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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

820–822

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Predel, Gregor

Titel/Untertitel:

Schöpfungslehre.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2015. 282 S. m. 1 Tab. = Gegenwärtig Glauben Denken – Systematische Theologie, 4. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-506-77084-4.

Rezensent:

Dirk Evers

Seit 2007 erscheint die auf elf Bände angelegte Reihe »Gegenwärtig Glauben Denken« als eine alle Lehrstücke umfassende römisch-katholische Systematische Theologie. Bei dem zu besprechenden Werk handelt es sich um den vierten Band in der Ordnung der Reihe, der der Schöpfungslehre gewidmet ist. Wie überhaupt die ganze Reihe, so soll auch dieser Band »den christlichen Glauben an-gesichts der Herausforderungen der Gegenwart vernünftig […] durchdringen und übersichtlich dar[…]stellen« (9) und richtet sich an Studierende der Theologie, kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie interessierte Nicht-Theologen überhaupt. Es ist den Bänden eigentümlich und dabei programmatisch gewollt, dass sie chronologisch rückwärts aufgebaut sind. Sie beginnen mit den Herausforderungen der Gegenwart und gehen dann über histo-rische Stationen in der Theologiegeschichte (Moderne, Neuzeit, Scholastik, Patristik) zurück bis auf die biblischen Texte. Nach dem Vorwort des Reihenherausgebers verbindet sich damit ein programmatisches Interesse: Weil sich die Wahrheit der biblischen Offenbarung nicht mehr von selbst versteht (wann hat sie das je getan?), sollen die Deutungen der Theologie- und Philosophiegeschichte die grundlegende Stellung der Heiligen Schrift und damit wiederum deren eigenen Grund, Jesus Christus selbst, als Gottes Offenbarung hermeneutisch zugänglich machen.
Der vorliegende Band zur Schöpfungslehre des Professors für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der Theologischen Fakultät Fulda, Gregor Predel, identifiziert die Infragestellung durch die Naturwissenschaften als die zentrale gegenwärtige Herausforderung des Schöpfungsglaubens. Nach kurzen einführenden Vorbemerkungen widmet sich deshalb der erste große Teil des Werkes, der ungefähr die Hälfte der Seiten umfasst, ebendiesem Thema. Zunächst geht es um Notwendigkeit und Möglichkeit eines Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften. Der Vf. plädiert für ein Konsonanzmodell, bei dem zwischen Theologie und Naturwissenschaften methodisch und von der Fragestellung her unterschieden, zugleich aber festgehalten wird, dass beide sich dem selben Gegenstand, der Schöpfung und ihren Teilen, zuwenden. Über Konsonanzen, Analogien und Entsprechungen wird man dabei nicht hinauskommen können. Inhaltlich wird der Dialog mit Bezug auf Kosmologie und Evolution entfaltet. Ein theistischer, supranaturalistischer Gottesbegriff wird abgelehnt, stattdessen wird die innertrinitarische communio als das Urbild der Schöpfung verstanden. In dieser communio hat die werdende Welt ihren Grund, und an ihr hat sie Anteil. Unter Bezug auf Karl Rahner und Pierre Teilhard de Chardin wird von der Selbsttranszendenz der Wirklichkeit gesprochen, die auf ein Handeln des Schöpfers »hinter« der Wirklichkeit verweist, ohne dass dies in einem feststehenden »Plan« zum Ausdruck käme, der hinter dem von den Naturwissenschaften identifizierten Wechselspiel von Zufall und Notwendigkeit rekonstruiert werden könnte. Die werdende Schöpfung ist vielmehr als das Zusammenwirken von Schöpfer und Schöpfung zu verstehen. Hier spielt für den Vf. wieder Teilhard de Chardin die entscheidende Rolle bis hin zu dessen Rede vom Universum als eines sakramentalen Geschehens, mit dem der dreieinige Gott seinen Geschöpfen, vermittelt über die Kirche, Anteil an seinem eigenen Leben gewährt. Auch in dem Abschnitt, der die Entwicklung der lehramtlichen Position der römisch-katholischen Kirche zur Evolutionstheorie nachzeichnet, wird Teilhard als »Kontrapunkt« eine prominente Stellung eingeräumt und am Ende festgehalten, dass nach einigen, nicht weiter kommentierten Vorbehalten mit dem gegenwärtigen Papst Franziskus eine Position erreicht sei, die dem Denken Rahners und Teilhards sehr nahe komme. Ein Abschnitt zur Kosmologie bildet dann den Abschluss dieses Teils. Dabei geht der Vf. nun wieder chronologisch rückwärts vor, wenn er vom Urknallmodell über die Physikotheologie bis zu Galilei führt, der als der Überwinder der aristotelischen Physik und damit als Entdecker der universalen Einheit der Physik dargestellt wird – eine doch etwas vereinfachte Sicht der geschichtlichen Zusammenhänge.
