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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1211–1214

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

(1) Parpola, Simo (2) Nissinen, Martti

Titel/Untertitel:

(1) Assyrian Prophecies.
(2) References to Prophecy in Neo-Assyrian Sources.

Verlag:

(1) Helsinki: The Neo-Assyrian Text Corpus Project. Helsinki: University Press 1997. CXXI m. Abb., 84 S. m. Abb., 13 Taf. gr.8 = State Archives of Assyria Studies, 9. Kart. $ 32.-. ISBN 951-570-167-8.
(2) Helsinki: The Neo-Assyrian Text Corpus Project. Helsinki: University Press 1998. X, 194 S. gr.8 = State Archives of Assyria Studies, 7. Kart. $ 35.-.

Rezensent:

Angelika Berlejung

Die ebenso lang erwartete wie wichtige Neuedition der neuassyrischen Prophetien durch S. Parpola unterscheidet sich von den bereits erschienenen Texteditionen der Reihe ’State Archives of Assyria’ durch eine ausführliche Einleitung (XIII-CXXI), die den Umfang der eigentlichen Textedition (4-43) übertrifft. Auf den ersten Seiten stellt der Vf. (XIII-XLIV) "an interpretative model which adds a new dimension to and sharply deviates from the traditional understanding of Assyrian religion" (XIV f.) vor, das er in den vergangenen Jahren auf der Grundlage der Prophetien, weiterer akkadischer Textquellen und der Ikonographie entwickelt hat.1

Ziel ist, den religiösen Hintergrund der Prophetie zu rekonstruieren (XVI). Das methodische Vorgehen, das er dabei angewandt hat, skizziert er nur kurz (XVII): Analyse und Interpretation der Prophetien auf dem Hintergrund zeitgenössischer assyrischer Quellen. "Next, the texts and the preliminary interpretative model were systematically correlated and compared with OT and Mari prophetic oracles and ANE prophecy in general". Diese Vorgehensweise führte P. zu der These, daß frühere Überlegungen, die das Phänomen der "Prophetie" im Westen heimisch sein ließen, eine autochthone mesopotamische Tradition verneinten und die einschlägigen akkadischen Texte als Ergebnis der Westexpansion Assyriens, interkultureller Kontakte und der Aramaisierung des Neuassyrischen Reiches interpretierten (so A. L. Oppenheim, H. Tadmor u. a.), aufgegeben werden müssen, da die neuassyrischen Prophetien enge Verbindungen zum Istarkult, zur assyrischen Königsideologie, Mythologie und Ikonographie aufweisen und somit ein "genuinely Mesopotamian phenomenon" (XIV) darstellen. Weiterhin ergab sich aus diesem Arbeitsschritt auch die Erkenntnis, daß die altorientalische Prophetie eng und ganz grundsätzlich mit dem Kult der Muttergöttin und dessen "esoteric doctrines of salvation" (XVII) verknüpft sei.

Beide Arbeitsergebnisse (Unabhängigkeit der mesopotamischen Prophetie, die nichtsdestoweniger Teil eines weiter verbreiteten, kulturübergreifenden Phänomens ist; Verbindung zwischen dem Kult der Muttergöttin und den altorientalischen Propheten) werden vom Vf. mit seiner Überzeugung kombiniert, daß der Kult der Muttergöttin "provides the key to the understanding of Mesopotamian/ANE prophecy as a cross-cultural phenomenon". Daraus ergab sich für den Vf. die Notwendigkeit, den Kult der Istar "in light of the comparative evidence provided by the ’mystery cults’ of classical antiquity and related religious and philosophical systems (including Gnosticism, Jewish mysticism and Neoplatonism)" zu untersuchen (XVII).

