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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

780–782

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Arenz, Dominik

Titel/Untertitel:

Paradoxalität als Sakramentalität. Kirche nach der fundamentalen Theologie Henri de Lubacs.

Verlag:

Innsbruck u. a.: Tyrolia Verlag 2016. 693 S. = Innsbrucker Theologische Studien, 92. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-7022-3539-0.

Rezensent:

Christian Danz

Die Bedeutung des Begriffs des Paradoxes für das sakramentale Selbstverständnis der römischen Kirche untersucht die Bonner Dissertationsschrift von Dominik Arenz Paradoxalität als Sakramentalität im Anschluss an den französischen Theologen Henri de Lubac. Die von Claude Ozankom betreute Arbeit wurde im November 2014 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn als Dissertation angenommen. Die beiden Leitbegriffe der Arbeit, »Paradoxalität« und »Sakramentalität«, sind für das Denken de Lubacs grundlegend. In ihnen schlage sich »die Zentralität der Begriffe ›Paradox‹ und ›Sakrament‹ für die Ekklesiologie de Lubacs nieder«, so dass anhand dieser Begriffe »das fundamentaltheologische Profil seiner Theologie zu formulieren versucht« wird, »das die Kirche in den Zusammenhang des Christusmysteriums und des Mysteriums des Menschen stellt bzw. das die Kirche in diesem Begegnungsgeschehen verortet und daraus für die Formulierung des Glaubens sowie für das Verständnis der menschlichen Existenz Einsichten gewinnt« (14). Es geht der umfangreichen Studie um eine Rekonstruktion des Denkens von de Lubac in systematischer Absicht: Der in dessen fundamentaler Theologie angelegte Begriff der Kirche als Sakrament soll für den gegenwärtigen Diskurs in der katholischen Theologie plausibilisiert werden. Die Theologie de Lubacs sei in dieser Hinsicht ein »entscheidender Beitrag« für die »Theologie des 20. Jahrhunderts« (25). Diese Intention entwickelt A. in den drei Hauptteilen seiner Untersuchung, die systematisch aufeinander aufbauen. In sukzessiver Abfolge werden zunächst der Begriff des Paradoxes, sodann die Anthropologie und schließlich die Ekklesiologie des französischen Theologen ausführlich er­örtert.
Auf die Einleitung (13–43) folgend, die den problemgeschicht-lichen Hintergrund des Denkens von de Lubac in der Auseinandersetzung mit der neuscholastischen Apologetik sowie das Anliegen der Untersuchung skizziert, diskutiert der zweite Hauptteil unter der Überschrift Paradox und Mysterium die fundamentale Theologie de Lubacs (45–228). Den Ausführungen zum Paradox und seiner Struktur kommt eine Schlüsselfunktion zu, da in diesem Abschnitt die systematischen Grundlagen des Sakramentalen und damit der Ekklesiologie entwickelt werden. Das erfolgt in drei Unterabschnitten. Zunächst arbeitet A. in Auseinandersetzung mit Kierkegaards Aussagen den Begriff des Paradoxes von de Lubac heraus (46–148). Dieser knüpfe zwar an den Dänen an, unterzieht jedoch dessen subjektivitätstheoretische Fassung der Kritik, indem das Paradox an das Denken zurückgebunden wird. Für den französischen Katholiken ist das Paradox keine Begriffsspielerei, sondern »ontologische Wirklichkeit« (92), die das Denken anregt (101). Es umfasst drei Dimensionen: Immanenz und Transzendenz, Individuum und Gemeinschaft und Zeit und Ewigkeit. Zwar könne die antinomische Einheit der Gegensätze, die sich nicht synthetisieren lassen, nicht begriffen, wohl aber verstanden werden (99.101). Das Paradox ist das göttliche Mysterium, das als transzendente Wirklichkeit in der Immanenz erscheint, sich allem Begreifen und so-mit auch dem Wissen entzieht. Das geoffenbarte Mysterium, also Christus, hat eine paradoxale Struktur. Sie ist für das Verständnis des Sakramentalen konstitutiv. De Lubac bezeichnet das geoffenbarte Mysterium als Dogma (groß geschrieben oder Dogma px), welches von dem Dogma der Kirche (klein geschrieben oder DogmaKirche) (103 f.) nur paradox formuliert werden kann, da es als solches nicht zugänglich ist. Wie vor diesem gedanklichen Hintergrund allerdings eine Identität des Mysteriums behauptet werden kann (111), bleibt selbst ein Mysterium. Denn woher soll man darum wissen, dass das Mysterium mit sich identisch bleibt, wenn zugleich behauptet wird, es könne selbst nicht erkannt werden? Mit dem Begriff des Paradoxes – dem »Ereignis der Erlösung als Wiederherstellung […] der ursprünglichen Einheit der Menschen mit Gott und untereinander« (113) durch die Menschwerdung Gottes – sind die Grundstrukturen der Sakramentalität bereits ge­nannt, die im dritten Hauptteil des Buches anthropologisch und im vierten ekklesiologisch durchbuchstabiert werden.
