Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

791–793

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Bobrowski, Johannes

Titel/Untertitel:

Briefe 1937–1965. Hrsg. u. kommentiert v. J. Meyer. 4 Bde.

Verlag:

Göttingen: Wallstein Verlag 2017. Bd. 1: 1937–1959. 676 S. Bd. 2: 1959–1961. 630 S. Bd. 3: 1961–1963. 622 S. Bd. 4: 1963–1965. 788 S. = Mainzer Reihe. Neue Folge, 16. Lw. EUR 199,00. ISBN 978-3-8353-0577-9.

Rezensent:

Johannes Schilling

Der Dichter Johannes Bobrowski, geboren in Tilsit am 9. April 1917, gestorben in Berlin am 2. September 1965, gehört zu den großen Ausnahmeerscheinungen der deutschen Literatur des 20. Jh.s. Seine eigene Stimme wurde in West und Ost gehört und verstanden, sein Programm, das er einem Brief an Hans Bender, den Herausgeber der Zeitschrift »Akzente« vom 17. Juli 1961 beilegte, lautete:
»Zu schreiben habe ich begonnen am Ilmensee 1941, über russische Landschaft, aber als Fremder, als Deutscher. Daraus ist ein Thema geworden, ungefähr: die Deutschen und der europäische Osten. Weil ich um die Memel herum aufgewachsen bin, wo Polen, Litauer, Russen, Deutsche miteinander lebten, unter ihnen allen die Judenheit. Eine lange Geschichte aus Unglück und Verschuldung, seit den Tagen des Deutschen Ordens, die meinem Volk zu Buch steht. Wohl nicht zu tilgen, aber eine Hoffnung wert und einen redlichen Versuch in deutschen Gedichten. Zu Hilfe habe ich einen Zuchtmeister: Klopstock.« (Briefe 3, 76)
Dieses Programm eines »Sarmatischen Divans« (vgl. seinen Brief an Peter Huchel vom 1/6. 56 – Briefe 1, 417 f., und besonders an Hans Ricke vom 9/X. 56 – Briefe 1, 439–443) hat der Dichter mit Energie verfolgt und zum Ziel gebracht – sein früher Tod wurde von vielen als ein großer Verlust wahrgenommen. Seine Stimme ist nach wie vor vernehmlich, und seine Gedichte, Geschichten und die beiden Romane wurden immer gelesen, von einer kleinen, aber treuen Leserschaft – fast möchte man sagen: -gemeinde. Seine Romane wurden verfilmt und zu Opern umgeformt, seine Gedichte vertont. Und die Literatur- und Kulturwissenschaft hat eine reiche und erhellende Forschung des als »dunkel« geltenden Werkes hervorgebracht. Auf der Website der Johannes-Bobrowski-Gesellschaft kann man davon einen vorzüglichen Einblick gewinnen.
Nun sind, rechtzeitig zum 100. Geburtstag, die Briefe B.s erschienen. Die vier schön gestalteten Bände sind eine Großtat – des Herausgebers allererst, aber auch des Verlags und der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur. In einem eher als Essay denn als Nachwort zu bezeichnenden Text unter dem Titel »›Du weißt ja, die Ereignisse haben die sonderbare Angewohnheit, an mir vorüberzugehen‹. Die Briefe von Johannes Bobrowski, ihre Edition und Kommentierung« (Band 4, 663–686) sowie die Vorgeschichte und Ge­schichte der Edition erläutert der Herausgebe. Es war Eberhard Haufe (1931–2013), der große Weimarer Gelehrte, der mit der Sammlung der Briefe B.s begann, sie Jochen Meyer anvertraute, starb, und in seinem Nachfolger und Vollender den rechten Mann fand.
Jochen Meyer, der ehemalige Leiter der Handschriftenabteilung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, der 1990 auch den Nachlass B.s dorthin geholt hat, war damit für die Aufgabe prä-des­tiniert. Er berichtet, wie er die Briefe gesammelt hat, wie die Sammlung wuchs, und dass die späte Veröffentlichung auch ihr Gutes hat – vor 1989 wäre es nicht nur nicht dienlich, sondern auch nicht möglich gewesen, manche der Briefe zu publizieren. Besonders zu bedenken war und ist auch die Tatsache, dass das Ministerium für Staatssicherheit der DDR die Post zensierte – und die Briefschreiber, auch B., im Wissen um diese Zensur ihre Briefe schrieben.
Über seine editorischen Grundsätze gibt der Herausgeber hinreichende Auskunft (Briefe 4, 681–686). Die Ausgabe selbst ist ein Muster an Sorgfalt und kluger Kommentierung. Meyer behandelt jeden Brief als ein eigenes Stück, er jagt einen nicht an jeder Stelle per Verweise durch die Bücher, sondern kommentiert, was an der jeweiligen Stelle zu kommentieren ist. Da gibt es, natürlich, Redundanzen, aber die nimmt man gern hin angesichts der Bequemlichkeiten, die solche Erläuterungen schaffen. Ein Personenregister ermöglicht überdies das Auffinden der Gesuchten.
