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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

798–800

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hermanni, Friedrich, Nonnenmacher, Burkhard, u. Friedrike Schick [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion und Religionen im Deutschen Idealismus. Schleiermacher – Hegel – Schelling.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. IX, 592 S. = Collegium Metaphysicum, 13. Lw. EUR 119,00. ISBN 978-3-16-154167-4.

Rezensent:

Andreas Arndt

Der Band geht auf eine Tagung der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen im Oktober 2014 zurück. Er ist in vier Abschnitte gegliedert, die Schleiermacher, Hegel, Schelling sowie wirkungsgeschichtliche und systematische Aspekte behandeln; hinzugefügt ist eine sehr ausführliche Bibliographie (523–578), welche die Literatur zu den drei Hauptautoren getrennt aufführt und, obwohl sie nicht beanspruchen kann, vollständig zu sein und vorwiegend neuere Literatur umfasst, den aktuellen Forschungs- und Diskussionsstand ausführlich dokumentiert und ein nützliches Arbeitsinstrument darstellt. Dem Band vorangestellt ist eine Einleitung über »[d]as Profil idealistischer Religionsphilosophie« (1–9), in der vier fundamentale Gemeinsamkeiten der behandelten Autoren herausgestellt werden: 1. Religionsphilosophie ist keine andere Religion, sondern der Versuch, bestehende Religionen zu begreifen; 2. Religion ist wesentliches Moment des Bewusstseins; 3. Religion ist ihrem Wesen nach pluralistisch; 4. das Christentum gilt als vollendete Religion.
Die Beiträge zu Schleiermacher stellen zumeist die Reden über die Religion ins Zentrum der Überlegungen, obwohl der Status der Reden im Blick auf die Religionsphilosophie ambivalent ist, denn Schleiermacher versucht dort, Religion und Philosophie verschiedenen Sphären zuzuweisen. Das spätere, erstmals in der Kurzen Darstellung erwähnte, aber von Schleiermacher nie ausgeführte Projekt einer Religionsphilosophie im Anschluss an die philosophische Ethik hätte eine besondere Überlegung verdient.
Richard Crouter (»Living Unity amid Multiplicity: Schleiermacher on Religious Pluralism«, 13–36) verortet die Reden in erster Linie philosophisch, wobei er den nicht-relativistischen Charakter des religiösen Pluralismus betont. In diesem Sinne argumentiert auch Christian König (»Schleiermachers inklusivistische Religionstheorie der Reden«, 37–64). Interessant sind dabei die Überlegungen zur »Halbwertszeit« (55) von Religionen, deren Zentralanschauungen des Universums sich überleben können, wie es nach Schleiermacher beim Judentum der Fall ist; ob sich damit und mit der »ausschließende[n] Vortrefflichkeit« (56) des Christentums als »höchstmögliche Religion überhaupt« (59) ein Pluralismus noch überzeugend vertreten lässt, sei dahingestellt. Auch kann bezweifelt werden, dass der Vorzug von Schleiermachers »Religionstheologie [sic!]« (62) gegenüber Hegel gerade darin bestehen soll, sich für die Geschichte der Religionen nicht zu interessieren. Wilhelm Gräbs Beitrag zu »Schleiermacher und die Vielfalt der Formen des Religiösen« (65–84) diskutiert demgegenüber – auch im Rückgriff auf die Glaubenslehre – differenziert die »Möglichkeiten und Grenzen religionsphilosophischer Geschichtskonstruktion« (75 ff.) im Blick auf religiöse Überzeugungsgewissheiten. Eilert Herms (»Religion und Wahrheit bei Schleiermacher«, 85–106) rekonstruiert umfassend Schleiermachers Wissens- und Wahrheitsbegriff, wobei er davon ausgeht, dass Frömmigkeit und Religion Bedeutung für das Wahrheitsbewusstsein überhaupt haben. Schleiermachers (ohnehin schwierig aufrechtzuerhaltende) These, dass Theologie und Philosophie grundsätzlich miteinander harmonieren, wird dabei in eine m. E. fragwürdige Identitätsthese überführt; in der Konsequenz geht es nicht mehr um Religionsphilosophie, sondern um philosophische Theologie.
