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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

768–769

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Larsen, Kasper Bro [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Gospel of John as Genre Mosaic.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 414 S. = Studia Aarhusiana Neotestamentica, 3. Geb. EUR 90,00. ISBN 978-3-525-53619-3.

Rezensent:

Klaus Scholtissek

Der vorzustellende Sammelband geht auf eine gleichnamige Ta­gung in Aarhuis zurück. Er dokumentiert die dort gehaltenen paper und ist um weitere Beiträge ergänzt. Neben der Einleitung des Herausgebers finden sich 16 Beiträge, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Zielsetzungen der Frage der Gattung des JohEv bzw. der Gattungen im JohEv zuwenden. Dabei konstatiert der Herausgeber, dass die klassische Gattungskritik älterer Methodenbücher, die vielfach Anleihen bei R. Bultmann genommen habe, überholt sei: »Historical exegesis has made the linguistic turn« (16).
Heute werde die Frage nach Gattungen neu und anders gestellt: »… there seems to be agreement that genre becomes exegetically stimulating when it is less about taxonomic classification and more about how texts communicate and establish room for interpreta-tion« (18). Larsen sieht in diesem neuen Ansatz, den er treffend unter die Überschrift »Genre Mosaic« stellt, einen innovativen Beitrag zur Johannesforschung.
Der eröffnende Beitrag von Harold Attridge ist grundlegend für den gesamten Sammelband und die inhaltliche Ausrichtung der neueren Gattungsforschung: In Weiterführung seines Aufsatzes aus 2002: »Genre Bending in the Fourth Gospel« arbeitet er heraus, dass der vierte Evangelist die in der Antike vielfach verwendete Technik, Gattungen spielerisch, kunstvoll und transformierend zu verwenden, übernimmt und gezielt für seine Zwecke dienstbar macht: »John bends his narrative in the direction of drama (with prologue, irony, ›delayed exit‹, recognition scenes, and identification/catharsis). This generic transformation serves the same purpose as the riddling and symbolic dimensions of the Gospel, which Attridge describes as a narrative ›arabesque‹: to faciliate a transformative encounter be-tween the reader and the risen Christ« (19; vgl. 45). Sune Auken führt die neueren nordamerikanischen rhetorical genre studies in die Johannesforschung ein (Gattungen sind »social actions«; vgl. 48 f.) und führt dies am Beispiel von Joh 18–19 vor Augen.
Fünf Beiträge widmen sich der Gattung des JohEvs insgesamt: Gemeinsam widersprechen die Beiträge einer einfachen, unterkomplexen Zuordnung zu einem bekannten Gattungsmuster (besonders Drama, Biographie, Roman, Novelle): Colleen M. Conway arbeitet heraus, dass das JohEv einerseits durchgehend die patriarchale Weltsicht bestätige, andererseits jedoch auch weibliche Charaktere zeichne, die wie in antiken Dramen »a socio-cultur-al ›otherness‹« (20) repräsentieren: »On the other hand, female characters may also function to ›safely‹ push the edges of theological and social boundaries. These women let the audience experience the marginal position of a believer by the way of figures that are already marked as other« (83). George L. Parsenios beschreibt, wie der Evangelist narratio (diegesis) und imitatio (mimesis) verschränkt (»between narrative and drama«; 86.93.95.96.97). Anders Klostergaard betont – veranschaulicht am Beispiel der Wundererzählungen – den Übergang von der narrativen Christologie der Synoptiker zur diskursiven Christologie des JohEv, für die er auch den m. E. missverständlichen Begriff »generic docetism« verwendet. Ole Davidsen sieht im JohEv die drei »cross-culturally dominant and prototypical narrative genres« verwirklicht: heroic, sacrificial and romantic tragicomedy. Jo-Ann A. Brant erkennt Übereinstimmungen zwischen antiken Novellen und dem erzählerischen Umgang mit der Zeit im JohEv (»novelized time«) und spricht da­her von »novelization« im JohEv:
