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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

818–820

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Muis, Jan

Titel/Untertitel:

Onze Vader. Christelijk spreken over God.

Verlag:

Zoetermeer: Uitgeverij Boekencentrum 2016. 436 S. Kart. EUR 32,50. ISBN 978-90-239-2866-9.

Rezensent:

Markus Matthias

Der niederländische Dogmatiker Jan Muis (Protestantse Theol-gische Universiteit, Amsterdam-Groningen) hat eine Gotteslehre geschrieben, die es aus verschiedenen Gründen verdient, dem deutschen Publikum bekannt gemacht zu werden.
Zunächst ist das Buch ein schönes Beispiel für das, was man in der niederländischen Theologiegeschichte Ethische Theologie nennt, eine Theologie, die auf Schleiermachers Theologieverständnis aufbaut. So könnte M.’ Buch als christliche Apologie im Sinne Schleiermachers neben Gerard van der Leeuws bekannte Phänomenologie der Religion (Tübingen 1933; 21956; 41977) gestellt werden. Das wird insbesondere in der Einleitung (1. De vraag naar God, 21–39) und im 1. Teil (Christelijk Spreken, 43–126) deutlich, wo M. ausführlich, theologisch und sprachanalytisch, die Notwendigkeit, Bedeutung, Art und den Grund des christlichen Sprechens über Gott darlegt. Es geht ihm darum, zum einen das christliche Sprechen über Gott (nach innen) kritisch zu reflektieren, damit es als in sich konsistent und überpersönlich verstanden werden kann und einem rein subjektiven und spontanen Eingeben entzogen wird; zum anderen ist damit die (gerade für den niederländischen Kontext wichtige) Möglichkeit gegeben, die Art des (konsistenten) christlichen Redens (der Gemeinde) über Gott nach außen vernünftig zu kommunizieren und über sie innerhalb allgemeiner wissenschaftlicher Kriterien Rechenschaft abzulegen, ohne zu­gleich Glauben einzufordern. M. schließt an bei seiner niederlän disch-reformierten Tradition, insbesondere der Amsterdamer (Biblischen) Schule (K. H. Miskotte). Zugleich bewegt er sich souverän in der angelsächsischen und deutschen, systematischen und alttestamentlichen Literatur. Aus strikt reformierter Perspektive geschrieben, gestaltet sich M.’ Gotteslehre zu einer impliziten wie expliziten Auseinandersetzung mit der Theologie Karl Barths.
M.’ Buch ist ein durch und durch reformiertes Buch, das sich bemüht, die ganze Bibel, das heißt dann schon rein quantitativ das Alte Testament, als historisch-authentisches Sprechen über Gott ernst zu nehmen. Nicht das gegenwärtige »fromme Bewusstsein«, noch die erreichte Lehrentwicklung, nicht einmal das als Rahmen dienende Herrengebet sind maßgeblich, sondern die ganze Bibel, gerade in ihrer historischen und kulturellen Abständigkeit. Offenbar sieht M. in diesem historischen Ansatz keinen Widerspruch zu seiner erkenntnistheoretischen Voraussetzung, dass der Mensch durch Gott angesprochen wird und nach ihm verlangt (63 f.).
Neben diesen konzeptionellen Gesichtspunkten ist das Buch vor allem wegen seiner sorgfältigen Erörterung der »Kennzeichen« Gottes lesenswert, die das Zentrum des zweiten Teils (Deel II: Over God, 129–382) darstellen. Am Anfang steht die Besinnung über die Möglichkeit des eigentlichen oder metaphorischen Sprechens über Gott als den Anderen (129–146). M. arbeitet mit der richtigen Erkenntnis, dass die Bedeutung sowohl eigentlichen wie metaphorischen Sprechens erst durch die konkrete Satzverbindung entsteht. Werden dann Begriffe oder Metaphern auf Gott bzw. seine Taten bezogen, so sind sie zum einen geeignete, aus unserer Erfahrungswelt gewonnene Beschreibungen, zum anderen erhalten sie durch ihre Beziehung auf das Subjekt Gott eine neue Bedeutung. Es folgen Überlegungen zu dem Subjekt oder Träger der Kennzeichen, nämlich über die biblischen Namen Gottes (147–206) und über Gott als Person (207–248). Schließlich behandelt M. ausführlich Gottes Kennzeichen, nämlich Liebe (249–274), Heiligkeit (274–283), Gerechtigkeit (283–306), Macht (306–332), Ewigkeit (333–353). Erst daran schließt sich die Frage an, ob Gott existiert (355–382), die entschieden positiv, nämlich als notwendig vom Glauben zu fordernde Bedingung (Postulat) beantwortet wird. Ein Epilog und die üblichen Verzeichnisse beschließen das Buch.
M. will Gottes Eigenschaften oder offenbarungstheologisch ge­nauer seine »Kennzeichen« an Gottes geschichtlichen Taten festmachen. Damit wird Gottes Handeln mit Israel, so wie es das Alte Testament kanonisch erzählt, zum Maßstab, um über Gott zu reden. Dazu muss M. gleichsam theologische Loci (die Kennzeichen Gottes) aufstellen, unter die er die biblischen Aussagen über Gott einordnet. So entsteht eine mehr systematische als narrative oder historische Theologie des Alten Testamentes. Umgekehrt kommt – mit Ausnahme des als Rahmen gewählten Herrengebetes – das neutestamentliche Zeugnis von Christus als der erfüllten oder der schlechthinnigen Offenbarung Gottes gar nicht zur Sprache, noch wird – wie christlich eigentlich notwendig und von M. prinzipiell auch zugestanden – die dogmatische Gotteslehre trinitarisch (vgl. 107–116) entfaltet. Das hat verschiedene Folgen für die Darstellung: Kann sich eine christologische Gotteslehre mit Luther auf den in Christus sich mitteilenden Gott begrenzen und ihn gerade in seiner menschlichen Gestalt paradox beschreiben, so muss M. die in der Bibel überlieferten menschlichen Erfahrungen mit Gott extra polieren, indem er das menschliche Reden zugleich »wörtlich« nimmt wie in seiner ontologischen Beschränkung im Blick auf Gott (metaphysisch-dialektisch) zu entschränken sucht (z. B.: Gottes Zeit ist ein ewiges Heute, das Dauer kennt; 348) oder einzelne Eigenschaften durch die Unterscheidung von Besitz und Gebrauch von Eigenschaften (323) lediglich als Potenz beschreibt, die sich in unserer Wirklichkeit nicht erfahren lassen. Mit diesem Blick auf Gott in der Höhe muss M. dann freilich auch schweigen, um ihn vor der neuzeitlichen Anklage wegen des Bösen in der Welt zu schützen (vgl. 126), was noch annehmbarer erscheint als der Verweis darauf, dass Gott (und seine Absicht) nicht zu ergründen sei (331). Wegen seiner sorgfältigen und gründlichen Argumentation regt M.’ Buch den Leser zum Nachvollzug seiner Gotteslehre und zum Weiterdenken an. Das gilt etwa für die Neufassung der für die reformierte Tradition wichtigen Balance zwischen Gottes Liebe und Gottes Gerechtigkeit (298–301) oder für die theologische Be­deutung der Gerechtigkeit überhaupt, wenn M. sagt, dass Gottes Gehorsam gebietende Macht auf seiner einzigartigen Befugnis als König (»unieke bevoegdheid als Koning«, 317) beruhe. Insgesamt zeigt M.’ Buch in hervorragender Weise die Möglichkeiten und Grenzen eines aus dem Alten Testament gewonnenen christlich-theistischen Gottesbildes.