Facettenreicher ist die Auseinandersetzung mit Hegels Religionsphilosophie. Ulrich Schlösser behandelt »Hegels Genese der Re­ligion in seiner Phänomenologie« (109–129), während Burkhard Nonnenmacher im Blick auf das spätere System Hegels Begriff des Absoluten zu den Religionen ins Verhältnis setzt (131–153). Dabei werden grundlegende Fragen aufgeworfen wie die, ob Hegels Begriff des Absoluten tatsächlich das Ganze im vollen Sinne meint oder »nur« dessen kategoriale Strukturen, so dass die absolute Idee sich auf bereits Existierendes beziehen würde (151). Friedrich Hermanni thematisiert »die Evolution des religiösen Bewusstseins« bei Hegel (155–183), wobei die Rekonstruktion seines Bildes der be­stimmten, d. h. außerchristlichen Religionen im Mittelpunkt steht. Martin Wendte behandelt im Anschluss an Hermanni die Pluralität der bestimmten Religionen im Blick auf die mit dem Begriff der vollendeten Religion, dem Christentum, gesetzte Inklusionsthese, die grundsätzlich als kritischer Inklusionismus verstanden werden müsse. Gegen Hegel sei jedoch darauf zu beharren, dass die »Anwendungsbedingungen der Logik selbst nicht mehr durch Logik zu sichern sind« (187), so dass eine unverfügbare Un­mittelbarkeit bleibe. Der Sache nach handelt es sich um das auch von Nonnenmacher traktierte Problem, das gewiss weitergehende Diskussionen erfordert. Thomas A. Lewis (»Hegel’s Determinate Religion Today«, 211–231) versucht, bei vorsichtiger Kritik, eine Ak­tualisierung des Hegelschen Konzepts der bestimmten Religionen. Den Abschluss des Hegel-Teils bilden Roberto Vincos Überlegungen »zum liturgischen Charakter des hegelschen Philosophierens« (»Philosophie ist Gottesdienst«, 233–251) und Stephen Houlgates Abhandlung zu »Glaube, Liebe, Verzeihung« (253–272), die dar-auf zielt, religiöses Gefühl und Philosophie miteinander zu ver-söhnen.
Der Schelling-Teil – bei dem auffällt, dass eine Auseinandersetzung mit der Schrift Philosophie und Religion (1804) fehlt – beginnt mit einem Beitrag von Paul Ziche über das Verhältnis von Realismus und Religionsphilosophie um 1800 (275–291), der – unter Einbeziehung von Schleiermachers Reden das Problem des »höheren« Realismus in den Mittelpunkt stellt. Jan Rohls befasst sich mit »Religion und Religionen beim frühen Schelling« (293–327), wobei er vor allem auf Schellings Auseinandersetzung mit Schleiermachers Reden sowie Schleiermachers Reaktion auf das Religionsverständnis der Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums eingeht. Wilhelm G. Jacobs (»Der theogonische Prozeß«, 329–349) sowie Jens Halfwassen (»Metaphysik im Mythos«, 383–396) widmen sich der Philosophie der Mythologie; beide zeigen, dass Schelling die Wahrheit der Mythologie in seiner Auffassung des Absoluten gründet und im Zusammenhang mit der Geschichte des Bewusstseins entfaltet, wobei Halfwassen Schellings kaum behandelte Deutung der ägyptischen Religion heranzieht. Die Genese und Entwicklung speziell des religiösen Bewusstseins behandelt in diesem Zusammenhang der Beitrag von Stefan Gerlach (351–381). Es folgt von Amit Kravitz ein Beitrag zu »Schellings Deutung des Judentums« (397–423), in dem gezeigt wird, dass Schelling Chris­tentum und Heidentum näher zusammenrückt als Christentum und Judentum und der jüdischen Religion eine Art unentschiedenen Schwebezustand zwischen Heidentum und Christentum zuweist. Den Abschluss bilden Thomas Buchheims »Thesen zur Zielsetzung von Schellings unvollendetem System« (425–445), die dem Begriff der »philosophischen Religion« nachgehen.
Im wirkungsgeschichtlichen Teil präsentiert Christoph Schwöbel mit Friedrich Brunstäd einen nahezu vergessenen Autor des frühen 20. Jh.s; weniger speziell ist der Beitrag von Friedrike Schick, die grundsätzlich danach fragt, ob eine Philosophie der Religionen Vernunfttheologie ersetzen kann (477–499), wobei sie sich vor allem mit John Hicks Religionspluralismus auseinandersetzt. Ebenso grundlegend-systematisch fragt zum Schluss Henning Tegtmeyer nach der »Wahrheit in den Religionen« (501–520). Hier werden Hegel, Schleiermacher und Schelling noch einmal einer vergleichenden Betrachtung unterzogen, die darauf hinausläuft, sie in ihren unterschiedlichen Zugängen zur Religionsproblematik für eine vergleichende Religionsphilosophie fruchtbar zu machen.
Das Buch thematisiert viele Aspekte und bietet viele Anregungen, strebt aber, wie bei einem Tagungsband auch nicht zu erwarten, keine Vollständigkeit an. Der Begriff der Religionsphilosophie, der sich ja in der behandelten Epoche erst etabliert, bleibt leider vage. Gleichwohl bietet das Buch, nicht zuletzt durch die Bibliographie, einen guten Einstieg in wesentliche Aspekte der Religionstheorie von Schleiermacher, Hegel und Schelling.