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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

824–826

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Coors, Dietmar

Titel/Untertitel:

Theater als Gottesdienst. Das geistliche Schauspiel als moderne Verkündigungsform. Rezeption eines historischen Modells.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2015. 446 S. = Heidelberger Studien zur Praktischen Theologie, 20. Kart. EUR 49,90. ISBN 978-3-643-12353-4.

Rezensent:

Harald Schroeter-Wittke

Diese Heidelberger Dissertation stellt die Summe einer lebenslangen Beschäftigung mit dem geistlichen Schauspiel in Praxis und Theorie dar. Dietmar Coors, 1951 in Bremen geboren, war über 20 Jahre lang Pfarrer in Sinsheim und hat dort in seiner Gemeinde über 150 Theaterstücke auf die Bühne gebracht. Diese Lebenserfahrung spiegelt sich in einer Doktorarbeit, die einen weiten Horizont hat und viele interessante Details zusammenträgt. Ziel dieser Arbeit ist es zum einen, das geistliche Schauspiel kirchenhistorisch wie praktisch-theologisch angemessen wahrzunehmen und von hier aus einen Bogen zum Gottesdienst zu spannen: »Wenn der Got­tesdienst nicht seine innewohnende dramatische Kompetenz wiederentdeckt, wird er es schwer haben, sich im 21. Jahrhundert zu behaupten. Zu der Entwicklung eines umfassenden Gottesdienstverständnisses möchte diese Arbeit einen Beitrag leisten.« (17)
Dafür rekurriert C. auf verschiedenste liturgische sowie kulturanthropologische Erkenntnisse. Liturgisch schreibt er zunächst eine detailreiche Geschichte des geistlichen Spiels seit dem 19. Jh.: von der Wiederentdeckung des mittelalterlichen geistlichen Spiels über die liturgischen Bewegungen im Protestantismus (Friedrich Spitta) und Katholizismus (Romano Guardini) und die NS-Zeit (hier hätten die Protagonisten aber auch noch kritischer wahrgenommen werden können) bis hin zur kenntnisreichen Situation des geistlichen Spiels im geteilten Deutschland, wobei der Kirchentag mit seinen Entwicklungen von der Liturgischen Nacht zum Bibliodrama eine besondere Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund nimmt C. fünf gegenwärtige kirchliche Theaterprojekte wahr, die jeweils andere Akzente setzen: das Osterspiel in Gernrode, die Ökumenische Spielschar Erfurt, das Theater am Lindenhofe in Hannover, die Theatergruppe 42a in Salzburg sowie das Theater »musentümpel« in Baden.
Der zweite große Teil dieser Dissertation skizziert zum einen theateranthropologische Gottesdiensttheorien (Thomas Kabel, Karl- Heinz [sic!] Bieritz, Manfred Josuttis, Rainer Warning, Gerhard Marcel Martin, Walter Hollenweger, Ursula Roth, David Plüss) sowie Theatertheorien, die Anschlussstellen bieten für die Liturgik (Hofmannthal [sic!], Reinhardt, Stanislavskij, Artaud, Grotowski, Brook, Schechner, Brecht). Von hier aus werden sowohl »Elemente eines ›Heiligen Spiels‹« (298) als auch »Bausteine zu einer Theologie des geistlichen Spiels« (317) formuliert, wobei auch hier eine Flut von un­terschiedlichsten Theoremen nebeneinandergestellt werden: Huizinga, Buytendijk, Gadamer, Flitner, Gilch, Hugo Rahner, Ernst Lange u. a. tauchen hier ebenso auf wie exegetische Passagen (vor allem zum Spielen und Lachen), Kirchenbaugeschichte, Kirchraumtheorien und Karl Barth. Abschließend wird »das geistliche Drama als eine zeitgemäße Form des modernen Gottesdienstes« (393) anhand großer Stichworte »Die Gegenwart Gottes sichtbar machen« (394), »Die göttliche Hochzeit und Geburt« (395), »Das Opfer: Gottesdienst und Gewalt« (403), »Das Mahl: Gottesdienst und Konsumption« (407) und »Das geistliche Drama – ein Fest aller Sinne« (411) behauptet, bevor noch ein Exkurs »Elemente geistlichen Spiels bei Germanos von Konstantinopel« (413) sowie ein Schlusswort geboten werden, das mit Mechthild von Magdeburg ausklingt.
Bei dieser Fülle der hier auf die Bühne gebrachten Theorien, kulturwissenschaftlichen Theoremen und Theologien ist mir nicht klar geworden, was genau das Thema dieser Arbeit ist; oder anders gesagt: Diese Dissertation hat zu viele Themen, die zu wenig vertieft sind. Ihren oben formulierten Anspruch kann sie nicht einlösen, weil sie die gegenwärtige Theaterlandschaft nirgendwo als Teil der gegenwärtigen Medienwelt reflektiert. Dazu kommen neben einigen formalen Mängeln (falsch geschriebene Namen, unruhiges Layout) etliche Missverständnisse, z. B. wenn bei der Medientrilogie Jochen Hörischs nur das Abendmahl rezipiert wird und C. so davon spricht, die »Einheit von Sinn und Sein zurückzugewinnen, könnte die Aufgabe des geistlichen Kultdramas sein« (297).
Insgesamt traut C. dem geistlichen Schauspiel als einem liturgischen Medium (zu) viel zu für die Gottesdienstgestaltung. Es mag sein, dass in der liturgischen Theorie eine Revitalisierung des geistlichen Schauspiels dem Gottesdienst guttun würde, aber C. gibt so gut wie keine Hinweise darauf, wie dies angesichts der medial geprägten Lebenswelten der meisten jungen Menschen in der Gegenwart gelingen können soll. So hält seine Dissertation in historischer Hinsicht manche interessante Entdeckungen bereit. Auch in ihrer ästhetischen und liturgischen Offenheit ist sie sympathisch. Praktisch-theologisch aber greift sie zu kurz.