»Studying John among the ancient novels may in the end lead the examiner back to the conclusion that John stands more comfortably among the bio-graphies but with a consciousness of the force of ›novelization‹ apparent in its playful appropriation of various genres and its representation of time as a subjective experience.« (168)
Neun weitere Aufsätze widmen sich einzelnen Gattungen innerhalb des JohEvs:
Ruth Sheridan deutet den Prolog als einen Dialog zwischen Genesis und Exodus narratives und der joh Jesus-Erzählung: »John’s prologue performs the exegetical narrative genre in a way that not only represents the biblical story, but also recasts it and reshapes it entirely around the story of Jesus as the ultimate and exclusive ›exegete‹ of God (cf. 1:18)« (190).
Douglas Estes sieht beim Johannesprolog deutliche Parallelen zu den peristaseis (circumstantiae) in der antiken Rhetorik: Im Prolog werde der implizite Leser in die relevanten Akteure, Umstände und Konstellationen des Hauptteils und damit in die vom Autor gewünschte Leseperspektive eingeführt.
Jörg Frey zeigt in seinen Analysen der joh Zeichen-Erzählungen, dass und wie sie auf Tod und Auferstehung Jesu als »ultimate sign« bezogen sind, und interpretiert die joh Semeia-Erzählungen als exemplarische Darstellungen der Gesamtbotschaft des JohEv: »They are all narrated in a manner that discloses their significance and presents them as exemplary narratives of the whole of Jesus’ sending and ministry within the context of the whole Gospel. Thus, the genre of miracle stories is ›bent‹ and modified according to the hermeneutical interests of the Gospel as explained in John 20:30–31« (231). Am Beispiel der Begegnungsszene in Joh 4 plädiert Tyler Smith dafür, Gen 29 (Jakob und Rachel) als »prototype« für die joh Darstellung und Interpretation der Begegnung zwischen Jesus und der Samariterin zu verstehen.
Davis Svärd deutet Joh 12,1–8 im Licht königlicher Messiaserwartungen, die Johannes neu codiere (»John’s Refashioning of the Generic Scene«): Die Salbung Jesu »depicts him as a spiritual temple and as the bridegroom Messiah who is about to display a new kind of authority in his death and resurrection« (23; vgl. 268).
Eve-Marie Becker stellt zu Joh 13 die provokante These auf: »My claim is that, by omitting the narrative about the last supper, the Fourth Gospel manipu-lates memory. John installs a counter-memory that is particulary oriented against Luke, and he does this in order to present a farewell scene (John 13 and 14–17) and a passion narrative (John 18–20) that both ›forget‹ the Eucharist and the narrative meaning it obtained in Luke« (275).
Troels Engberg-Pedersen deutet die Abschiedsrede Jesu in 13,31–17,26 literarisch einheitlich in der Perspektive der auch bei Paulus bekannten paraklesis mit ihren zwei Momenten: comfort encouragement (gegenwartsbezogen) und exhortation encouragement (zukunftsbezogen). Basis dafür ist das Wirken des Parakleten. Auf die in der Johannesforschung vernachlässigte Parabel in Joh 16,21 weist Ruben Zimmermann hin und erläutert die gattungstypische Offenheit dieser Parabel: Christologische, eschatologische und feministische Dimensionen können konsistent zusammengeführt werden.
Überzeugend und hilfreich bezieht sich Kaspar B. Larsen in seiner Untersuchung der recognition type-scenes (anagnoriseis) auf die Parallelen zu antiken Texten (Aristoteles, ancient narrative and drama) einerseits und auf die Nähe zur joh Sprache der Reziprozität und Gegenseitigkeit andererseits: »His ›covenant-al epistemology‹ of divine action and human reactiong, well-known from biblical tradition and central to the Gospel’s understanding of God and human beings, is played out and dramatized in the Johannine recognition scenes« (24; vgl. 354 f.: »The Reader as Recognized Recognizer«).
Viele Beiträge dieses Sammelbandes geben neue und erfrischende Einblicke in die Werkstatt des Evangelisten. Das Versprechen des Herausgebers, mit diesem Band überzeugend zu weiterer Forschung einzuladen (vgl. 24), wird eindrucksvoll erfüllt.