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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

826–827

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Deeg, Alexander, u. Christian Lehnert[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ekklesiologische Spiegelungen. Wie sich die Kirchen wiederfinden in der Liturgie.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2016. 212 S. = Beiträge zu Liturgie und Spiritualität, 28. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-374-04280-7.

Rezensent:

Christian Grethlein

Der Band enthält die – um einen Aufsatz ergänzten – Beiträge eines vom Liturgiewissenschaftlichen Institut der VELKD durchgeführten Fachgesprächs vom März 2014. Dabei war der Ausgangspunkt die Beobachtung, »wie stark sich gottesdienstliche Feiern in einem pluralistischen Kontext von traditionellen Kirchenbildern lösen« (Vorwort der Herausgeber, 5).
Eine ausgesprochen anregende Ouvertüre bilden die Überlegungen von Ralph Kunz: »Kirchenbilder im Spiegel gegenwärtiger liturgischer Praxis« (9–28). Dabei bieten die Impulse Ernst Langes und der »Fresh Expressions of Church« die wesentlichen Bezugsgrößen. In deren Auswertung entsteht die Hypothese, »dass sich in den Entwicklungen der Gottesdiensttheorie und -praxis unterschiedliche Konstellationen und Konfliktlagen der Kirche widerspiegeln.« (18) Es wäre gewiss lohnend, dem im Rahmen einer ausgeführten Kontexttheorie nachzugehen.
In ganz andere Gefilde führt Klaus Raschzok mit seinem entschiedenen Plädoyer für »Evangelisch-Lutherische liturgische Identität« (29–79): Neben interessanten liturgiehistorischen Erinnerungen nimmt er hier einen neuen Anlauf, um das mittlerweile auch in dem 2014 vorgelegten Thesenpapier der VELKD zur lutherischen Identität rezipierte Konzept des »traditionskontinuierlichen Gottesdienstes« ausführlicher zu begründen. Daran anschließend zeigt er in einer originellen Weiterführung von Luthers Hinweis auf die drei Typen von Gottesdienst die mögliche Aktualität eines solchen traditionsbestimmten Zugangs (s. Tabelle 69). In ähnliche Richtung, wenn auch eher allgemein liturgietheologisch bestimmt, zielen die Ausführungen von Michael Meyer-Blanck zu »Tradition – Mythos oder Wirklichkeit der Beständigkeit von Kirchenbildern?« (79–90). Der Rekurs auf Tradition kommt hier als ein modernes Argument und damit durchaus ambivalent ins Spiel. Er bedarf des Rückgriffs auf die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.
Wieder näher – und ganz gegenständlich – zum Kirchenthema führen die Überlegungen von Thomas Erne: »Autonome Baukunst als lebendiger Ausdruck« (91–116). Am Beispiel prominenter architekturtheoretischer Konzepte arbeitet er das Konzept und die Grenzen eines bloß funktionsbezogenen Kirchenbaus heraus. Dem­g­egenüber erfasst er Kirchen als »Hybridräume der Transzendenz« (110). Sie gehen nicht in bloßer Funktionalität für den Ge­meindegottesdienst auf, sondern sind primär als autonome Baukunst zu verstehen und zu gestalten.
Ein wahres Feuerwerk von Assoziationen und Sprachspielen – historisch von Thomas’ Eucharistielehre bis zum Pfarrdienstgesetz der EKD reichend – feuert der Systematiker Philipp Stoellger ab: »Vom Willen zur Sichtbarkeit der Kirche und der Liturgie als lebendes Bild« (117–144). Anregend sind seine bildtheoretischen Reflexionen, wobei der Bezug zur Thematik manchmal etwas zurücktritt.
Demgegenüber gibt Martin Evang einen knappen, aber instruktiven Einblick zu »Gottesdienst und Kirchenbild. Notizen aus der Evangelischen Kirche im Rheinland« (145–153). Dabei verdient sein Hinweis auf das Evangelische Gottesdienstbuch als »Glücksfall« für die rheinische Kirche Interesse.
In abstraktere Gefilde führt wieder der »systematisch-theologische Versuch« von Henning Theißen: »Liturgie als geistliche Wahrnehmung«. Gleichermaßen auf Luther und Barth rekurrierend arbeitet er ein ethisches und ästhetisches Glaubensverständnis heraus, das als Kriterium für Liturgie als Wahrnehmung des ihr vorgegebenen Gegenstandes gelten kann.
Im Anhang finden sich zwei Grußworte zum 20-jährigen Bestehen des Liturgiewissenschaftlichen Instituts, ein kurzer Rückblick des langjährigen Institutsleiters Wolfgang Ratzmann sowie ein »Nachwort und Ausblick« von Alexander Deeg. Er bündelt den Ertrag des Fachgesprächs und benennt Fragestellungen, die sich aus ihm ergeben.
Insgesamt liegt hier ein facettenreicher Band mit durchwegs auf hohem Niveau argumentierenden Beiträgen zu einem Thema vor, das dringend weiterer Bearbeitung bedarf. Dafür legen sich folgende Erweiterungen nahe: die Einbeziehung empirischer Befunde, auch in Erweiterung des Horizonts über den Sonntagsgottesdienst hinaus; die lediglich im Beitrag von Kunz angedeutete Aufnahme der kirchentheoretischen (nicht nur der ekklesiologischen) Diskussion; die Berücksichtigung der tiefgreifenden Umstellungen in der Kommunikation durch die digitalisierten Medien, die sich lang-fristig auf liturgische Partizipation und Kirche auswirken dürften.