Die Beschränkung auf das assyrische Material lehnt P. ab, da nur die Korrelation der assyrischen Quellen mit Vergleichsmaterial aus der Bibel, der Gnosis, der jüdischen Mystik und dem Neuplatonismus die assyrischen Prophetien erhellen könne, wie ebenso umgekehrt diese Traditionen nur aus den assyrischen Texten sinnfassend zu verstehen seien (XVI). Das Ergebnis dieser Überlegungen ist die Rekonstruktion des Istarkultes als esoterischer Mysterienkult mit ekstatischen Elementen2, der seinen Anhängern "transcendental salvation and eternal life" versprochen habe und eine eigene Soteriologie und "theory of the soul" (XV) besitze, die sich im wesentlichen im Mythos von "Istars Höllenfahrt" zeige. Dieser Mythos beschriebe (analog zu neuplatonischen Vorstellungen) Herkunft, Fall und Erhöhung der (durch Istar repräsentierten) Seele. Weiterhin gehöre hierher das Konzept des himmlischen perfekten Menschen, der zur Rettung der Menschheit gesandt worden sei, das sich in der Institution des assyrischen Königtums manifestiert habe. Der König sei als Sohn der Göttin Mullissu, die das assyrische Äquivalent des Heiligen Geistes sei, letzterem verbunden und durch seine "homoousia with God" eine "Christ-like figure" (XV) mit messianischen Implikationen. Zentrales Kultsymbol sei der Lebensbaum, der als kosmischer Baum Himmel und Erde verband. Der Istarkult habe Parallelen zum Kult der Aschera, Kybele und Isis, wobei assyrische und alttestamentliche Prophetie durch konzeptionelle Ähnlichkeiten in den jeweiligen Religionen, nicht etwa durch direkte Anleihen oder wechselseitige Beeinflussungen verbunden seien (XVI). Spätere hellenistische und antike Religionen und Philosophien seien direkt von den früheren altorientalischen Traditionen beeinflußt. In weiteren Ausführungen legt P. seine These vom monotheistischen Charakter der assyrischen Religion vor (XXI-XXVI), der sich in der Konzeption von Assur als "(the) God" oder "the totality of gods" zeige, während der Rest des assyrischen Pantheons nur Aspekte desselben seien (XXI). Dies gelte auch für Istar (XXVI-XXXVI), die die Hypostase der mütterlichen Seite des Assur und das funktionale Äquivalent des Heiligen Geistes sei. Mit dieser Verhältnisbestimmung von Assur/Enlil und Istar zeichnet sich ab, was, ergänzt durch Nabû/Ninurta (welcher sich im assyrischen König inkarniert [XXXVI-XLIV]), von P. zu einer assyrischen Trinitätslehre konstruiert wird.

Der vorliegende Entwurf des religiösen Systems Assyriens läßt sich als der Versuch begreifen, u. a. mittels Begriffen aus der christlichen Dogmatik aus dem assyrischen Polytheismus eine sublime Form des Monotheismus zu machen. Dabei werden kaum von der Hand zu weisende monolatrische Tendenzen der assyrischen Religion verallgemeinert und als Zeichen des Monotheismus interpretiert, obwohl der Vf. m. E. keine eindeutigen Belege vorlegen kann, die von der exklusiven Verehrung Assurs, seinem alleinigen Gottsein oder einem theoretischen Monotheismus zeugen würden.

