlangt wird, das hier der Tempelrolle nicht angemessen ist; cf. S. Paganini, BZAR 11, 2009. Schon das »Urdeuteronomium«, so K., sei am Sinai verortet gewesen, was die Tempelrolle nach der Verortung des Deuteronomiums in seiner Rahmung im Land Moab wieder herstelle.
Damit aber ist die narrative Rahmung der Tempelrolle als Oppositionsliteratur gegen die Jerusalemer Schriftgelehrsamkeit der Tora-Auslegung hermeneutisch unterbestimmt. Der hermeneutische Schlüssel zum Verständnis der Tempelrolle als der wahren, von Gott im Gegensatz zum Deuteronomium direkt gesprochenen Tora ist ihre narrative Verknüpfung mit der hinteren Sinaiperikope in Ex 34 nach dem Sündenfall des Volkes mit dem Goldenen Kalb, die die Offenbarung in Ex 19–24 einklammert und die Tempelrolle zur gültigen Tora nach der Sünde von Ex 32 im Gegensatz zum Deuteronomium als mosaische Auslegung des Bundesbuches in der vorderen Sinaiperikope macht (cf. der Rezensent, BZAR 7 [2007], 72–121). Dass die vordere Sinaiperikope in Ex 19–24 von vornherein dem Urdeuteronomium, dessen Ursprung entsprechend spät datiert werden muss, vorgegeben sein soll, wie K. meint, bleibt eine nicht an der Literaturgeschichte des Deuteronomiums orientierte Hypothese, die weder in Bezug auf die Sinaiperikope noch das Deuteronomium fundiert wird. Erst eine deuteronomistische Rahmung in Dtn 5 und Dtn 26 verortet das im Ursprung noch nicht narrativ gerahmte Deuteronomium am Horeb (nicht Sinai!), ehe es in Moab eine Heimat findet. Diese von K. vorgelegte Hypothese zur Verknüpfung von Tempelrolle und Deuteronomium ist mit erheblichem Fragezeichen zu versehen.
C. Edenburg korreliert in einem wichtigen Beitrag die literarische Fortschreibung von Kriegsgesetzen des Deuteronomiums mit denen der Kriegserzählungen in Jos 6–10, deren ältester Kern in neuassyrischer Zeit das Kriegsgesetz in Dtn 20,14–18 illustrieren sollte und durch die Bannideologie Dtn 13,13–18 entsprechend in neubabylonischer Zeit fortgeschrieben wurde. Daran schlossen sich im Josuabuch zwei nachexilische Fortschreibungen in pries­terlichem Horizont an.
Der Herausgeber H. Samuel will auf einer vergleichsweise schmaleren Textbasis das Kriegsgesetz in Dtn 20, dessen Kern auf Dtn 20,10–14.19 f. reduziert wird, mit der Erzählung von der List der Gibeoniten in Jos 9 korrelieren, die bis auf einen Kern in Jos 9,3.6a.8a.15a* literarisch amputiert wird, um einen inhaltlichen Gleichklang zu erzeugen. In 1Kön 20 sei Dtn 20 in einer schon fortgeschriebenen Fassung zugrunde gelegt, obwohl, wie S. einräumt, die Berührungspunkte gering sind und sich auf den Vers 13, der im Wortlaut aber von Dtn 20,3–4 abweicht, und das Bannmotiv, das in 1Kön 20 andere Funktion als in Dtn 20 hat, beschränken. Trotz dieses begrenzten Ergebnisses wird dann aber eine weitreichende Hypothese zur Entstehung eines Deuteronomistischen Ge­schichtswerkes angeschlossen, wobei offen bleibt, wie der literarische Zusammenhang zwischen Deuteronomium und einem Deuteronomistischen Geschichtswerk in Samuel-Könige zu beschreiben ist und welche Stellung das Buch Josua in diesem Zu­sam­menhang haben soll. Angesichts dieses Ergebnisses verwundert das Eingangsstatement der Herausgeber, die Lösung der komplexen literarischen Probleme des Themas sei von der Redaktionsgeschichte zu erwarten. Das mag zutreffen, wenn sie mit einem nachvollziehbaren Maß an Konsistenz über den Gestus der reinen Behauptung hinausgehend vorgelegt wird.
Weiterführend ist der Beitrag von S. Graetz zur Rezeption von Dtn 20; 23,10–15 und Num 10,1–10 in Kriegserzählungen der Chronik, die JHWH-Kriege nicht als Eroberungs-, sondern Rettungskriege und Metapher für die Weltherrschaft Gottes interpretieren.
Den Abschluss des Bandes bilden die Beiträge von F. Borchardt, der die nicht differenzierende Rezeption von biblischen Kriegsgesetzen und -erzählungen in der Erzählung der Emmaus-Schlacht in 1Makkabäer nachzeichnet, und von A. Steudel zur Kriegsrolle 1QM aus Qumran. Einige sehr gute Beiträge in diesem durch ein schmales Register abgeschlossenen Sammelband entschädigen für seinen hohen Preis von fast 100 Euro für 200 Seiten. Der Verlag sollte dennoch seine Preispolitik überdenken.