In einer Theologischen Literaturzeitung ist die Frage zu stellen und zu beantworten, was denn eine Besprechung in diesem Organ nahelegt oder rechtfertigt, oder was denn »theologisch« sei in diesen Briefen. Als einen Christenmenschen kann man B. mit Fug und Recht bezeichnen. Sein ganzes Leben und Wirken steht auf dem Boden eines christlichen Glaubens, der in diesem Leben und Wirken Gestalt gewinnt. Das beginnt mit seiner Herkunft aus einer baptistisch geprägten Familie, setzt sich fort in seiner Mitgliedschaft im Bund Deutscher Bibelkreise in Königsberg, der Mitgliedschaft in der Bekennenden Kirche und seinem frühen Willen zum Theologiestudium, das er dann freilich angesichts der politischen Lage doch nicht aufnahm. Die Gefangenschaft, so ist zu vermuten, hat er auch im Glauben durchgestanden, das Familienleben nach dem Krieg ist geprägt von einer kirchlich gebundenen Frömmigkeit (»Meine Mutter ist Religionslehrerin, mein Vater Kirchenäl-tes­ter, meine Frau im christlichen Kindergarten, und ich spiele nach wie vor Kirchenmusik« – An Helmut Scheiff. 19. Januar 50; Briefe 1, 167). Sein Selbstverständnis als Christ erweist sich auch in seinem Beruf als Lektor des Union-Verlages, in dem er auch christliche und theologische Bücher verlegen kann, etwa eine Auswahlausgabe mit Schriften von Johann Georg Hamann, die der damalige Naumburger Dozent und spätere Jenaer Professor Martin Seils unter dem Titel »Entkleidung und Verklärung« 1963 herausgab (und die in der ThLZ nicht besprochen wurde). Auch B.s Nähe zu seiner Ortsgemeinde in Berlin-Friedrichshagen und sein langjähriges Mitwirken in dem dortigen Kirchenchor ist nur eine weitere Facette aus diesem kurzen, von einem christlichen Grundvertrauen geprägten Leben.
Nach einer durch die Kriegsjahre und die Gefangenschaft motivierten »kommunistischen« Phase (»Am 24/XII. 49 bin ich hier angekommen … und zwar als Kommunist« – An Franz Anhuth 6/I. 50; Briefe 1, 153) schreibt er ein Jahr später: »Meine alten metaphysischen Neigungen treten mehr und mehr in ihre früheren Rechte« (An Otto Baer. 17/I. 51; Briefe 1,241), will sagen, sein Christentum macht sich wieder deutlich bemerkbar. Das kann dann etwa auch zu apologetischen Bemerkungen führen wie: »Es hat mit dem Wesen des Christentums nichts zu tun, daß es auf üble Weise vertreten wurde« (An Hans Ricke. 26/IX. 52 – Briefe 1, 316). Bibel- und Gesangbuchverse kommen in den Briefen immer einmal vor, insbesondere in den (wenigen) Briefen aus dem Krieg. Und ansonsten hängt es von den Empfängern ab, ob Fragen von Religion, Glaube und Kirche thematisiert werden.
In einem Brief an Gertrud Mentz legt B. 1964 der Empfängerin den Unterschied zwischen Günter Grass und sich selbst dar – »Luthers verwegene Zuversicht, Bubers verzweifelte Hoffnung auf das Gespräch, die mir der (freilich einzige) Boden sind, haben für ihn kein Gewicht« (Briefe 4, 266). – Die »verwegene Zuversicht« nimmt eine Formulierung aus Luthers Vorrede zum Römerbrief auf: »Glaube ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiss, dass er tausendmal drüber stürbe. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und voller Lust gegen Gott und alle Kreaturen. Daher wird der Mensch ohne Zwang willig und voller Lust, jedermann Gutes zu tun, jedermann zu dienen, allerlei zu leiden, Gott zu Liebe und zu Lob, der einem solche Gnade erzeigt hat.«
Wenn solche Überzeugung den Dichter Johannes Bobrowski geprägt und ihm den »einzige(n) Boden« bereitet hat, dann kann man wohl verstehen, was das Leben dieses Christenmenschen ausmachte. Dazu wäre noch manches zu sagen. Die Ausgabe der Briefe hat nicht zuletzt für diese bisher nicht gestellten Fragen in Texten und Kommentaren auf ihre Weise einen Boden bereitet.