Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1217–1219

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lohfink, Norbert

Titel/Untertitel:

Studien zu Kohelet.

Verlag:

Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 1998. 300 S. 8 = Stuttgarter Biblische Aufsatzbände, 26. Kart. DM 79,-. ISBN 3-460-06261-4.

Rezensent:

Otto Kaiser

Das alte Habent fatum libelli könnte auch über dem Vorwort stehen, mit dem Norbert Lohfink eine Auswahl seiner Koheletstudien auf den Weg schickt: Seine Arbeit an diesem Buch begann in den frühen sechziger Jahren mit dessen Bearbeitung für die Deutsche Einheitsübersetzung. Sie setzte sich in der Vorbereitung einer Kommentierung für den Zürcher Bibelkommentar fort, aus der dann sein in mancher Beziehung unkonventioneller und daher je nach der Einstellung des Lesers stimulierender oder provozierender Beitrag zur Neuen Echterbibel (1980) hervorging. Seine dort vorgelegte Auslegung erhält durch die zwölf für diesen Aufsatzband ausgewählten Studien L.s ihre Verdeutlichung und Weiterführung. Der erste bietet unter dem Titel Der Bibel skeptische Hintertür. Versuch, den Ort des Buchs neu zu bestimmen (1993) (7-10) die in der vierten Auflage von 1993 leicht veränderte Einleitung des Kommentars.

Es ist erstaunlich, welche Frische der Text allein durch seine schärfere Gliederung, den Austausch einzelner Worte und geringe Streichungen zugunsten knapper Ergänzungen erhalten hat. So ist in dem Beitrag auf S. 13 der Absatz über das Buch, seinen nicht mit Kohelet identischen Verfasser (dem außer 1,1f. und 12,8 jetzt auch 7,27 zugewiesen wird) und seine Nachträge neu formuliert (vgl. 1S. 6 f.). Außerdem sind auf S. 18 f. (vgl. 1S. 10) und 21 f. (vgl. 1S. 11) je zehn Zeilen mit einer eingeleiteten tabellarischen Inhaltsübersicht bzw. einer Reflexion über die Historizität Kohelets, S. 22 (vgl. 1S. 12) fünf über den Charakter der im 1. Jh. v. Chr. veranstalteten Schriftensammlung und S. 25 f. (vgl. 1S. 14) ein elf Zeilen umfassender Absatz über die durch Rahmung und Erfahrungsbericht beim Leser bewirkte Distanz der Aussagen Kohelets eingefügt.

Die Grundthesen, daß Kohelet möglicherweise in einer Doppelrolle als Lehrer an der Tempelschule und als auf dem Markt auftretender Lehrer wirkte (1/3S. 12 = S. 21 f.), der erste Epilog bei der Einführung seiner Schrift als synagogales Lehrbuch und der zweite zu seiner Verteidigung als solches geschaffen sein dürften (1/3S. 13 f. = S. 23 f.), sind unverändert geblieben. Dabei hat jedoch der Prozeß der Kanonisierung eine ebenso erdnahe Erklärung als Aufstellung einer Anschaffungsliste für gute Synagogenbibliotheken erhalten (3S. 12 = S. 22). Je nach der Einstellung wird der fachkundige Leser die bis in seine Übersetzung hineinreichenden Konkretisierungen als Stärke oder als Schwäche seiner Kommentierung empfinden, wobei der Rezensent zu denen gehört, die sie als erfrischend bewerten. Unveraltet ist auch L.s Mahnung an die Theologen, nicht hinter Kohelets radikale Gott-Welt-Metaphysik zurückzufallen und mythologisch statt mittels der Anstrengung des Begriffs von Gottes Geschichts- und Erwählungshandeln zu sprechen (1/3S. 15 f. = S. 27).

Der Begründung der These, daß der in 1,4-11 beschriebene Kreislauf aller Dinge nicht als Ausdruck der sie durchwaltenden Vergeblichkeit, sondern positiv als Teilhabe an der Ewigkeit zu verstehen ist (1/3S. 16 = S. 28), ist auf den S. 95-124 ein eigener Aufsatz gewidmet ("Die Wiederkehr des immer Gleichen. Eine frühe Synthese zwischen griechischem und jüdischem Weltgefühl in Kohelet 1,4-11" [AF 5, 1985, 125-149]). Diese Deutung erhält ihre Unterstützung durch eine weitere Studie über den Rahmenvers des Buchverfassers "Koh 1,2 ,alles ist Windhauch’", die das hakkol aufgrund einer Überprüfung des Sprachgebrauchs anthropologisch deutet (FS A. Deissler, 1989, 201-216) (125-142) und damit dem Lied über den Kreislauf das universale negative Vorzeichen nimmt. Kohelets Ansetzung im 3. vorchristlichen Jh. findet in der Untersuchung über den Sprachgebrauch von "melek, sallit. und môsel bei Kohelet und die Abfassungszeit des Buches" (Bib. 62, 1981, 535-543) ihre Bestätigung (71-82). Einen indirekten Blick in das hellenistische Wirtschaftsleben und seine Gefahren gewönnen wir, wenn wir L. folgten und es Koh 5,12-16 um einen plötzlichen Geldverlust durch einen Bankkrach ginge ("Kohelet und die Banken. Zur Übersetzung von Kohelet V, 12-16") (VT 39, 1989, 488-495) (143-150).