Jedenfalls ist mit der Auflösung des mittelalterlichen ordo-Begriffs durch die frühneuzeitliche Naturwissenschaft die Überleitung zum zweiten Teil des Buches gegeben, der der Schöpfungstheologie des Mittelalters gewidmet ist. Nacheinander werden die Konzeptionen von Nikolaus Cusanus, Raimundus Lullus und Thomas von Aquin vorgestellt, wobei dem Cusaner erkennbar die größte Sympathie entgegengebracht wird. Interessant bei den Ausführungen zu Thomas ist deren Entfaltung vor dem Hintergrund der hochmittelalterlichen Auseinandersetzungen um das aristotelische Weltbild. Man vermisst in diesem Teil aber die eigene Position des Vf.s und eine Reflexion auf das im ersten Teil zu den heutigen Herausforderungen Vorgeführte. Es folgt der dritte Teil des Bandes zur Patristik, der zunächst den Versuch einer christlichen Kosmologie des Johannes Philoponos darstellt, auf den ein längerer Abschnitt über die Entstehung der Lehre von der creatio ex nihilo von Augustinus über Tertullian bis zu Irenäus von Lyon folgt. Bei Irenäus’ Lehre von der Rekapitulation wird wieder die Brücke zu Teilhard geschlagen, der im 20. Jh. diese frühe christliche Grundeinsicht eines dynamischen, sich vermittelt durch Christus auf die Vollendung zubewegenden Kosmos wieder zur Geltung gebracht habe. Der vierte und letzte Teil stellt dann die biblischen Schöpfungsvorstellungen dar. Für das Alte Testament beschränkt sich der Vf. auf eine Auslegung der beiden Schöpfungserzählungen, ohne dass wirklich klar würde, welchen hermeneutischen und autoritativen Rang diese Beschäftigung mit der Schrift für die vorgestellte Schöpfungstheologie eigentlich hat. Auch hier fragt man sich, in welcher Beziehung dieser als Zielpunkt des Buches angesteuerte Teil eigentlich zu der ausführlichen Behandlung der Naturwissenschaften als heutiger Herausforderung steht. Zudem bleibt die Darstellung der biblischen Texte doch sehr an der Textoberfläche und auf allgemeine inhaltliche Beobachtungen ausgerichtet, von der lebensspendenden Begrenzung des Chaos über den Menschen als Beziehungswesen bis zur durch den »Sündenfall« gestörten Beziehung zwischen Gott und Mensch. Den Abschluss des ganzen Buches bildet dann der Abschnitt zu Schöpfung und Neuschöpfung im Neuen Testament. Als Grundfigur wird das Geschehen zu Ostern und Pfingsten verstanden, durch das inmitten der alten Schöpfung die neue Schöpfung ins Sein tritt. Eher beiläufig wird diese Figur zurückgebunden an die Überlegungen im ersten Teil zur Teilhabe der Geschöpfe am trinitarischen Leben des Schöpfers, die durch Christus als dem universalen Heilsmittler ermöglicht wird. Es folgen entsprechende trinitarisch angelegte Abschnitte zum Schöpfer als fürsorgenden Vater, zum Sohn als Schöpfungsmittler und zum Geist als »Geburtshelfer« der neuen Schöpfung unter Verweis auf neutestamentliche Texte. Damit schließt das Werk und lässt zumindest den Rezensenten ein wenig ratlos mit der Frage zurück, welchen Gewinn der lange Anmarschweg für die Auslegung der biblischen Texte eigentlich gebracht hat.
Dass Rahner und Teilhard de Chardin vor dem Hintergrund der heutigen Naturwissenschaften zur Geltung bringen, was in den biblischen Texten als dynamische Heilsvermittlung angelegt ist und im Mittelalter im Rahmen eines ordo-Denkens doch irgendwie bewahrt wurde, erscheint als eine nicht wirklich einleuchtende These. Für den evangelischen Theologen ist die Tatsache ein wenig enttäuschend, dass trotz der Maßgabe des Reihenherausgebers, in der Reihe solle die christliche Lehre »konsequent in ökumenischer Offenheit« (10) dargestellt werden, im Grunde jeglicher Verweis auf reformatorische Traditionen und – von gelegentlichen beiläufigen Erwähnungen abgesehen – protes­tantische Theologie fehlt. Aber auch auf das Werk von Hans Küng zu Naturwissenschaft und Religion wird z. B. nicht verwiesen. Andererseits werden seitenweise lehramtliche und päpstliche Texte vorgestellt, ohne dass der Vf. sie affirmativ oder kritisch wirklich würdigen würde.
Einen eigenen Entwurf stellt das Werk nicht dar. Für den innerkatholischen Diskurs, besonders in Bezug auf Rahner und Teilhard, und zur Information für Theologiestudierende und Laien aber mag der Band anregend sein. Gut lesbar geschrieben ist er allemal.