De Lubacs sakramentale Theologie erhält jedoch zuvor im zweiten Hauptteil noch eine Vertiefung durch die Einbeziehung der philosophischen Konzeptionen von Maurice Blondel (150–174) und Gabriel Marcel (174–202). Beide Philosophien stehen im Hintergrund von de Lubacs philosophischer Theologie und ihrer Zuordnung von Philosophie und Offenbarung oder natürlicher und geoffenbarter Theologie. Denn sowohl Blondel als auch Marcel haben apologetische Konzeptionen vorgelegt, die in dem Postulat einer notwendigen Offenbarung gipfeln, auf die die Philosophie hinführt, die aber von dieser selbst nicht thematisiert werden könne (vgl. 202–204). Auch das entspricht der paradoxen Denkform der Sakramentalität: die schöpfungstheologische Ausrichtung des Na­türlichen auf das Übernatürliche, von de Lubac »Transzendenzapologetik« genannt (208–215).
Die Ausrichtung des Endlichen auf das Unendliche, welche die Struktur der paradoxalen Sakramentalität auszeichnet, ist das Thema des dritten Hauptteils Henri de Lubacs sakramentale Anthropologie (229–413). In drei Unterabschnitten wird zunächst die Anthropologie unter dem Stichwort »GeistNatur« thematisiert (231–297), sodann Die Finalität der menschlichen Existenz: das Desiderium naturale (297–371) und schließlich als mystische Synthese – Paradoxalität als Sakramentalität (371–413). Auch hier ist es der Gedanke, dass der Mensch gleichsam als natürliche Ausstattung einen von Gott geschaffenen Geist eingepflanzt bekommen habe, der den Menschen nach Gott streben und suchen lässt. Diesem Streben kommt Gott in seiner Offenbarung in Christus entgegen. Das vierte Kapitel wendet das auf den Kirchenbegriff an und rekonstruiert Die Sakramentalität der Kirche nach der Theologie Henri de Lubacs (415–598). Wie in den übrigen Hauptteilen der Untersuchung erfolgt das in einem Dreischritt. Zunächst wird der Begriff des Sakraments diskutiert (415–490), im Anschluss daran das sakramentale Kirchenverständnis de Lubacs (490–591) und abschließend die Kirche als sakramentaler Brennpunkt des Leibes Christi (591–598). Der letzte, fünfte Hauptteil Paradoxalität als Sakramentalität: via sacramentalis (599–627) fasst die Ergebnisse der Untersuchung in Thesen zusammen.
Sakramentalität steht für die paradoxe Einheit von Gegensätzen, die in der Offenbarung Gottes in Christus in der Geschichte erscheint, dadurch den Menschen, der immer schon auf der Suche nach Gott ist, gleichsam zu sich selbst bringt. »Die Grundbedingung des Menschen als für die Transzendenz offenes Wesen und der Wille Gottes zur Selbstmitteilung in der Immanenz treffen sich im Sakrament, so dass diese schon als Zeichen den sich nach dem Göttlichen ausstreckenden Menschen etwas erfahren lassen, wenn er sich darin selbst als jemand erfährt, der durch den Anderen gegeben und getragen ( principium!) ist.« (455 f.) Natürliche und geoffenbarte Theologie, Philosophie und Theologie werden auf diese Weise zusammengebunden. Christus ist das Sakrament schlechthin und die Kirche die Institution, die – selbst Sakrament – das Heil durch die Geschichte transportiert. Dem kann nur eine paradoxale theologische Denkform entsprechen. Bei de Lubac wird, das macht A. detailreich deutlich, die neuscholastische demonstratio catholica durch ein Denken ersetzt, welches (scheinbar) modernes Denken (Immanenz) aufgreift, freilich nur, um es auf seinen wahren transzendenten Grund zurückzuführen. Insofern überzeugt die von A. vorgeschlagene via sacramentalis, die an die Stelle der demonstratio catholica als fundamentaltheologische Begründung der Kirche treten soll, auch nur den, der zuvor schon den sakramentalen Status der römischen Kirche anerkannt hat.