Die verbreitete Erscheinung von Göttertriaden wird m. E. mehr mittels Assoziation denn auf der Grundlage einer genau definierten Theorieebene zu einer Trinität(slehre) gemacht, während die assyrische Königsideologie, die zwar durchaus Handlungseinheit, jedoch keine Wesenseinheit zwischen Gott und König vorsieht, in christologischer Begrifflichkeit interpretiert wird, obwohl z. B. die kultische Verehrung des regierenden Königs nicht nachzuweisen ist. Das erkennbare Interesse des Vf.s, hinter der polytheistischen Oberfläche der assyrischen Religion eine tiefere, monotheistische Ebene (XXI. XXV) zu konstruieren, erscheint von dem jüdisch-/christlich-/muslimischen, z. T. auch philosophischen (jedoch keinesfalls assyrischen) Gedanken und impliziten Axiom des Vf.s bestimmt, daß Einheit der Vielheit vorzuziehen ist, der Monotheismus folgerichtig die höchste Religionsform darstellt, so daß die Relevanz der assyrischen Religion nur durch das Aufzeigen ihres monotheistischen Charakters erwiesen werden kann.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob der Vf. nicht hinter die eigene Argumentation zurückfällt, wenn er in Anm. 21 und 31 feststellt, daß in der Vergangenheit ,Mono-’ und ,Polytheismus’ keine sich ausschließenden Konzepte waren, die Anwendung dieser Differenzierung also anachronistisch ist. Inwieweit ist es dann überhaupt sinnvoll, die assyrische Religion in diesen Kategorien und Begrifflichkeiten zu beschreiben, obwohl sie P.s Auffassung zufolge gar nicht greifen?! Das methodische Vorgehen, persische, hinduistische, gnostische, kabbalistische, philosophische, assyrische und biblische Quellen zu korrelieren, erweckt, da vorschnell Gemeinsamkeiten gesehen werden, während die Unterschiede gänzlich auf der Strecke bleiben, den Eindruck von freier Assoziation und das Bedürfnis nach Begriffsdefinitionen und -differenzierungen. Da P.s Entwurf und vor allem die dazu gehörenden lesenswerten Anmerkungen eine Fülle von religionsgeschichtlich und -phänomenologisch interessanten und faszinierenden Einzelbeobachtungen enthalten, die an dieser Stelle leider nicht aufgenommen werden können, ist zu wünschen, daß seine Ausführungen andernorts zu detaillierter Auseinandersetzung anregen.

Ab S. XLV informiert der Vf. über die assyrischen Prophetenbezeichnungen, die Identität der Prophetinnen und Propheten, die Tafeltypen (Sammeltafeln als Archivkopien, Einzeltafeln als Aufzeichnungen gerade erteilter Prophetien), formale Kennzeichen der Tafeln, Aufbau und Sprache der Orakel (LXIV-LXVII), den historischen Kontext und die Datierungsfragen sowie über den Aufbau, die Textauswahl und -anordnung des vorliegenden Bandes. Dieser bietet Umschrift und Übersetzung der vier erhaltenen Sammeltafeln (Nr. 1-4); sie wurden als mehrkolumnige, vertikale Tafeln von demselben Schreiber aus mehreren Einzelprophetien der Zeit Asarhaddons zu Archivkopien kompiliert. Obwohl die vertikale Tafel Nr. 9 nur einkolumnig ist, handelt es sich auch hier um eine Archivkopie. Die Einzeltafeln Nr. 5-8 sind horizontale Tafeln (Nr. 5-6 aus der Zeit Asarhaddons), die jeweils die "Mitschrift" je nur einer Prophetie enthalten. Sie wurden von verschiedenen Schreibern (jedoch nicht von den Propheten selbst, s. die Verwendung der Zitationspartikel ma-) geschrieben. Nr. 10 und 11 wurden, obwohl es sich um Fragmente vertikaler Tafeln (LXI) handelt, vom Vf. ebenfalls als "Einzeltafeln" klassifiziert und zusammen mit Nr. 7-9 der Zeit Assurbanipals zugeordnet.

In 2.4. iii 15 spricht m. E. wenig dagegen, i-gi-ib von eqbu "Ferse" (so mit AHw 366) abzuleiten. Im Zusammenhang mit dem Orakel gegen Mugallu, König von Melid, stellt sich die Frage, wie sich das Unheilsorakel gegen ihn zu dem erfolglosen Feldzug des Asarhaddon im Jahr 675 verhält. Wenn die Prophetie in der Zeit vor dem anstehenden Feldzug erging, dann war die Ankündigung der Göttin durch den Fehlschlag ihres Schützlings schnell widerlegt. Die Ansetzung der Prophetie nach 675 ändert wenig: Da Mugallu ein steter Gegner Asarhaddons war und erst von Assurbanipal unterworfen werden konnte,3 traf die Prophezeiung der Göttin nicht z. Zt. des Asarhaddon ein. An dieser Stelle läßt sich die Frage anschließen, nach welchen Kriterien die Einzelorakel überliefert und vor allem gesammelt worden sind, da es doch verwundert, daß ein Text archiviert wurde, der ein Orakel enthielt, das zwar königskonform (also nach assyrischen Maßstäben "wahr", s. den Band von M. Nissinen, 166 f.) war, das aber (in kurzer Zeit nachweisbar) nicht eintrat und somit (nach menschlichem Ermessen und Dtn 18:22) "falsch" war. "Wahr" wurde die Ansage der Unterwerfung des Mugallu erst auf lange Sicht, z. Zt. des Assurbanipal. Dies gilt im übrigen auch für 3.2. i 35, falls die vorgeschlagene Ergänzung richtig ist.

