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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

753–755

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Tsai, Daisy Yulin

Titel/Untertitel:

Human Rights in Deuteronomy. With Spe-cial Focus on Slave Laws.

Verlag:

Berlin: De Gruyter 2014. XVI, 244 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 464. Geb. EUR 109,95. ISBN 978-3-11-036442-2.

Rezensent:

Eckart Otto

Daisy Yulin Tsai kündigt in ihrer u. a. von R. E. Averbeck betreuten Dissertation an der Trinity International University in Deerfield (USA) einen »new approach« der vergleichenden Rechtsforschung biblischen und altorientalischen Rechts in Gestalt einer »multidimensional examination involving a comparative legal study be-tween the biblical and the ANE slave law«, an, wobei nicht nur »analogous laws, but also rhetorical techniques, methods of law grouping structures and arrangements of law collections, as well as the rationale of legal philosophy behind laws and law books« erfasst werden sollen. Mit diesem Forschungsprogramm schließt sich die Vfn. bis in den Titel der Studie dem Forschungsprogramm des Rezensenten (»Gottes Recht als Menschenrecht. Rechts- und literaturhistorische Studien zum Deuteronomium«, BZAR 2, Wiesbaden 2002) an. Doch die Methodik, mit der die Vfn. die Ziele erreichen will, unterscheidet sich gravierend von der des Rezensenten, insofern die Vfn. auf jede literatur-, rechts-, und religionshistorische Differenzierungen nicht nur innerhalb der biblischen Bücher und ihrer Rechtssammlungen verzichtet, sondern auch zwischen den Büchern und Rechtskorpora von Bundesbuch, Deuteronomium und Heiligkeitsgesetz.
An die Stelle der literarhistorischen Differenzierung setzt die Vfn. einen direkten offenbarungstheologischen Zugriff auf »YHWH’s humanitarian concern«, der das biblische Recht fundamental vom Keilschriftrecht unterscheiden soll. Da die Vfn. die als Folge von JHWHs humanitärer Empathie dem biblischen Sklavenrecht zugrunde liegenden Menschenrechtsideen erheben will, seien Fragen nach den jeweiligen historischen und rechtshistorischen Kontexten der Gesetze insgesamt für sie nicht von Bedeutung. Richtet sich das Interesse der Vfn. auf die Philosophie des »spirit« hinter den Rechtstexten, verlieren nicht nur die rechtshistorischen Kontexte der Rechtstexte an Bedeutung, sondern die Texte selbst, die nur inso fern von Bedeutung sind, als sie die rhetorischen Strategien zur Durchsetzung und Verbreitung der theologisch-philosophischen Ideen der Menschenrechte hinter den Texten zu erkennen geben.
Eine derartige philosophisch-rhetorische Strategie liege auch dem Aufbau des Deuteronomiums zugrunde, das weder durch Assoziationsketten (A. Rofé) noch dem Dekalog folgend (G. Braulik) die Gesetze zusammenstelle, sondern als literarisch einheitlich die Gesetze in eine chiastische Strukturierung eingebunden habe, deren Zentrum Dtn 19,1–21,9 mit dem Thema der Lebensbewahrung sei. Um diese »Mitte« herum seien die beiden Sklavengesetze in Dtn 15,12–18 und Dtn 23,16–17 gruppiert, die »YHWHs concern for human rights« verkünden. Auch der Vergleich dieser deuteronomischen Sklavengesetze mit denen des Bundesbuches in Ex 21 und des Heiligkeitsgesetzes in Lev 25 verzichtet auf jede literarische Differenzierung. Vielmehr seien die biblischen Gesetze synchron zu lesen und auf eine rechtshistorische Differenzierung der Rechtssammlungen sei zugunsten einer »contextual method« zu verzich ten, die die terminologisch-sachlichen Differenzen mit unterschiedlichen rhetorischen Strategien zugunsten des in diesen Ge­setzen jeweils identischen Geistes (»spirit«) erklärt. Das bedeutet, dass zwischen den Sklavengesetzen in Ex 21, Dtn 15; 23 und Lev 25 auch keine Relation rechtsauslegender Fortschreibung oder gar der Abrogation besteht, die Gesetze sich vielmehr rhetorisch ergänzen.
