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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

795–796

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Hofmann, Peter

Titel/Untertitel:

Karl May und sein Evangelium. Theologischer Versuch über Camouflage und Hermeneutik.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2016. 192 S. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-506-78215-1.

Rezensent:

Claus Roxin

Karl May und sein umfangreiches Werk sind in den letzten Jahrzehnten Gegenstand intensiver biographischer und literaturwissenschaftlicher Forschung geworden. Der früher höchst umstrittene Autor kann heute schon fast als Klassiker gelten. Bekanntlich spielt in Mays Werken – den theoretischen wie den abenteuerlich erzählenden – das Bekenntnis des Autors zum Christentum eine besondere Rolle. So wundert es nicht, dass auch Theologen sich seit Längerem mit den Glaubensaussagen Karl Mays beschäftigen.
Das tut auch der Augsburger Fundamentaltheologe Peter Hofmann, der schon mit Monographien über »Goethes Theologie« (2000) und »Richard Wagners politische Theologie« (2003) hervorgetreten ist. Seine Schrift, die er als »Hommage an den Radebeuler Dichter« versteht (7), vertritt die zentrale These, dass sich hinter Mays »Christentum« im Grunde eine aufklärerische Humanitäts-Idee verbirgt. May »tarnt sein Humanitätspathos […] mit christentümlichen Versatzstücken: ein ungebundener Aufklärer im Nazarenerkostüm« (140). Mays »Christentum« diene »als Chiffre für das Ethos der sittlichen Tat, das sich auf Christus als den Lehrer beruft, aber das Dogma und die Konfession jeder Kirche ablehnt« (121). Es handele sich bei Mays Christentum um eine »von Lessing« hergeleitete »Aufklärung, die einer ›Erziehung des Menschengeschlechtes‹ dienen will und in diesem Konzept den positiven Religionen einen nur vorläufigen Ehrenplatz anweist« (83).
Die christlichen »Versatzstücke« in den Werken Mays sind danach nur eine »Camouflage«, eine Tarnung der im Grunde un­dogmatisch aufklärerischen Position Mays. H. beruft sich für diese These auf den in der Forschung seit Langem bekannten Befund, dass May auch in biographischen Selbstdarstellungen zur Camouflage neigte, indem er sein wahres Ich hinter unterschiedlichen »Rollen« versteckte. So trat er von 1892 an als »Old Shatterhand« auf, der alle von ihm erzählten Abenteuer selbst erlebt habe (»Camouflage« I), und stilisierte sich später (etwa 1899–1907) zum Stifter einer religiösen Bewegung (»Camouflage« II, 133.135), bevor er am Ende seines Lebens als »Hakawati«, als Märchenerzähler, in die Literaturgeschichte eingehen wollte. »Damit glückt May«, meint H. (135), »eine letzte und besonders sympathische Variante seiner Vertauschung von Roman und Leben, die ihn zugleich als reflektierten an die literarische Moderne anschlussfähigen Literaten zeigt.«
In der Tat lässt sich bei May von seinen frühesten Arbeitsnotizen bis zum Spätwerk ein Bekenntnis zur aufklärerischen Humanitätsidee feststellen. H. belegt das aus umfassender Kenntnis aller Lebenszeugnisse und Werke Mays sowie der Sekundärliteratur. Er scheut sogar den Vergleich mit Goethe nicht (26–45). »Auch bei ihm (May) finden wir, allerdings in zeittypischer Variante zwischen Romantik und Moderne, die Suche nach einer alles umfassenden und überbietenden Religion der Liebe, die keiner eigenen Offenbarung bedarf, sondern natürlich und vernünftig ›Humanität‹ verkündet« (37).
Das alles ist richtig und klärend. Aber es fragt sich doch, ob Mays religionsphilosophische Bemühungen dabei nicht etwas zu kurz kommen. Natürlich kann man von einem Nichttheologen wie May, der zeitlebens ein »überkonfessionelles Christentum« vertrat, keine orthodoxe theologische Glaubenslehre verlangen. Aber eine an den Aussagen Christi orientierte Liebesethik und Mays mindes­tens temporäre Selbstdeutung als »Stifter einer religiösen Bewegung« (135) legen doch die Frage nahe, ob sich das aufklärerische Humanitätsideal und ein modernes Christentum nicht zu einer Synthese bringen lassen, für die sich bei May einige produktive Ansätze finden mögen. »Tut wohl denen, die Euch hassen!« – so der Titel einer Erzählung Mays – ist doch wohl ein spezifisch christliches, den schlichten Humanismus noch überbietendes Evangeliums-Motto. Auch die theologische Literatur zu May, deren wichtigste Werke Schmiedt in einem Vorwort (11) anführt, hätte eine nähere Auseinandersetzung verdient gehabt. Die wertvolle Monographie H.s sollte also nicht der Abschluss, sondern der Beginn einer weiteren theologischen Beschäftigung mit Karl May sein.