In die inhaltliche Thematik führen uns die Aufsätze "Warum ist der Tor unfähig zu handeln? (Koh 4,17)" (ZDMG.S 5, 1983, 113-119) und "War Kohelet ein Frauenfeind? Ein Versuch, die Logik und den Gegenstand von Koh. 7,23-8,1a herauszufinden" (BEThL 51, 1979 [1990 (so zu korrigieren)] 259-287) (417-420). In diesem seither vieldiskutierten Aufsatz schlägt L. bekanntlich vor, die Aussage über die Frau in 7,26-28 dahingehend zu verstehen, daß das in V. 26a enthaltene negative Sprichwort über die Frau in V. 28bß durch den Hinweis auf ihre Sterblichkeit entmystifiziert wird (31-69 mit einem Referat über die Diskussion bis 1989). Als zentral für das Verständnis der Theologie Kohelets versteht L. die von ihm 5,17-19 entnommene Botschaft, daß Gott sich darin offenbart, daß er dem Menschen in der Freude seines Herzens antwortet (hn[ I statt wie üblich hn[ II) und ihn dadurch die Kürze seines Lebens vergessen läßt. Mithin trete Gott in der Gabe der Freude aus seiner Verborgenheit hervor ("Koh 5,17-19 - Offenbarung durch Freude", deutsche Fassung von CBQ 52, 1990, 625-635) (151-166).

Zu der im Schlußgedicht 11,9-12,8 als Mahnung aufgenommenen Botschaft von der Freude leitet 11,7-8 über, obwohl dieser begründete Wahrspruch zunächst die Serie der Mahnsprüche in 11,1-6 abschließt ("Grenzen und Einbindung des Kohelet-Schlußgedichts", FS H. Graf Reventlow, 1994, 33-46) (167-180). Dann folgt ein Aufsatz über das letzte Gedicht des Buches unter dem provokativen Titel "Freu dich, Jüngling - doch nicht, weil du jung bist. Zum Formproblem im Schlußgedicht Kohelets (Koh 11,9-12,8)" (Bibl. Interpr. 3, 1995, 158-189). Aufgrund seiner ausführlich dargestellten strukturellen Brüche zieht L. den Schluß, das Gedicht erinnere im Licht von 11,7 jeden Menschen und keinesfalls nur den Jüngling an den ihm bevorstehenden Tod. Auch wenn man in dem Jüngling auf dem Hintergrund von 11,7 f. jedermann erkennt, bleibt mir dunkel, warum dieser jedermann nicht mit dem in 11,9 und 12,1 angesprochenen Jüngling identisch und mithin die herkömmliche Auslegung im Unrecht ist (181-214). Anders verhält es sich mit dem folgenden, bisher unveröffentlichten und dem Sprachgebrauch des Leitwortes hæbæl gewidmeten Aufsatz "Zu HBL im Buch Kohelet", der zum einen der kontextuellen Prägung des Wortes nachgeht, dann die in der Einheitsübersetzung gewählte Übersetzung mit Windhauch begründet und schließlich zeigt, daß die Verwendung des Begriff einerseits auf den anthropologischen Bereich begrenzt ist und andererseits gerade in den sog. erkenntniskritischen Texten fehlt (215-258).

Sachgemäß beschließt ein auf die jahrzehntelange Bemühung L.s um die Erhellung des Koheletbuches zurückblickender Aufsatz die Sammlung ("Kohelet übersetzen. Berichte aus einer Übersetzerwerkstatt" [künftig im Kongreßband des Intern. Symp. on the Interpretation of the Bible, Laibach 1996]) (259-290). Ein Stellenregister für Kohelet in Auswahl, ein Hebräisches Wort- und ein Autorenregister erleichtern die Benutzung des Bandes (293-300), in dem Norbert Lohfink seinen Leser nie langweilt, wiederholt dessen Einsichten in Frage stellt und ihn auch dann belehrt, wenn er ihm im Einzelergebnis nicht zustimmt.