Auch wenn man der Vfn. zustimmen kann, dass es in diesen Gesetzen nicht um wechselseitige Abrogationen (B. M. Levinson) geht, werden doch die unverkennbaren Differenzen etwa zwischen Ex 21 und Dtn 15, die nicht zuletzt durch das Gebot der Opferzentralisation in Dtn 12 ausgelöst sind, exegetisch unterbestimmt und sind diachron Hinweise auf die differenten rechtshistorischen Kontexte von Bundesbuch und Deuteronomium, was nach den rechtshermeneutischen Regeln fragen lässt, die es möglich machten, die rechtshistorisch wie theologisch unterschiedenen Gesetze in einer gemeinsamen Tora, dem Pentateuch, zu vereinen. Es ist durchaus plausibel, die literarisch-, rechtlich und theologisch zu differenzierenden Gesetze auch synchron zu lesen, was aber erfordert, das Augenmerk auf die hermeneutischen Regeln zu richten, die es ermöglichen, dass die ausgelegten Texte in der Perspektive des auslegenden Textes einheitlich als Teil einer Tora gelesen werden können. Dazu müssen aber in einem ersten Schritt die Differenzen zwischen den Gesetzen ernst genommen, diachron interpretiert und dürfen nicht mit offenbarungspositivistischer Begründung heruntergespielt werden.
Sosehr die Vfn. über alle literarischen, rechtlichen und theologischen Differenzen hinweg die Einheit der Gesetze des biblischen Rechts verteidigt, so prinzipiell inkommensurabel soll das biblische Recht mit dem altorientalischen Recht in Gestalt des Keilschriftrechts sein, dem der humanitäre Geist des biblischen Rechts völlig abgehe, was gerade auch für das Sklavenrecht gelte. Das allerdings hätte angesichts der Freilassungsregelung für Schuldsklaven in CH § 117 etwas differenziertere Überlegungen verdient, auch wenn es richtig ist, dass das biblische Sklavenrecht stärker als das des Keilschriftrechts humanitäre Gesichtspunkte eines Armen­rechts in Anschlag bringt. Hier wäre nach den rechtshistorischen Ursachen für diesen Befund zu fragen, der sich nicht schlicht offenbarungstheologisch mit Gottes »human concern« erklären lässt, ohne nach den unterschiedlichen Trägerkreisen und Funktionen der Rechtssätze im Keilschriftrecht und im biblischen Recht in Verbindung mit jeweils unterschiedlicher Verknüpfung von Recht und Religion zu fragen. Doch derartige Gesichtspunkte fehlen in der Studie, da die Vfn. nicht nur das biblische Recht synchron liest, sondern auch das Keilschriftrecht, was sie undifferenziert durch zwei Jahrtausende der Rechtsgeschichte des Keilschriftrechts surfen lässt, ohne dass sie rechtshistorische Differenzen herausfordern und so zum Thema gemacht werden, da es der Vfn. nur darum geht, den Mangel an humanem Geist im Keilschriftrecht als Gegenüber zum biblischen Recht herauszustellen. Damit aber geht jede rechtshistorische Perspektive verloren.
So kann die Vfn. die These von einem »common law« (R. Westbrook) im gesamten Alten Orient des Fruchtbaren Halbmondes vertreten und gleichzeitig die These der prinzipiellen Verschiedenheit des biblischen vom altorientalisch-nichtbiblischen Recht. Hier fragt sich, was denn nun gelten soll. Die Übertragung synchroner Lek-türe, die für das biblische Recht ein gewisses Maß an Plausibilität durch den biblischen Kanon hat, ist für das Keilschriftrecht mit einer Rechtsgeschichte von zwei Jahrtausenden wenig plausibel und dem Wunsch geschuldet, alle rechtshistorische Diachronie auch vom biblischen Recht um seiner offenbarungstheologischen Ableitung willen fernzuhalten.
Eine Studie zur Rechtsgeschichte der Hebräischen Bibel stößt bei Verzicht auf die Geschichte des Rechts schnell an ihre Grenzen, zumal auch dann, wenn sie in einem »new approach« die Relation des biblischen Rechts zum Keilschriftrecht beschreiben will, Rechts-, Literatur- und Religionsgeschichte aber einem fundamentaltheologischen Erklärungsmuster des Offenbarungspositivismus opfert. Positiv hervorzuheben ist die breite Literaturverarbeitung der Vfn., die aber im Umkehrschluss auf eigene exegetische Arbeit an den biblischen Rechtstexten wie an denen des Keilschriftrechts konsequent verzichtet. Wie eingangs zitiert, hat sich die Vfn. in ihrer Dissertation mehrere forschungsgeschichtliche Herkulesaufgaben gestellt. Es wäre wohl von Vorteil gewesen, wenn die Vfn. sich in ihrer Aufgabenstellung beschränkt, dafür aber die Texte exegetisch intensiver selbst bearbeitet hätte. Weniger wäre mehr gewesen.