Ausführliche Glossare und Indizes sowie dreizehn Tafeln mit den Photos der Tontafeln schließen den Band ab.

Der auf der Grundlage von P.s Neuedition entstandene Band von M. Nissinen stellt die assyrische Prophetie in ihren zeit- und geistesgeschichtlichen Kontext und läßt sich daher als willkommene Ergänzung zu dem o. g. Band verstehen. In der Einführung (2-12) legt der Vf. dar, was er unter Prophetie versteht, und mit welchen Kriterien er Hinweise auf dieselbe außerhalb ausgewiesen prophetischer Texte identifiziert hat. Anschließend folgt die Vorstellung der Belege, in denen Bezüge zur Prophetie erkennbar sind. Die folgenden Kapitel sind jeweils analog aufgebaut und bieten die Textzitate der relevanten Passagen, eine Einführung in die historischen Zusammenhänge und die Analyse der Funktion der Prophetie im jeweiligen Kontext. Zuerst werden die Inschriften Asarhaddons (Nin. A i 84-ii 11; Ass. A i 31-ii 26) (13-34) und Assurbanipals (Prisma T ii 7-24; Prisma A ii 126-iii 26; Prisma B v 46-49, 77-vi 16) einer Untersuchung unterzogen (35-61); es folgen eine Liste mit der Erwähnung des Propheten Quqî (SAA 7, 9 r. i 20-24) (63-65), zwei Briefe (SAA 10, 352; LAS 317), die Prophetie im Kontext des Ersatzkönigsrituals (67-81) und vier Briefe (SAA 10, 294.109.111.284), die Prophetie im Zusammenhang mit Belangen assyrischer Gelehrter und Höflinge erwähnen (83-105). Weiterhin finden sich die Briefe des Nabû-rehtu-us.ur (ABL 1217+CT 53,118; CT 53,17+107; CT 53,938) (107-153), in deren Zusammenhang der Vf. die interessante und neue These entwickelt, daß es sich bei der problematischen Person des Sasî um einen Agenten im Auftrag des Königs gehandelt habe (146). Ein Auszug aus der Thronnachfolgeregelung des Asarhaddon (SAA 2, 6 10) (155-162) schließt die Textzusammenstellung ab. Die lesenswerte Zusammenfassung (163-172) hebt nochmals deutlich die politische und systemstabilisierende Funktion der assyrischen Prophetie hervor. Allein die Ausnahmen ABL 1217+ und SAA 2, 6 10 zeigen das kritische und systemdestabilisierende Potential der Propheten, deren königsfeindliche Orakel von den Herrschenden als verdächtig und "falsch" angesehen wurden. Die Bibliographie und verschiedene Indizes runden den Band ab.

Das Doppelwerk aus Helsinki bietet eine solide philologische Grundlage für die weitere Beschäftigung mit den komplizierten Texten; zugleich zeugt es von der Kreativität seiner Verfasser, die die Diskussion um die altorientalische Prophetie um wertvolle Anregungen und z. T. unkonventionelle Gedankengänge bereichert haben.

Fussnoten:

1) S. z. B. schon S. Parpola, The Assyrian Tree of Life: Tracing the Origins of Jewish Monotheism and Greek Philosophy, JNES 52, 1993, 161-208.

2) S. dazu auch B. R. M. Groneberg, Lob der Istar. Gebet und Ritual an die altbabylonische Venusgöttin, Cuneiform Monographs 8, Groningen 1997, sowie weiterführend F. Bruschweiler, Inanna: La déesse triomphante et vaincue dans la cosmologie sumérienne. Recherche lexicographique, Les Cahiers du CEPOA 4, Leuven 1987.

3) J. D. Hawkins, Art. Mugallu, RLA 8, 1993-1997, 406.